Gedanken zur Woche 144, Dr. Matthias Martin
HOCHFEST von WEIHNACHTEN (2022)
Das Hochfest von Weihnachten besitzt natürlich ganz herausragende Bedeutung. So ist es umso verständlicher, dass dieses so beliebte wie wichtige Hochfest im Jahr 2022 nach gregorianischen/Gregorianischen Kalender den Sonntag liturgisch und in der allgemeinen Wahrnehmung verdrängt. Sehr gerne wird ja Weihnachten nach Ostern als zweithöchstes christliches Fest betrachtet in besonderen Ehren gehalten.
Weihnachten hat seinen festen Platz im kulturellen Leben, in der Hochkultur wie in der Volkskultur. Weihnachtslieder wie „Alle Jahre wieder“, „O Tannenbaum“ und ganz besonders „Stille Nacht, heilige Nacht“, genannt sogar „Das ewige Lied“, gehören zum populärsten Liedgut überhaupt (siehe Gedanken zur Woche 41-b). Im Bereich Hochkultur mögen Weihnachtskonzerte und eigens das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach sowie Werke anderer Komponisten in den Sinn kommen. Genauso besitzt Weihnachten seinen bemerkenswerten Platz in dem so weiten Bereich der bildenden Kunst. Krippenbaukunst vom Schnitzen verschiedener Figuren bis hin zur Schaffung ganzer bildnerischer Kompositionen ist ein eigenes Tätigkeitsfeld kulturellen Schaffens. Dann gibt es natürlich auch die Beschäftigung mit weihnachtlichen Themen durch die Malerei. In ganz unterschiedlichen Kunststilen und Ausdrucksformen ist dies vorzufinden.
Genauso ist insbesondere der 25. Dezember, der Christtag, auch genannt der Erste Weihnachtsfeiertag, in vielen Staaten, staatsähnlichen Territorien und regionalen Gliederungen auf allen Kontinenten als staatlicher Feiertag anerkannt. Manchmal ist auch der 24. Dezember als Tag vom Heiligen Abend staatlich anerkannter Feiertag. Dies gilt ebenso für den 26. Dezember als Zweiten Weihnachtsfeiertag bzw. Stephanitag. Letzteres gilt eigens mit Elsass-Lothringen auch für jenes Gebiet, in dem ganz offenkundig und unleugbar schon rund sieben Jahrzehnte vor Martin Luthers Aktivitäten die Bibel in deutscher Sprache gedruckt wurde (siehe Gedanken zur Woche 79-b und allgemeiner 35, 81-b und 96).
Weihnachten ist also ein kultureller Ausgangs-, Ziel- und Mittelpunkt. Zugleich ist Weihnachten grenzüberschreitend ein sozialer Besitzstand, den es zu verteidigen und zu pflegen gilt.
Natürlich ist Weihnachten zuerst einmal in der Bibel vorzufinden. Es fällt beim Durchgang durch die Einzelbücher der Bibel auf, dass das, was in allgemeinerer und aktueller Überlieferung stark so etwas wie die Weihnachtsgeschichte darstellt, lukanisches Sondergut ist (Lk 2,1-20). Dieser so gerne am Heiligen Abend in Familien wie in Medienproduktionen vorgelesene Text ist also wie andere Gruppen von Versen zuvor und danach nur im Lukasevangelium zu finden, stellt eine Traditio Simplex/Simplex Tradition dar (siehe Gedanken zur Woche 136). Sondergut liegt bei den synoptischen Evangelien im kleineren wie im größeren Umfang immer wieder vor.
Dass dem aber nicht immer so bei den drei synoptischen Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas ist, wird ersichtlich, wenn man den Synoptikern nach der in geschlossener und umfangreicher Form so nur im Matthäusevangelium vorzufindenden (Mt 5,1-7,29) Bergpredigt folgt (siehe Gedanken zur Woche 143).
Danach finden wir die Erzählung von der Heilung eines Aussätzigen bei allen drei Synoptikern vor, mit Übereinstimmungen mitunter bis in den Wortlaut hinein. Dies schließt die ausdrückliche Bezugnahme auf das Buch Levitikus und damit eines der Fünf Bücher Mose ein (Mt 8,1-4; Mk 1,40-45; Lk 5,12-16).
Geht man anhand des Matthäusevangeliums als einer Art Achse weiter vor, so kommt man weiters zur Begegnung Jesu mit dem Hauptmann von Kafarnaum und der wiederum wundersamen Heilung von dessen Knecht. Diese Erzählung findet sich sowohl im Matthäus- als auch im Lukasevangelium (Mt 8,5-13 und Lk 7,1-10) und damit bei den beiden Seitenreferenten oder Großevangelien. Die Stelle findet sich bei Lukas nach so etwas wie einer kleineren Bergpredigt (Lk 6,20-49), auch wenn beide Seitenreferenten im Aufbau mitunter Unterschiede aufweisen. Auffällig ist, dass bei beiden Synoptikern Jesus auf unterschiedliche Weise angesprochen wird. Bei Matthäus ist es dieser Hauptmann, der direkt persönlich mit seiner Bitte um Heilung an Jesus herantritt. Bei Lukas sind es jüdische Älteste, welche dieses Anliegen des Hauptmannes Jesus übermitteln. Anschließend schickt nach dem Erzählverlauf des Lukasevangeliums dieser Hauptmann noch dazu Freunde von sich, um ihm weiteres auszurichten. Im Matthäusevangelium spricht der Hauptmann selber direkt mit Jesus von Nazaret. Nach der neuen deutschen Einheitsübersetzung ist bei Matthäus zu lesen:
„(8,5) Als er nach Kafarnaum kam, trat ein Hauptmann an ihn heran und bat ihn: (6) Herr, mein Diener liegt gelähmt zu Hause und hat große Schmerzen. … (8) Und der Hauptmann antwortete: Herr ich bin es nicht wert, dass du unter mein Dach einkehrst; aber sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund.“
Anderes findet sich bei Lukas:
„(7,3) Als der Hauptmann aber von Jesus hörte, schickte er jüdische Älteste zu ihm mit der Bitte, zu kommen und seinen Diener zu retten. (4) Sie gingen zu Jesus und baten ihn inständig. Sie sagten … (6) Da ging Jesus mit ihnen. Als er nicht mehr weit von dem Haus entfernt war, schickte der Hauptmann Freunde und ließ ihm sagen … “.
Eigens heißt es zum Abschluss dieser Perikope bei Lukas:
„(7,10) Und als jene, die der Hauptmann geschickt hatte, in das Haus zurückkehrten, stellten sie fest, dass der Diener gesund war.“
Wir haben also vom Kern her hier eine parallele Geschichte, dahingehend Traditio Duplex/Duplex Traditio, aber nicht eine vom Handlungsablauf und den auftretenden Personen her völlig identische Geschichte.
Eine vergleichbare Heilungsgeschichte findet sich in dem sonst von den synoptischen Evangelien nach Stil, Inhalt und Aufbau so verschiedenen Johannesevangelium. Dabei geht es in der Erzählung im Johannesevangelium zufolge um die Heilung des Sohnes eines Beamten:
„(4,46) Jesus kam wieder nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser in Wein verwandelt hatte. In Kafarnaum lebte ein königlicher Beamter; dessen Sohn war krank. (47) Als er hörte, dass Jesus von Judäa nach Galiläa gekommen war, suchte er ihn auf und bat ihn, herabzukommen und seinen Sohn zu heilen … “.
Auch sonst weicht diese Erzählung im Johannesevangelium von denen ja nicht völlig einheitlichen Varianten im Matthäus- und im Lukasevangelium ab.
Gerade in Hinblick auf die Zweiquellentheorie fragt es sich, wie es zu den jeweiligen Unterschieden bei Matthäus und Lukas bezüglicher dieser Heilungserzählung gekommen sein könnte. Bringt derartiges nicht das Erklärungsmodell der Zweiquellentheorie eigens in Schwierigkeiten? Sollte man es da nicht etwa eher mit so etwas wie einer Vierquellentheorie bzw. generell mit einer Relativierung der ja in der Zweiquellentheorie konstruierten und eine Schlüsselposition zugewiesenen (Logien-)Quelle versuchen? Dabei weist das Vorhandensein der ebenfalls in Kafarnaum angesiedelten Heilungsgeschichte im Johannesevangelium in Richtung einer starken Bedeutung Kafarnaums in der Entwicklung der Jesusglaubensbewegung, in der Geschichte der Entstehung des Christentums. Es liegt hier so etwas wie ein gemeinsames Element synoptischer und johanneischer Überlieferung vor.
Auf jeden Fall sind alle eingeladen, sich intensiv mit der Bibel zu beschäftigen und hilfsbereit gegenüber den Mitmenschen zu sein, gerade solchen, welche sich in einer Notlage befinden. Hass und Polemik sollten vermieden werden. Dies gilt zu allen Zeiten des Jahres, anders gesagt: „Und das nicht nur zur Weihnachtszeit“.
Am Heiligen Abend:
1. Lesung: Jes 62,1-5
2. Lesung: Apg 13,16-17.22-25
Evangelium: Mt 1,1-25 (oder 1,18-25)
1. Weihnachtsfeiertag in der Nacht:
1. Lesung: Jes 9,1-6
2. Lesung: Tit 2,11-14
Evangelium: Lk 2,1-14
1. Weihnachtsfeiertag am Morgen:
1. Lesung: Jes 62,11-12
2. Lesung: Tit 3,4-7
Evangelium: Lk 2,15-20
1. Weihnachtsfeiertag am Tag:
1. Lesung: Jes 52,7-10
2. Lesung: Hebr 1,1-6
Evangelium: Joh 1,1-18 (oder 1,1-5.9-14)
Gedanken zur Woche 144-b, Dr. Matthias Martin
WEIHNACHTSOKTAV (2022)
Dass das Bekenntnis zu Jesus von Nazaret und ein Leben, das konsequent in diesem Sinne geführt wird, auf Widerspruch in dieser Welt stößt, verdeutlichen die Tage, welche auf den Christtag, den Ersten Weihnachtstag, folgen.
Dies beginnt bereits mit dem 26. Dezember. Dieser wird oft der Zweite Weihnachtstag genannt. Genauso gibt es ja jeweils einen zweiten Feiertag zum Hochfest von Ostern und zum Hochfest von Pfingsten. Auf den Ostersonntag folgt der Ostermontag und auf den Pfingstsonntag der Pfingstmontag. Bei Weihnachten ist es nun aber etwas anders.
Ostersonntag und Ostermontag haben mit dem Weiß dieselbe liturgische Farbe. Dieselbe liturgische Farbe weisen untereinander auch Pfingstsonntag und Pfingstmontag auf. Dort steht das Rot jeweils für den Heiligen Geist, der laut Apostelgeschichte in Gestalt von Feuerszungen auf die Jünger Jesu herabgekommen ist. Darin stimmen auch die nachkonziliare/Nachkonziliare Liturgie, die Messordnung Pauls VI. und die vorher in der katholischen Weltkirche meist verbreitete Tridentinische Liturgie oder Messe Johannes XXIII. überein. Dies gilt in Hinblick auf die liturgischen Farben für den doppelten Festtag von Ostersonntag und Ostermontag wie für den von Pfingstsonntag und Pfingstmontag.
Anders verhält es sich in Hinblick auf die liturgischen Farben beim Ersten und Zweiten Weihnachtstag. Ist die Liturgiefarbe für den Ersten Weihnachtstag nach beiden Liturgieordnungen weiß, so ist es in beiden Fällen rot für den Zweiten Weihnachtstag. Der 26. Dezember ist nämlich insbesondere der Festtag des ersten Märtyrers, des heiligen Stephanus. Daher wird dieser Tag gerne Stefanitag genannt. Die dafür vorgesehene liturgische Farbe ist das Rot als Farbe der Märtyrer. Auch hierin stimmen die beiden liturgischen Ordnungen überein. Im Volksschott von 1961 für die Feier der Heiligen Messe im Tridentinischen Ritus ist der 26. Dezember mit den Worten überschrieben „Fest des hl. Erzmartyrers Stephanus“. In der kleinen Ausgabe des nachkonziliaren Deutschen Messbuchs wird der Tag überschrieben „Hl. Stephanus, erster Märtyrer“. Genau diese Wortwahl wurde auch im Direktorium der Diözese St. Pölten für 2021/2022 verwendet.
Unmittelbar nach dem Hochfest von Weihnachten, welches auch in nichtchristlichen Kreisen als Fest der Liebe und des Friedens gewürdigt wird, kommt also der Festtag des ersten Märtyrers! Kaum beginnt der weihnachtliche Festkreis, bekommt man es mit dem Blut der Märtyrer zu tun. Damit geht es weiter in den Tagen nach dem Christtag vom 25. Dezember.
Besonders augenfällig ist dies am 28. Dezember. An diesem Tag feiert die Kirche sowohl nach der durch Papst Johannes XXIII. eingeschärften liturgischen Ordnung wie nach der von Paul VI. das Fest der (heiligen) Unschuldigen Kinder. Hiermit werden jene unmündigen Kinder geehrt, die nach der Überlieferung matthäischen Sondergutes auf Befehl des Kollaborateurs Roms, Herodes, im Rahmen des sog. Kindermordes von Bethlehem getötet wurden:
„(Mt 2,16) Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig und er sandte aus und ließ in Bethlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte.“
Passend dazu ist jeweils das Rot der Märtyrer vorgesehen. Dabei wird der Unschuldigen Kinder von Bethlehem und seiner Umgebung liturgisch-kirchlich auch außerhalb der römisch-katholischen Kirche gedacht. Dies geschieht in verschiedenen konfessionellen Hauptzweigen der Christenheit.
Ähnlich verhält es sich mit dem heiligen Thomas Becket, kurz genannt Becket. Auch hier ist eine bemerkenswerte und ermutigende ökumenische Gemeinsamkeit festzustellen. Dieses Opfers der englischen Monarchie und ihrer Anhänger wird insbesondere am 29. Dezember gedacht. Dabei hatte schon der heilige Anselm von Canterbury seinen Konflikt mit der sich konsolidierenden englischen Monarchie durchzustehen (siehe Gedanken zur Woche 6-b, 11-b, 65-b und allgemein 34 und 46-b)
Erreichte die englische Staatskirchenpolitik mit Heinrich VIII. einen ersten brutalen Höhepunkt, dem auch zahlreiche Nichtkatholiken zum Opfer fielen, so sieht es inzwischen gar nicht mehr gut aus für das anglikanische Staatskirchenwesen samt seinen Vorposten und dergleichen. Den Status als von Katholiken mit erdrückenden Zwangsabgaben zu unterstützender Staatskirche verlor das Anglikanertum auf der irischen Insel dank liberaler Reformpolitik im Jahre 1869. Von Gleichberechtigung war aber noch nicht die Rede. Das Vereinigte Königreich führte das Allgemeine Wahlrecht für Männer erst mit Ausgang des Ersten Weltkrieges ein. Die Verweigerung des Allgemeinen Wahlrechts bei Kommunalwahlen, einer Reform der Wahlkreiseinteilungen und einer Gleichberechtigung im dortigen Regionalparlament dauerte in Nordirland an. Erst im Rahmen der nach probritischen Übergriffen in Richtung bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen eskalierenden Vorgänge kam es über Jahrzehnte hinweg in Nordirland allmählich zu Änderungen. Dies hinderte offizielle britische Sicherheitsorgane aber weiterhin nicht, mit probritischen Terroristen, die nicht zuletzt im Drogenhandel aktiv sind und waren, intensiv zusammenzuarbeiten, sprich gemeinsame Sache zu machen. Nach langem Leugnen wurde dies auch von offizieller britischer Seite eingeräumt. Die anglikanische Kirchenstruktur auf der irischen Insel ist ihrerseits unabhängig von der anglikanischen Staatskirche in England, von der weiterhin zahlreiche Bischöfe automatisch Mitglieder des Oberhauses sind.
In Schottland konnte sich das Anglikanertum nie als Staatskirche durchsetzen. Es wurde dann sogar in der Unionsakte von 1707 eigens festgeschrieben, dass die Hauptgruppierung der protestantischen Presbyterianer in Schottland als Staatskirche zu gelten hatte. In den zwanziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts kam es zu einer stärkeren Ausdifferenzierung zwischen dieser bisherigen Staatskirche und britischer Staatlichkeit. Die Hauptrichtung des Presbyterianertums in Schottland bleibt einstweilen noch die offizielle Nationalkirche Schottlands, ist aber nicht mehr die dortige Staatskirche. Diese offizielle konfessionelle Gemeinschaft hat ihre alte Feindseligkeit gegenüber den Katholikinnen und Katholiken nach und nach abgelegt. Dies geschah zum Ärger radikaler Anhänger des britischen Königshauses und eines Verbleibs Schottlands bei Großbritannien. Jüngst erst wurde mit ausdrücklichem Lob durch das schottische Nationalparlament in Edinburgh ein Abkommen über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche und der offiziellen presbyterianischen Nationalkirche Schottlands veröffentlicht. Letztere hatte schon vorher erklärt, dass es das gute Recht jeder Christin und jedes Christen ist, für die Unabhängigkeit Schottlands und das Verlassen des britischen Staatsverbandes einzutreten. Der jeweilige britische Monarch ist, wenn er sich in Schottland aufhält, nur ein normales Mitglied dieser schottischen Kirchengemeinschaft, die Wert darauflegt, in keiner Weise anglikanisch zu sein. Der neue König, Charles III., hatte umgehend und damit noch vor seiner Krönung öffentlich das Versprechen abzugeben, Glauben und Kirchenverfassung dieser letztlich evangelisch-reformierten offiziellen Nationalkirche Schottlands zu verteidigen.
Ihrerseits sind die Anglikaner in Schottland eine verschwindende Minderheit. Ihre sog. „Scottish Episcopal Church“ führt „anglikanisch“ nicht einmal im offiziellen Namen. In den letzten Jahren wurde sie durch Austritte bis hin zu örtlichen Abspaltungen vor allem in Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zum Themenkomplex der Homosexualität weiter geschwächt. Sie ist wie die offizielle anglikanische Kirchenstruktur auf der irischen Insel, die anglikanische „Church of Ireland“, auch in Grundsatzfragen unabhängig von der staatskirchlichen „Church of England“ mit dem britischen Monarchen als ihrem Oberhaupt.
Die anglikanische Kirchengemeinschaft in Wales, die sog. „Church of Wales“, wurde mit einem Gesetz aus dem Jahre 1914, welches 1920 in Kraft trat, von der Staatskirche in England getrennt und gab ihren Status als Staatskirche im Gegensatz zu dieser auf.
Die erwähnten anglikanischen Teilkirchen, oder wie man sagen will, von England, Wales, Schottland und (Nord-)Irland unterscheiden sich bis in die Glaubens- und Sittenlehre hinein. Das wurde jüngst wieder deutlich, als auf internationaler Ebene die zwischen anglikanischen Gruppen und Strömungen vorhandenen Meinungsverschiedenheiten zum Themenkomplex der Homosexualität wieder offen ausgetragen wurden.
Die Ergebnisse der Volkszählung in England und Wales aus dem Jahre 2021 wurden als verheerend für das anglikanische Kirchenwesen und gerade für die Staatskirche in England gewertet. Einen Niedergang bestätigte auch die Volkszählung aus demselben Jahre 2021 in Nordirland für das dortige Anglikanertum. Dieses wurde nach den expliziten Ergebnissen in Nordirland inzwischen sogar schon von den Konfessionslosen überholt, und das überdeutlich.
Gedanken zur Woche 143, Dr. Matthias Martin
4. ADVENTSONNTAG (2022)
Die Zeit vor Weihnachten soll genutzt werden zu einem intensiveren religiösen Leben und generell zu einer inneren Erneuerung der Menschen. Das Wort Advent macht dies schon deutlich, zumindest wenn man es recht betrachtet. Es kommt aus dem Lateinischen. Adventus aus der U-Deklination heißt so viel wie Ankunft. Es wird auch mitunter übersetzt mit den Worten Anmarsch, Anrücken, Auftreten, Eintreffen, Nahen oder auch Erscheinen. Der Bezug auf Weihnachten als Fest der Geburt Jesu von Nazarets, von Christinnen und Christen als göttlicher Herr und Erlöser, von Anhängerinnen und Anhängern anderer Religionen oft als Prophet oder sonst sehr bedeutende Persönlichkeit verehrt, ist offenkundig. Dabei sind natürlich die einzelnen konfessionellen, religiösen bis gegebenenfalls philosophischen Überlieferungen eigens zu betrachten, um Missverständnisse zu vermeiden. So gibt es ja etwa in Judentum und Islam recht unterschiedliche Richtungen und voneinander unabhängig auftretende wichtige Persönlichkeiten. Diese sind jeweils nicht in einen Topf zu werfen. Buddhismus und Hinduismus sind erst recht so etwas wie Sammelbegriffe für jeweils voneinander völlig unabhängige Gemeinschaften und Überlieferungen. Auch in dem breiten und vielfältigen Strom von Überlieferung, der mehr oder minder Christentum genannt wird,hat sich eine Vielzahl von mehr oder minder voneinander unabhängigen Gemeinschaften entwickelt. Es begegnen uns da so unterschiedliche Begriffe wie Kirche(n), Konfession(en), Denomination(en) und Sekte(n). Man kann sich auch nicht einigen, wie viele „Konfessionen“ oder „Denominationen“ es im Christentum gibt. Sind es vielleicht 41.000 oder sogar 47.000 (siehe Gedanken zur Woche 114)? Gerade in dem, was bei aller Schwierigkeit bezüglich Grenzziehung, Abgrenzungen und Zuweisungen gerne sehr verallgemeinernd „Protestantismus“ genannt wird, zeigt sich fortwährend Spaltungsbereitschaft.
Dabei betreffen die Unterschiede zwischen „protestantischen“ Gruppierungen, Denominationen oder Konfessionen auch wesentliche Fragen der Glaubens- und Sittenlehre. So werden auch nichttrinitarische bis in ihren Positionen ausdrücklich antitrinitarische Gemeinschaften gerne unter dem Schlagwort Protestantismus bzw. Protestanten mitgezählt.
Da gibt es dann solche, welche die Meinung vertreten, nur Gott der Vater sei Gott, nur ihm sei in diesem Sinne der Status als göttliche Person zuzusprechen. Jesus sei demgegenüber als ein menschliches Wesen ohne göttlichen Status zu betrachten. Dieser Zweig begann sich gegen alle Anfeindungen und Verfolgungen seit der sog. Reformation im 16. Jahrhundert zu entwickeln. Oft als Unitarismus bezeichnet, zeigte diese Richtung ihrerseits die Neigung, sich noch einmal auszudifferenzieren und verschiedene konfessionelle Gemeinschaften hervorzubringen. Von anderen, ihrerseits als „Protestanten“ bezeichneten Menschen bzw. Gemeinschaften wird solchen Unitariern immer wieder die Anerkennung als Christen verweigert. Mitunter wird die Frage aufgeworfen, wieweit unitarische Ansichten schon spätestens seit in etwa Beginn des 18. Jahrhunderts im Klerus der anglikanischen Staatskirche von England verbreitet gewesen seien. Deren eigene konfessionelle Zuweisung ist eh immer wieder umstritten und fördert offensichtlich eigene Abspaltungen bzw. Spaltungstendenzen.
Dies widerfährt mitunter auch jenen sich als Christen verstehenden Menschen, welche die Trinitätstheologie, die Lehre von der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, wie sie auf dem Ersten Konzil von Nicäa und dem Ersten Konzil von Konstantinopel im betreffenden Glaubensbekenntnis ihren Niederschlag fand, gewissermaßen von der anderen Seite her ablehnen. Für diese gibt es nur eine göttliche Person, welche in der Geschichte unter den Bezeichnungen Vater, Sohn und Heiliger Geist aufträte. Diese seien nur die verschiedenen Bezeichnungen oder Wirkweisen ein und derselben göttlichen Person. Dieser zahlenmäßig nicht zu unterschätzende Bereich von „Protestantismus“ ist gerade in Form von Einssein Pfingstlern, amerikanisch Oneness Pentecostals oder wiederum im Deutschen manchmal Oneness-Pfingstler, vorhanden. Die Spaltungsfreudigkeit in dieser Art von Protestantismus begegnete mir schon in meiner Jugendzeit in Unterfranken.
Natürlich ist es da umso wünschenswerter, wenn Menschen, die sich als Christinnen und Christen verstehen, sich gerade in der Zeit vor Weihnachten darum bemühen, das Gute zu tun und Böses zu unterlassen.
Die Bergpredigt, wie sie im Matthäusevangelium zu finden ist (Mt 5,1-7,29), mag da wertvolle Anregungen enthalten. Bei einer vergleichenden Betrachtung der drei synoptischen Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas ist diese im Wesentlichen im Matthäusevangelium überlieferte Bergpredigt nach Versen über ein Wirken Jesu in Galiäa (siehe Gedanken zur Woche 138) und über die Berufung der ersten Jünger (siehe Gedanken zur Woche 139) zu finden. Bei diesen beiden Einzelpunkten haben wir stärkere Gemeinsamkeiten zwischen den drei Synoptikern als bezüglich der Bergpredigt.
In der Zusammenstellung der darin enthaltenen Einzelaussagen finden wir diese Bergpredigt nur im Matthäusevangelium. Gewisse Gemeinsamkeiten gibt es am ehesten mit dem Lukasevangelium. Weniger Gemeinsamkeiten und damit eine Traditio Duplex/Duplex Traditio im Falle der Bergpredigt sind zwischen dem Matthäus- und dem Markusevangelium vorhanden (siehe dazu Mk 9,50; 4,21; 9,43-48; 10,11-12). Will man so etwas wie lukanische Gemeinsamkeiten mit der matthäischen Bergpredigt finden, so muss man sich eigens im größeren Umfang im Lukasevangelium umschauen (siehe, wenn man dem Aufbau bei Matthäus als Grundlage folgt, gerade Lk 6,20-23; 14,34-35; 16,17; 12,57-59; 6,29-30; 6,27-28.32-36; 11,2-4; 12,33-34; 11,34-36; 16,13; 12,22-31; 6,37-38.41-42; 11,9-13; 6,31; 13,23-24; 6,43-44; 6,46; 13,26-27; 6,47-49). Will man die lukanischen Elemente einigermaßen in eine Art Parallelstellung zum Ablauf der Bergpredigt beim anderen Seitenreferenten Matthäus bringen, so ist einiges zusammenzustückeln. Da finden sich dann Parallelen gerade in Hinblick auf die Seligpreisungen und so etwas wie die Einleitung zur Bergpredigt (Mt 5,1-12 und Lk 6,20-23).
Es stellt sich gerade vor dem Hintergrund der oft beliebten Zweiquellentheorie die Frage nach dem Grund für die Alleinstellung einer recht umfangreichen Bergpredigt im Matthäusevangelium. Warum wurde gemeinsamer Stoff, soweit vorhanden, im anderen Großevangelium und Seitenreferenten Lukas so anders angeordnet?
In der Geschichte entspannen sich eigens Diskussionen, wie insbesondere die Seligpreisungen (Mt 5,3-12) zu verstehen seien. Sind sie mehr bis ausschließlich im Sinne einer Individualmoral und so als Aufruf und Wegweisung an die Einzelperson zu verstehen? Oder sind gerade die matthäischen und dann auch die lukanischen (Lk 6,20-23) Seligpreisungen nicht doch auch oder sogar zuerst an menschliche Gemeinschaft bis hin zu einem Staatswesen gerichtet? Lässt sich von solchen Bibelversen her etwas wie eine christliche Gesellschaftslehre entwickeln bzw. Vorgaben für die Tagespolitik gewinnen? Auch in diesem Punkt gingen und gehen die Meinungen weit auseinander. Auch hier erklären sich die Bibelverse nicht selber.
Die Meinungsverschiedenheiten wurden und werden gerade auch deutlich, wenn es um das Verhältnis zum überlieferten Gesetz und den Propheten (Mt 5,17-20 und dazu Lk 16,17), das Töten und Beleidigen von Mitmenschen (Mt 5,21-26) sowie Ehebruch (Mt 5,27-30) und Ehescheidung (Mt 5,31-32 und dazu Lk 16,18 und Mk 10,11-12) geht. Nach den Katharern waren es dann wieder gerne als protestantisch bezeichnete Gemeinschaften wie Amische, Hutterer und verschiedene Gruppen von Mennoniten und Quäkern, welche unter Berufung auf Verse aus der Bergpredigt nach Matthäus (Mt 5,33-37) den Eid verweigerten und verweigern (siehe Gedanken zur Woche 78-b). Somit verdeutlicht selbst dieser etwas speziellere Punkt, wie sehr die Meinungen bei konfessionellen Gemeinschaften auseinander gehen, ja oft direkt gegeneinanderstehen, welche unter dem Sammelbegriff „Protestantismus“ oder „protestantisch“ aufscheinen können.
Auch hier sollte auf Gehässigkeit und Gewalttätigkeit verzichtet werden, nicht nur in den Tagen vor Weihnachten.
1. Lesung: Jes 7,10-14
2. Lesung: Röm 1,1-7
Evangelium: Mt 1,18-24
Gedanken zur Woche 143-b, Dr. Matthias Martin
4. ADVENTWOCHE (2022)
Die katholische Kirche hat den Menschen fortwährend nahegelegt, die ganze Bibel im Sinne des durch den jahrhundertelangen Klärungsprozesses festgelegten Kanons der Schriften als Inhalt von „Bibel“ im Blick und in Ehren zu halten. Synoden und Konzilien haben sich in diesem Sinne geäußert (siehe Gedanken zur Woche 7, 39, 48, 50, 71, 74, 96, 134). Dementsprechend kam es seit den Tagen des meist so genannten Mittelalters auch zu Übersetzungen der Bibel bzw. bestimmter ihrer Teile ins Deutsche. Schließlich wurde nach der Erfindung des Buchdruckes in beweglichen Lettern in Europa alsbald in Straßburg erstmals eine deutsche Bibelausgabe gedruckt (siehe Gedanken zur Woche 79-b und 96).
Mit der Reformation ging der zumindest im westlichen Hauptteil der Christenheit erzielte Konsens, welche Schriften zur Bibel zu zählen hätten, verloren (siehe Gedanken zur Woche 77, 121 und allgemein 139). Die deutlichen bis fundamentalen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Abertausenden voneinander unabhängigen konfessionellen Gemeinschaften oder Denominationen, welche „protestantisch“ oder „evangelisch“ genannt werden, zeigen sich auch in dem Fragenkomplex, welche Schriften eben überhaupt zur „Bibel“ zu gehören hätten. So ist es in der lutherischen Tradition beliebt, sich auf den Römerbrief des Neuen/Zweiten Testaments zu beziehen, natürlich gerade im Sinne einer jeweils genehmen Übersetzung. Wer sich für Ökumene bzw. Konfessionskunde interessiert, kann aber auch auf „Protestanten“ stoßen, welche die Zugehörigkeit des besagten Römerbriefes zur „Bibel“ ausdrücklich ablehnen. Dem konfessionskundlich interessierten Mitmenschen mag gerade im nordamerikanischen Raum auch jene protestantische Richtung begegnen, welche mit dem gesamten Alten/Ersten Testament weiten Teilen des Neuen/Zweiten Testaments einschließlich den dort üblicherweise zu findenden vier Evangelien die Anerkennung als biblische Schriften verweigert. Ansonsten und nicht ganz so weit gehend kann man auf Meinungsverschiedenheiten zwischen den Anhängern der in die Zehntausende gehenden „protestantischen“ bzw. „evangelischen“ Denominationen über die Stellung verschiedener alttestamentlicher Schriften stoßen. Allein da zeigt sich eine ganze Bandbreite der Positionen. Zumindest außergewöhnlich ist die bei als „Protestanten“ bezeichneten Anhängern der britischen Herrschaft in Nordirland feststellbare Meinung, der Sieg ihrer Altvorderen in der Schlacht am Boyne im Jahre 1690 sei in der Bibel nachzulesen samt der Feststellung, der dortige englische Sieg sei der gottgewollte Sieg der gerechten Sache gewesen.
Immerhin erkennen die meisten der sich irgendwie christlich nennenden Gruppierungen mit der katholischen Kirche das Matthäus-, das Markus-, das Lukas- und das Johannesevangelium als Teil der Bibel oder von Bibel an.
Da mag die jetzt bei Katholikinnen und Katholiken übliche Leseordnung für die Verwendung biblischer Texte in der Heiligen Messe in der Vierten Adventswoche im Dezember 2022 gerade zum Einstieg in das Lukasevangelium anregen. Im Weiteren mag das Eingehen auf die an den Wochentagen von Montag bis Samstag dieser bestimmten Woche als Tagesevangelium vorgesehenen Teile des Lukasevangeliums zur Beschäftigung mit der Frage nach der Entstehung des Lukasevangeliums und dessen literarisch-historischem Verhältnis zu anderen Teilen des Neuen/Zweiten Testaments anregen. Dies gilt gerade mit Blick auf die beiden anderen synoptischen Evangelien nach Matthäus und Markus und die Apostelgeschichte. Da kann die Frage aufkommen, ob denn nun die Zweiquellentheorie, eine Vierquellentheorie oder z. B. die grundsätzliche Theorie einer Priorität des Matthäusevangeliums unter den drei synoptischen Evangelien zu bevorzugen sei. In Hinblick auf das Verhältnis von Lukasevangelium und Apostelgeschichte stellt sich natürlich die Frage, ob es so etwas wie das so genannte lukanische Doppelwerk überhaupt gibt oder dieses nicht doch eher eine Projektion ist. Dazu mag auch die Frage nach dem Verhältnis des Lukasevangeliums zu einer nach heutigem Verständnis außerbiblischen Schrift wie dem Evangelium des Markion/Marcion in den Blick kommen. Die Theorie einer Marcion-Priorität wurde wiederum im Bereich des so vielfältigen Protestantismus ausformuliert, stellt aber insgesamt sicher auch dort wie überhaupt innerhalb der Christenheit eine Randposition dar. Dies gilt erst recht dann, wenn sie in ihrer radikalen Form vertreten wird, wonach das Evangelium des Markion/Marcion nicht nur älter als das Lukasevangelium, sondern überhaupt älter als alle vier heutzutage als biblische Evangelien anerkannten Schriften sei, zumindest aber älter als die drei synoptischen Evangelien und diese mehr oder minder intensiv beeinflusst habe.
Dabei lassen sich heutzutage so etwas wie markionitische Tendenzen auch bei römisch-katholischen Autoren bis hinein in den Bereich von diözesanen Wochenzeitungen feststellen. Ohne danach aktiv zu suchen, findet man da die Meinung, es habe im Verlauf der Entstehung des Neuen/Zweiten Testaments und insbesondere der heutzutage anerkannten vier Evangelien unter jüdischem Einfluss eine Abweichung vom angeblichen authentischen jesuanischen Geist oder einer angeblichen ursprünglichen jesuanischen Position gegeben. Das Neue/Zweite Testament und gerade die Evangelien seien in ihrer vorliegenden und kirchlich anerkannten Fassung das Ergebnis dieses judaisierenden Verfälschungsprozesses. Das war ja tatsächlich schon die Grundannahme des Markion/Marcion. Dieser zog daraus die radikale Schlussfolgerung, wonach das gesamte Alte/Erste Testament und alle weiteren Schriften und Teile von Schriften zurückzuweisen seien, welche sich auf das Alte/Erste Testament in bejahender Weise bezögen. Von daher kam Markion/Marcion zur Zurückweisung auch der meisten jener Schriften, die heutzutage in der Regel als Teile des Neuen/Zweiten Testamentes der Bibel anerkannt oder zumindest betrachtet werden. Einher ging damit die Meinung, dass der jeweilige Gott des Alten/Ersten und des Neuen/Zweiten zwei voneinander deutlich geschiedene und gegensätzliche Wesen wären.
Da sollte man sich wohl um so eher selber einmal mit den offensichtlich bereits durch Markion/Marcion abgelehnten Anfangsteilen des Lukasevangeliums beschäftigen. In diese Richtung weist auch die erwähnte gegenwärtige Leseordnung. Dort werden allerdings die als Einleitung dienenden ersten vier Verse des ersten Kapitels des Lukasevangeliums übersprungen. Dabei ist auch dieses lukanische Sondergut beachtenswert. Da wird immerhin gleich im ersten Vers nach der neuen deutschen Einheitsübersetzung ausgesagt, dass es schon viele unternommen hätten „eine Erzählung über die Ereignisse abzufassen, die sich unter uns erfüllt haben.“ Dies wirft die Frage auf, wer denn diese vielen seien, die es schon unternommen hätten, solch eine Erzählung abzufassen, bevor das Lukasevangelium selber erst entstand. Im zweiten Vers wird laut neuer deutscher Einheitsübersetzung diesen zugestanden, sie hätten „sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren“ gehalten. Ein Begriff wie Überlieferung weist schon für sich auf einen Prozess von Tradition bis Traditionsbildung hin. Dies geht sehr stark in die Richtung, dass es sich bei der Bildung von Evangelien und darüber hinaus des ganzen Neuen/Zweiten Testaments um einen längeren Prozess handelte. Nicht umsonst wird immer wieder betont, dass es zuerst gemeindlich-kirchliches Leben von Anhängerinnen und Anhängern Jesu von Nazarets mit betreffenden Vollzügen gab, bevor die betreffenden neutestamentlichen Schriften und dann als deren Zusammenstellung das Neue Testament entstanden, welches auch das Zweite Testament genannt wird (siehe Gedanken zur Woche 96 und 139-b). Sind aber dann von den vielen Erzählungen, welche schon vor der erklärten Abfassung des Lukasevangeliums verfasst worden sein sollten, welche verloren gegangen? In der heute üblichen Bibel finden sich ja nur vier Evangelien. Der dritte Vers dieses ersten Kapitels legt dann einen rational bis historisch-methodisch orientierten Arbeitsvorgang bei der Abfassung des nun vorliegenden Lukasevangeliums nahe. Also auch hier wieder nicht das Bild von einer gewissermaßen vom Himmel gefallenen Heiligen Schrift.
Umfangreicher wird dann lukanisches Sondergut geboten, wenn man der erwähnten Leseordnung für Montag bis Samstag der Vierten Adventswoche folgt. So sind die Perikopen über die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers (Lk 1,5-25), der Geburt Jesu (Lk 1,26-38) sowie die in der Leseordnung zweigeteilte Perikope über den Besuch Mariens bei ihrer Verwandten Elisabet samt dem Magnificat (Lk 1,39-45 und dann 1,46-56) alles lukanisches Sondergut. Gleiches gilt bezüglich der Erzählung von der Geburt Johannes des Täufers (Lk 1,57-66 und dann 1,67-79), auch wenn in der erwähnten Leserordnung der die Perikope abschließende Vers (Lk 1,80) aus welchem Grund auch ausgelassen wird.
Gedanken zur Woche 142, Dr. Matthias Martin
3. ADVENTSONNTAG (GAUDETE) (2022)
Der dritte Sonntag der Adventszeit nimmt innerhalb dieser vorweihnachtlichen Buß- und Besinnungszeit eine besondere Stellung ein. Zum einen kann als Farbe insbesondere für die liturgische Kleidung von Diakonen und Priestern anstelle des sonst in der Adventszeit verwendeten ernsten Violetts das aufgehellte, freundlichere Rosa verwendet werden. Zum anderen ist dieser dritte Adventssonntag mit einem eigenen lateinischen Namen ausgezeichnet: GAUDETE. Dieses lateinische Wort heißt so viel wie „Freuet euch!“ und steht für die Freude, in der als vorweihnachtlicher Zeit der Buße und Besinnung zu verstehenden Adventszeit schon so weit auf das Weihnachtsfest vorangekommen zu sein (siehe Gedanken zur Woche 53, 88 und 90).
Mit einem solchen aus dem Lateinischen kommenden Begriff wie gaudete und der eigenen liturgischen Farbenordnung werden wir ganz allgemein auf die Funktion einer Bekenntnisgemeinschaft wie der katholischen Kirche als Kulturträger hingewiesen. Es ist darin auch eine Bestätigung zu sehen, dass es im religiösen Leben eben nicht nur um „Glauben“ in einem engeren Sinne geht. Schon gar nicht sollte dies dann noch so missverstanden werden, dass es in der Religion halt einfach darum ginge, irgendetwas zu glauben, und dass „glauben“ einfach bedeute „nicht wissen“. Stattdessen geht es eben auch um die Pflege gewisser Kenntnisse etwa im sprachlichen Bereich wie in dem so weiten Feld kultureller Überlieferung. Darauf gestützt lässt sich nicht zuletzt das umso besser verwirklichen, was gerade im christlichen Bereich gerne „Liturgie“ genannt wird.
Der Bereich der Liturgie wird gemeinhin als Bereich des Innenlebens einer religiösen bzw. konfessionellen Gemeinschaft angesehen und damit als Bereich, der ihrer Selbstbestimmung, ihrer freien Selbstverwaltung überlassen zu sein hat. Dabei ist es aber nicht selbstverständlich, dass religiöse Selbstbestimmung in einem Bereich wie der Liturgie geachtet wird. Ein abschreckendes Beispiel dafür ist Frankreich. So förderte der Umstand, dass Katholikinnen und Katholiken gerne nichtfranzösische Sprachen wie das Bretonische bei Gottesdiensten verwendeten, zu Beginn des 20. Jahrhunderts die weitere Eskalation zwischen der katholischen Kirche und dem französischen Staat.
Dabei ist zu bedenken, dass es sich beim Bretonischen um eine eigene keltische Sprache handelt, die besonders eng mit dem Kornischen/Cornischen und dem Walisischen, auch genannt Kymrisch, verwandt ist. Das in den sog. Flämischen Departements des französischen Machtbereichs massiv unter französischen Druck stehende Flämische gehört dem germanischen Sprachbereich an. Sprachen wie das Okzitanische, das Katalanische und das Italienische stellen klar vom Französischen zu unterscheidende romanische Sprachen dar. Dabei sind das Okzitanische und das Katalanische eng miteinander verwandt und weisen ihrerseits verschiedene Dialekte bzw. regionale Varianten auf. So wird Provenzalisch mitunter als eine eigene, wenn auch mit dem Okzitanischen sehr eng verwandte Sprache angesehen. Mitunter wird es auch als ein Dialektzweig innerhalb des Okzitanischen gesehen.
Wie wenig profranzösischem Gerede bis gezielter französischer Propaganda Glauben zu schenken ist, es handle sich gerade bei erwähnten romanischen Sprachen im gegenwärtigen französischen Staatsgebiet nur um „Dialekte“, verdeutlicht die Tatsache, dass genau das Katalanische die einzige Amtssprache des international anerkannten Staates Andorra ist (siehe Gedanken zur Woche 40, 76-b und 93). Die Stellung des die katalanische Sprache solchermaßen hochhaltenden Andorra etwa als Vollmitglied der Vereinten Nationen/UN verdeutlicht die Redensart „In der UN-Vollversammlung haben Andorra und (die Volksrepublik) China dasselbe Stimmgewicht.“ Es kann auch heißen: „In der UN-Vollversammlung haben Andorra und (die Volksrepublik) China dasselbe Stimmrecht.“ Die Unabhängigkeit Andorras und seine markante Betonung der katalanischen Sprache als Amtssprache hat selbst das so profranzösisch agierende bundesdeutsche Außenministerium anerkannt (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/andorra-node/politisches-portraet/224924). Der Heilige/Apostolische Stuhl unterhält volle diplomatische Beziehungen mit Andorra (https://www.vatican.va/roman_curia/secretariat_state/documents/rc_seg-st_20010123_holy-see-relations_ge.html und https://www.htk.ppke.hu/uploads/File/2019_20-2/PPKE_Dissertation_Jovicic__1_.pdf), von denen eines der beiden Staatsoberhäupter bekanntlich der Bischof von Urgell ist (siehe Gedanken zur Woche 93). Dass der Sitz des Bischofs von Urgell in dem unter spanischer Oberhoheit stehenden Südkatalonien gelegen ist, verdeutlicht, wie verzwickt internationale Beziehungen und nicht zuletzt das Verhältnis von Kirche und Staat sein können. Solches mag als Anregung dienen, sich selber mit Geografie, Geschichte und Sprachen zu beschäftigen, wenn man sich für das kirchliche Leben und nicht zuletzt die Tätigkeit des Heiligen/Apostolischen Stuhls interessiert.
Beachtung verdient die Ansprache des inzwischen offiziell heiliggesprochenen Papstes Johannes Pauls II. anlässlich der Übergabe der Beglaubigungsschreiben des Botschafters von Andorra am 28. Mai 1998 (siehe allgemeiner https://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/speeches/1998/may.index.html). Dabei sprach Johannes Paul II. von (eigene Übersetzung aus der englischen Version nach https://www.vatican.va/content/john-paul-ii/en/speeches/1998/may/documents/hf_jp-ii_spe_19980528_andorra.pdf)
„… einem geliebten Volk, umgeben von den Pyrenäen, mit tiefen christlichen Wurzeln, das von seinen Anfängen an immer eine ganz besondere Beziehung mit dem Apostolischen Stuhl bewahrte.“
Unter persönlicher Würdigung des andorranischen Botschafters fuhr der Papst fort:
„Die Geschichte lehrt, wie Sie in Erinnerung gerufen haben, dass die enge Verbindung mit der Kirche entscheidend war für die Geburt Andorras als eines eigenständigen Landes, mit der Verteidigung seiner Unabhängigkeit durch die Jahrhunderte und der Festigung seiner Identität als einem eigenen Volk. Christliche Tradition und moralische Werte haben den Lebensstil seiner Bewohner geprägt, …
2. In den letzten Jahren wurden beachtliche Anstrengungen unternommen, um die verfassungsmäßigen und rechtlichen Regelungen zur Regierung des Gemeinwesens zu verbessern und an die Zeitumstände anzupassen, um so die Identität des Fürstentums und seine aktive Mitwirkung im Konzert der Nationen sicherzustellen.“
Eigens wies der Papst auf das umfassende kirchliche Engagement im Bildungsbereich Andorras hin und würdigte dessen Rolle in der Internationalen Gemeinschaft samt dessen offiziellen Beziehungen zum Heiligen Stuhl.
Überheblichkeit gegenüber der katalanischen Sprache sollte also umso mehr unterlassen werden. In deren Sinne wie zugunsten baskischer Sprache und Kultur wirkten wiederholt Päpste. Dies tat dann auch Benedikt XVI. (siehe Gedanken zur Woche 135).
Dabei teilte das nicht den indogermanischen Sprachen zugehörende Baskische in erheblichem Maße das Schicksal der romanischen Sprache des Katalanischen. Wie Katalonien wurde auch das Baskenland zwischen Frankreich und Spanien geteilt, mit Andorra als so etwas wie einem erfolgreichen Sonderfall.
Mit seinem Hinweis auf das kirchliche Wirken für das andorranische Bildungswesen verdeutlichte Papst Johannes II., wie sehr das Bildungswesen ganz allgemein von der Kirche geschätzt und nach Möglichkeit mitgetragen wird. Dies findet seinen Niederschlag auch in den rechtlichen Ordnungen in der Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Mitunter bis ins Detail gehende Regelungen bezüglich Angelegenheiten des Bildungswesens enthält etwa das Bayerische Konkordat aus dem Jahre 1924. Die Fortentwicklung des vertraglichen Verhältnisses von Heiligem Stuhl und (Freistaat) Bayern bezog sich dann besonders auf das Bildungswesen (https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayKonk/true). Ähnlich verlief die Entwicklung namentlich in Österreich (siehe Gedanken zur Woche 141-b).
Eher knapp, aber doch, fanden Bildungsfragen auch im Preußenkonkordat von 1929 Berücksichtigung (https://www.mkw.nrw/sites/default/files/documents/2018-11/mkw_nrw_rechtsgrundlagen_vertrag_heiliger_stuhl_preussen_14.06.1929.pdf). Dies lässt sich generell auch für das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Baden aus dem Jahre 1932 (https://www.vatican.va/roman_curia/secretariat_state/archivio/documents/rc_seg-st_19321012_santa-sede-baden_ge.html) und das Reichskonkordat von 1933 (https://www.vatican.va/roman_curia/secretariat_state/archivio/documents/rc_seg-st_19330720_santa-sede-germania_ge.html) feststellen. In diesen beiden Verträgen sind eigens Regelungen zugunsten des schulischen Religionsunterrichts enthalten.
Kirchliche Privatschulen erfreuen sich ihrerseits nicht zuletzt in der Bundesrepublik und Österreich eines besonderen Rufes und deutlicher Nachfrage.
1. Lesung: Jes 35,1-6b.10
2. Lesung: Jak 5,7-10
Evangelium: Mt 11,2-11
Gedanken zur Woche 142-b, Dr. Matthias Martin
3. ADVENTWOCHE (2022)
Folgt man dem derzeit am meisten verwendeten liturgischen Kalender, so unterstreicht der am 12. Dezember begangene GEDENKTAG UNSERER LIEBEN FRAU IN GUADALUPE den Charakter der katholischen Kirche als Weltkirche. So liegt der Wallfahrtsort Guadalupe im Gebiet des heutigen Mexiko. Seit längeren schon ist es der am meisten besuchte katholische Wallfahrtsort in der Welt. Im Direktorium 2021/2022 der Diözese St. Pölten heißt es:
„Guadalupe ist heute der meistbesuchte römisch-katholische Wallfahrtsort der Welt.“
Unterstrichen wird die Bedeutung dieses außereuropäischen Wallfahrtsortes von Guadalupe dadurch, dass wenige Tage vorher, und zwar am 9.Dezember, eigens des heiligen Johannes Didakus gedacht wird. Dieser wird auch Juan Diego Cuauhtlatoatzin genannt. Er ist jener Seher, jener Glaubenszeuge, auf den innerweltlich betrachtet die Entstehung des Wallfahrtsortes von Guadalupe zurückgeht. So wird er mitunter als der „Seher von Guadalupe“ bezeichnet. Er war ein Angehöriger der indianischen Urbevölkerung, genannt Indigenas.
Seine Heiligsprechung im Jahre 2002 durch Papst Johannes Paul II. galt als besondere Rückenstärkung für die Bemühungen um eine Verbesserung der Lage der Ureinwohner, insbesondere in Süd- und Mittelamerika, einschließlich dem jetzigen mexikanischen Staatsverband. In einem weiteren Sinne wurde diese Heiligsprechung überhaupt als Ermutigung für Befreiungs- bzw. Bürgerrechtsbewegungen von und für Volksgruppen aufgefasst, die mehr oder minder fremdbeherrscht sind. In diesem Sinne wurde die Heiligsprechung des indianischen Glaubenszeugen Johannes Didakus/Juan Diego Cuauhtlatoatzin aus der Zeit der spanischen Eroberungen im heute sogenannten Lateinamerika z. B. auch von Kritikern der französischen Herrschaft in Elsass-Lothringen betont zustimmend aufgenommen. Bekanntlich wurde Elsass-Lothringen in einem sich dann noch über Jahrhunderte hinziehenden und auch von massiven Rückschlägen gekennzeichneten Prozess von Frankreich unterworfen, als Spanien längst das Zentrum des heutigen Mexiko unterworfen hatte. Haben spanische Eroberer mit Hilfe wohlgemerkt indianischer Verbündeter etwa das Azteken-Reich als politisch-militärische Größe zerstört, so haben dessen Sprache und Kultur grundsätzlich überlebt.
Inzwischen ist längst die spanische Kolonialherrschaft in Mexiko wie auch sonst in „Lateinamerika“ beendet worden. Spanische Aggressionen gegenüber so entstandenen Staaten in dieser Weltgegend, einschließlich der spanischen Beteiligung am französischen Überfall auf Mexiko (siehe allgemein Gedanken zur Woche 60-b) unter dem auch sonst so aggressiven Napoleon III., haben diese Befreiungserfolge nicht mehr rückgängig gemacht. Konnten damals die französischen Truppen und ihre diversen Handlanger in Mexiko letztlich besiegt werden, so erlebt man gerade in den letzten Jahrzehnten einen deutlichen Anstieg des Interesses an den indianischen Völkern des amerikanischen Doppelkontinents mit ihren so unterschiedlichen Sprachen und Kulturen. Dies gilt auch in Hinblick auf die Inuit (siehe Gedanken zur Woche 96-b).
Das formal noch unter dänischer Oberhoheit stehende Grönland hat eine weitgehende Selbstverwaltung erlangt und sich inzwischen seinen eigenen Platz in der Internationalen Gemeinschaft gesichert. Die Inuit wie die indianischen Völker auf dem Territorium des heutigen Kanadas haben aber der an ihnen geübten Brutalität zum Trotz ein bemerkenswertes Maß an jeweiliger Selbstverwaltung erlangt. Auch im Sinne einer Vertretung auf so etwas wie gesamtkanadischer Ebene konnten bemerkenswerte Erfolge erzielt werden. Selbstbestimmungserfolge gelangen den Inuit besonders weitreichend in dem riesigen Autonomiegebiet Nunavut im nördlichen Teil des kanadischen Staatsverbandes. Über dessen mögliches völliges Auseinanderbrechen wurde bereits diskutiert bis heftig gestritten. Hierbei darf auch die Volksgruppe der Métis mit ihrer eigenen so bemerkenswerten Kultur und Geschichte nicht aus den Augen verloren werden.
Beachtlich sind die Erfolge für die indianischen Völker wohl auch in Teilen Mittel- und Südamerikas. Ein Blick in (Schul-)Atlanten und andere Übersichtswerke bestätigt, dass in sehr weiten Teilen des amerikanischen Doppelkontinents südlich der US-Grenzen sich indianische/indigene Sprachen behaupten konnten bis dominierend blieben.
In den letzten Jahren haben viele Staaten im sog. Lateinamerika begonnen, indianischen/indigenen Stämmen bzw. Volksgruppen zusehends Autonomie zu gewähren. Bedeutung kommt hierbei der Konvention/dem Übereinkommen, Nummer 169 der Internationalen Arbeitsorganisation über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Staaten aus dem Jahre 1989 zu (https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/@ed_norm/@normes/documents/publication/wcms_100900.pdf). Darin wird auf bereits früher verabschiedete internationale Vereinbarungen und Erklärungen hingewiesen. Ausdrücklich wird das Recht der betroffenen Völker anerkannt, „ihre Identität, Sprache und Religion zu bewahren und zu entwickeln“.
Gegen den Widerstand insbesondere Russlands und Kanadas und daneben auch der USA, Neuseelands und Australiens (https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/diskriminierung/minderheitenrechte-dossier/internationale-standards/uno-dokumente/deklaration-rechte-indigener-voelker) konnte dann am 13. September 2007 die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker verabschiedet werden (https://www.un.org/esa/socdev/unpfii/documents/Declaration%28German%29.pdf). Auch hier findet sich wieder ein Hinweis auf bereits früher zustande gekommene internationale Vereinbarungen und Erklärungen. Wiederholt wird sehr anerkennend auf die spirituell-religiösen Überlieferungen der indigenen Völker hingewiesen. In Artikel 12 wird u. a. festgestellt:
„Indigene Völker haben das Recht, ihre spirituellen und religiösen Traditionen, Bräuche und Riten zu bekunden, zu pflegen, weiterzuentwickeln und zu lehren, das Recht, ihre religiösen und kulturellen Stätten zu erhalten, zu schützen und ungestört aufzusuchen, das Recht, ihre Ritualgegenstände zu benutzen und darüber zu verfügen, und das Recht auf die Rückführung ihrer sterblichen Überreste.“
In verschiedenen Staaten Lateinamerikas haben sich beachtliche Fortschritte für die indigenen Völker ergeben. Einher geht dies mit einer Schwächung von Zentralregierungen in betreffenden Staaten. So wurde bereits vor Jahren über eine Auflösung der „Andenstaaten“ Ecuador, Peru und Bolivien nachgedacht und diskutiert.
Bolivien bezeichnet sich inzwischen als „Plurinationaler Staat“. Ausdrücklich wird diesbezüglich von verschiedenen „Nationen und Völker“ sowie „Autonomien“ gesprochen bzw. geschrieben (http://www.bolivia.de/bolivien/kulturen/plurinationaler-staat/). Der „plurinationale“ Charakter des heutigen Boliviens wird auch bei den Fahnen deutlich.
In Hinblick auf Venezuela und Kolumbien bleibt abzuwarten, ob die innenpolitischen Konflikte mit ihren grenzüberschreitendenden Vernetzungen nicht doch auf Dauer zur Auflösung dieser Staatsverbände führen könnten. Über das Entstehen eines eigenen Maya-Staats in Zentralamerika wurde bereits zumindest spekuliert. Auch hier gilt „Des einen Freud ist des anderen Leid.“
Die bisher schon erzielten Erfolge für indigene Autonomie im sog. Lateinamerika fördern jedenfalls betreffende Sprachen und Kulturen wie auch rechtlich-juristische Überlieferungen und Handhabungen.
Gedanken zur Woche 141, Dr. Matthias Martin
2. ADVENTSONNTAG (2022)
Es ist nun wohl schon annährend zwei Jahrtausende her, dass der Handlanger des Römischen Imperiums aus der Dynastie des besonders berüchtigten Herodes stammende Herodes Antipas den gewissermaßen am Rande der Gesellschaft wirkenden Johannes den Täufer hinrichten ließ. Es ist hier nicht so relevant, wie es im Einzelnen zur Verhaftung und späteren Hinrichtung des Täufers gekommen sein mag. Es bieten ja insbesondere die beiden synoptischen Evangelien nach Matthäus und Markus hier bei allen vorhandenen Gemeinsamkeiten ein durchaus unterschiedliches Bild (siehe Gedanken zur Woche 136). Demgegenüber äußern sich das ebenfalls den synoptischen Evangelien zugerechnete Lukasevangelium und das Johannesevangelium hierzu nur knapp bis fast gar nicht (Lk 3,19-20 und Joh 3,24). Dass das Johannesevangelium unter den vier üblicherweise in einer „christlichen Bibel“ oder „Neuem Testament“ vorhandenen Evangelien auch hier wieder ziemlich alleine steht, verwundert nicht. Die Unterschiede in Hinblick auf das Schicksal Johannes des Täufers zwischen den drei synoptischen Evangelien sind aber für sich beachtenswert.
Die Verehrung für Johannes den Täufer ist aber auf jeden Fall auch heutzutage sehr lebendig und findet sich in verschiedenen Konfessionen und Religionen (siehe Gedanken zur Woche24-b, 65-b und 127-b). Selbst eine so kleine Religionsgemeinschaft wie die der Mandäer, welche in ganz besonderer Weise Johannes den Täufer verehrt, existiert noch. Demgegenüber sind das Römische Reich wie seine Handlanger aus der herodianischen Dynastie und dem sadduzäischen Priesteradel längst vergangen. Die Anhängerschaft der herodianischen Dynastie wie das Sadduzäertum verschwanden alsbald im Dunkel oder auf dem Müllhaufen der Geschichte.
Die Fortdauer der Verehrung Johannes des Täufers, wie ganz unterschiedlicher Richtungen des sich ebenfalls auf ihn beziehenden Islams und des Christentums macht deutlich, wie langlebig Religion sein kann, insbesondere wenn sie sich nicht zu sehr an eine politische Gruppierung oder einen bestimmten politisch-militärischen Machtapparat bindet.
Dabei verdient natürlich die Frage nach einer etwaigen ununterbrochenen Fortexistenz polytheistischen „griechischen“ Heidentums eigene Beachtung. In den letzten Jahren sind stärker Akteure und Akteurinnen an die Öffentlichkeit getreten, welche für sich in Anspruch nehmen, gewissermaßen die homerisch-polytheistische Religion dessen zu vertreten, was vereinfacht als antikes Griechenland bezeichnet wird. Hat es nun tatsächlich, wie mitunter behauptet wird, eine betreffende religiöse Überlieferung gerade in Gebieten der derzeitigen Republik Griechenland gegeben? In aller Öffentlichkeit konnten sich im südlichen Bereich der Halbinsel Peloponnes Anhänger des alten „Heidentums“ zumindest noch zu Beginn des neunten Jahrhunderts einer offiziellen Christianisierung widersetzen. Es gibt Hinweise, dass das örtliche „Heidentum“ dann zumindest noch längere Zeit mehr oder minder im Untergrund weiterexistierte. Ein eigenes Phänomen ist die Überlieferung in Zusammenhang mit dem Heiligtum der Göttinnen Demeter und Persephone von Eleusis nahe dem alten Athen. Zumindest oberflächlich christianisiert dürfte da einiges an Verehrung für eine nichtchristliche Gottheit wie Demeter überlebt haben. Eine Art von Erscheinung, die auf die alte Göttin im Gebiet der einstigen Mysterien von Eleusis hinweist, soll es noch im Jahre 1940 n.Chr. gegeben haben. Dort hielt sich auch die Verehrung einer nur örtlich verehrten und sonst nicht in „christliche“ genannter religiöser Praxis vorhanden sog. Heiligen Demetria! Vorchristliche Göttin Demeter, dann so etwas wie „christliche“ Ortsheilige Demetria! So etwas ist wohl kein Zufall!
Vor wenigen Jahren wurde dann selbst im Bereich allgemein anerkannter Medien berichtet und mit Filmmaterial belegt, dass es ernste Diskussionen gab, ob denn nicht Anhängerinnen und Anhänger des antiken, „griechisch“ genannten Polytheismus die Athener Akropolis für gottesdienstliche Zwecke benutzen dürften. Offensichtlich gab es eine einstweilige Einigung, dass die öffentlich auftretenden Polytheisten halt dafür eine Eintrittsgebühr bei der Akropolis zu zahlen hatten. Dies macht rasch zweierlei deutlich. Zum einen, dass Anhängerinnen und Anhänger vorchristlichen Polytheismus im Zentrum des heutigen EU-Mitgliedes Griechenland offen ihr Haupt erheben und für ihre Anliegen eintreten. Zum anderen wird deutlich, wie rasch man bei religiösen Angelegenheiten in rechtlichen Auseinandersetzungen und finanziellen Fragen anlangt. Da stellt sich dann etwa die Frage, wer welche Einrichtungen für bestimmte Zwecke benutzen darf, und wann von wem für irgendetwas irgendwelche Zahlungen zu entrichten sind oder nicht.
Ganz generell wird durch solche Vorgänge das Augenmerk auf die von Menschenrechtsorganisationen und andere schon längst kritisierten konfessionspolitisch-staatskirchlichen Zustände im jetzigen Griechenland gerichtet. Als Leidtragende stehen die zur katholischen Weltkirche gehörenden Bulgarisch-Katholische Kirche und Griechisch-Katholische Kirche in Griechenland nicht allein (siehe Gedanken zur Woche 133-b und 139). Ob Buddhisten, Zeugen Jehovas oder andere Menschen: Alle möglichen Menschen wurden und werden Opfer des griechischen Systems mit seiner ausgeprägten Verquickung des griechischen Staatswesens und der offiziellen Griechisch-Orthodoxen Kirche. Dabei gilt doch weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates als so etwas wie eine Grundnorm von Europäischer Union und Europarat.
Oberdrein ist auch das Verhältnis der offiziellen Griechisch-Orthodoxen Kirche in Griechenland zu anderen Teilen des orthodoxen Zweiges des Christentums keineswegs ungetrübt. Mit dem ranghöchsten aller als „orthodox“ bezeichneten Patriarchate, dem von Konstantinopel, gab es vor wenigen Jahren heftige Konflikte wegen der Zuständigkeit über Gebiete, welche erst lange nach der vom Osmanischen Reich erlangten Unabhängigkeit unter die Herrschaft des als Griechenland bezeichneten Staatswesens kamen. Teile des heute oft als „Nordgriechenland“ bezeichneten Territoriums sind Beute auf Kosten Bulgariens und der Türkei bzw. des Osmanischen Reiches aus dem Ersten Weltkrieg. Andere Gebiete hatte sich das offizielle Griechenland im Rahmen der von 1912 bis 1913 geführten Balkankriege einverleibt. Trat Rumänien das im Rahmen des Zweiten Balkankrieges annektierte Gebiet in der Dobrudscha später wieder definitiv an Bulgarien ab, wodurch es dort zur jetzt von Europäischer Union, NATO und Vereinten Nationen anerkannten Grenzziehung zwischen Bulgarien und Rumänien kam, so behauptete Griechenland gegenüber Bulgarien seine Macht in dem von ihm erstmals als Beute im Zweiten Balkankrieg erworbenen Gebiets wie eben seine Beute aus dem Ersten Weltkrieg nördlich der Ägäis. Die Inselgruppe der Dodekanes mit Rhodos als Hauptinsel kam eh erst nach dem Zweiten Weltkrieg unter griechische Herrschaft. Die längst vorher erbaute katholische Kathedrale riss die Griechisch-Orthodoxe Kirche an sich. Es fand auch hier unter griechischer Herrschaft eine typische Verdrängung der Katholikinnen und Katholiken statt. Dabei war vor der Eroberung durch das Osmanische Reich Rhodos jahrhundertelang unter dem heute meist Malteserorden genannten Johanniterorden so etwas wie ein Bollwerk westlichen Christentums gewesen.
Das Patriarchat von Moskau hat inzwischen die kirchliche Gemeinschaft mit der offiziellen Griechisch-Orthodoxen Kirche aufgekündigt. Umso weniger kann das Duo aus griechischem Staatswesen und der von ihm so massiv auf Kosten anderer Gemeinschaften unterstützten offiziellen Griechisch-Orthodoxen Kirche behaupten, im Namen der Orthodoxie als eines Hauptzweiges von Christentum zu sprechen.
Es stellt sich die Frage, wann endlich Einrichtungen wie die Europäische Union und der Europarat effizient gegen die Benachteiligung bis gezielte Beseitigung religiöser Gemeinschaften außerhalb der offiziellen Griechisch-Orthodoxen Kirche sowie nichtgriechischer Volksgruppen im gegenwärtigen griechischen Machtbereich einschreiten (siehe Gedanken zur Woche 139). Dazu müsste auch die umfassende Aufarbeitung angetanen bzw. erlittenen Unrechts gehören, wollte die vermeintliche Westliche Wertegemeinschaft international ihre eigene Glaubwürdigkeit verbessern.
1. Lesung: Jes 11,1-10
2. Lesung: Röm 15,4-9
Evangelium: Mt 3,1-12
Gedanken zur Woche 141-b, Dr. Matthias Martin
2. ADVENTWOCHE einschließlich HOCHFEST DER OHNE ERBSÜNDE EMPFANGENEN JUNGFRAU UND GOTTESGEBÄRERIN MARIA (2022)
Um Missverständnisse zu vermeiden, ist es gerade in der Theologie, im kirchlichen Leben, wertvoll, sich um eine genaue Ausdrucksweise zu bemühen. Dies ist gerade heutzutage eine Herausforderung. Seit Jahrzehnten schon wird eine kirchlich-theologische Sprachverwirrung beklagt. Manche und mancher zitiert dann, zumindest sinngemäß, Ludwig Wittgenstein mit der Formulierung am Ende seines berühmtesten Werkes, des „Tractatus logico-philosophicus“: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Dies gilt nicht zuletzt für das am 8. Dezember begangene Hochfest, dieses eigene Fest I. Klasse. Tatsächlich wird an diesem Tag nicht die jungfräuliche Geburt Jesu aus seiner irdischen Mutter Maria gefeiert, auf die insbesondere die Verkündigungsszene als lukanisches Sondergut hinführt (Lk 1,26-38). Am 8. Dezember ist vielmehr nach katholischem Verständnis die durch die gnadenhafte Erwählung Gottes zustande gekommene Empfängnis Mariens als Kind ihrer Eltern ohne von der Erbsünde betroffen zu sein das Thema. So wird der 8. Dezember im einigermaßen offiziellen Kirchendeutsch HOCHFEST DER OHNE ERBSÜNDE EMPFANGENEN JUNGFRAU UND GOTTESMUTTER MARIA genannt. Dieser Tag ist nicht mit dem am 25. März gefeierten Hochfest von der VERKÜNDIGUNG DES HERRN zu verwechseln. Insbesondere noch vor einigen Jahrzehnten wurde dieser Tag als Fest I. Klasse auch oft FEST MARIÄ VERKÜNDIGUNG genannt (siehe auch Gedanken zur Woche 39-b und 41).
Natürlich möchte die Weltkirche, dass ein Hochfest auch in religiöser und gemeinschaftlicher Weise begangen wird. Umso folgerichtiger ist das kirchliche Eintreten dafür, dass kirchliche Feiertage und gerade Hochfeste staatlich als arbeitsfreie Tage anerkannt sind. Hier ergibt sich automatisch eine Interessensgemeinsamkeit von Kirche und Gewerkschaften und, soweit sie vorhanden sind, mit Arbeiter-/Arbeits- bzw. Arbeitnehmerkammern. Ein durch Gesetz oder Vertrag anerkannter arbeitsfreier Tag ist schließlich ein sozialer Besitzstand. Dies gilt unabhängig von der jeweiligen Konfessions- bzw. Religionszugehörigkeit einer Arbeitnehmerin und eines Arbeitnehmers. Hierzu mag auch Artikel 139 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 und der diesen Artikel aufnehmende Artikel 140 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bezüglich des Schutzes des arbeitsfreien Sonntags in den Sinn kommen (siehe Gedanken zur Woche140-b).
Gerade auch im Sinne terminologischer Klarheit und Vermeidung von Verwechslungen bei kirchlichen (Hoch-)Festen lohnt ein Blick auf Canon 1246 § 1 des CODEX IURIS CANONICI/CODEX DES KANONISCHEN RECHTS/CIC von 1983:
„… Ebenso müssen gehalten werden die Tage der Geburt unseres Herrn Jesus Christus, der Erscheinung des Herrn, der Himmelfahrt und des heiligsten Leibes und Blutes Christi, der heiligen Gottesmutter Maria, ihrer Unbefleckten Empfängnis und ihrer Aufnahme in den Himmel, des heiligen Joseph, der heiligen Apostel Petrus und Paulus und schließlich Allerheiligen.“
Auch im CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM/KODEX DER KANONES DER ORIENTALISCHEN KIRCHEN/CCEO wird die Bedeutung der kirchlichen Feiertage betont. Hierzu besitzen vor allem die Canones 880 und 881 des CCEO Bedeutung. Dabei wird deutlich, dass es bei den Katholischen Ostkirchen/katholischen orientalischen Kirchen verschiedene Kirchen eigenen Rechts und unterschiedliche, namentlich liturgische, Traditionen gibt. Dieser innerkatholische Pluralismus schlägt sich dann eben auch in eher allgemeineren kirchenrechtlichen Aussagen nieder.
Als Mittel, kirchliche Feiertage in einem Staat oder Territorium anerkennen zu lassen, kommen gerade nach katholischer Überlieferung nicht zuletzt Konkordate und ähnliche Vereinbarungen in Frage. Die Frage von arbeitsfreien Tagen gehört damit dem Gesamtbereich der Gemischten Angelegenheiten an. Kirchliche Feiertage sind natürlich aufs engste mit der Liturgie, der Glaubenslehre und deren Bezeugung verbunden. Auf der anderen Seite sind staatliche Maßnahmen zur Arbeitsruhe, Arbeitszeitbeschränkung eine staatliche Angelegenheit. Dabei kommt seinerseits zum Tragen, ob das betreffende Staatswesen föderalistisch bis sehr dezentral/konföderal oder aber zentralistisch organisiert ist.
So gibt es in Österreich ein Konkordat des Bundes mit dem Heiligen/Apostolischen Stuhl. Es gibt in diesem Bundesstaat mit neun Bundesländern keine Länderkonkordate. Hinzu kommen wiederum auf Bundesebene weitere Verträge, so über vermögensrechtliche Angelegenheiten, mitunter Finanzkonkordat genannt, und über mit dem Schulwesen zusammenhängende Fragen, mitunter Schulkonkordat genannt. Dazu gibt es weitere Verträge, etwa über die Errichtung neuer Diözesen. Auch Zusatzverträge, sei es zu mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen und zu vermögensrechtlichen Angelegenheiten, sind seitens des österreichischen Staatswesens Bundesangelegenheit (https://www.bmeia.gv.at/themen/voelkerrecht/staatsvertraege/bilaterale-staatsvertraege/suchergebnisse/?tx_bmeiadb_piresults%5BsearchType%5D=bilateralTreaty&tx_bmeiadb_piresults%5Bq-partner%5D=60). Dies ist für Kompaktheit und Übersichtlichkeit von Vorteil.
Anders verhält es sich in der Bundesrepublik Deutschland. Hier ist zum einen das Reichskonkordat von 1933 weiter in Geltung, wie auch Länderkonkordate, die bis zu dieser Zeit abgeschlossen wurden. Besonders bemerkenswert ist hierbei die Weitergeltung des Preußenkonkordats und des Badischen Konkordats. Denn der (Frei-)Staat Preußen wurde durch Beschluss des Alliierten Kontrollrates aus dem Jahre 1947 für aufgelöst erklärt (https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0231_pre_de.pdf). Demgegenüber ging das Reichsland Baden im jetzigen Bundesland Baden-Württemberg auf. Ebenso gibt es Länderkonkordate und Zusatzvereinbarungen mit Ländern der jetzigen Bundesrepublik Deutschland aus der Zeit ab 1949.
Verträge auf Bundes- wie auf Landesebene gibt es auch mit vertretungsbefugten Einrichtungen des Judentums wie mit evangelischen Landeskirchen. Eigens gibt es Verträge von bestimmten Bundesländern mit islamischen Verbänden wie mit dem als unabhängige Größe des religiösen Lebens anerkannten Alevitentum (siehe gerade in Hinblick auf Verträge mit der alevitischen Gemeinschaft, Gedanken zur Woche 108). Hinzu kommen nicht zuletzt Verträge mit als orthodox bezeichneten (Teil-)Kirchen. Das Vertragsverhältnis von Bund und Ländern mit religiösen Gemeinschaften einschließlich der katholischen Kirche wird fortentwickelt. Dies kann in Hinblick auf die katholische Kirche etwa in Gestalt von Länderkonkordaten wie spezielleren Abkommen geschehen.
In der Schweiz ist der Abschluss von Verträgen mit dem Heiligen Stuhl wie mit katholischen Bischofssitzen im wesentlichen Angelegenheit der Kantone, allerdings nicht ausschließlich (https://www.fedlex.admin.ch/de/search?text=Heiliger%20Stuhl&collection=treaties&itemsPerPage=10).
In deutlicher Weise liegt dem Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und den meisten Kantonen der Schweiz mit Auswirkungen auch auf deren Bundesebene der Gedanke von Kooperation zwischen beiden Bereichen zugrunde. Es wird hier gerne vom „Kooperationsmodell“ gesprochen bzw. geschrieben. Dieses wird dann eben gerade durch den Abschluss und die Aufrechterhaltung von Verträgen verwirklicht.
Eigens gilt weiterhin das betreffende Konkordat aus dem Jahre 1801 trotz aller politischen Umbrüche weiterhin für Elsass-Lothringen.
Die Frage, ob in einem Teil der Schweiz der 8. Dezember ein arbeitsfreier Tag ist, hängt von der örtlichen Situation in Kantonen und Gemeinden ab. Damit zeigt sich auch hier der sehr dezentrale Aufbau dieses Staatswesens, das sich ja selber als Staatenbund bezeichnet, nämlich auf Lateinisch als Confoederatio Helvetica (siehe gerade mit Blick auf die öffentlich-rechtliche Stellung der Pfingstmontags Gedanken zur Woche 115-b).
In Österreich ist der „Tag der unbefleckten Empfängnis (8. Dezember)“ durch Konkordat als Feiertag anerkannt (https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10009196). Hierbei handelt es sich um eine bundesrechtliche Regelung. Dies sorgt für eine Überschaubarkeit, auch wenn vor einigen Jahren zeitweilige Auseinandersetzungen zwischen Kirchenvertretern und Vertretern von Politik und Wirtschaft wegen der Frage der Öffnung von Geschäften passierten. Immerhin konnten Arbeitnehmerrechte in Hinblick auf diesen hochfestlichen Feiertag verteidigt werden.
Außerhalb Mitteleuropas gibt es eine Reihe Länder, in welchen der 8. Dezember als das HOCHFEST DER UNBEFLECKTEN EMPFÄNGNIS MARIENS ein gesetzlicher Feiertag ist. Dies gilt für so unterschiedliche Staaten wie Andorra, Monaco, Argentinien, Äquatorialguinea, Ost-Timor/Timor-Leste und das besondere Territorium von Macau.
Das darf als Ermutigung gesehen werden, den Status des HOCHFESTES DER OHNE ERBSÜNDE EMPFANGENEN JUNGFRAU UND GOTTESMUTTER MARIA vom 8. Dezember als gesetzlichen Feiertag dort, wo er besteht, zu verteidigen und auch eine Ausdehnung einer solchen Anerkennung zumindest anzudenken.
Gedanken zur Woche 140, Dr. Matthias Martin
1. ADVENTSONNTAG (2022)
Der Beginn der ADVENTSZEIT markiert gerade für Katholikinnen und Katholiken aber auch für andere Menschen einen Einschnitt im Jahreskreis.
Zum einen bedeutet er den Beginn eines neuen Kirchenjahres, stellt er den Beginn eines neuen liturgischen Jahres dar. Dies ist sehr oft auch bei Menschen aus dem Blick geraten, welche sich zur katholischen Kirche oder einer anderen konfessionellen Gemeinschaft im Christentum bekennen, welche hier dieselbe Einteilung pflegt. Natürlich ist zu beachten, dass auch der Beginn des Kalenderjahres am 1. Januar von der katholischen Kirche nicht zu trennen ist. Schließlich geht der inzwischen weltweit akzeptierte gregorianische/Gregorianische Kalender auf Papst Gregor XIII. mit seiner Amtszeit von 1572 bis 1585 zurück (siehe Gedanken zur 25-b, 42-b und Woche75-b und allgemein 37, 43 und 63-b).
Bedenklicher als die Verwechslung von Beginn des Kirchenjahres und des Kalenderjahres ist bei sehr vielen Menschen nicht zuletzt im deutschsprachigen Mitteleuropa ein anderer Umstand. Leider ist das Bewusstsein, dass die ADVENTSZEIT vor Weihnachten ähnlich der FASTENZEIT vor Ostern eine besondere Zeit der Buße und Besinnung sein soll, weitgehend verloren gegangen. Dabei verdeutlicht die liturgische Farbe des Violetts genau diesen Wesensinhalt beider Zeiten im Jahreskreis. Abgerundet und vertieft wird dies in der kirchlichen Überlieferung dadurch, dass an je einem Sonntag der Fastenzeit wie der Adventszeit auch das Rosa als Liturgiefarbe verwendet werden kann. Ist dies zum einen der vierte Sonntag der Fastenzeit, genannt Laetare, so ist dies zum anderen der dritte Sonntag der Adventszeit, genannt Gaudete (siehe Gedanken zur Woche 88 und 90). Beide lateinischen Namen stehen für die Freude, die man als Christin, als Christ empfinden darf, in der jeweiligen Buß- und Besinnungszeit schon so weit in Richtung des frohen Hochfestes vorangekommen zu sein. Handelt es sich in der Fastenzeit um den Weg nach Ostern hin, so in der Adventszeit eben um das Weihnachtsfest.
Leider ist trotz aller liturgischen Farbgebung und vielfältigen pastoralen Bemühungen in sehr weiten Teilen der Bevölkerung dieser Sinn der Adventszeit entschwunden. Ja, oft ist daraus eher das Gegenteil geworden. Anstatt das religiöse Leben zu erneuern, sich um spirituelle Vertiefung und das Tun guter Werke etwa für notleidende Mitmenschen zu bemühen, geht eher der Alkoholkonsum in die Höhe. Es steht zu fürchten, dass dies gerade auf auswärtige Menschen, solche ohne so etwas wie zumindest eine christliche Restsozialisierung einen schlechten Eindruck macht.
Dabei hat sich Religion immer in Gemeinschaft zu verwirklichen. Religion ist zwar natürlich eine individuelle, aber eben auch eine gemeinschaftliche, ja kollektive Angelegenheit. Dementsprechend wird gerade in neuerer Zeit von individueller Religionsfreiheit wie von kollektiver Religionsfreiheit gesprochen und geschrieben. Ersteres betrifft ganz stark das forum internum. Letzteres ist gerade im forum externum beheimatet und verwirklicht sich dort. Dieser grundlegend gemeinschaftliche und damit korporative Charakter von Religion führte dazu, dass mitunter auch eigens von korporativer Religionsfreiheit gesprochen bzw. geschrieben wird.
Sowohl beim Engagement im caritativen Bereich wie in dem ebenfalls so vielfältigen von Bildung und Kultur ist dieser korporative Zusammenhang sehr vielen Menschen spontan einsichtig. Egal ob es sich etwa eine Hilfsaktion für ukrainische Kriegsopfer, den Betrieb eines Kindergartens oder die Neuerrichtung eines Krankenhauses geht. Nur wenn viele Menschen bei so etwas zusammenwirken, lässt sich ein Erfolg erzielen. Dass dies sehr oft auch in einem Jahre und sogar Generationen umspannenden Sinne zu verstehen ist, machen Einrichtungen wie Kindergärten, Krankenhäuser, Pflege- und Altenheime und Hilfswerke zur Hilfe bei Unglücksfällen und Katastrophen deutlich. Umso weniger verwundert es, dass konfessionelle Gemeinschaften auch in diesem Bereich dauernde Tätigkeiten entfalteten. Von daher ergab es sich, dass natürlich auch gegenüber der staatlichen Macht etwa die katholische Kirche hier bei aller Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf einer Wirkungsfreiheit bestand und besteht. Dies änderte sich auch dadurch nicht grundsätzlich, dass in verschiedenen Ländern im Laufe der Zeit sich die staatliche Seite verstärkt im sozialen Bereich einbrachte, hier zunehmend eigene Tätigkeiten einschließlich mehr ordnungspolitische Maßnahmen entfaltete. Es waren gerade auch Christinnen und Christen, die sich in diesem Sinne in das politische Geschehen einbrachten. Als Paradebeispiel dafür lässt sich die Sozialgesetzgebung Otto von Bismarcks nennen. Als pietistisch beeinflusster evangelischer Christ erfuhr er eben gerade bei seiner Sozialgesetzgebung deutliche Unterstützung aus dem Politischen Katholizismus. Seine Friedenspolitik brachte ihm dann sogar unter Leo XIII. den höchsten Orden des Heiligen Stuhls ein (siehe Gedanken zur Woche 137-b).
Aber auch im Bereich von Glaubensvermittlung und Gottesdienst geht es nicht ohne Gemeinschaft. So wird die Redensart „Ein Christ ist kein Christ“ bereits auf das Altertum zurückgeführt. Analog gilt dies für die anderen Religionen. Will jemand etwa eine Bibel oder ein anderes religiöses Grundlagenwerk verwenden, so muss es ihm erst einmal vorliegen. Die Herstellung und Aushändigung eines religiösen Buches oder gar einer Anzahl von Büchern ist ohne das Zusammenwirken von Menschen nicht denkbar. Mitunter arbeiten da recht viele Menschen zusammen. Natürlich ist eine Überlieferungs- und Übermittlungstätigkeit bei einem Werk wie der Bibel auch eine die Generationen umspannende Angelegenheit.
Spiritualität wie die religiös motivierte Tätigkeit in den Bereichen Bildung und Soziales führten nicht nur im Christentum zur Herausbildung von so etwas wie Klosterwesen. Gerade in Zusammenhang mit Tibet, aber nicht zuletzt auch Thailand und Myanmar bzw. Burma stieß buddhistisches Klosterwesen auch in der westlichen Welt auf gesteigertes Interesse. Die das Ordensleben betreffenden Regelungen gewannen ihre eigene Bedeutung für die Rechtsentwicklung auf so etwas wie internationaler Ebene. Menscheitsgeschichtlich nicht zu unterschätzen sind die kloster- oder ordensartigen Strukturen aus dem Manichäismus. Vielleicht kamen von dort wirklich so bedeutende Anregungen für die Entwicklung des Klosterwesens in so etwas wie offiziellem Christentum wie eben im Buddhismus.
Klosterwesen erlangte dann auch im Verhältnis von Staat und Religion seinen eigenen Stellenwert. Dies lässt sich exemplarisch für die vielfältige buddhistische Welt feststellen, und zwar anhand so unterschiedlicher Staatswesen wie dem Königreich Thailand, der Volksrepublik China, dem Königreich Bhutan und dem derzeit von China beherrschten Tibet.
Auch bei neueren geistlich-religiösen Bewegungen entwickelte sich immer wieder so etwas wie ein Ordenswesen. Verbunden ist dies immer wieder mit Bemühungen um eine rechtliche Absicherung bzw. Anerkennung von staatlicher Seite.
Die katholische Kirche bemüht sich ihrerseits um eine rechtliche Anerkennung von Orden und ordensähnlichen Gemeinschaften im öffentlichen Leben. Dazu dienen sowohl das Zivilrecht wie das durch die katholische Kirche so geschätzte Instrumentarium der Konkordate und konkordatsähnlichen Abmachungen. Konkordate und konkordatsähnliche Übereinkünfte sind die Verwirklichung des Kooperationsmodells für das Verhältnis von Kirche und Staat. Dies wurde in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Elsass-Lothringen sowie den meisten der Schweizer Kantone und damit gerade im Kerngebiet des deutschen Sprachraums verwirklicht. Konkordate und konkordatsähnliche Verträge gibt es aber auch in anderen Teilen der Welt in wachsender Zahl, so etwa in anderen Teilen Europas, in Lateinamerika, auf dem Afrikanischen Kontinent und nach Südostasien hin (siehe Gedanken zur Woche 95-b, 108 und 115-b).
1. Lesung: Jes 2,1-5
2. Lesung: Röm 13,11-14a
Evangelium: Mt 24,37-44 oder Mt 24,29-44
Gedanken zur Woche 140-b, Dr. Matthias Martin
1. ADVENTWOCHE (2022)
Die mit Advent und Weihnachten verbundenen ursprünglichen religiösen Inhalte sind gerade in sogenannten westlichen Ländern stark verloren gegangen. Man möchte sagen, sie sind durch allgemeine gesellschaftliche wie mehr innerkirchliche Vorgänge sehr verschüttet worden. Hier sind Konsumstreben im Allgemeinen und der Anstieg des Gebrauchs bis Missbrauchs legaler und illegaler Drogen im Besonderen zu nennen. Dass solche Vorgänge gerade gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen kein gutes Bild abgeben, sollte sehr zu denken geben. Mit der Umwandlung einer Zeit wie des Advents von einer Zeit religiöser Erneuerung, moralisch-spiritueller Vertiefung in eine Zeit von Konsumrausch und namentlich öffentlich zur Schau gestelltem massiven Alkoholkonsum wird dem Miteinander der Menschen und gerade solchen aus verschiedenen Weltgegenden und mit unterschiedlichen Abstammungshintergründen wie überhaupt menschlichem Miteinander auf überregionaler bis so etwas wie internationaler Ebene ein sehr schlechter Dienst erwiesen.
Der Verlust eines mit Advent und Weihnachten verbundenen Werte- und Kulturbewusstseins ist dabei ganz erheblich mit dem verbunden, was manchmal „das Ende der Volkskirche“ genannt wird. Erlebte man in den Ländern wie den Niederlanden, den USA und Großbritannien bis in die erste Hälfte der sechziger Jahre noch eine wirklich beachtliche Konversionswelle in die katholische Kirche hinein, erlebten die Gemeinschaften von Ordensschwestern in den USA um 1964 einen glänzenden zahlenmäßigen Höhepunkt mit vergleichbaren Gegebenheiten in anderen Ländern, so haben sich die Dinge inzwischen grundsätzlich, ja dramatisch gewandelt. Klöster werden reihenweise geschlossen, Kirchen und andere kirchliche Gebäude stehen in großer Zahl zum Verkauf. Die Krise hat eben auch seit etwa Mitte der sechziger Jahre massiv die römisch-katholische Kirche erwischt.
Dabei zeigt sich im Bereich des Staatskirchenrechts, neuerdings auch gerne genannt Religionsrecht, öffentliches oder staatliches Religionsrecht oder auch Religionsverfassungsrecht, immer wieder eine bemerkenswerte Stabilität. Auch heute noch erhalten sich in diesem Bereich mitunter sehr alte Gegebenheiten und Inhalte. Man kann hier auf Rechtsquellen stoßen, welche mitunter in überraschender Weise aus zurückliegenden Epochen stammen.
So gelten in der jetzigen Bundesrepublik immer noch die Länderkonkordate für Baden, Bayern und Preußen aus der Weimarer Republik, anders gesagt aus der Ersten Deutschen Republik. Auch das Reichskonkordat ist grundsätzlich noch in Kraft wie die betreffenden konkordatären Regelungen in Elsass-Lothringen (siehe Gedanken zur Woche 83-b). Gerade die Fortgeltung des Preußenkonkordats, des Reichskonkordats wie des betreffenden Konkordats für Elsass-Lothringen sorgen bei heutigen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen immer wieder für verschiedenartige Überraschung bis Neugierde.
Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sind gerade zum Thema Verhältnis von Staat und Kirche, dem Verhältnis von Staat und religiösen Gemeinschaften, weiterhin rechtswirksam Artikel aus der Deutschen Reichsverfassung von 1919, auch genannt die Weimarer Verfassung, enthalten. Diesen kommt umfassende Bedeutung zu, gerade auch vor dem Hintergrund von Entwicklungen auf Europäischer Ebene. Kritisch wird man da umso mehr eigens das ununterbrochene Vorhandensein von Staatskirchen in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union/EU und generell des Europarates zu hinterfragen haben. Hierzu verdient eigens der unten zitierte Artikel 137 Punkt (1) der Verfassung Beachtung. Die Punkte (3) und (4) von Artikel 137 verdeutlichen, dass auch Religionsvertreter nicht über den allgemeinen Rechtsbestimmungen und deren rechtsstaatlicher Ausführungen stehen sollten.
So wird in Artikel 140 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich festgehalten:
„Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html)“.
Diese Verfassungsartikel werden eigens wörtlich angeführt (siehe hier auch https://www.jura.uni-wuerzburg.de/fileadmin/02160100-muenkler/Verfassungstexte/Die_Weimarer_Reichsverfassung_2017ge.pdf):
„Artikel 136
(1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.
(2) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlichen Rechte sowie die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis.
(3) Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.
Artikel 137
(1) Es besteht keine Staatskirche.
(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. Der Zusammenschluß von Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets unterliegt keinen Beschränkungen.
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle gelten Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.
(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.
(5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Andere Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.
(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.
(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
(8) Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.“
Gerade bei Punkt (1) des folgenden Paragraphs 138 wurde inzwischen auch seitens zumindest eines Teils der etablierten politischen Parteien in der Bundesrepublik bzw. ihrer prominenten Vertreter Handlungsbedarf eingeräumt. Dabei stellt sich die Frage, ob betreffende finanzielle Ansprüche nicht schon durch die bisher staatlicherseits erfolgten Zahlungen abgegolten sind und derartiges nur noch rechtlich-politisch festzuhalten wäre:
„Artikel 138
(1) Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.
(2) Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.“
Der folgende Artikel verdient vor dem Hintergrund wiederholter Diskussionen um staatlich anerkannte Feiertage und allgemeinere Arbeitszeitregelungen eigene Beachtung:
„Artikel 139
Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“
Der Anstaltsseelsorge wird in der Deutschen Verfassung von 1919, bekräftigt durch das geltende Grundgesetz, ein eigener Artikel gewidmet:
„Artikel 141
Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“
Gedanken zur Woche 139, Dr. Matthias Martin
CHRISTKÖNIGSSONNTAG (2022)
Sowohl in der seit einigen Jahrzehnten üblichen Messliturige, gerne genannt die Messe Pauls VI. oder auch die Nachkonziliare oder die Erneuerte Liturgie wie in der Tridentinischen Liturgie für die Feier der Heiligen Messe mit ihren verschiedenen Bezeichnungen wird das Hochfest von CHRISTKÖNIG begangen. Wird es nach der tridentinischen Kalenderordnung vor Allerheiligen gefeiert, so wird es in der Nachkonziliaren Liturgie am letzten Sonntag im kirchlichen Jahreskreis gefeiert. Damit kommt der eschatologische Gesichtspunkt, die Hoffnung, dass Christus am Ende der Zeiten triumphieren wird, wohl stärker zum Tragen. Mancher und manche bedauerte demgegenüber aber, dass damit die Verwirklichung christlicher Inhalte in der gegenwärtigen Weltenzeit zu sehr aus dem Blickfeld geriete. Es bestünde in Zusammenhang mit diesem Punkt in der liturgischen Neuordnung seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Gefahr, dass gutwillige Menschen zu sehr auf das Ende der Zeiten, gewissermaßen den Sankt-Nimmerleinstag/Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet würden. Damit würden Ressourcen, etwaige Potentiale christlichen Engagements gerade im gesellschaftlich-sozialen Bereich vernachlässigt.
Umso wichtiger ist da, dass der Einsatz für christliche Werte im Hier und Heute immer wieder thematisiert wird und Menschen zu einem Handeln im Sinne christlicher Nächstenliebe und dem Tun guter Werke immer wieder ermutigt und angespornt werden. Die Heilige Schrift und die kirchliche Überlieferung einschließlich der Katholischen Soziallehre und Aussagen im Kirchenrecht enthalten dazu eine Fülle von Anregungen. Da mag der eine gerade an die Auflistung der sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit und der sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit denken, so kommt jemand anderem gerade das Gleichnis vom Jüngsten Gericht (Mt 25,31-46) in den Sinn. Dieses matthäische Sondergut stellt eine der bekannteren Stellen der Bibel dar und hat im Laufe der Geschichte christliches Verständnis, wie politische und wirtschaftliche Möglichkeiten wahrgenommen werden sollen, beeinflusst. Manchmal ist dieser Einfluss zumindest nach außen hin recht stark gewesen.
Dass es nicht darum geht, den jeweils Mächtigen zu Willen zu sein, sondern sich für die geringsten unter den Schwestern und Brüdern einzusetzen, wird gerade in diesem Gleichnis schon weiter hinten im Matthäusevangelium wie auch an anderen Stellen der Bibel deutlich. Das zieht sich gewissermaßen als roter Faden vom Alten/Ersten hin zum Neuen/Zweiten Testament durch. Dies fand seine Fortsetzung in außerbiblischen Schriften des damals noch jungen Christentums, welche in einigen Fällen schon verfasst wurden, noch bevor die Bildung des biblischen Kanons abgeschlossen war. Es dauerte ja nachweislich längere Zeit, bis zumindest halbwegs geklärt war, welche Schriften denn überhaupt zur Bibel gehören sollten und welche nicht. Seit der Reformation brachen die Meinungsverschiedenheiten, was Teil der Bibel sei und was nicht, wieder verstärkt auf. Bezeichnenderweise galten die Christinnen und Christen in römischer Zeit als stramme Gegnerinnen und Gegner des betreffenden Kaisertums und seiner Handlanger. Jesus von Nazaret wurde doch selber durch einen kaiserlichen römischen Statthalter zum Tode verurteilt und durch Soldaten des römischen Imperiums gefoltert und hingerichtet. Das war endgültig der grausame Beginn einer blutigen Geschichte des Christentums im Römischen Reich. Dabei waren schon vorher Konflikte, insbesondere zwischen monarchischen Herrschern in Roms Diensten und der Bewegung Johannes des Täufers und des entstehenden Christentums, deutlich geworden. Denken wir nur an die auch außerbiblisch belegte Verhaftung und Hinrichtung Johannes des Täufers (siehe Gedanken zur Woche 24-b und 65-b) und die Geschichte vom Kindermord in Bethlehem (siehe Gedanken zur Woche 92-b). Die Erzählung von einem durch König Herodes, der manchmal makabererweise „der Große“ genannt wird, angeordneten Kindermord in der Gegend von Bethlehem samt einer Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten ist wiederum matthäisches Sondergut (Mt 2,13-23), stellt also Traditio Simplex/Simplex Traditio dar. Diese so etwas wie eine Doppelperikope darstellenden Bibelverse haben aber doch immer wieder Menschen beschäftigt und ihren Platz in der Überlieferung der Menschheit gewonnen. Bezeichnenderweise ist auch hier wieder ein König, der dazu noch sehr abschreckend dargestellte Täter.
So machte auch Papst Pius XI. mit seiner 1925 erfolgten Einführung des Hochfestes von CHRISTKÖNIG deutlich, dass die Katholikinnen und Katholiken Christus als ihren im guten Sinne wahren König treu sein sollen. So war nicht umsonst auch die Zwischenkriegszeit von Konflikten zwischen der katholischen Kirche und Monarchien und Monarchisten angefüllt. Gerade das sog. Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, aus dem dann das ebenso brutale Königreich Jugoslawien hervorging, war darauf aus, verschiedene Volksgruppen wie auch die katholische Kirche zu unterdrücken. Noch schlimmer ging es wohl in Griechenland zu (siehe Gedanken zur Woche 133-b) zu, egal ob gerade ein König das Land regierte oder nicht. Das weitgehende Verschwinden der noch um 1914 bis auf dem Peloponnes offen nachweisbaren albanischen Volksgruppe wie das schlimme Schicksal der mazedonischen und der bulgarischen Bevölkerung im expandierenden griechischen Staatsgebiet belegen dies überdeutlich. Im Rahmen der rabiaten griechischen Expansionspolitik war es nicht zuletzt zum Untergang des Apostolischen Vikariats der Bulgarisch-Katholischen Kirche von Thessaloniki gekommen (siehe Gedanken zur Woche 133-b). Auch das Schicksal der gerade sprachlich mit den Rumänen eng verwandten Aromunen sollte von Verdrängung und Vergessen befreit werden.
Die Auseinandersetzung mit der italienischen Monarchie seit den sog. Italienischen Einigungskriegen fand nach dem Ersten Weltkrieg ihre Fortsetzung. Die wiederholte Verurteilung des faschistischen Systems durch den Apostolischen Stuhl bedeutete auch eine Verurteilung des italienischen Königtums, das bekanntlich Benito Mussolini ins Amt des Ministerpräsidenten gebracht hatte. Nach 1945 machten unbelehrbare italienische Monarchisten und die als solche bezeichneten Neofaschisten gemeinsame Sache.
Gerade mit dem Königtum samt Erbadel haben die Katholikinnen und Katholiken in Großbritannien und davon abhängigen Gebieten ihre Not. Dies wird auch in diesen Tagen immer wieder deutlich, wenn man nur einen Blick nach Nordirland wirft. Genauso gehen in Schottland die Loyalität zur britischen Krone und Feindseligkeit nicht zuletzt gegen die Katholikinnen und Katholiken Hand in Hand. Ein Blick allein schon auf Zeitungsüberschriften ist da immer wieder aufschlussreich. Umso eindrucksvoller ist der Mut von vier bisher anglikanischen Bischöfen in Großbritannien allein von 2021 bis zu Beginn des Jahres 2022, zur katholischen Kirche überzutreten. Dies sollte nicht zuletzt denen zu denken geben, welche einer stärkeren Anpassung an das offizielle Anglikanertum und mit ihm verbundenen Einrichtungen das Wort reden.
Abgesehen davon stellten früher mehr noch als in jüngster Zeit die skandinavischen Monarchien mit ihren Staatskirchen einen eigenen Problem- und Konfliktbereich dar.
Statt irdischen Monarchen und von ihnen offiziell berufenen Regierungschefs Wünsche von den Lippen ablesen zu wollen, sollte man sich lieber an die Heilige Schrift, Kirchenväter und an so etwas wie eine nicht korrumpierte Christliche Soziallehre halten.
Da ist es schon auffällig, dass nach allen drei synoptischen Evangelien Jesus von Nazaret einfache Fischer und nicht Angehörige etwa von Adelsfamilien zu seinen ersten Jüngern berief (Mt 4,18-22; Mk 1,16-20; Lk 5,1-11). Weist hier gerade das Lukasevangelium vergleichsweise viel Sondergut auf, so ist doch klar, dass hier nicht die „besseren“ Kreise des Römischen Reiches und auch nicht der mit Rom kollaborierende sadduzäische Priesteradel hofiert wurden. Jesus von Nazaret sprach eben vielmehr einfache Fischer aus dem Volk an.
1. Lesung: 2 Sam 5,1-3
2. Lesung: Kol 1,12-20
Evangelium: Lk 23,35b-43
Gedanken zur Woche 139-b, Dr. Matthias Martin
34. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Wenn des heiligen Clemens/Klemens I. von Rom gedacht wird, so ist dies ein bemerkenswerter Tag im Kirchenjahr. So wird er ausdrücklich als Märtyrer verehrt. Der Überlieferung nach war er von römischer Seite auf die in neuerer Zeit ukrainische Halbinsel Krim verbannt worden. Er soll dann an einen Anker gebunden und in das Schwarze Meer geworfen worden sein, wodurch er das Martyrium erlangt haben soll. Die Überlieferung zu seinem Leben und Sterben ist auf jeden Fall ein bemerkenswerter Hinweis auf eine schon frühe Verbindung der römischen Kirche und der Halbinsel Krim. In Zeiten, die gerne als das Mittelalter bezeichnet werden, gehörten Teile der Krim vorübergehend zum sog. Lateinischen Kaiserreich mit seinem Zentrum im damaligen Konstantinopel. In enger Abstimmung mit der Republik Genua, welche ihrerseits in ihrer Geschichte eng mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, auch genannt Erstes Deutsches Reich, Altes Reich oder kurz Deutsches Reich, verbunden war, bestanden lange Zeit lateinische, das heißt römisch-katholische Bistümer an der Nordküste des Schwarzen Meeres und da gerade auf der Halbinsel Krim einschließlich dem Kubangebiet, auch geschrieben Kuban-Gebiet. Einige Zeit lang war in diesen genuesisch-katholischen Bereich auch das Gebiet der Don-Mündung am Schwarzen Meer einbezogen. In Hinblick auf katholische Präsenz am Schwarzen Meer im Laufe der Jahrhunderte verdienen auch die Republik Venedig sowie das Wirken der Republik Genua an der Südküste des Schwarzen Meeres Beachtung.
Noch länger hielten sich die Krimgoten auf der Krim. Goten hatten sich einst um die Mitte des dritten Jahrhunderts auf der Krim niedergelassen. Während der größte Teil der Goten in Zusammenhang mit Hunnensturm und Völkerwanderung nach Westen zog, blieben einige der Goten auf der Krim. Ihre Spur verliert sich erst mit der russischen Eroberung im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts. Man konnte aber noch in jüngster Zeit die Meinung vernehmen, die letzten Krimgoten seien erst Opfer der sowjetischen Vernichtungspolitik im zwanzigsten Jahrhundert geworden. Damit wäre es diesen wie ungezählten anderen Menschen gegangen, auf und von der Krim wie (von) woanders. Dazu passt die Auffassung, eine Form gotischer Sprache habe auf der Krim mit ihrer Umgebung als so etwas wie eine Haussprache bis etwa 1945 überlebt.
In der Nähe der Krim starb jedenfalls der heilige Papst Martin I. Ihn hatte das auch sonst so brutale Oströmische Kaiserreich nach Cherson nahe der Krim (!) verbannt, wo sein Lebenslicht am 16. September 655 erloschen sein soll. Also auch hier wieder ein starker westlich-katholischer Bezug zu den Gebieten entlang der nördlichen Schwarzmeerküste. Zugleich stellen die Schicksale des heiligen Clemens/Klemens I., des heiligen Martin I. wie der Krimgoten eine deutliche Warnung in Hinblick auf die menschenverachtende Politik betreffender Herrschaftssysteme dar.
Wie sehr es darum geht, dass sich eine Kirche nicht von solchen Regimen vereinnahmen lässt, hatte auf seine Weise schon Clemens/Klemens I., auch genannt Clemens von Rom, verdeutlicht. Er soll von 92 bis 101 als römischer Bischof amtiert haben. Manchmal wird auch das Jahr 90 n. Chr. als Beginn seiner Amtszeit und das Jahr 99 n. Chr. als dessen Ende angesehen. Auf jeden Fall dürfte er während der Herrschaft des auch sonst in Zusammenhang mit der Verfolgung von Christen stehenden Kaisers Trajan gestorben sein. Besondere Beachtung fand der nach ihm benannte und ihm zugeschriebene Erste Clemensbrief. Demgegenüber wird angenommen, dass der Zweite Clemensbrief nicht von Clemens/Klemens I. oder eben Clemens von Rom verfasst wurde. Zumeist wird angenommen, dass der Zweite Clemensbrief einige Zeit nach dem Ersten Clemensbrief entstand. Allerdings ist auch hier, wie so oft, die Datierung umstritten.
Der Erste Clemensbrief erging an die christliche Gemeinde von Korinth. Bekanntlich sind zwei sog. Korintherbriefe, welche in der vorliegenden Form dem Apostel Paulus zugeschrieben werden, im Neuen/Zweiten Testament der Bibel enthalten. Gerne werden sie einfach Erster Korintherbrief und Zweiter Korintherbrief oder Erster Brief an die Korinther und Zweiter Brief an die Korinther genannt. Mitunter werden sie auch als Erster Brief an die Gemeinde von Korinth und Zweiter Brief an die Gemeinde von Korinth bezeichnet. Manchmal werden sie in der Bezeichnung ausdrücklich mit dem Apostel Paulus in Beziehung gesetzt. So werden sie dann als etwa Erster Brief des Apostels Paulus an die Korinther bzw. Zweiter Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde von Korinth und dergleichen bezeichnet. Ihre Redaktionsgeschichte ist gerade in der historisch-kritischen Exegese umstritten.
Die besondere Beziehung Korinths zu Rom liegt in der durchaus blutigen Geschichte begründet. So hatten die Römer im Jahre 146 v. Chr. Korinth als Metropole des Achäischen/Achaiischen Bundes zerstört. Der Wiederaufbau und eine nun römische Besiedlung erfolgte ab Julius Caesar (siehe Gedanken zur Woche 102-b). Im ersten zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert war Korinth umso römischer geprägt. Ja es gibt die Einschätzung, Korinth sei in dieser Zeit römischer gewesen als die Reichshauptstadt Rom selber mit ihren so zahlreichen Sklaven und anderen zugezogenen Menschen aus ganz unterschiedlichen Völkern.
Anlass für den Ersten Clemensbrief war die Absetzung von Amtsträgern in der christlichen Gemeinde von Korinth. Die Rücknahme dieser Absetzung wird nun in dem Schreiben im Rahmen einer längeren Argumentation gefordert. Die für diese als ungerechtfertigt eingestufte Amtsenthebung Verantwortlichen werden scharf verurteilt. Es wurde bei der Abfassung des Schreibens bereits klar von besonderen kirchlichen Amtsträgern ausgegangen. Ebenso wurde bereits in einem gewissermaßen kirchenrechtlichen Sinne argumentiert und die Einhaltung einer betreffenden kirchlichen Ordnung eingefordert. Dies ist umso bemerkenswerter, da der Erste Clemensbrief in einer Zeit entstand, als das, was heute als Bibel aus Altem/Ersten und Neuem/Zweiten Testament bezeichnet wird, noch nicht bestand. Lange war noch nicht klar, was als Heilige Schriften oder Teile einer Bibel im Christentum zu gelten hätte. Aus Richtung der historisch-kritischen Exegese und damit mehr oder minder in Verbindung stehender Geschichtsschreibung wird sogar davon ausgegangen, dass der Erste Clemensbrief älter als einige jener Schriften ist, welche Eingang in so etwas wie das offizielle Neues Testament fanden. Bezüglich der Entstehung von Schriften, die Eingang in „die“ Bibel fanden, gehen die Datierungen mitunter weit auseinander. Auch gibt es Meinungsverschiedenheiten, wer bei welcher „biblischen“ Schrift als Verfasser, Verfassergruppe oder Verfassertradition anzusehen sei.
Noch bevor es zur Festlegung von so etwas wie „Bibel“ kam, gab es bereits eine kirchliche Praxis und das gerade in Hinblick auf sakramentale Handlungen. Auch Ansätze für ein Kirchenrecht bzw. eine kirchenrechtliche Argumentation lassen sich erkennen. Dazu steht hier der Erste Clemensbrief als profilierte Schrift nicht allein. Zu nennen ist da gerade die ihrerseits so alte frühchristliche Schrift Didache. Diese wird manchmal sogar noch dem ersten Jahrhundert nach Christus zugewiesen. Zwar ist auch diese Datierung nicht unumstritten. So belegt auch die Didache, dass es schon sehr früh im Christentum Ämter wie liturgische und gerade sakramentale Handlungen gab. Dies war mit der Herausbildung von so etwas wie Kirchenrecht, mit Bemühungen um so etwas wie einer kirchenrechtlichen Ordnung verbunden.
In diese Grundrichtung weisen auch die Ignatius-Briefe genannten Schreiben, welche in der Überlieferung dem Märtyrerbischof Ignatius von Antiochien zugeschrieben werden. Egal, welches dieser nach ihm benannten Schreiben tatsächlich noch von Ignatius von Antiochien selber verfasst wurde, so stellen auch diese Briefe bemerkenswerte Quellen dar über altchristliches Leben zu einer sehr frühen Zeit und die schon damals erkennbaren Bemühungen um kirchliche Ordnung mit Amtsträgern und einem verlässlichen theologischen Profil.
Gedanken zur Woche 138, Dr. Matthias Martin
33. SONNTAG IM JAHRESKREIS und WELTTAG DER ARMEN (2022)
Die dramatischen Aussagen im Lukasevangelium über eine Zerstörung des Tempels in Jerusalem (Lk 21,5-6), einen Beginn massiver Bedrängnisse für die Menschen auf Erden (Lk 21,7-11) und schließlich die Ankündigung von gegen die Jünger Jesu gerichteten Verfolgungen (Lk 21,12-19), wie wir sie im Lukasevangelium finden, sind recht drastisch. Von Inhalt und Wortwahl her können diese Aussagen an Redensarten erinnern wie „Das Leben ist kein Ponyhof“ und in der Meinung bestärken, dass dies gerade für jüdische und christliche Menschen zutrifft. Es fällt auf, dass diese direkt nacheinander vorzufindenden Perikopen jeweils bei allen drei Synoptikern zu finden sind, also sowohl im Matthäus- wie im Markus- und eben auch im Lukasevangelium. Dabei trifft auch hier wieder zu, dass es jeweils gewisses Sondergut gibt, die drei synoptischen Evangelien bei diesen drei Perikopen also nicht wortwörtlich vom Anfang bis zum Ende überstimmen. Die Grundstruktur und der Inhalt aber stimmen überein, und in diesem Sinne liegt hier eine Traditio Triplex/Triplex Traditio vor. Dazu mag auffallen, dass die Ankündigung von Verfolgungen gegen die Jünger Jesu auch in den sich eigener Beliebtheit erfreuenden Abschiedsreden des Johannesevangeliums vorkommt. So heißt es dort der neuen Ausgabe der deutschen Einheitsübersetzung zufolge:
„(15,21) Doch dies alles werden sie euch um meines Namens willen antun; denn sie kennen den nicht, der mich gesandt hat. …
(16,1) Das habe ich euch gesagt, damit ihr keinen Anstoß nehmt. (2) Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen, ja es kommt die Stunde, in der jeder, der euch tötet, meint, Gott einen heiligen Dienst zu leisten. (3) Das werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben. …
(16,33b) In der Welt seid ihr in Bedrängnis, aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt.“
Es fällt auch wieder auf, dass es einerseits sehr starke Übereinstimmungen zwischen den drei Synoptikern gibt, und dass andererseits das Johannesevangelium trotz hier wahrnehmbarer inhaltlicher Gemeinsamkeit eine Sonderstellung einnimmt.
Dabei wird die Ankündigung der Zerstörung des Jerusalemer Tempels in der kritisch-historischen Exegese gerne als Argument angeführt, dass die drei synoptischen Evangelien mehr oder minder lange nach der Zerstörung des jüdischen Tempels in Jerusalem durch die Römer im Jahre 70 n. Chr. niedergeschrieben worden seien. Für das gerne als das älteste der synoptischen, ja überhaupt der neutestamentlichen Evangelien angesehene Markusevangelium kann auch die Einschätzung begegnen, dieses sei zur Zeit um die Zerstörung des Tempels verfasst worden. Dabei sind solche Positionen typisch für das, was gerne die moderne Wissenschaft genannt wird, im Besonderen eben kritisch-historische Exegese. Wer beispielsweise mehr oder minder die These einer Verbalinspiration der von ihm so angenommen Bibel vertritt, kann mit solchen Rückerschließungen wenig bis nichts anfangen, ja diese eher sogar für ärgerlich ansehen.
Bemerkenswert ist, dass in den Ankündigungen kommender Bedrängnisse in allen drei Synoptikern (Mt 24,7; Mk 13,8; Lk 21,10) auf dieselben Stellen im Buch Jesaja (Jes 19,2) und wohl oder vielleicht auch dem Zweiten Buch der Chronik (2 Chr 15,6) zurückgegriffen oder angespielt wird.
Tatsache ist auf jeden Fall, dass Jerusalem samt dem Jüdischen Tempel von den Römern zerstört wurde. Dies wird wohl nicht einmal von Apologeten des Römischen Reiches bestritten und hat umgekehrt in antisemitischen Kreisen mitunter diesem einen mehr als zweifelhaften Nachruhm verschafft. Aber auch sonst war das Römische Reich ja für seine sehr brutale Kriegsführung bekannt. Gezielte Vernichtungspolitik und Massenversklavungen waren für das Alte Rom nichts Besonderes (siehe Gedanken zur Woche 90 und 102-b).
Dabei stößt man schon in Schriften des Alten/Ersten Testamentes immer wieder auf Zeugnisse israelitischen bzw. jüdischen Widerstandswillens. Heutzutage am bekanntesten dürfte die im Buch Exodus erzählte Unterdrückung durch den Pharao in Ägypten und die Befreiung daraus sein. Recht bekannt ist wohl auch der Untergang des Nordreiches Israel im Rahmen der Eroberung durch das Assyrische Großreich in der Zeit 722/720 v. Chr. (2 Kön 17,1-24). Die Debatte um die sog. Verlorenen Zehn Stämme Israels und das Herkommen der heutigen Samariter rührt daher.
Hatte sich Jerusalem als Hauptstadt des Reiches Juda um 701 v. Chr. noch gegen eine Belagerung der Assyrer behaupten können (Jes 36-38), so kam es später unter dem (neu-)babylonischen Herrscher Nebukadnezzar II. in der Zeit 587/586 v. Chr. zur Eroberung Jerusalems, Zerstörung des Ersten Tempels und Deportation eines Teils der Bevölkerung, Schlagwort „Babylonische Gefangenschaft“ (Jer 52,3b-30).
Eher in Vergessenheit geraten sind das Buch Tobit mit seinen Hinweisen auf die brutale assyrische Unterdrückungspolitik und die beiden Makkabäerbücher, in denen es um den erfolgreichen Widerstand des konservativen Teils der jüdischen Bevölkerung gegen die von den seleukidischen Herrschern mit Hilfe jüdischer Handlanger betriebene Hellenisierung geht (siehe allgemein Gedanken zur Woche 54).
Die Großreiche von Assyrien, Babylon und Rom wie das ägyptische Pharaonentum und die Dynastie der Seleukiden sind längst untergegangen. Das jüdische Volk und sein besonders von den Fünf Büchern Mose, dem Pentateuch, der Thora/Tora/Torah herkommende Erbe haben aber überlebt. Genauso hat Jüngerschaft Jesu, hat Christentum alle Verfolgungen überlebt.
Dabei waren die Anfänge des Christentums rein menschlich-weltlich keineswegs „großartig“.
Die ebenfalls als Traditio Triplex/Triplex Traditio vorhandene Erwähnung einer Berufung der ersten Jünger durch Jesus weist in diese Richtung (Mt 4,18-22; Mk 1,16-20; Lk 5,1-11). Bei allen Unterschieden in Darstellung bzw. Anordnung vor allem zwischen Matthäus und Markus auf der einen und Lukas auf der anderen Seite wird deutlich, dass die ersten berufenen Jünger einfache Fischer waren. Im Sinne von Adel, einer königlichen oder kaiserlichen Dynastie und deren Anhängerschaft stammten sie nicht aus besseren Kreisen, sondern gewissermaßen aus dem Pöbel. Das ist ein Grundmotiv, das im Alten/Ersten und im Neuen/Zweiten Testament in unterschiedlicher Weise immer wieder begegnet.
Jesus ließ sich von derartigem nicht einschüchtern oder zum Speichellecker sog. „besserer“ Kreise machen, sondern trat selbstbewusst auf. Die bei Markus wie bei Lukas vorzufindende Darstellung eines ersten Auftretens Jesu in der Synagoge von Kafarnaum (Mk 1,21-28 und Lk Lk 4,31-37) weist stark in diese Richtung. Unterstützt wird dies durch das Matthäusevangelium, wenn auch in anderer Einordnung des Erzählstoffes (Mt 7,28-29).
Gewissermaßen parallel verläuft die Darstellung grundsätzlich bei Markus und Lukas auch, wenn es um die Heilung der Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,29-31 und Lk 4,38-39) und dann zahlreichere Krankenheilungen am Abend desselben Tages (Mk 1,32-34 und Lk 4,40-41) geht. Bei Matthäus begegnet dieser Erzählstoff wiederum später samt Sondergut namentlich aus dem alttestamentlichen Buch Jesaja (Mt 8,14-17).
Für heutige Menschen mag die Zuwendung Jesu zu Notleidenden aus den einfachen Bevölkerungsschichten ein Ansporn zu guten Werken, zu praktischer Nächstenliebe sein. Der Aufruf zu solchem Handeln sollte unabhängig von (theologischen) Einzeldiskussionen immer wieder beherzigt werden.
Wie sehr offensichtlich Jesus von Nazaret zu aktivem Handeln bereit war, bestätigen bei allen Einzelunterschieden im Wortlaut die Verse bei Markus (Mk 1,35-38) und Lukas (Lk 4,42-43) über seinen Aufbruch aus Kafarnaum. Allgemeine Hinweise auf ein umfassenderes Wirken Jesu namentlich in Galiläa werden dann sogar bei allen drei Synoptikern geboten (Mt 4,23-25; Mk 1,39 und 3,7-11; Lk 4,44 und 6,17b-19). Das mag von heutigen Christinnen und Christen ganz handfest als Ansporn für einen eigenen missionarischen Lebensstil, in dem der Glaube in Worten und Taten bezeugt wird, aufgenommen werden.
1. Lesung: Mal 3,19-20b
2. Lesung: 2 Thess 3,7-12
Evangelium: Lk 21,5-19
Gedanken zur Woche 138-b, Dr. Matthias Martin
33. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Der PETERSDOM, auch genannt die PETERSBASILIKA, ist so etwas wie das weltberühmte Wahrzeichen des Vatikans. Sehr bekannt ist auch seine Funktion als liturgischer Haupthandlungsort des Papstes. Auf unzähligen Touristenandenken und Postkarten ist er zu sehen. Dessen ungeachtet ist der PETERSDOM, ist die PETERSBASILIKA, gar nicht die offizielle Hauptkirche des Bischofs von Rom und damit des Papstes. Dies ist vielmehr die LATERANBASILIKA (siehe Gedanken zur Woche 35-b, 61-b und 85-b). So fanden in der Lateranbasilika bis heute insgesamt fünf Konzilien statt: das Erste Laterankonzil (1123), das Zweite Laterankonzil (1139), das Dritte Laterankonzil (1179) und das wohl noch etwas bekanntere Vierte Laterankonzil (1215) u. a. in Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit den Katharern, die mitunter auch Albigenser genannt werden. Schließlich fand noch das Fünfte Laterankonzil (1512-1517), welches Bedeutung insbesondere als Kontrapunkt gegen die Einmischungen der damaligen französischen Großmacht gewann (siehe Gedanken zur Woche 87) und auch Beachtung in Hinblick auf das positive Verhältnis von Glauben und Vernunft verdient (siehe Gedanken zur Woche 41).
Dass der PETERSDOM, die PETERSBASILIKA erst in späteren Jahrhunderten stärker in den Blickpunkt von so etwas wie weltkirchlichem Geschehen trat, sieht man nicht zuletzt daran, dass die beiden dort abgehaltenen Konzilen eben die beiden Konzilien jüngsten Datums sind: So wurde das Erste Vatikanische Konzil von 1869 bis 1870 und das Zweite Vatikanische Konzil von 1962 bis 1965 durchgeführt.
Nach und nach kam eben St. Peter immer mehr in den Blickpunkt, und dies auch für ungezählte Nichtkatholikinnen und Nichtkatholiken. Dies fördert auch auf internationaler Ebene das Bewusstsein, dass die Vatikanstadt nicht Bestandteil des gegenwärtigen italienischen Staatsgebietes ist. Leider gerät aber oft aus dem Blick, dass es darüber hinaus innerhalb wie außerhalb Roms eine ganze Reihe weiterer exterritorialer Besitzungen des Heiligen Stuhls gibt. Dies immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, bleibt eine dauernde Herausforderung. Die wiederholten Berichte über Skandale in der offiziellen italienischen Politik und mit ihr besonders verbundenen gesellschaftlichen Kreisen lassen es umso mehr angeraten sein, sich im Sinne kirchlicher Eigenständigkeit und Glaubwürdigkeit in vernehmlicher Weise abzugrenzen. Dies gilt umso mehr, da der italienische Staat auch bei dem zum jüngsten Irakkrieg führenden Überfall auf den Irak wie dessen anschließende Aufteilung unter Besatzungsmächte beteiligt war. Ebenso war Italien dabei, als 2011 Libyen von westlichen Mächten überfallen und dessen Staatswesen zerstört wurde. In dem einem wie in dem anderen Fall sind die Folgen dieser durch die katholische Kirche wie andere religiöse Gemeinschaften verurteilten Angriffe noch gar nicht abzusehen. Die Richtigkeit der kirchlichen Kritik am Handeln der betreffenden Staaten wurde in der Folge immer wieder auf drastische bis dramatische Weise bestätigt. Die Kirche ist eben immer wieder aufgefordert, kritisch Distanz zu verwirklichen gegenüber weltlichen Machthabern. Ein anderes Verhalten muss gerade in Fällen wie den beiden zuletzt angesprochenen einen verheerenden Eindruck in der islamischen Welt wie in anderen Teilen der Internationalen Gemeinschaft machen, wofür Christsein vermeintlich steht. Solche Irreführungen sind schon für sich schlimm und destruktiv. Wie vergänglich weltlicher Ruhm und weltliche Macht tatsächlich sind, beweist immer wieder nicht zuletzt die sog. italienische Politik. Dabei heißt es schon im alttestamentlichen Buch der Psalmen in Psalm 146:
„(3) Vertraut nicht auf Fürsten,
nicht auf den Menschen, durch den es keine Rettung gibt!“
Anstatt den gegenwärtig Mächtigen und Reichen, den derzeit politisch Etablierten gefällig zu sein, sollte man sich lieber auch an anschließende Verse dieses Psalms halten:
„(6) (Er ist es, der Himmel und Erde erschafft,
das Meer und alles, was in ihm ist.
Er hält die Treue auf ewig.
(7) Recht schafft er den Unterdrückten,
Brot gibt er den Hungernden,
der HERR befreit die Gefangenen.
(8) Der HERR öffnet die Augen der Blinden,
der HERR richtet auf die Gebeugten,
der HERR liebt die Gerechten.
(9) Der HERR beschützt die Fremden,
er hilft auf den Waisen und Witwen,
doch den Weg der Frevler krümmt er.“
Zur Distanz gegenüber gegenwärtigen Machthabern und Reichen wird auch im Magnificat Mariens der Weg gewiesen:
„(Lk 1,51) Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die Herzen voll Hochmut sind;
(52) er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.
(53) Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“
Bei solchen Worten aus dem Alten/Ersten wie dem Neuen/Zweiten Testament mögen spontan der Sturz der Dynastie von Savoyen als „italienischen“ Herrschern im Gefolge des Zweiten Weltkrieges, das drastische Ende Benito Mussolinis wie die wiederholten Regierungskrisen- und -stürze in Nachkriegsitalien in den Sinn kommen.
Dabei wird die so wertvolle kirchliche Eigenständigkeit und das nicht zu vernachlässigende Vorhandensein exterritorialer Besitzungen des Heiligen Stuhls außerhalb der Vatikanstadt auch durch die Tatsache unterstrichen, dass am 18. November zusammen mit der Weihe der PETERSBASILIKA auch die Weihe der BASILIKA SANKT PAUL VOR DEN MAUERN gefeiert wird. In dem heutzutage in deutschsprachigen Gebieten meist verwendeten Deutschen Messbuch wie im Direktorium der Diözese St. Pölten für 2021/2022 wird dieser Gedenktag bezeichnet als „Weihetag der Basiliken St. Peter und St. Paul zu Rom“. In dem Volksschott von 1961 für die Feier der Heiligen Messe im Tridentinischen Ritus ist dieser Tag im Kirchenjahr mit den Worten „Weihe der Kirchen der hll. Apostel Petrus und Paulus“ überschrieben. Durch den gemeinsamen Fest- bzw. Feiertag für die Weihe beider Basiliken wird die Verbundenheit dieser Hauptkirchen und überhaupt der verschiedenen Besitzungen des Heiligen Stuhls unterstrichen. Diese, vor allem wenn ihr exterritorialer Status anerkannt ist, sind eben nicht Hoheitsgebiet des gegenwärtigen italienischen Staatswesens.
Der Umstand, dass dieses doppelten Weihetages sowohl im Liturgiekalender für die Feier der Heiligen Messe im nachkonziliaren/Nachkonziliaren Ritus, auch gerne genannt die Messe Pauls VI. oder die Erneuerte Liturgie, wie im Liturgiekalender für die Feier der Heiligen Messe im Tridentinischen Ritus, auch genannt die Messe Damasus I./Gregors des Großen/Pius V./Johannes XXIII. wie auch die Messe Don Camillos oder die Messe Ralph Raoul de Bricassarts, mag Ansporn und Ermutigung sein für die Anhängerinnen und Anhänger der unterschiedlichen liturgischen Überlieferungen innerhalb der katholischen Weltkirche, das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen. Anstatt Polemik und Gehässigkeit sollte geschwisterliche Liebe, sollte ein gutes Miteinander in Gedanken, Worten und Werken hier Vorrang haben. Dabei steht es natürlich frei, ob man nun die betreffende Form der Messfeier beispielsweise lieber die „Messe Don Camillos“ oder „Messe Ralph Raoul de Bricassarts“ nennt. Darüber zu diskutieren kann doch gerne in entspannter Atmosphäre geschehen. Genauso mag man über das jeweilige Niveau der Verfilmungen, in denen als katholischer Geistlicher einmal Don Camillo und das andere Mal Ralph de Bricassart im Mittelpunkt steht wie über die schauspielerischen Leistungen insbesondere der Hauptdarsteller verschiedener Meinung sein, ohne die gegenseitige Wertschätzung zu missachten.
Je mehr so etwas beherzigt wird, umso mehr lässt sich christliches Zeugnis verwirklichen in der heutigen Zeit.
Gedanken zur Woche 137, Dr. Matthias Martin
32. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Die Perikope über die Anfrage von Sadduzäern an Jesus von Nazaret bezüglich der Auferstehung der Toten ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.
Zum einen verdeutlicht diese Stelle, wie sie etwa im Lukasevangelium überliefert wird, dass das Judentum auch in jener Epoche, welche gerne die neutestamentliche Zeit genannt wird, keine einheitliche Größe war. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen jüdischen Richtungen oder Gruppen und Untergruppen betrafen dabei auch sehr grundsätzliche Angelegenheiten, wie eben die Frage nach der Auferstehung der Toten. Meinungsverschiedenheiten konnten auch zu innerjüdischen Gewalttätigkeiten führen (siehe Gedanken zur Woche 85). Gerade zu Angehörigen der noch einmal in sich ausdifferenzierten bis aufgespaltenen Richtung der Pharisäer hatte Jesus von Nazaret ganz offensichtlich ein akzeptables bis gutes Verhältnis. Lediglich zu den mit den Römern kollaborierenden Sadduzäern, dem wohlhabenden Priesteradel und seinen Anhang, hin gab es nur Konfrontation. Gerade in den letzten Jahrzehnten wurden von verschiedener Seite immer wieder besondere Beziehungen, ja inhaltliche Abhängigkeiten, Jesu von Nazaret, Aposteln oder Johannes dem Täufer zur einen oder anderen jüdischen Richtung ihrer Zeit behauptet. Dies geschah aber nicht in Richtung der Sadduzäer (siehe Gedanken zur Woche 84)! Stand Jesus von Nazaret im breiten Strom jüdischer Überlieferung, in welcher die „mündliche Thora/Tora/Torah“ eine zentrale Rolle spielte und spielt, so wurde diese Überlieferung eben von den Sadduzäern im Wesentlichen abgelehnt.
Gerade die Spaltung zwischen den prorömischen Sadduzäern und den mit der Verkündigung Jesu und der Apostel auffallende Gemeinsamkeiten aufweisenden Pharisäern begegnet uns im weiteren Verlauf des Neuen/Zweiten Testaments. Besonders augenfällig wird dies an einer Stelle, die schon recht weit hinten in der Apostelgeschichte zu finden ist:
„(23,6) Da Paulus aber wusste, dass ein Teil zu den Sadduzäern, der andere zu den Pharisäern gehörte, rief er vor dem Hohen Rat aus: Brüder, ich bin Pharisäer und ein Sohn von Pharisäern; wegen der Hoffnung und wegen der Auferstehung der Toten stehe ich vor Gericht.
(7) Als er das sagte, brach ein Streit zwischen den Pharisäern und den Sadduzäern aus und die Versammlung spaltete sich. (8) Die Sadduzäer behaupten nämlich, es gebe weder Auferstehung noch Engel noch Geist, die Pharisäer dagegen bekennen sich zu alldem. (9) Es erhob sich ein lautes Geschrei und einige Schriftgelehrte aus dem Kreis der Pharisäer standen auf und verfochten ihre Ansicht. Sie sagten: Wir finden nichts Schlimmes an diesem Menschen. Vielleicht hat doch ein Geist oder ein Engel zu ihm gesprochen.“
Interessant ist eigens, dass die Frage, mit welcher die Sadduzäer Jesus gewissermaßen aufs Glatteis führen wollten, eben genau mit dem Streitpunkt der Auferstehung zu tun hatte. Also thematisierten sie damit nach neutestamentlicher Überlieferung genau eine der zentralen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen und den Pharisäern. Dies wurde anhand einer Bezugnahme zum Bereich der Ehe bzw. des Eherechts getan. Damit wird auch hier deutlich, welche unbestritten große Bedeutung Ehe, etwaige Eheangelegenheiten in Theologie und Praxis jüdischer Richtungen wie offensichtlich auch im sich entwickelnden Christentum spielten.
Dann ist ganz bemerkenswert, dass diese Diskussion mit der Fangfrage der Sadduzäer nicht nur in einem der synoptischen Evangelien berichtet wird. Vielmehr wird diese Diskussion in allen drei synoptischen Evangelien, also Matthäus, Markus und Lukas, berichtet mit auffallenden Übereinstimmungen bis in den Wortlaut hinein (Mt 22,23-33 samt 46; Mk 12,18-27 samt 32a und 34b und etwas vorher wohl auch 11,18b; Lk 20,27-40). Damit haben wir also beim Streitgespräch Jesu mit den Sadduzäern bezüglich der Auferstehung der Toten Traditio Triplex/Triplex Traditio vorliegen. Derartiges ist, wenn man das Neue/Zweite Testament in seiner Gesamtheit und die drei synoptischen Evangelien im Besonderen betrachtet, nach menschlichem Ermessen keineswegs selbstverständlich.
Schon in den ersten Kapiteln der synoptischen Evangelien wird deutlich, dass auch bekannte Stellen wie die Volksfrömmigkeit und Volkskultur dominierende Weihnachtsgeschichte (Lk 2,1-20) nach Lukas nur als Sondergut eines der drei Synoptiker vorkommen. Manches kommt häufiger vor, aber eben nicht bei allen dreien, sondern bei zwei Synoptikern (siehe Gedanken zur Woche 125 und insbesondere 136).
Dies setzt sich im Verlauf der synoptischen Evangelien fort.
So ist ganz bemerkenswert, was sich innerhalb weniger Verse unmittelbar im Anschluss an die Darstellung der Gefangennahme Johannes des Täufers bei Lukas und nach Anordnung des Stoffes bei Matthäus und Markus unmittelbar nach den Aussagen über messianische Verkündigung des Täufers findet.
Da findet sich bei allen drei Synoptikern eine Perikope über die Taufe Jesu von Nazarets durch Johannes den Täufer. Sehr stark sind die bis ins Wörtliche gehenden Übereinstimmungen gegen Ende der Perikope (ab Mitte Mt 3,16 bis einschließlich 17; ab Mitte Mk 1,10 bis 11; ab Ende Lk 3,21 bis 22) samt Zitaten aus den alttestamentlichen Büchern der Psalmen und Jesaja.
Davor gibt es erkennbare Unterschiede. So wird das Verlassen des Wassers durch Jesus von Nazaret eigens nur bei Matthäus und Markus, nicht aber bei Lukas erwähnt (Mt 3,16 a und Mk 1,10a gegen Lk 3,21-22). Damit liegt hier wieder einmal eine Traditio Duplex/Duplex Traditio und eben keine Traditio Triplex/Triplex Traditio vor. Zwei ganze Verse (Mt 3,14-15) stellen matthäisches Sondergut dar.
Folgt man dem Aufbau des Lukasevangeliums, so kommt nun (Lk 3,23-38), was gerne der Stammbaum Jesu genannt wird. Bei Matthäus findet sich dieser ja schon im Ersten Kapitel (Mt 1,1-16) und in beiden Großevangelien weichen die Darstellungen erkennbar voneinander ab (siehe eben auch Gedanken zur Woche 136).
Einen relativ einheitlichen Beginn gibt es dann für die auch bei Verfilmungen zum Wirken Jesu beliebten Versuchung Jesu, ohne dass hier der Wortlaut genau übereinstimmte (Mt 4,1-2; Mk 1,12-13; Lk 4,1-2). Bei Markus ist mit einer ganz kurzen Aussage, dass Jesus durch den Satan versucht wurde, die Sache aber schon wieder zu Ende. Bei Matthäus und Lukas, also den Seitenreferenten unter den Synoptikern, aber kommt jetzt die je eigene Darstellung einer dreifachen Versuchung Jesu durch den Teufel (Mt 4,3-11 und Lk 4,3-13). Die beiden Seitenreferenten stimmen bis in die Zitierung des Buches der Psalmen und die zweimalige des Buches Deuteronomium hinein überein. In der Reihenfolge dieser drei Versuchungen aber weichen sie voneinander ab. Das Vorhandensein gemeinsamen Stoffes bis in das Anführen derselben Zitate aus dem Alten/Ersten Testament hinein bei Matthäus und Lukas mögen Anhänger der Zweiquellentheorie/Zwei-Quellen-Theorie und wohl auch einer Vierquellentheorie/Vier-Quellen-Theorie als Argument für ihre Position anführen. Wie kam es aber zur unterschiedlichen Reihenfolge der drei einzelnen Versuchungen Jesu durch den Teufel, eben bei Matthäus und Lukas?
Demgegenüber wird dann die Erwähnung der Tätigkeit Jesu in Galiläa bzw. eines Beginns dieser Tätigkeit in allen drei Synoptikern (Mt 4,12-17; Mk 1,14-15; Lk 4,14-15) geboten. Dazu kommt sogar eine betreffende Stelle im Johannesevangelium (Joh 4,1-3.43). Dabei weichen die Darstellungen im Einzelnen aber voneinander ab. Gerade Matthäus enthält hier Sondergut samt einem eigenen Zitat aus dem Prophetenbuch Jesaja (Mt 4,13-16). Bei Matthäus und Markus wird ausgesagt, dass diese Tätigkeit Jesu in Galiläa nach der Verhaftung Johannes des Täufers begann (Mt 4,12 und Mk 1,14). Im Johannesevangelium wird zwar der Täufer ebenfalls erwähnt, aber nicht in diesem Kausalzusammenhang. Bei Lukas fehlt hier überhaupt eine Erwähnung Johannes des Täufers.
Folgt man dem Verlauf des Lukasevangeliums, so kommt man zur Predigt und dem sich daraus entwickelnden Konflikt Jesu in Nazaret (Lk 4,16-30). Bei Matthäus und Markus steht in der Anordnung des Stoffes erst später eine betreffende Perikope (Mt 13,54-58 und Mk 6,1-6a). Das Lukasevangelium bietet Sondergut, also Traditio Simplex/Simplex Traditio, zum Inhalt dieser Predigt (Lk 4,17-27) mit Verweisen auf Stellen im Prophetenbuch Jesaja und den ebenfalls alttestamentlichen Büchern, genannt das Erste und das Zweite Buch der Könige. Die genauere Wortwahl in den drei synoptischen Evangelien verdient auch hier eigene Beachtung.
So sind wir ja ganz generell eingeladen, die Texte einzelner biblischer Bücher genau und aufmerksam zu beachten.
1. Lesung: 2 Makk 7,1-2.7a.9-14
2. Lesung: 2 Thess 2,16-3,5
Evangelium: Lk 20,27-38 (oder 20,27.34-38)
Gedanken zur Woche 137-b, Dr. Matthias Martin
32. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Der WEIHETAG DER LATERANBASILIKA hat seine eigene starke, über den engeren theologischen bzw. spirituellen Bereich hinausgehende Aussagekraft. Es weist die Menschen darauf hin, dass die LATERANBASILIKA auch heutzutage nicht Teil des italienischen Staatsgebietes ist, sondern eine exterritoriale Größe darstellt. Gleiches gilt auch für eine Reihe anderer Gebäude und Grundstücke innerhalb wie außerhalb Roms (siehe Gedanken zur Woche 71-b und 85-b). Es mag, wenn man eine Auflistung der exterritorialen Besitzungen des Heiligen Stuhles einschließlich der eigentlichen Vatikanstadt durchliest, das Bild von einem Schweizer Käse in den Sinn kommen. So ist das derzeitige, von der Europäischen Union anerkannte und finanziell massiv subventionierte, offizielle italienische Staatsgebiet gerade in Rom und seinem engeren Umland gewissermaßen durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Dazu kommt die Existenz des Campo Santo Teutonico (siehe Gedanken zur Woche 93) als eigenes territoriales und administratives Gebilde. Und dann ist da natürlich noch der Souveräne Malteser-Ritter-Orden, kurz genannt der Malteserorden. Egal, ob man diesen nun eher als kleinsten Staat der Welt oder als Völkerrechtssubjekt eigener Art, also als Völkerrechtssubjekt sui generis, sieht (siehe Gedanken zur Woche 93), so wird er doch mit weitem Abstand von der Mehrheit der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, der UN, voll diplomatisch anerkannt. Volle diplomatische Beziehungen gibt es nicht zuletzt mit der Europäischen Union. Weitere Staaten unterhalten auf anderer Ebene offizielle Beziehungen mit dem Souveränen Malteser-Ritter-Orden. Die Zahl ist steigend, und der Souveräne Malteser-Ritter-Orden ist als diplomatischer Partner umworben. So fand es vor wenigen Jahren in internationalen Medien eigens Erwähnung, dass bei humanitären Hilfsaktionen der Malteserorden und Einrichtungen der Republik Taiwan zusammenarbeiteten. Es wurde offen die Möglichkeit der Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen dem Souveränen Malteser-Ritter-Orden und der Republik Taiwan diskutiert. Letztere ist bekanntlich seit jeher vom Heiligen Stuhl, selber ja ein Völkerrechtssubjekt eigener Art/Völkerrechtssubjekt sui generis, diplomatisch anerkannt und verfügt mit diesem über volle diplomatische Beziehungen.
Und dann verfügt der Malteserorden über eigene Besitztümer, welche ausdrücklich als exterritorial anerkannt sind. Mitunter werden diese wiederum mitten in Rom gelegenen Objekte, zwei an der Zahl, als das Staatsgebiet des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens angesehen. Während das Vorhandensein des Staates der Vatikanstadt, kurz genannt Vatikanstaat, weitgehend bekannt ist, sieht es mit dem Heiligen Stuhl, auch genannt Apostolischer Stuhl, als einem Völkerrechtssubjekt eigener Art da nicht so gut aus. Ein sehr peinliches Beispiel war dazu das unqualifizierte Verhalten zahlreicher Bundestagsabgeordneter aus unterschiedlichen Fraktionen, unterstützt von Teilen der deutschsprachigen Medienwelt, beim Besuch Papst Benedikts XVI. 2011 in der Bundesrepublik mit seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag im Reichstagsgebäude. Sich als Expertinnen und Experten vor, während und nach der Rede im Reichstagsgebäude aufspielenden Kritikerinnen und Kritikern des Auftrittes Benedikts XVI. war ganz offensichtlich die Funktion Benedikts XVI. als Verkörperung des Apostolischen/Heiligen Stuhles als Völkerrechtssubjekt eigener Art völlig unbekannt. Dabei kommt auch in eben dieser Bundesrepublik Deutschland dem jeweiligen Nuntius als Vertreter des Apostolischen/Heiligen Stuhls mit der Stellung des Doyens die Position des obersten Vertreters des diplomatischen Corps zu. Verfügt der Apostolische/Heilige Stuhl gerade auch mit zahlreichen nichtchristlichen Staaten und solchen mit nichtkatholischen, sich christlich nennenden Konfessionen als Staatskirche, über volle diplomatische Beziehungen, so gilt dies im Grundsatz auch für den Souveränen Malteser-Ritter-Orden. Dabei ist dessen besondere Position in der Internationalen Gemeinschaft offensichtlich noch weniger bekannt als die Stellung des Apostolischen Stuhls als Völkerrechtssubjekt sui generis. Seitens des Souveränen Malteserordens wird festgestellt (https://www.orderofmalta.int/de/diplomatische-aktivitaeten/bilaterale-beziehungen/).
„Die diplomatischen Aktivitäten des Souveränen Malteserordens sind eng verknüpft mit seiner humanitären Mission. Darüber hinaus unterstützt die Präsenz von akkreditierten diplomatischen Missionen in 100 Ländern weltweit die Aktivitäten des Ordens. Auf internationalem, politischem Parkett ist der Malteserorden neutral, unparteiisch und apolitisch. Aufgrund dieser drei Merkmale kann der Orden als Mediator intervenieren, wann immer ein Staat um seine Hilfe bei Konfliktlösung bittet.“
Ein Gedenktag wie der der Weihe der Lateranbasilika ist ein guter Anlass, sich mit Interesse solchen, das internationalen Zusammenleben betreffenden Gegebenheiten zu beschäftigen, anstatt dumpfen Stammtisch- oder Bierzeltparolen zu folgen. Gerade der Blick auf die Lateranbasilika und die anderen exterritorialen Besitzungen in Rom und Umgebung, egal ob man sie dem Vatikanstaat, dem Heiligen Stuhl, dem Souveränen Malteserorden zuordnet oder wie gerne beim Campo Santo Teutonico als eigene Größe behandelt, kann auch gerade italienisch-nationalistischen pseudohistorischen Narrativen samt tagespolitischer Propaganda etwas entgegenwirken. Dies gilt umso mehr, da der 09. November auch dem liturgischen Kalender für die Feier der Heiligen Messe im Tridentinischen Ritus nach, der Festtag zum Gedenken der Weihe der Lateranbasilika ist. Egal welche Liturgie, welche Form der Heiligen Messe jemand in westlicher liturgischer Überlieferung bevorzugt, er bzw. sie kommt am 09. November jeweils zur exterritorialen Lateranbasilika.
In dieselbe Richtung weist dazu der Gedenktag bzw. Festtag des heiligen Papstes Leos I., auch genannt Leo der Große, am 10. November. Leo der Große trat in lateinischer Sprache energisch für eine starke Stellung des Papsttums ein. Ein wichtiger Gesprächs- und Vertragspartner für ihn war etwa der Vandalenkönig Geiserich. Dieser Gründer des vandalischen Staatswesens in Nordafrika entsprach nicht dem erst viele Jahrhunderte später massiv verbreiteten Klischee gegen sein Volk, sondern hielt sich an seine Abmachungen mit Papst Leo dem Großen und bewies das, was heute gerne Handschlagqualität genannt wird. Ein italienischer Nationalstaat war für den als Kirchenlehrer anerkannten Leo dem Großen nicht einmal als undenkbar denkbar, geschweige denn wünschenswert. Noch weit im 19. Jahrhundert meinte etwa der habsburgische Staatskanzler und prägende Politiker bei der Gründung des Deutschen Bundes, Clemens/Klemens Wenzel von Metternich, „Italien“ sei lediglich ein geografischer Begriff.
In der Geschichte des Kirchenstaates spielten Päpste mit dem Namen Leo eine bemerkenswerte Rolle. Leo XII. (1823-1829), mit weltlichem Namen Annibale della Genga, engagierte sich nicht zuletzt für Bildungseinrichtungen und das kulturelle Leben im Kirchenstaat und bemühte sich um die erneute Festigung des Kirchenstaates als Basis für ein politisch unabhängiges Papsttum.
Ein anderer Papst mit dem Namen Leo ist noch bekannter. Mit weltlichem Namen Vincenzo Gioacchino Pecci und einer Amtszeit von 1878 bis 1903 weist er eines der längsten Pontifikate der Kirchengeschichte auf. Schon als Bischof profilierte er sich als scharfer Kritiker der sog. Italienischen Nationalbewegung. Als Papst bemühte er sich zäh um die Wiederherstellung des durch die von Frankreich unterstütze Aggression der Dynastie von Savoyen und dem Überfall von 1870 auf Rom vernichteten Kirchenstaates. Seitens Leos XIII. kam es nicht zuletzt mit Otto von Bismarck zu einer konstruktiven Zusammenarbeit, dem er mit dem Christusorden sogar den höchsten Orden des Heiligen Stuhls verlieh. Den Kirchenstaat aber zumindest in verkleinerter Form wiederherzustellen gelang Leo XIII. nicht.
Gedanken zur Woche 136, Dr. Matthias Martin
31. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Die Begegnung Jesu von Nazarets mit dem gerne einfachhin als „Zöllner“ bezeichneten Zachäus mag anregen, sich mit Geschichte einschließlich Archäologie zu beschäftigen. Dabei stellt diese Perikope lukanisches Sondergut dar. Gerade wenn man der Zweiquellentheorie (siehe Gedanken zur Woche 99, 121, 125, 134) folgt, wird man dann von Traditio Simplex/Simplex Traditio sprechen bzw. schreiben. Auch ein Anhänger bzw. Anhängerin der zur Erklärung der Entstehung der drei synoptischen Evangelien entwickelten und eine Art Fortentwicklung der Zweiquellentheorie/Zwei-Quellen-Theorie darstellenden Vierquellentheorie/Vier-Quellen-Theorie mag sich gerne dieser Begrifflichkeit bedienen. Handelt es sich bei dieser Geschichte von der Begegnung Jesu mit dem Zöllner, oder wie es in der neuen Ausgabe der deutschen Einheitsübersetzung heißt „oberste Zollpächter“ Zachäus also um ein Stück aus einer nur dem Verfasser des Lukasevangeliums zugänglichen schriftlichen Quelle oder wurde hier aus einer bestimmten mündlichen Überlieferung geschöpft, als es zur Abfassung des Lukasevangeliums kam? Es fragt sich auch sonst, wieso in den synoptischen Evangelien immer wieder sowohl gerade lukanisches als auch matthäisches wie selbst markinisches Sondergut begegnet.
Dabei handelt es sich nicht selten um bekanntere bis besonders bekannte Stellen des Gesamtbestandes dessen, was üblicherweise „Bibel“ und im Besonderen „Neues Testament“, manchmal auch „Zweites Testament“, genannt wird. Man könnte sagen, dass solche Stellen sich mitunter besonderer Beliebtheit erfreuen, in dem, was viele als die „Christenheit“ bezeichnen.
Da sind zunächst die Weihnachtsgeschichte und so etwas wie deren Vorgeschichte bzw. umfassende Teile davon am Beginn der beiden Großevangelien nach Matthäus und Lukas.
So stellt das Vorwort des Lukasevangeliums (Lk 1,1-4) wenig überraschend lukanisches Sondergut dar. Es setzt sich mit durchaus prominenten Versen fort. So handelt es sich bei den Aussagen bezüglich der Verheißung der Geburt Johannes des Täufers (Lk 1,5-25) und der Geburt Jesu (Lk 1,26-38), dem Besuch Marias bei Elisabeth samt dem Text des Magnificats (Lk 1,39-56) und der Geburt Johannes des Täufers (Lk 1,57-80) um lukanisches Sondergut.
Aussagen zum Stammbaum Jesu finden sich bei Matthäus (Mt 1,1-17) und Lukas (3,23-38), aber namentlich nicht bei Markus. Die Aussagen zum Stammbaum Jesu oder ein Stammbaum Jesu findet sich bei diesen beiden Großevangelien nicht an derselben Stelle. Bei Matthäus finden wir es als die allerersten Verse überhaupt, bei Lukas erst als Teil des dritten Kapitels. Auch finden wir unterschiedliche Formulierungen, also jeweils Traditio Simplex/Simplex Traditio. Nur einige der insgesamt aufgeführten Namen sind bei beiden zu finden, stellen also in diesem Sinne halt so etwas wie Traditio Duplex/Duplex Traditio dar.
Eine eigene Darstellung Geburt Jesu wird wiederum im Matthäusevangelium geboten (Mt 1,28-25). Da ist sie eigenständig im Vergleich zu den anderen neutestamentlichen Evangelien, werden diese Verse gerne als matthäisches Sondergut eingestuft oder dargestellt. Ganz sicher ist die Erzählung von den Weisen, auch als Sterndeuter oder Magier bezeichnet (siehe Gedanken zur Woche 43-b), aus dem Osten matthäisches Sondergut (Mt 2,1-12). Werden diese auch nirgends in der Bibel als „Könige“ und schon gar nicht als „Heilige drei Könige“ bezeichnet, so ist doch gerade im deutschen Sprachraum betreffende außerbiblische Überlieferung Teil der Volkskultur geworden.
Demgegenüber stellt das matthäische Sondergut von einer Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten (Mt 2,13-23) einen eigenen Anlass für Diskussionen mit mehr oder minder qualifizierten Beiträgen bei als fundamentalistisch eingestuften Zeitgenossen, kritisch-historischen Exegeten bis politischen Aktivisten und Esoterikern dar.
Da spricht das lukanische Sondergut zur Geburt Jesu einschließlich den Hirten auf dem Feld (Lk 2,1-20) umso mehr Herz und Gemüt an. Die betreffenden lukanischen Verse sind für sehr viele Menschen die Weihnachtsgeschichte schlechthin. Auch die anschließenden Perikopen bzw. Verse stellen lukanisches Sondergut, also Traditio Simplex/Simplex Traditio, dar: die Stelle von der Beschneidung und der Darstellung des Jesuskindes im Tempel (Lk 2,21-40) und die vom zwölfjährigen Jesus im Tempel (Lk 2,41-52).
Auch wenn es um das öffentliche Wirken Johannes des Täufers geht, weist das Lukasevangelium Sondergut auf (Lk 3,1-6). Dies macht seine Darstellung bei allen sonst vorhandenen Gemeinsamkeiten wieder etwas verschieden von denen bei Matthäus (Mt 3,1-6) und Markus (Mk 1,1-6). Die Verse über die Bußpredigt Johannes des Täufers stellen demgegenüber eine Traditio Duplex/Duplex Traditio des Matthäus- (Mt 3,7-10) und des Lukasevangeliums (Lk 3,7-9) mit weitgehend wörtlichen Übereinstimmungen dar. Dies kann ein Anhänger, eine Anhängerin der Zweiquellentheorie als Argument für das redaktionsgeschichtliche Vorhandensein der angenommen (Logien-)Quelle Q anführen.
Eher Schwierigkeiten dürfte solchen Anhängern das anschließende lukanische Sondergut von der sog. Standespredigt Johannes des Täufers (Lk 3,10-14) bereiten. Wie die anderen ganzen Gruppen von Versen oder Perikopen von Sondergut gerade bei den beiden synoptischen Großevangelien nach Matthäus und Lukas muss, wenn man den kritisch-historischen Ansatz vertritt, auch dieses Material von irgendwoher kommen. Die sog. Standespredigt Johannes des Täufers findet sich nicht im anderen, laut Zweiquellentheorie ebenfalls auf die angenommene (Logien-)Quelle Q zurückgreifenden Matthäusevangelium. Gab es vielleicht hierfür wie für andere Elemente lukanischen Sonderguts eine eigene, nur dem Verfasser oder einer Verfasserschule des Lukasevangeliums vorliegende Quelle? Dies wiese in Richtung einer Vierquellentheorie zur Entstehung der synoptischen Evangelien. Oder lagen zumindest zwei verschiedene Varianten der gerne angenommenen (Logien-)Quelle Q vor, als es um die Abfassung des Matthäus- und des Lukasevangeliums ging? Dementsprechend wären auch die Perikopen und anderen Teile matthäischen Sondergutes auf eigene Weise erklärbar.
Diese Fragestellung wird dadurch unterstützt, dass bei aller Übereinstimmung zwischen den drei synoptischen Evangelien (Mt 3,11-12; Mk 1,7-8; Lk 3,15-18) und selbst dem Johannesevangelium (Joh 1,25-28) bei der Darstellung von so etwas wie messianischer Verkündigung Johannes des Täufers es hier gegenüber Markus so etwas wie gemeinsames matthäisches (vor allem Mt 3,12) und lukanisches Material (vor allem Lk 3,17-18) gibt, das aber auch wieder nicht ganz identisch ist. Dann gibt es auch hier gewissermaßen doch noch einmal so etwas wie johanneisches Sondergut (Joh 1,28).
Einfach ist es diesbezüglich auch nicht, wenn es bei den drei synoptischen Evangelien um die Darstellung der Verhaftung Johannes des Täufers geht (Mt 14,3-4; Mk 6,17-18; Lk 3,19-20). Bei einer Übereinstimmung im Grundsätzlichen des Vorgangs gibt es doch erkennbare Unterschiede zwischen den drei Synoptikern. Hier weisen das Matthäus- und Markusevangelium umfangreicher als das Lukasevangelium gemeinsam auf die Kritik des Johannes des Täufers an dem als Handlanger römischer Politik regierenden Herodes Antipas hin (siehe Gedanken zu Woche 15-b, 65-b und allgemein 92-b, 112 und 127). Dabei bieten aber das Matthäus- und das Markusevangelium bei der Darstellung des für die Verhaftung Johannes des Täufers der synoptischen Überlieferung zufolge verantwortlichen Herodes Antipas mit demensprechenden jeweiligen Sondergut einen Unterschied. Nach der matthäischen Erzählung hatte er von sich aus eine klare Tötungsabsicht gegen den Täufer. So heißt es im Matthäusevangelium, wenn man der neuen Ausgabe der deutschen Einheitsübersetzung folgt:
„(14,5) Dieser wollte ihn töten lassen, fürchtete sich aber vor dem Volk; denn man hielt Johannes für einen Propheten.“
Nicht so übelwollend wird der ranghohe Kollaborateur Roms bei Markus dargestellt. Da ist es mit Herodias die so umstrittene Frau an seiner Seite, welche den Täufer töten lassen will:
„(6,19) Herodias verzieh ihm<,Johannes,> das nicht und wollte ihn töten lassen. Sie konnte es aber nicht durchsetzen, (20) denn Herodes fürchtete sich vor Johannes, weil er wusste, dass dieser ein gerechter und heiliger Mann war. Darum schützte er ihn. Wenn er ihm zuhörte, geriet er in große Verlegenheit und doch hörte er ihm gerne zu.“
Schon der aufmerksame Blick in die ersten Kapitel der beiden Großevangelien, auch genannt Seitenreferenten, Matthäus und Lukas verdeutlicht also das vielfältige Vorliegen von Sondergut, generell von Unterschieden allein schon zwischen den drei synoptischen Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas. Es bestätigt dazu die Sonderstellung des Johannesevangeliums.
Dann gibt es noch eigenes markinisches Sondergut, also Worte bis ganze Perikopen, welche nur im Markusevangelium vorkommen.
1. Lesung: Weish 11,22-12,2
2. Lesung: 2 Thess 1,11-2,2
Evangelium: Lk 19,1-10
Gedanken zur Woche 136-b, Dr. Matthias Martin
ALLERHEILIGEN und ALLERSEELEN - 31. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Die Tage von ALLERHEILIGEN und ALLERSEELEN sind eine herausragende Zeit im Jahr. Hier kann man bewusst auf Ausdrücke wie „liturgisches Jahr“ und „Kirchenjahr“ verzichten und stattdessen eine allgemeine Formulierung wie „im Jahr“ verwenden. Wie die Berücksichtigung in nichtkirchlichen Massenmedien und der Niederschlag in gesellschaftlichem Leben und in der Volkskultur in vielen Regionen zeigt, sind ALLERHEILIGEN und ALLERSEELEN nicht nur für praktizierende Katholikinnen und Katholiken oder solche, die sich selber noch als irgendwie katholisch bzw. römisch-katholisch identifizieren, von Belang. Mit ALLERHEILIGEN und ALLERSEELEN werden vielmehr Menschen über konfessionelle und nationale Grenzen, ja über Unterschiede in der Religionszugehörigkeit, hinweg angesprochen.
Es gibt durchaus eine mangelnde Abgrenzung bis Verwirrung bezüglich der unterschiedlichen Akzentsetzung dieser beiden Feste I. Klasse, eben ALLERHEILIGEN und ALLERSEELEN. Gerne werden sie wohl etwas zu sehr in einen Topf geworfen. Dabei ist ALLERHEILIGEN der vom Grundverständnis freudige Festtag für alle Heiligen, die bekannten und die viel zahlreicheren unbekannten Heiligen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Opfer so groß angelegter Christenverfolgungen wie den Wellen römischer Christenverfolgungen über Generationen hinweg, der japanischen Christenverfolgung mit ihrem Höhepunkt im 17. Jahrhundert und Fortgang bis ins 19. Jahrhundert, der mexikanischen im 20. Jahrhundert und natürlich den kommunistischen im 20. Jahrhundert äußerstenfalls geschätzt werden können (siehe Gedanken zur Woche 130-b). Wie es sich nicht zuletzt in Verfilmungen niederschlägt, sind die meisten derer, die im Sinne kirchlicher Überlieferung gesprochen, die Krone des Martyriums erlangten, für die historische Überlieferung unbekannte Märtyrerinnen und Märtyrerinnen und damit für uns hier auf Erden unbekannte Heilige.
Dies gilt natürlich erst recht für die englisch-britischen Verfolgungen in Ländern wie Schottland, Wales, Irland und Cornwall, wo eine gezielte Katholikenverfolgung und die (versuchte) Vernichtung nationaler Identität Hand in Hand ging. Religionsverfolgung und ethnisch orientierte Genozidpolitik wurden da nicht getrennt. Umgekehrt wurden engagierte Katholikinnen und Katholiken zu Vorkämpferinnen und Vorkämpfern für die Bewahrung nationaler Identität. Dies gilt auf eigene Weise auch für den Bereich von Nordengland mit seinen ganz eigenen Traditionen auch im sprachlichen Bereich und York als geschichtlichem Zentrum. Die „Wallfahrt der Gnade“ als Aufstandsbewegung gegen den englischen Gewaltherrscher und Katholikenverfolger Heinrich VIII. (siehe Gedanken zur Woche 130) stellt da einen heroischen wie tragischen Höhepunkt konfessionellen Widerstandes dar, der mit regionalem Selbstbehauptungswillen Hand in Hand ging. Es waren in den letzten Jahren nicht zuletzt einige Katholikinnen und Katholiken, welche sich bemühten, dem letzten Herrscher aus dem Königshaus von York, Richard III. als tragischen Verlierer des Machtkampfes mit der rücksichtslos ihren Weg zum Thron bahnenden und ganz offensichtlich illegitimen Dynastie der Tudors Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Einst ging mit Richard III. der letzte tatsächlich regierende Vertreter des Hauses York und damit der Weißen Rose in den englischen Rosenkriegen in der Schlacht von Bosworth im Jahre 1485 kämpfend in den Tod. Später scheiterten dann verschiedene Aufstandsbewegungen gegen die mit Heinrich VIII. aus dem Hause Tudor beginnenden offenen Katholikenverfolgungen. Der enge Zusammenhang nationalen Widerstandes und Treue zur katholischen Kirche wurde dann noch einmal im 18. Jahrhundert bei den vom Königshaus der Stuart angeführten schottischen Aufständen deutlich. Beim letzten Aufstand von 1745 drangen schottische Truppen vorübergehend sogar nach England vor und fanden offensichtlich gerade in Nordengland Unterstützung bei durch London unterdrückten Katholiken, welche sich ihnen anschlossen.
Der enge Zusammenhang von nationaler Identität und Treue zur katholischen Kirche zeigt sich auch in der Ukraine samt einst ukrainisch besiedelten Gebieten. Die Ukrainisch-Katholische Kirche gewann zentrale Bedeutung für die ukrainische nationale Bewegung. Dies zeigte sich ab der Zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Gefolge der russischen Westexpansion. Russische Machtpolitik bedeutete schon damals massive Verfolgung der Ukrainisch-Katholischen Kirche. Die Verfolgungen setzten sich bei aller Grausamkeit im 19. Jahrhundert mit schwerwiegenden Folgen fort (siehe allgemein Gedanken zur Woche 120-b). Gerade nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Ukrainisch-Katholische Kirche auch zur Verteidigerin des ukrainischen Volks und mit ihm verbundener Menschen gegen die polnische Machtpolitik. So trat etwa der ukrainisch-katholische Metropolit Andrey Sheptytsky, mitunter Andrej Sheptyckyj geschrieben, auch zugleich mutig für die Rechte orthodoxer Christen im polnischen Machtbereich gegen das Warschauer Regime ein. Nicht zuletzt in Hinblick auf die ukrainisch-katholischen wie die ukrainisch-orthodoxen Opfer ist man gedrängt zur sagen, dass nur Gott ihre Zahl kennt (siehe dazu auch Gedanken zur Woche 128-b, 130-b und 134-b).
An ALLERHEILIGEN mit der Liturgiefarbe Weiß mögen gläubige Menschen all der unbekannten Märtyrinnen und Märtyrer gedenken. Insbesondere an ALLERSEELEN mit Violett oder Schwarz an liturgischen Farben sind alle eingeladen, für die Opfer von Krieg, Gewalt und Verfolgung zu beten. Die unterschiedlichen liturgischen Farben mögen den Akzentunterschied verdeutlichen helfen.
Der Besuch der Heiligen Messe, Friedhofsbesuch und Gebete für Verstorbene werden für diese Tage durch die kirchliche Überlieferung den Menschen besonders ans Herz gelegt.
Das Entzünden von Kerzen und besonderen Lichtern, das Aufstellen von Bildern Verstorbener, die Verwendung von Weihwasser und das Niederknien haben da ihren guten Platz. Der Mensch besteht ja aus Leib und Seele. Leiblich-sinnenhafte Elemente haben dementsprechend ihren guten berechtigten Platz im religiösen Leben. Der Blick über konfessionelle Grenzen hinweg unterstreicht dies. Immer wieder begegnen uns Elemente wie eine besondere Körperhaltung bei Gebet und Meditation, das Entzünden von Lichtern, Aufstellen und Anfertigen verschiedener Arten von Bildern in den verschiedenen Religionen.
Verbunden mit religiösem Leben ist sehr oft das ehrende Gedenken an Menschen, welche den heute Lebenden vorangegangen sind. Das Gebet für Verstorbene ist etwas ganz grundsätzlich menschliches, egal ob man das Zweite Buch der Makkabäer im Alten/Ersten Testament, Texte eines Messbuches und die Liste der sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit gelesen hat oder nicht (siehe Gedanken zur Woche 34-b). Solche Grundhaltungen und existentiellen Handlungen finden sich gerade auch außerhalb von so etwas wie jüdisch-christlicher Gesamtüberlieferung. Von verschiedener Seite wurde und wird festgehalten, dass das Gebet für Verstorbene etwas ganz grundsätzlich Menschliches ist, welches nicht an eine bestimmte Theologie, Konfession, Religion, Volksgruppe und Nation gebunden ist. Das interkonfessionelle wie internationale Interesse an den Tagen von ALLERHEILIGEN und ALLERSEELEN bekräftigt dies.
Im Sinne spezifisch christlicher Theologie mag man zugunsten leiblich-sinnenhafter Elemente bedenken, dass in Jesus von Nazaret göttliche und menschliche Natur vereint sind. Uns tritt mit der Zweiten Person aus der Allerheiligsten Dreifaltigkeit also nicht nur die göttliche, sondern eben auch die menschliche Natur gegenüber. Und zum Menschsein gehören eben bei all seiner wiederum unverzichtbaren Bedeutung nicht nur abstraktes Denken und so etwas wie geistig-geistliche Gedankengänge, sondern eben auch sinnenhafte Elemente, die Leiblichkeit in ihrer Fülle und Vielfalt.
Wer ein besonderes Interesse an der Filmkunst hat, mag den Blick auf die am längsten ausgestrahlte Unterhaltungsserie „Guiding Light“, auch genannt die „Längste Seire aller Zeiten“, werfen. In den letzten Jahren der Dauerserie tritt mit der Filmgestalt Natalia Rivera Aitoro eine ebenso sympathische wie im gewissen Sinne katholisch-konservative Persönlichkeit auf. Zu ihrem religiösen Leben gehören Marienverehrung, religiöse Gegenstände, regelmäßiger Besuch der Heiligen Messe wie das Entzünden von Kerzen in der Kirche. Im Laufe der Handlung beeindruckt sie stark ihre bisher so kirchen- ja christentumsferne Chefin Olivia Spencer und deren Tochter Emma.
Gedanken zur Woche 135, Dr. Matthias Martin
30. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Mit dem WELTMISSIONSSONNTAG werden die Christinnen und Christen, namentlich die Katholikinnen und Katholiken, auf einen essentiellen Bestandteil des Christseins hingewiesen. Auf diesen werden wir durch das so lesenswerte Alte/Erste Testament hingeführt und im Neuen/Zweiten Testament mit den vier dort enthaltenen Evangelien, den verschiedenen Briefen, einer Apostelgeschichte und einem Buch der Offenbarung wird dies dann wiederholt sehr direkt ausgesprochen (siehe Gedanken zur Woche 23, 32, 32-b, 61 und 83).
Das Hinausgehen zu allen Völkern einschließlich der Hinwendung zu den fernsten Inseln, um das Evangelium zu verkündigen, die Botschaft von Glauben, Hoffnung und Liebe zu verwirklichen, ist und bleibt christlicher Grundauftrag. Schon die Bezeichnung katholisch/Katholisch macht diese grenzüberschreitende und letztlich weltweite Orientierung deutlich. Heißt dieser Ausdruck doch so viel wie allgemein, (all-)umfassend und wird auch manchmal mit universal wiedergegeben. Egal ob mit der Errichtung eines Bistums mit Pfarrgemeinden und Klöstern schon in Zeiten, die man heute Mittelalter nennt, in Grönland (siehe Gedanken zur Woche 128-b) oder mit dem Wirken in neuerer Zeit in pazifischen Nationen wie dem Königreich Tonga und der Republik Nauru (siehe Gedanken zur Woche 67-b), immer wieder wird dieser Missionsauftrag verwirklicht.
Auch im Kirchenrecht schlagen sich Missionsauftrag und Missionstätigkeit nieder. So ist im gegenwärtigen CODEX IURIS CANONICI/CODEX DES KANONISCHEN RECHTES, dem CIC von 1983, mit Buch III dem VERKÜNDIGUNGSDIENST DER KIRCHE ein eigenes Buch gewidmet (Kanones 747-833). In den Kanones 747 bis755 wird die Gesamtthematik eher allgemein abgehandelt Die Kanones 756 bis 780 behandeln nach der bisher verwendeten Ausgabe unter Titel I den DIENST AM WORT GOTTES. In den Kanones 762 bis 772 geht es eigens um die PREDIGT DES WORTES GOTTES. In Kapitel II dieses Buches III wird in den Kanones 773 bis 780 die KATECHETISCHE UNTERWEISUNG angesprochen. Unter Titel II geht es mit den Kanones 781 bis 792 dann im engeren Sinne um die MISSIONSTÄTIGKEIT DER KIRCHE.
Interessant ist, dass im Rahmen des Titels III, das eingeordnet ist, was im Deutschen sehr gerne Erziehung, Bildung und Wissenschaft genannt wird. Dabei sind die Kanones 793 bis 795 eher allgemeineren Inhalts. In Kapitel I und den Kanones 796 bis 806 geht es dann im Besonderen um die SCHULEN. In Kapitel II mit den Kanones 807 bis 814 sind ausdrücklich KATHOLISCHE UNIVERSITÄTEN UND ANDERE HOCHSCHULEINRICHTUNGEN das Thema. Um KIRCHLICHE UNIVERSITÄTEN UND FAKULTÄTEN geht es im Kapitel III mit den Kanones 815 bis 821. Rasanten Veränderungen in den letzten Jahrzehnten war unterworfen, was etwas mit dem Titel IV unter der Überschrift SOZIALE KOMMUNIKATIONSMITTEL, INSBESONDERE BÜCHER in den Kanones 822 bis 832 angesprochen wird. Denken wir nur an Schlagworte wie Internet, Telekommunikation und Satellitenfernsehen. Schließlich begegnet noch unter dem Titel V ABLEGUNG DES GLAUBENSBEKENNTNISSES in diesem Buch III über den Verkündigungsdienst der Kirche der einzelne Kanon 833.
Damit bietet dieser Teil des Kirchenrechts eigens eine Anregung und Ermutigung zu eifrigem Streben im Bereich von Bildung und Wissenschaft. Der Irreführung durch Fideismus mit allen seinen Schattierungen und Beweggründen wird damit auch hier, inmitten des CIC, eine klare Absage erteilt.
Klerikalistischer Anmaßung wie unheiligen Allianzen samt jeder Form von Rassismus wird in dem dieses Buch III des CIC von 1983 einleitenden Kanon 747 eine klare Absage erteilt:
„§ 1. Christus der Herr hat der Kirche das Glaubensgut anvertraut, damit sie unter Beistand des Heiligen Geistes die geoffenbarte Wahrheit heilig bewahrt, tiefer erforscht und treu verkündigt und auslegt; daher ist es ihre Pflicht und ihr angeborenes Recht, auch unter Einsatz der ihr eigenen sozialen Kommunikationsmittel, unabhängig von jeder menschlichen Gewalt, allen Völkern das Evangelium zu verkündigen.
§ 2. Der Kirche kommt es zu, immer und überall die sittlichen Grundsätze auch über die soziale Ordnung zu verkündigen wie auch über menschliche Dinge jedweder Art zu urteilen, insoweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern.“
Eine Ermutigung, ja Aufforderung persönlich nach besten Kräften nach der Wahrheit zu streben bietet der nachfolgende Kanon 748:
„§ 1. Alle Menschen sind gehalten, in den Fragen, die Gott und seine Kirche betreffen, die Wahrheit zu suchen; sie haben kraft göttlichen Gesetzes die Pflicht und das Recht, die erkannte Wahrheit anzunehmen und zu bewahren.“
Pastoraler Übereifer, der bis hin zur offensiven Zusammenarbeit mit totalitären Regimen gehen konnte und gehen kann, sollte ausgeschlossen sein. Man hat da bei der Indienstnahme kirchlicher Strukturen im Sinne großkastilisch-spanischer wie französischer Expansions- und Einschüchterungspolitik schon seit den Tagen des Mittelalters sehr Übles erlebt. So stellte der spätere Papst Benedikt XVI. in seinem Bestseller „Zur Lage des Glaubens“ fest, dass die berüchtigte spanische Inquisition nicht eine kirchliche Einrichtung, sondern ein durch das päpstliche Rom wiederholt kritisiertes Instrument des spanischen Königtums war (siehe allgemein Gedanken zur Woche 106-b). Selbst hartgesottene spanische Monarchisten und Verteidiger des spanischen Staatswesens in seiner gegenwärtigen Ausdehnung gingen bezeichnenderweise auf Tauchstation und verzichteten darauf, den damaligen Kardinal Joseph Ratzinger öffentlich zu attackieren. Sie verzichteten auch auf öffentliche Angriffe auf Papst Johannes Paul II., der ja Joseph Ratzinger zum Präfekten der Glaubenskongregation und zu seinem wohl wichtigsten theologischen Mitarbeiter gemacht hatte. Auch Paul VI., der einst Joseph Ratzinger zum Erzbischof von München-Freising und zum Kardinal berufen hatte, wurde dieses Mal aus der spanischen Richtung nicht angegriffen, zumindest nicht öffentlich. Dabei hatte sich Paul VI. gerade als ein Freund des baskischen Volkes erwiesen. Wie sein Vorgänger Johannes XXIII., unter dem der junge Joseph Ratzinger an Vorbereitung und Durchführung des Zweiten Vatikanischen Konzils mitwirken durfte, stärkte er Kirchenmitarbeitern den Rücken, die sich insbesondere für Basken und Katalanen mit ihren eigenen Sprachen und Kulturen einsetzten. Ganz in diesem Sinne äußerte sich später auch ausdrücklich Papst Benedikt XVI. (siehe Gedanken zur Woche 31-b und 106-b).
Die Bekämpfung der Katharer gerade in ihren okzitanischen Hochburgen wurde längst als „französischer Kolonialkrieg“ bezeichnet. In der Monographie „Die große Ketzerei. Verfolgung und Ausrottung der Katharer durch Kirche und Wissenschaft“ von Lothar Baier lautet sogar eine Kapitelüberschrift „Aus dem päpstlichen Kreuzzug wird ein französischer Kolonialkrieg“ (zitiert nach der Ausgabe: Berlin 1994, Neuausgabe von 1991, Seite 5 und 123). Auch wird dort gemeint „Der Austausch des autochthonen durch den französischen Adel war nichts anderes als der Auftakt zur französischen Kolonialisierung … “ (ebd., Seite 129). Dabei wurde dieses Buch sogar in dem profranzösischen europäischen Kulturkanal ARTE empfohlen. Das sich seinerzeit allmählich entwickelte Instrumentarium der französischen Staatsmacht wurde dann z. B. auch gegen Päpste wie Bonifaz VIII, Urban VI. und seine römische Obedienz (siehe Gedanken zur Woche 133-b), Innozenz XI. und ihnen gegenüber loyalen Menschen eingesetzt. Dabei behauptete die französische Staatsmacht fortwährend, im katholischen Sinne zu handeln. Umso besser ist es, u. a. auch den zweiten Paragraphen von Kanon 748 wahrzunehmen:
„§ 2. Niemand hat jemals das Recht, Menschen zur Annahme des katholischen Glaubens gegen ihr Gewissen durch Zwang zu bewegen.“
1. Lesung: Sir 35,15b-17.20-22a
2. Lesung: 2 Tim 4,6-8.16-18
Evangelium: Lk 18,9-14
Gedanken zur Woche 135-b, Dr. Matthias Martin
30. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Das Leben und Wirken des heiligen Antonius Maria Claret (1807-1870) spiegelt in vielfältiger Weise historische Gegebenheiten und kirchliche Entwicklungen seiner Zeit wider.
So verdeutlicht der Umstand, dass sein Geburtsort das (süd-)katalanische Sallent, das sogar in der Provinz von Barcelona gelegen ist, wie wichtig das seit Jahrhunderten geteilte Katalonien für die Weltkirche war und ist. So war auch der heilige Petrus Claver (1580-1654) ein gebürtiger Katalane (siehe Gedanken zur Woche 128-b).
Beide wurden Ordensleute. Während der heilige Petrus Claver in eine bestehende Ordensgemeinschaft eintrat, gründete der heilige Antonius Maria Claret eigene Gemeinschaften des Ordenslebens. So schuf er 1849 als Gemeinschaft für Männer die „Söhne des Unbefleckten Herzens Mariens“ bezeichnenderweise im (süd-)katalanischen Vic, nicht allzu weit entfernt von seiner Geburtsstadt Sallent. Diese Gemeinschaft wird kurz die Claretiner genannt. 1855 kam es auf der Insel Kuba zur Gründung der vor allem in der Ausbildung und Erziehung von Mädchen tätigen Frauengemeinschaft der „Missionarinnen vom Unbefleckten Herzen Mariens“, spanisch genannt die „Religiosas de María Immaculada“ (https://www.claret.org/es/familia-claretiana/religiosas-de-maria-inmaculada-misioneras-claretianas-r-m-i/). Sie werden kurz die Claretinerinnen genannt. Die betont marianischen Namen für die Ordensgründungen lagen gewissermaßen im damaligen Trend. Im Jahr 1854 wurde etwa durch den seligen Papst Pius IX. offiziell das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens verkündet. Die dogmatische Definition stieß in der katholischen Kirche auf weitreichendste Zustimmung. Die betreffende theologische Position hatte sich vorher schon im Kirchenvolk und nicht zuletzt in den Ordensgemeinschaften durchgesetzt. Patrozinien und die gelebte Volksfrömmigkeit bezeugten dies. In diesem Sinne allein schon verdient auch das Ehrenmal am Johann-Michael-Ehmann-Platz in Stein an der Donau Beachtung. Auch auf Seiten des offiziellen Lehramtes war zusehends der Weg in die Richtung gewiesen worden, wie sie dann sowohl in der dogmatischen Verkündigung durch Pius IX. 1854 wie durch die Wahl der Namen für seine Ordensgründungen seitens des heiligen Antonius Maria Claret weitere Bestätigungen fand.
War nun das katalanische Geburtsland des heiligen Antonius Maria Claret schon im 19. Jahrhundert wiederholt Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen, sowohl im Rahmen des Eroberungskrieges Napoleons I. gegen die Iberische Halbinsel als auch bei den verschiedenen innerspanischen Auseinandersetzungen wie den Carlistenkriegen, so war Kuba wie auch Puerto Rico in der Karibik noch spanische Kolonie. Verschiedene Aufstände und Unruhen konnten daran lange nichts ändern. Claret wirkte dort von 1850 bis 1857 als Erzbischof von Santiago de Cuba. Ihm wird zugute gehalten, dass er sich sehr für das einsetzte, was heute sehr oft die Menschenrechte genannt wird. Besonders soll er für die Sklaven gewirkt haben, was darauf hinweist, dass das angeblich so „katholische“ Spanien in seinen verbliebenen Kolonien besonders hartnäckig an der Sklaverei festhielt. In Kuba wurde die Sklaverei erst im Jahre 1886 offiziell beendet, also über zwanzig Jahre nach Ende des Bürgerkrieges, auch genannt der Krieg der Staaten, in den USA. Vor allem ist zu bedenken, dass über die Jahrhunderte Päpste immer wieder die Abschaffung der Sklaverei und die Befreiung versklavter Menschen gefordert hatten (siehe Gedanken zur Woche 26-b und 76-b). Man sieht, auch anhand der Geschichte der Sklaverei im spanischen Machtbereich, wie sehr immer wieder ein katholisches Mäntelchen einen sehr unchristlichen Kern umhüllen kann. So bietet die Lebenszeit von Heiligen wie des heiligen Petrus Claver und des heiligen Antonius Maria Claret auch heute noch sehr aufschlussreiche Hinweise, ja aufrüttelnde Mahnungen, gegen Heuchelei und Unmenschlichkeit anzukämpfen.
Das Joch spanischer Kolonialherrschaft wurde in Kuba und Puerto Rico einschließlich den Spanischen/Puerto-Ricanischen Jungfraueninseln wie in den im Pazifik gelegenen Philippinnen und der Insel Guam erst mit dem für Spanien so blamablen Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 beendet. Gerade auf den Philippinen folgten nun aber dauernde Konflikte mit den USA. US-kritische Bewegungen wurden blutig niedergeworfen. 1943 kam es mit der Unterstützung Japans und seiner Verbündeten zu einer erneuten Unabhängigkeitserklärung der Philippinnen. Der so entstandene Staat, manchmal die Zweite Philippinische Republik, sonst einfach Republik der Philippinen genannt, beteiligte sich u. a. an der Konferenz von Tokyo im November 1943. Dieses von den schließlich siegreichen Alliierten nicht anerkannte Staatswesen ging 1945 unter. 1946 erkannte die USA aber die Unabhängigkeit der Philippinnen offiziell an. Diese konnten sich über die Jahrzehnte hin allmählich etwas gegenüber den USA emanzipieren, wobei der Kalten Krieg einschließlich der US-Niederlage im Vietnamkrieg samt hartnäckigen Protesten gegen die US-Politik von zentraler Bedeutung waren. Auch sollte hier nicht die energische Politik des nach 1945 rasch wiedererstandenen Japanischen Kaiserreichs wie die der Republik Taiwan außer Acht gelassen werden.
Kubas Unabhängigkeit hatte die USA nominell schon 1898 anerkannt. Tatsächlich aber war Kuba noch mehrere Jahrzehnte unter völliger US-Dominanz. Dies ändere sich erst massiv mit dem Sieg Fidel Castros und der gegen die USA gerichteten zusehends kommunistischen Gleichschaltungspolitik. Die verbleibende US-Kontrolle des Stützpunktes Guantánamo ist immer wieder Anlass für Kritik auf internationaler Ebene. Umgekehrt gehören verschiedene nicht- bzw. antikommunistische Parteien als Mitglieder der Liberalen Internationalen an (https://liberal-international.org/our-members/regions/latin-america/). Gerade in den USA verfügen antikommunistische Organisationen von Exilkubanern über wahrnehmbarem Einfluss. Hier wünscht man sich eine rasche und konsequente Zerschlagung des gegenwärtig noch vorhandenen kommunistischen Regimes auf Kuba. Organisationen von Exilkubanern haben über die Jahrzehnte hin immer wieder antikommunistische Widerstandsbewegungen in anderen Ländern unterstützt. Dies konnte bis zur Teilnahme eigener Freiwilliger an Kampfhandlungen gehen. Offensichtlich geschah dieses exilkubanische Engagement mit ziemlichem Erfolg.
Ist die Zukunft von Kuba Gegenstand von Spekulationen und Auseinandersetzungen, so ereignet sich in anderen Staaten der Karibik auf seine Weise offensichtlich Bemerkenswertes.
In September bis November 2021 wurde der Staat Barbados erfolgreich in eine Republik umgewandelt. Mit der offensichtlich sehr beliebten Sandra Mason wurde erstmals eine eigene Präsidentin gewählt, welche die damalige britische Königin als nominelles Staatsoberhaupt ablöste. Barbados wurde damit zur derzeit jüngsten Republik auf internationaler Bühne.
Auch sonst laufen nicht zuletzt in der Karibik, wo einst der heilige Antonius Maria Claret wirkte, Emanzipationsprozesse. Auf dem Weg in Richtung Republik mit einem eigenen, demokratisch gewählten Staatsoberhaupt schreitet der Staat von Antigua und Barbuda voran. Starke republikanische Bestrebungen gibt es auch auf Jamaika und vielleicht noch etwas schwächer in Belize. Im Auge zu behalten ist die mögliche Zukunft der bereits mit starker Selbstverwaltung bis hin zu Teilen einer eigenen Außenpolitik ausgestatteten britischen Überseeterritorien in der Karibik wie Anguilla, die Britischen Jungfraueninseln, die Kaimaninseln, Montserrat und die der Karibik benachbarten Turks- und Caicosinseln.
Gedanken zur Woche 134, Dr. Matthias Martin
29. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Die Aufforderung zum beharrlichen Gebet, wie sie uns im lukanischen Gleichnis vom ungerechten Richter und der Witwe begegnet, hat gerade in unserer Zeit ihre Bedeutung. Solch ein Gleichnis ist keineswegs „Schnee von gestern“ oder in einem abwertenden Sinne „Altes Eisen“. Dies gilt umso mehr, da dieses etwas schillernde Gleichnis, in den beiden darauffolgenden Versen noch vertieft und zugleich verallgemeinert wird. Stellt dieses Gleichnis samt den beiden angefügten Versen lukanisches Sondergut, also eine nur im Lukasevangelium enthaltene Traditio Simplex/Simplex Traditio dar, so findet sich bereits im Elften Kapitel des Lukasevangeliums ein in dieselbe Richtung weisendes Gleichnis. Auch dieses Gleichnis vom bittenden bzw. vom erhörenden Freund (Lk 11,5-8) stellt wiederum lukanisches Sondergut dar. Wird es fortgeführt mit einer allgemeinen gehaltenen Aufforderung zum vertrauensvollen, beharrlichen Gebet (Lk 11,9-13), so haben wir hierzu eine im Wortlaut weitgehend übereinstimmende Parallelstelle im Matthäusevangelium (Mt 7,7-11). Damit bietet uns diese Aufforderung zum beharrlichen Gebet eine in den beiden Seitenreferenten oder Großevangelien unter den synoptischen Evangelien enthaltene Traditio Duplex/Duplex Traditio/Duplex Traditio. Umso mehr mag diese Art Doppelstelle (eben Lk 11,9-13 und Mt 7,7-11) zum Thema beharrliches Gebet gerade für die Anhänger einer Matthäuspriorität, also der Meinung, wonach das Matthäusevangelium überhaupt das älteste der Evangelien sei, seinen Reiz haben (siehe Gedanken zur Woche und 99 und 130-b). Dies gilt ebenso für Befürworter einer Matthäuspriorität im Rahmen der Zwei-Evangelien-Theorie einschließlich Griesbachhypothese und Neo-Griesbachhypothese (siehe eigens Gedanken zur Woche 99). Natürlich können diese bei Matthäus und parallel dazu bei Lukas im Sinne beharrlichen Gebetes zu findenden Worte auch eigens Anhänger der Zwei-Quellen-Theorie/Zweiquellentheorie ansprechen mit der in diesem Erklärungsmodell als von zentraler Bedeutung angenommenen (Logien-)Quelle Q (siehe Gedanken zur Woche 78-b, 119 und 125). Das gilt natürlich ebenso für Anhängerinnen und Anhänger jener Erklärungsmodelle zur Entstehung namentlich der drei synoptischen Evangelien, welche ohne diese (versucht) rekonstruierte Logienquelle/Quelle Q bei ihren Überlegungen auskommen.
Da mag einem etwa auch die nach dem britischen Theologen Austin Farrer benannte Farrerhypothese, auch genannt die Farrer-Theorie, in den Sinn kommen. Ihr zufolge sei wiederum zuerst das Markusevangelium geschrieben worden. Unter Benutzung dieses damit schon vorliegenden Markusevangeliums sei dann das Matthäusevangelium entstanden. Mit sowohl dem bereits vorliegenden Markusevangelium wie dem ebenfalls als bereits abgefassten Matthäusevangelium als möglichen Quellen sei es danach zur Entstehung des Lukasevangeliums gekommen. Damit liegt hier wiederum ein Erklärungsmodell ohne Annahme der (Logien-)Quelle Q vor, von der bisher ja weder ein Exemplar, noch der Teil eines Mauskriptes noch eine (ausdrückliche) Erwähnung in antiken Schriften, seien sie christlichen oder außerchristlichen Ursprungs, gefunden wurde.
Demgegenüber stellt die Urmarkus-Hyopthese mit der grundsätzlichen Annahme, dass zur Zeit der irgendwie durchgeführten Abfassung des Matthäus- und des Lukasevangeliums das Markusevangelium noch nicht ganz in der jetzigen kanonischen Form vorgelegen sei, eine Art Fortentwicklung oder Verfeinerung der Zwei-Quellen-Theorie mit der Annahme einer so wichtigen (Logien-)Quelle Q dar. Auch in der Vierquellentheorie wird von dieser (Logien-)Quelle Q ausgegangen. Damit haben wir auch bei der Vierquellentheorie ein Erklärungsmodell für die Entstehung der drei synoptischen Evangelien, welches in engem Verhältnis zur Zwei-Quellen-Theorie steht.
So mögen schon ein paar Verse eines synoptischen Evangeliums zu umfangreichen Studien, ja eigenständigen wissenschaftlichen Aktivitäten anregen. Vielleicht kommt es ausgehend von einer gezielten Suche nach der erwähnten und versuchterweise rekonstruierten (Logien-)Quelle Q zu eigenen archäologischen Kampagnen und neuem einschlägigem Durchforschen vorhandenen Quellenmaterials.
Natürlich sollte bei Meinungsverschiedenheiten, auch wenn sie die Entstehung biblischer Bücher und deren Teile betreffen, nie das Gebot der Nächstenliebe verletzt werden. Das Gebot der Nächstenliebe findet sich doch schon im Alten/Ersten Testament, also ohne, dass man überhaupt auf synoptische Evangelien oder andere Schriften des Neuen/Zweiten Testamentes zurückgreifen müsste. Im Neuen/Zweiten Testament wurde dieses Gebot der Nächstenliebe dann mit dem ebenfalls schon in den Fünf Büchern Mose, dem Pentateuch, der Thora/Tora/Torah, vorhandenen Gebot der Gottesliebe zum doppelten Leibesgebot verbunden. Das sollte nicht vergessen werden. Das haben wir sogar in unterschiedlicher Ausformulierung in allen drei synoptischen Evangelien, also letztlich in einer Traditio Tripelx/Triplex Traditio zum Nachlesen (Mt 22,34-40; Mk 12,28-34; Lk 10,25-28).
Oder denken wir an das Hohelied der Liebe im Ersten Korintherbrief (1 Kor 13,1-13) mit seiner Würdigung der Liebe als höchste drei christlichen Grundtugenden von Glauben, Hoffnung und eben Liebe. Das ist ja auch wieder eine sehr starke Aussage, egal ob man diesen Ersten Korintherbrief, den Jakobusbrief oder eine andere Schrift für die älteste Schrift des ganzen Neuen/Zweiten Testaments hält. Auch hier sollten etwaige Meinungsverschiedenheiten nicht Anlass geben zu Hass und Streit. Die Erzählung vom Krieg der Amalekiter gegen die Israeliten unter Mose mit Aron und Joshua im Buch Exodus mag auf seine Weise anregen, sich um Frieden und freundliches Miteinander zu bemühen.
Und natürlich sind wir ganz im Sinne des Zweiten Timotheusbriefes, wie auch der Römischen Synode des Jahres 382, der Konzilien von (Basel – Ferrara -) Florenz (1439-1445 bzw. 1431-1445), Trient (1545-1563) und letztlich auch des Ersten (1869-1870) und Zweiten (1962-1965) Vatikanischen Konzils eingeladen, uns mit allen biblischen Büchern zu beschäftigen.
Nicht zu trennten von einem christlichen Leben ist dabei das Gebet. Das Gebet mögen wir pflegen, als Einzelne, in kleineren und größeren Gruppen und nicht zuletzt in einem kirchlich-liturgischen Rahmen. Solches finden wir natürlich grundsätzlich und vielfältig auch in außerchristlichen Überlieferungen, was ein eigener Ansporn sein mag. Schließlich gehört das Beten für die Lebenden und die Verstorbenen in der katholischen Überlieferung eigens zu den sieben geistigen Werken der Barmherzigkeit. Nicht zuletzt das Beten für Verstorbene ist etwas ganz allgemein menschliches, was nicht an eine bestimmte Konfession, Religion oder Kultur gebunden ist.
Um das Tun guter Werke, die Verwirklichung von Werken der Nächstenliebe mögen sich ja eigens die Christinnen und Christen ganz generell bemühen. Jede und oder jeder ist eingeladen, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten wie auch Schwächen und Fehler sich hier einzubringen. Gerade auch zum Beten bieten uns Bibel und kirchlich-religiöse Überlieferung enorm viele Anregungen. Das Beten möge unsere Gedanken immer wieder reinigen, unser Sinnen und Trachten auf das Gute hin ausrichten und unsere Gemeinschaft mit Gott und den Menschen bestärken.
1. Lesung: Ex 17,8-13
2. Lesung: 2 Tim 3,14-4,2
Evangelium: Lk 18,1-8
Gedanken zur Woche 134-b, Dr. Matthias Martin
29. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Gerade bei Nichtkatholiken ist die Redensart bekannt „Rom denkt in Jahrhunderten und Jahrtausenden“. Mit Rom ist hier natürlich nicht an den Sitz der Regierung und des Staatsoberhauptes der gegenwärtigen Republik Italien gedacht. Diese besteht erst seit dem Jahre 1946. Vorher hatte es das nicht sehr langlebige Königreich Italien gegeben, nachdem sich in verschiedenen gerade auch gegen den Kirchenstaat gerichteten Eroberungskriegen die Dynastie der von Savoyen verschiedene Staaten und Territorien mit je eigenen Sprachen und örtlichen Kulturen unterworfen hatte. Hatten sich die Päpste schon früher wiederholt gegen den italienischen Nationalismus einschließlich gegen den Eintritt des dann als Königreich Italien vorhandenen Staatswesens in den Ersten Weltkrieg gestellt, so veröffentlichte im Jahre 1931 Papst Pius XI. mit „Non abbiamo bisogno“ eigens eine Enzyklika, in welcher er Regierungssystem und Ideologie des unter dem Schirm und im Auftrag des Königs herrschenden italienischen Faschismus klar verurteilte.
Dabei blieb es nicht bei dieser Enzyklika als päpstlicher Kritik an der als Faschismus firmierenden Ausgabe des italienischen Nationalismus (siehe Gedanken zur Woche 30, 71-b und 80-b). Dies hinderte insbesondere die westlichen Großmächte wie die italienische Monarchie nicht, noch jahrelang mit dem Mussolini-Regime gemeinsame Sache zu machen (siehe Gedanken zur Woche 60-b). Die italienische Monarchie ging erst 1943 auf Distanz zu Mussolini und seinen verbleibenden Getreuen, was zur Spaltung Italiens führte. Offiziell standen sich nun bis Kriegsende auf alliierter Seite das „königliche“ Italien und die am Bündnis mit Deutschland und Japan festhaltende „Italienische Sozialrepublik“ oder „Italienische Sozialrepublik“, abgekürzt RSI, gegenüber. Nach dem Krieg erließ dann das „neue“ Italien alsbald nicht zuletzt ein Amnestiegesetz, in dem es allen italienischen Kriegsverbrechern und Kriegsverbrecherinnen umfassende Amnestie gewährte.
Wie instabil das heutige italienische Staatswesen ist, wurde seit den neunziger Jahren deutlich. Da traten wiederholt starke separatistische bis zum Anschluss an Nachbarstaaten drängende Bewegungen zutage, welche gegen den italienischen (Gesamt-)Staat gerichtet waren bzw. sind. In den neunziger Jahren wurde etwa ernsthaft spekuliert, ob nicht Italien wie Jugoslawien auseinanderfallen würde. Im September 1996 etwa erfolgte die dann aber erst einmal im Sande erlaufende Unabhängigkeitserklärung für Padanien (https://www.focus.de/politik/ausland/der-provokateur-padanien_id_1865462.html ; https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/P-4-1996-2440_DE.html ; https://www.wissen.de/kalendar/15-september-1996-0).
Rom als sog. nationale Hauptstadt eines „Italien“ ist also noch eine recht junge und dazu immer wieder recht unsicher erscheinende Angelegenheit. Mit einem Rom, das in Jahrhunderten und Jahrtausenden denkt, ist umso mehr das päpstliche Rom gemeint.
Daran sollte man sich erinnern, wenn etwa im Rahmen kirchlicher Liturgie und Direktorien des Papstes Johannes Pauls II. gedacht wird.
Gerade in Hinblick auf das östliche Europa und nördliche Asien hat dieser Papst über den Tag hinaus gedacht. Er war insbesondere vor dem Fall des Eisernen Vorhanges nicht bereit, im Sinne kommunistischer Machthaber und ihrer diversen Handlanger und Verbündeten vermeintlich unabänderliche „Realitäten“ anzuerkennen. So beendete er beispielsweise weder die diplomatischen Beziehungen zu baltischen Exilregierungen noch führte er die Veränderung von Diözesangrenzen und die Auflösung kirchlicher Sitze durch, wie dies aus dem Ostblock und auch seitens westlicher Kommentatoren und „Experten“ vehement gefordert wurde.
Insbesondere war er ein verlässlicher Freund der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche/Ukrainisch-Katholischen Kirche/ukrainisch-unierten Kirche wie überhaupt ukrainischer Sprache, Kultur und eines unabhängigen ukrainischen Staates.
Wiederholt sprach Johannes Paul II. öffentlich Ukrainisch und verwendete diese Sprache auch zu offiziellen Anlässen. Ausdrücklich weigerte er sich, die Auflösung der Ukrainisch-Katholischen Kirche als Folge zuerst russisch-zaristischer und dann kommunistischer Vernichtungspolitik anzuerkennen. Er bemühte sich vielmehr sogar, die Wirkungsmöglichkeiten und Strukturen dieser Kirchen eigenen Rechts auszudehnen. Umgehend erkannte der Apostolische Stuhl die Unabhängigkeit des mit dem Zerfall der Sowjetunion wiedererstandenen Staates Ukraine an.
Schon im Jahre 1990, als der weitere politisch-militärische Gang der Dinge noch unklar war, promulgierte Johannes Paul II. mit dem CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM/KODEX DER KANONES DER ORIENTALISCHEN KIRCHEN, abgekürzt CCEO, für die Katholischen Ostkirchen/katholischen orientalischen Kirchen, von denen die unierte Katholisch-Ukrainische Kirche die größte ist. Eigens wurde dazu auch die Apostolische Konstitution „Sacri Canones“ vom Papst unterzeichnet und veröffentlicht (https://www.vatican.va/content/john-paul-ii/la/apost_constitutions/documents/hf_jp-ii_apc_19901018_sacri-canones.html). Darin wird u. a. erklärt (zitiert nach: CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM – KODEX DER KANONES DER ORIENTALISCHEN KIRCHEN. Lateinisch-deutsche Ausgabe übersetzt von Ludger Müller unter Mitarbeit von Martin Krutzler. Paderborn 2020. Seite 15):
„Indessen ist das allen orientalischen Kirchen gemeinsame Erbe der heiligen Kanones in wunderbarer Weise mit dem Charakter einer jeden Gruppe von Christgläubigen, aus denen die einzelnen Kirchen bestehen, im Laufe der Jahrhunderte zusammengewachsen und hat deren gesamte Kultur, nicht einmal ein und derselben Nation, mit dem Namen Christi und mit der Botschaft seines Evangeliums erfüllt, so daß es zum Herzen der Völker selbst gehört, unverletzlich und in jeder Weise äußerst angemessen.“
Aber auch sonst war der Einsatz von Johannes Paul II. für die katholischen Ostkirchen beachtlich. So unterstütze er den Wiederaufbau der katholischen Kirchenstrukturen des byzantinischen Ritus in Weißrussland wie in Albanien. Für die unierten Katholiken im byzantinischen Ritus in (Nord-)Makedonien wurde ein eigenes Apostolisches Exarchat geschaffen, ebenso eines für die in Montenegro und Serbien lebenden Katholiken des byzantinischen Ritus. Eigens sein Besuch im Jahre 1999 in Rumänien stärkte die einst blutig von den Kommunisten verfolgte Rumänisch Griechisch-Katholische Kirche/Rumänisch-Unierte Kirche/Unierte Kirche Rumäniens (https://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/travels/1999/travels/documents/trav_romania-1999.html). Gerade der päpstlichen Unterstützung für die Griechisch-Katholische Kirche in der Slowakei/Unierten Kirche der Slowakei kam auch eigene starke politische Bedeutung zu. Wie im Falle der Ukraine ging dies Hand in Hand mit der Anerkennung der wiedererlangten staatlichen Unabhängigkeit und der gegenseitigen Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Bemerkenswert ist eigens, dass das unmittelbare russische Herrschaftsgebiet gerade für die Katholischen Ostkirchen ein, zurückhaltend ausgedrückt, schwieriges Pflaster blieb.
Besonders spektakulär war dann die Papstreise in die Ukraine im Jahre 2001. Die Seligsprechung am 27. Juni 2001 von 25 ukrainischen Glaubenszeugen bzw. Märtyrern dokumentierte besonders deutlich die menschenverachtende Brutalität des einstigen sowjetischen Gewaltsystems (https://www.vatican.va/news_services/liturgy/documents/20010626_beatif_ucraina_ge.html und https://www.vatican.va/news_services/liturgy/documents/ns_lit_doc_20010627_carneckyj_en.html).
Gedanken zur Woche 133, Dr. Matthias Martin
28. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30-37) ist das vielleicht bekannteste Gleichnis in der ganzen Bibel sozusagen, beginnend mit dem Buch Genesis im Pentateuch, also der Thora/Tora/Torah zu Beginn bis zur (Geheimen) Offenbarung des Johannes, auch genannt die Apokalypse oder das Buch der Apokalypse, am Ende derselben.
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter brachte den Samaritern, auch genannt Samaritanern, ihren in weiten Teilen der christlichen Welt so hervorragenden Ruf ein. Dies ging sogar in den allgemeinen Wortschatz unterschiedlicher Sprachen ein (siehe Gedanken zur Woche 120). In der Zeit der Kreuzzüge herrschte ein sehr positives Verhältnis zwischen Samaritern/Samaritanern und den Kreuzfahrern bzw. Führungskräften der Kreuzfahrerstaaten, namentlich des Königreichs Jerusalem. Von allen möglichen anderen Herrschern oder führenden Kreisen waren die Samariter/Samaritaner meist sehr übel behandelt worden, was die Samariter/Samaritaner zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts an den Rand der Ausrottung brachte (siehe allgemein Gedanken zur Woche 68).
Erbitterte Feindschaft hatte sich schon vor der Geburt Christi gerade mit der Hauptrichtung des Judentums entwickelt. Im Judentum kam es ja schon in antiker Zeit immer wieder zu Spaltungen bis hin zu blutigen internen Auseinandersetzungen. Dies erleichterte auch die römische Unterwerfungspolitik wie die Niederwerfung gerade des Ersten (großen) Jüdischen Aufstandes (66-73 n. Chr.). Schon vor der Geburt Christi war es durch die militärisch und politisch zunächst erfolgreiche Richtung des Judentums zur Zerstörung des traditionellen Tempels der Samariter/Samaritaner am Berg Garizim gekommen. Schließlich wurden aber Juden wie Samariter in ganz erheblichem Umfang gemeinsam Opfer des Römischen Imperiums (siehe Gedanken zur Woche 111-b) einschließlich des sich dann entwickelnden Oströmischen oder Byzantinischen Reiches unter so brutalen Herrschern wie Kaiser Justinian. Dies und etwa die gerade wiederum durch Justinian verkörperte Vernichtungspolitik gegen Menschen wie die Montanisten, die Vandalen und die Ostgoten (siehe Gedanken zur Woche 106) sollte zu einer kritischen Aufarbeitung solcher Herrschaftssysteme anregen und ermutigen. Bei einem Gewaltherrscher wie Justinian darf sich der Blick eben nicht verengen auf den Bau eines Kirchengebäudes wie der Hagia Sophia und die gesetzgeberische Tätigkeit. Dazu waren auch solche lange Zeit gerne unreflektiert gefeierten Tätigkeiten Teile der großangelegten Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegen verschiedene Menschengruppen und Staaten. Dazu schreckte das oströmisch-byzantinische Herrschaftssystem unter Justinian wie unter anderen Herrscher beispielsweise auch nicht vor Gewalt gegen die römischen Päpste zurück. Zumindest wird die Kirchenpolitik oströmisch-byzantinischer Herrscher immer wieder über konfessionelle und nationale Grenzen hinweg recht kritisch gesehen. Die insgesamt so tyrannische Behandlung einheimischer Bevölkerung führte dazu, dass dann gerade in Ägypten und betreffenden Gebieten Vorderasiens weite Teile der einheimischen Bevölkerung die islamische Expansion zunächst mit der Hoffnung auf menschenwürdigere Lebensumstände verbanden. Schon vorher hatte sich oft in der Mehrheit der dortigen damaligen christlichen Bevölkerung mit Blick auf das Byzantinische/Oströmische Kaiserreich die Bezeichnung als Kaisertreuer zu einem ausgesprochenen Schimpfwort entwickelt.
Da war das Verhältnis Jesu von Nazarets und seiner frühen Jünger gerade zu den Samaritern doch wesentlich besser.
So war der seiner menschlichen Natur nach ja jüdische Jesus von Nazaret bereit, zusammen mit jüdischen Aussätzigen auch einen samaritanischen zu heilen. Als dieser dann nach dem Zeugnis des Lukasevangeliums der Einzige war, der daraufhin umkehrte und Jesus dankte, wurde er laut neutestamentlicher Erzählung von Jesus ausdrücklich gelobt.
Für die Zeit nach Jesu Tod und Auferstehung begegnen in der Apostelgeschichte wiederholt sehr anerkennende Erwähnungen von Samaritanern bzw. Samarien. So heißt es:
„(8,5) Philippus aber kam in die Hauptstadt Samariens hinab und verkündete dort Christus. (6) Und die Menge achtete einmütig auf die Worte des Philippus; sie hörten zu und sahen die Zeichen, die er tat. (7) Denn aus vielen Besessenen fuhren unter lautem Geschrei die unreinen Geister aus; auch viele Lahme und Verkrüppelte wurden geheilt. (8) So herrschte große Freude in jener Stadt.“
Egal wie die einzelnen Formulierungen im Detail zu interpretieren sind, ja überhaupt erst einmal in modernen Sprachen zu übersetzen sind, so verdeutlichen doch solche Worte die herausragende Bedeutung Samariens bei der Herausbildung des Christentums.
Dazu stehen die hier zitierten Verse nicht allein. Etwas später etwa ist laut der neuen deutschen Einheitsübersetzung in der Apostelgeschichte zu lesen:
„(8,25) … machten sie sich auf den Weg zurück nach Jerusalem und verkündeten in vielen Dörfern der Samariter das Evangelium.“
Dazwischen heißt es sogar:
„(8,14) Als die Apostel in Jerusalem hörten, dass Samarien das Wort Gottes angenommen hatte, schickten sie Petrus und Johannes dorthin.“
Dementsprechend verwundert die Meinung, dass es in Samarien, dem Land der Samariter zu ersten flächendeckenden Erfolgen von so etwas wie sich entwickelnder christlicher Verkündigung gekommen sei, umso weniger.
Steht die Apostelgeschichte laut Überlieferung als zweiter Teil des angenommenen lukanischen Doppelwerks (siehe Gedanken zur Woche 82-b) in besonders enger Beziehung zum Lukasevangelium und damit zu den drei synoptischen Evangelien nach Matthäus, Markus und eben Lukas, so stellt das Johannesevangelium gegenüber diesem Bereich des Neuen/Zweiten Testaments eine eigene Größe dar. Und genau dort finden wir eine weitere ganz bemerkenswerte Stelle bezüglich der Begegnung mit dem Samaritertum (Joh 4,1-42). Es ist dies jene Begegnung, in der eine samaritanische Frau an einem für die Samariter/Samaritaner offensichtlich besonders wichtigen Brunnen eine zentrale Rolle spielt. Genau diese nicht mit ihrem Namen genannte samaritanische Frau wird zur Verkünderin des Glaubens an Jesus von Nazaret. Sie war demnach eine ganz, ganz frühe Verkünderin eines solchen Glaubens. Sie mag an die schon von der alten Kirche in Hinblick auf die Verkündigung der Auferstehung an Ostern als „Apostelin der Apostel“ gewürdigte Maria Magdalena erinnern (siehe Gedanken zur Woche 121-b). Auf jeden Fall steht im Johannesevangelium in Zusammenhang mit der samaritanischen Frau:
„(Joh 4,39) Aus jener Stadt kamen viele Samariter zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin, die bezeugt hatte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe.“
In der nachkonziliaren Liturgie, gerne genannt die Messe Pauls VI., fand die Begegnung Jesu mit der samaritanischen Frau ihren eigenen Niederschlag. In dem bei uns meist verwendeten Deutschen Messbuch finden wir dazu insbesondere für den Dritten Fastensonntag eine eigene Präfation:
„… In Wahrheit ist es würdig und recht, dir, Herr, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott, immer und überall zu danken durch unseren Herrn Jesus Christus. Er hatte der Samariterin schon die Gnade des Glaubens geschenkt, als er sie bat, ihm einen Trunk Wasser zu reichen. Nach ihrem Glauben dürstete ihn mehr als nach dem Wasser, denn er wollte im gläubigen Herzen das Feuer der göttlichen Liebe entzünden… “.
1. Lesung: 2 Kön 5,14-17
2. Lesung: 2 Tim 2,8-13
Evangelium: Lk 17,11-19
Gedanken zur Woche 133-b, Dr. Matthias Martin
28. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Wenn in dem jetzt meist verwendeten liturgischen Kalender des von 1958 bis zu seinem Tode im Jahre 1963 amtierenden Papstes Johannes XXIII. gedacht wird, so ist dies ein besonders guter Anlass, sich seines so vielfältigen wie sehr oft gar nicht wahrgenommenen oder dann vergessenen Erbes bewusst zu werden.
Wenn Menschen heute nach den Handlungen dieses Papstes gefragt werden, dann erinnern sie sich vielleicht gerade noch, dass er das von 1962 bis über seinen Tod hinaus im Jahre 1965 tagende Zweite Vatikanische Konzil einberief. Deswegen wird er mitunter „der Konzilspapst“ genannt. Manchmal wird er auch wegen seiner Freundlichkeit und Bescheidenheit gewürdigt, ohne dass die allermeisten Menschen damit einen bestimmten Abschnitt oder eine bestimmte Handlung in seinem Leben verbinden. Ganz offensichtlich wurde er alsbald zu einer Art Gallionsfigur für inhaltsleere Schlagworte und jeweilige persönliche Interessen gemacht, gegen die er sich natürlich vor allem nach seinem irdischen Hinscheiden nicht abgrenzen konnte.
Wohl eher wenige Menschen sind sich bewusst, dass die im Sinne der Tridentinischen Liturgie gefeierte Heilige Messe manchmal die Messe Johannes XXIII. genannt wird (siehe Gedanken zur Woche 114-b). Tatsächlich ist Johannes XXIII. der bisher letzte Papst, der die liturgischen Bücher einschließlich des Messbuches für die Feier von Gottesdiensten im Tridentinischen Ritus neu herausbrachte. In dem bizarr aufgesplitterten Bereich der Sedisvakantisten wird er mitunter als der letzte wahre Papst betrachtet. In dem davon zu unterscheidenden Milieu von Gegenpäpsten und ihren sehr bescheidenen Anhängerzahlen kann man auf die Position stoßen, dass Johannes XXIII. der letzte sozusagen vom allergrößten Teil der Internationalen Gemeinschaft und natürlich der im Vatikan vorhandenen Weltkirche ist, den eine betreffende Splittergruppe ihrerseits noch anerkennt, bevor sie dann mit ihrem eigenen Gegenpapst bzw. ihrer Gegenpapstlinie anfängt (siehe eher allgemein Gedanken zur Woche 77-b).
Dabei hat sich Papst Johannes XXIII. mit dem bürgerlichen Namen Angelo Giuseppe Roncalli, selber bemüht, die Ansprüche von Gegenpäpsten auch Jahrhunderte nach ihrem Auftreten in klarer Form zurückzuweisen. Nichts weniger als die Wahl seines eigenen Papstnamens mit der Betonung, dass er der dreiundzwanzigste mit dem Papstnamen Johannes sei, diente diesem Zweck. Er stellte damit ausdrücklich klar, dass der von rund 1370 bis 1419 lebende Baldassare Cossa, der sich selber schon Johannes XXIII. genannt hatte, niemals rechtmäßiger Papst war. Damit unterstrich der historisch so gebildete und von 1958 bis 1963 amtierende tatsächliche Papst Johannes XXIII., dass nicht die durch den Gegenpapst dieses Namens, eben die Person Baldassare Cossa, vertretene Pisaner/Pisanische Obedienz, sondern nur die Römische Obedienz rechtmäßig einen Papst stellte. Es war dies die Zeit der Gegenpäpste von Avignon gewesen. Die damalige Supermacht Frankreich, erneuerungsfeindliche französische Kardinäle und ihre Verbündeten, hatten zunächst dieses Avignonesische Gegenpapsttum im Kampf gegen den rechtmäßigen Papst Urban VI. (1378-1389) geschaffen. Mit oft blanken Terrormethoden hatte man für die Gewinnung von „Anhängern“ und Obedienzerklärungen gesorgt. Das Papsttum und damit so etwas wie die internationale Kirche sollte damit in der bisherigen „Babylonischen Gefangenschaft (der Kirche)“ unter bedrückender französischer Vorherrschaft gehalten werden. Die Zerstörung des rechtmäßigen römischen Papsttums unter Papst Urban VI. misslang aber. Zum ersten Gegenpapst der avignonesischen Linie hatte man in entlarvender Weise seitens der französischen Fraktion den berüchtigten „Schlächter von Cesena“ gewählt, der nun behauptete, ein Papst namens Clemens VII. zu sein. Auch sein „Nachfolger“, der avignonesische Gegenpapst Benedikt XIII., konnte keine allgemeine Anerkennung erlangen. Die katholische Kirche war gespalten. So kam man bei einigen der Anhänger der römischen und der avignonesischen Obedienz auf den Einfall als Kompromisskandidaten einen dritten „Papst“ zu wählen. Statt damit die durch das avignonesische Gegenpapsttum hervorgerufene Kirchenspaltung zu beseitigen, hatte man diese verschlimmert und nun bei den Katholiken drei konkurrierende „Päpste“ oder Papstprätendenten. Aus dieser durch die manchmal „Konzil“ genannte kirchliche Versammlung zu Pisa im Jahre 1409 geschaffene Pisaner/Pisanische Obedienz ging als deren zweiter Papstprätendent der erwähnte Johannes XXIII., Baldassare Cossa, hervor. Tatsächlich gab und gibt es ernstzunehmende Argumente, dass diese dritte Obedienz zumindest einige Jahre einen einigermaßen rechtmäßigen Papst gestellt hätte. Dies wurde aber durch den 1958 allgemein anerkannten Papst Johannes XXIII. dann allein schon durch die sehr prononcierte Wahl seines Papstnamens definitiv zurückgewiesen.
Mag dies Vertretern französischer Machtansprüche und vielleicht pisanischen Lokalpatrioten übel aufstoßen, so war auch sonst Papst Johannes XXIII. (1958-1963), jemand, der schon vor seiner Wahl zum Papst klare Standpunkte bezog.
Während seiner Zeit als Apostolischer Visitator und dann Apostolischer Delegat in Bulgarien (1925-1934) setzte er sich sehr für die zahlenmäßig recht kleine Bulgarisch-Katholische Kirche, auch genannt die Unierte Kirche Bulgariens, ein. So konnte ein Apostolisches Exarchat in Sofia geschaffen werden. Die beiden vorher bestehenden Apostolischen Vikariate der Bulgarisch-Katholischen Kirche in Thessaloniki und Adrianopel (Edirne) waren im Gefolge der Balkankriege (1912-1913) vorher vernichtet worden. Auch unterstützte der damalige Angelo Guiseppe Roncalli die Entstehung des katholischen Priesterseminars in Sofia. Später wurde er während seiner Tätigkeit als Apostolischer Delegat für Griechenland und die Türkei ein mutiger Unterstützer der bis heute bedrängten Griechisch-Katholischen Kirche in Griechenland, die wie die Bulgarisch-Katholische Kirche in der Tradition des byzantinischen/konstantinopolitanischen Ritus steht und eine Kirche eigenen Rechts ist. In seiner Eigenschaft als päpstlicher Vertreter scheute der spätere Johannes XXIII. auch nicht den Konflikt mit den anmaßenden Vertretern der damaligen französischen Großmacht.
Neben der erneuten Herausgabe der liturgischen Bücher für den Tridentinischen Ritus setzte Johannes XXIII. gerade auch dadurch einen liturgischen Akzent, dass er den Namen des heiligen Josef in den Römischen Messkanon, heute oft das I. Hochgebet genannt, aufnehmen ließ (siehe Gedanken zur Woche 53-b, 57 und 110). Benedikt XVI. verfügte dann, dass der Name des heiligen Josefs auch in das II., III. und IV. Hochgebet einzufügen sei, und Papst Franziskus bekräftige dies ausdrücklich (siehe hierzu gerade Gedanken zur Woche 53-b).
Nicht zuletzt folgten Benedikt XVI. und Franziskus Johannes XXIII. bei der Förderung der Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen Orientalischen Kirchen.
So erhob der oft als zu zurückhaltend, zu sehr diplomatisch kritisierte Benedikt XVI. eben schon 2005 die Rumänisch-Unierte Kirche/Unierte Kirche Rumäniens in den Rang einer großerzbischöflichen Kirche (siehe Gedanken zur Woche 125). Wenn man bedenkt, dass diese Kirche eigenen Rechts bis zur Wende Opfer einer brutalen kommunistischen Vernichtungspolitik gewesen war, so war dieser Schritt Benedikts XVI. umso so beachtlicher. Dies gilt erst recht für seine offensichtlich besonders gerne totgeschwiegene Entscheidung, die ebenfalls von den Kommunisten brutal verfolgte Griechisch-Katholische Kirche in der Slowakei/Slowakisch-Unierte Kirche/Unierte Kirche der Slowakei im Jahre 2008 in den Rang einer metropolitanen Kirche zu erheben ( http://www.grkat.nfo.sk/de/index.html ). Dies bedeutete ja ein nochmaliges gesamtkirchliches Bekenntnis zur slowakischen Selbstbestimmung einschließlich Eigenstaatlichkeit.
Hier lässt sich gerade eine Parallele zur ebenfalls auch politisch so aussagekräftigen Entscheidung von Papst Franziskus ziehen, 2015 die Eritreisch-Katholische Kirche/Unierte Kirche Eritreas als Kirche eigenen Rechts metropolitanen Rangs anzuerkennen
Nicht zuletzt ist natürlich das Eintreten des späteren Papstes Johannes XXIII. während seiner Zeit als Nuntius in Frankreich für deutsche Kriegsgefangene wie für französische Katholiken einschließlich Bischöfen, die auf der Abschussliste des sich 1944-1945 durchsetzenden Regimes standen, zu nennen. Offensichtlich ließ sich Nuntius Roncalli weder durch Propagandafloskeln leicht irreführen, noch durch Drohungen einfach gefügig machen.
Als Papst hielt er dann die diplomatische Anerkennung antikommunistischer Exilregierungen aufrecht. Vergleichbares tat er in Hinblick auf den kirchenrechtlichen Status der ostdeutschen Bistümer/Diözesen bzw. Bistumsleitungen im Exil und damit verbundener Bistums-/Diözesangrenzen.
Gedanken zur Woche 132, Dr. Matthias Martin
27. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Dass die Christinnen und Christen, die wahren Jüngerinnen und Jünger Jesu nicht selbstgefällig die Hände in den Schoß legen sollen, wird, in sehr allgemeiner Weise nicht zuletzt im Lukasevangelium ausgesprochen. Jede und jeder ist im eigenen Leben mit den je eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten wie natürlich auch Schwächen und Begrenztheiten aufgerufen, gute Werke zu tun und gegen das Böse anzukämpfen in Gedanken, Worten und Werken. Dabei ist der erste Ort, wo wir solchermaßen gegen böse Neigungen ankämpfen sollen, das eigene Selbst, unser Inneres. Anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen, sie bildlich gesprochen an den Ohren ziehen zu wollen, sollen wir zuerst einmal uns selber an der Nase fassen.
Dazu finden wir auch etwas sehr direkt eben im Lukasevangelium:
„(6,41) Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? (42) Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen“.
In dem anderen der beiden synoptischen Großevangelien oder Seitenreferenten, dem Matthäusevangelium (siehe Gedanken zur Woche 50 und 78-b), findet sich eine weitgehend wortidente Parallelstelle. Mitunter wird hierzu auch eigens auf das knapper gehaltene Markusevangelium hingewiesen, wo laut der neuen Ausgabe der deutschen Einheitsübersetzung zu lesen ist:
„(4,24) Weiter sagte er: Achtet auf das, was ihr hört! Nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden, ja, es wird euch noch mehr gegeben.“
Das Tun guter Werke wird uns dabei gerade im Lukasevangelium anhand von Gleichnissen nahegebracht, von denen manches zu den überhaupt berühmtesten der ganzen Bibel aus Altem/Erstem und Neuem/Zweitem Testament gehören. Denken wir da nur an das lukanische Sondergut, also ein Element von Traditio Simplex/Simplex Traditio (siehe Gedanken zur Woche 125) darstellende Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,28-37). Bei dem ebenfalls sehr bekannten und längst in die Kunstgeschichte eingegangenen Gleichnis vom verlorenen Sohn oder vom barmherzigen Vater, auch umfassend genannt das Gleichnis vom barmherzigen Vater und dem verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) handelt es sich ebenfalls um lukanisches Sondergut, um betreffende Traditio Simplex/Simplex Traditio. Hier ist zu bemerken, dass der barmherzige Vater nicht einfach gute Empfindungen für seinen nachhause zurückkehrenden Sohn fühlt. Er handelt vielmehr aktiv. Er läuft ihm entgegen und küsst ihn. Seinen Knechten gibt er umgehend Anweisungen, wie sie die herzliche Aufnahme für seinen heimkehrenden Sohn gestalten sollen, und dass ein Fest zu feiern ist. Genauso geht er auf seinen anderen, den älteren Sohn zu und redet ihm gut zu. Der barmherzige Vater ist also ein sehr aktiv Handelnder! Der barmherzige Vater ist also auf seine Weise ein Vorbild für das aktive Setzen guter Handlungen.
Ein weiteres Gleichnis, das lukanisches Sondergut darstellt, ist das vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lk 16,19-31). Hier wird dem reichen Mann nicht zum Vorwurf gemacht, dass er aggressiv gegen den armen Lazarus vorgegangen wäre, gewissermaßen aktiv gegen ihn gehandelt hätte. Es wird ihm vielmehr zum Vorwurf gemacht, dass er nichts tat, um diesem zu helfen, dass er ihn in seiner Not allein ließ. Die Mahnung, die eigenen Möglichkeiten aktiv einzusetzen, um etwas Gutes zu tun, begegnet uns auch am Ende des Gleichnisses vom ungerechten Verwalter. Auch dieser Vers ist, wie das ganze Gleichnis vom ungerechten Verwalter (Lk 16,1-13) lukanisches Sondergut, stellt also wiederum Traditio Simplex/Simplex Traditio dar. Hier (Lk 16,9) lautet dieser abschließende Vers nach der neuen deutschen Einheitsübersetzung: (LK 16,9) „Ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit ihr in die ewigen Wohnungen aufgenommen werdet, wenn es zu Ende geht!“ Ein abschreckendes Beispiel, wie es anhand von Selbstgefälligkeit und Genussstreben nicht gehen soll, wird im Gleichnis über den reichen Gutsherrn, auch genannt das Gleichnis vom törichten Reichen, geboten (Lk 12,13-21). Auch hier hat, ähnlich wie der Reiche im Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus, der so negativ dargestellte Gutsherr seine Möglichkeiten nicht genutzt, etwas Gutes zu tun, insbesondere Werke der Nächstenliebe zu vollbringen.
Es geht immer wieder darum, aktiv zu handeln, anstatt die Hände in den Schoß zu legen. Man soll eben nach Möglichkeit gute Handlungen setzen und gute Werke vollbringen.
Ebenso sind die gewissermaßen als Vorbilder im Doppelgleichnis vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme (Lk 15,1-10) präsentierten Personen aktiv handelnde Menschen. Der gute Hirt eilt dem einen verlorenen Schaf nach, und die Frau bemüht sich sehr, die verlorene Drachme zu finden. Nach dem erzielten Erfolg lassen es beide damit noch nicht genug sein. Sie rufen vielmehr Menschen ihrer persönlichen Umgebung zusammen, um ihnen die frohe Botschaft mitzuteilen. Findet sich eine parallele Stelle von den hundert Schafen und dem einen verlorenen, das es zu suchen gilt, auch im Matthäusevangelium (Mt 18,12-13), so ist zumindest bei einigen der Worte eine Traditio Duplex/Duplex Traditio gegeben.
Im Falle des Lukasevangeliums folgt dann das schon angesprochene Gleichnis vom verlorenen Sohn.
Allein schon dieser knappe Überblick verdeutlicht, wie sehr richtig verstandener Glaube und das Tun guter Werke, das Vollbringen guter Taten, zusammengehören. Besitzen gerade die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter und vom verlorenen Sohn und dem barmherzigen Vater ihre eigene Stellung in der bildenden Kunst, so geht es natürlich gerade darum, dass die Christinnen und Christen die dort wie an anderen Stellen der Bibel ausgesprochene Botschaft in die Tat umsetzen. Schon in so knappen neutestamentlichen Briefen ohne eigene Kapitelunterteilung (siehe Gedanken zur Woche 128) wie dem Philemonbrief und dem Dritten Johannesbrief geht es darum, dass Nächstenliebe verwirklicht und unfreundliche, ja feindselige Handlungen unterlassen werden.
So hat sich im Laufe der Jahrhunderte im Christentum neben der Dogmatik, der Glaubenslehre im engeren Sinn, auch die Moraltheologie entwickelt. Gerade von ihr zweigte sich allmählich die (christliche/katholische) Soziallehre ab. Auch das Kirchenrecht ist davon nicht zu trennen. Es soll ja auf seine Weise gute Anregungen vorlegen und gerade Kirchenmitglieder dabei fördern, Gutes zu tun und Böses zu unterlassen. Hilft schon die Philosophie, Aussagen der Glaubenslehre zu verstehen, und ist sie geschichtlich nicht einfach von ihrer Ausformulierung zu trennen, so ist die philosophische Ethik nicht von den Inhalten und möglichen Ausformulierungen von Moraltheologie und Soziallehre zu trennen.
Umso mehr mögen Christinnen und Christen auf ihrem Lebensweg immer wieder gute Anregungen für ihr eigenes Handeln finden.
1. Lesung: Hab 1,2-3;2,2-4
2. Lesung: 2 Tim 1,6-8.13-14
Evangelium: Lk 17,5-10
Gedanken zur Woche 132-b, Dr. Matthias Martin
27. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Gerade in jüngster Zeit ist die öffentliche Aufmerksamkeit sehr stark nach Osten gerichtet. Vorgänge im östlichen Europa bis ins Innere Asiens hinein finden Aufmerksamkeit auch bei Menschen, welche sich sonst nicht so sehr bis gar nicht für überörtliche Ereignisse interessieren. Der russische Überfall auf die Ukraine und das davon nicht zu trennende Bedrohungsszenario betreffend, insbesondere die baltischen Staaten von Estland, Lettland und Litauen und die skandinavischen Staatswesen von Schweden und Finnland samt den Ǻlandinseln wühlt auch Menschen auf, die sich bisher weder für den besonderen Status der Ǻlandinseln, noch für die Zukunft des Wilnagebietes, des Memellandes, der lettischen und estnischen Ostgebiete interessiert haben.
Das Ganze hat offensichtlich auch das Interesse an den Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen gefördert. Dabei ist natürlich auch das Schicksal der Ukrainisch-orthodoxen und Estnisch-orthodoxen Kirche nicht außer Acht zu lassen.
Eigens mag der Gedenktag des heiligen Franz von Assisi in Zeiten wie diesen die Erinnerung daran fördern, dass in den Tagen des Mittelalters katholische Ordensgemeinschaften, und da nicht zuletzt Bettelorden, bis weit nach Asien hineinwirkten. So drang der Franziskaner Wilhelm von Rubruk (ca. 1215/1220 bis um 1270) bis ins Herzland des damaligen mongolischen Großreiches mit seiner Hauptstadt Karakorum vor und verfasste einen vielbeachteten Reisebericht. Die Kontakte zum später untergegangenen mongolischen Großreich ermöglichte u. a. 1307 die Gründung eines katholischen Erzbistums in Peking. Erster Erzbischof wurde mit Johannes von Montecorvino (1246/47-1328) wiederum ein Franziskaner.
In der westlichen Welt gab es ein Interesse an Mission in solchen östlichen Gebieten wie politische und militärische Zusammenarbeit mit dem mongolischen Großreich und Gebieten in seinem Einflussbereich.
Der heilige Franz von Assisi wirkte selber missionarisch, so in Richtung des Nahen Ostens. Umso mehr sollte man im westlichen Europa bereit sein, ohne rassistische Vorurteile nach Osten und auch weit in den Osten zu blicken.
Dieses Interesse sollte auch die Katholischen Ostkirchen in wohlwollender Weise einschließen.
Die mitunter auch von offiziell katholischen Theologen zu vernehmenden abfälligen Bemerkungen gegen diese Kirchen eigenen Rechts innerhalb der katholischen Weltkirche sind lieblos wie kurzsichtig.
Dabei haben Päpste immer wieder den herausragenden Wert der Katholischen Ostkirchen und der mit ihnen verbundenen reichen Überlieferungen betont.
Der gerade als Verfasser der ersten Sozialenzyklika ,,Rerum Novarum" wie als Freund und Förderer von Bildung und Wissenschaft bekannte Leo XIII. (1878-1903) etwa schrieb in seinem Apostolischen Schreiben „Orientalium dignitas“ (Text auf Englisch https://www.papalencyclicals.net/leo13/l13orient.htm) vom 30. November 1894 (deutsch zitiert nach Andriy Mykhaleyko, Die katholischen Ostkirchen (Die Kirchen der Gegenwart 3). Göttingen 2012, 67):
„Die Bewahrung der orientalischen Riten ist viel wichtiger, als man glauben möchte. Das ehrwürdige Alter nämlich, das die verschiedenen Riten auszeichnet, ist eine hervorragende Zierde für die ganze Kirche, und es läßt gleichzeitig die göttliche Einheit des katholischen Glaubens hervortreten. Hieraus ergibt sich nämlich einerseits deutlicher der apostolische Ursprung der wichtigsten Kirchen des Ostens, dann aber leuchtet gerade hierdurch deren uralte innigste Verbindung mit dem Römischen Stuhl auf. Es gibt vielleicht keinen wunderbareren Aufweis der Katholizität der Kirche Gottes als gerade diesen einzigartigen Schmuck, den ihr die verschiedenen Formen der Zeremonien und die altehrwürdigen Sprachen verleihen, die um so edler sind, da sie sich von den Aposteln und den heiligen Vätern herleiten. So wiederholt sich gleichsam die einzigartige Huldigung, die dem neugeborenen Christus zuteil wurde, als die Weisen aus den verschiedenen Gegenden des Morgenlandes kamen, um ihn anzubeten.“
Auch sonst befasste sich Leo XIII. intensiv mit ostkirchlichen Fragen, wovon zahlreiche Dokumente Zeugnis geben.
Der als Friedenspapst gewürdigte Benedikt XV. (1914-1922) gründete sowohl die lange unter dem persönlichen Vorsitz des jeweiligen Papstes wirkende Kongregation für die Orientalischen Kirchen wie das Päpstliche Orientalische Institut, als im Jahre 1917, verbunden mit dem Kollaps des russischen Zarenreichs und den sich entwickelnden Erfolgen von Befreiungsbewegungen, die Hoffnung auf neue Bewegungsfreiräume für Katholikinnen und Katholiken im östlichen Europa bis nach Asien hinein bestanden.
Es kam bekanntlich ganz anders. Die Friedensordnung von Brest-Litowsk und des sog. Brotfriedens mit der Ukraine (siehe Gedanken zur Woche 113-b) und weiterer Verträge wurde im Zusammenwirken der siegreichen Westmächte, der entstehenden Sowjetunion wie des polnischen Nationalismus zertrümmert.
Die Katholischen Ostkirchen haben aber auch dies wie schon frühere und dann spätere Bedrängnisse und Verfolgungen überlebt. Nicht zuletzt spielten sie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine wichtige Rolle. Auf diesem Konzil wurde mit „Orientalium Ecclesiarum“ ein eigenes Dekret über die katholischen Ostkirchen verabschiedet. Dieses Dekret war über diese nur voll des Lobes, was endlich mehr zur Kenntnis genommen werden sollte. Diese Grundrichtung wurde durch das Dekret über die Ökumene „Unitatis redintegratio“ noch bekräftigt. Gleich zu Beginn heißt es in „Orientalium Ecclesiarum“ unter ausdrücklicher Berufung auf Leo XIII. und sein Schreiben „Orientalium Dignitas“:
„1. Die Ostkirchen mit ihren Einrichtungen und liturgischen Bräuchen, ihren Überlieferungen und ihrer christlichen Lebensordnung sind in der katholischen Kirche hochgeschätzt. In diesen Werten von ehrwürdigem Alter leuchtet ja eine Überlieferung auf, die über die Kirchenväter bis zu den Aposteln zurückreicht. Sie bildet ein Stück des von Gott geoffenbarten und ungeteilten Erbgutes der Gesamtkirche. Für diese Überlieferung sind die Ostkirchen lebendige Zeugen. Dem Heiligen Ökumenischen Konzil liegt daher die Sorge für die Ostkirchen sehr am Herzen. Es wünscht, daß diese Kirchen neu erblühen und mit frischer apostolischer Kraft die ihnen anvertraute Aufgabe meistern.“
Etwas später wurde festgehalten:
„4. Auf der ganzen Welt soll daher für die Erhaltung und das Wachstum aller Teilkirchen gesorgt werden. Daher sollen eigene Pfarreien und eine eigene Hierarchie errichtet werden, wo immer das geistige Wohl der Gläubigen dies erfordert.“
Ebenso wird unter Bezugnahme auf Benedikt XV. wie auf Pius XI. (1922-1939) betont:
„6. Alle Ostchristen sollen wissen und davon überzeugt sein, daß sie ihre rechtmäßigen liturgischen Bräuche und die eigene Ordnung bewahren dürfen und müssen, es sei denn, daß aus eigenständigem und organischem Fortschritt Änderungen eingeführt werden sollten. … Indessen sollen sich alle, die durch ihr Amt oder ihren apostolischen Dienst in engere Berührung mit den Ostkirchen oder ihren Gläubigen kommen, angesichts ihrer verantwortungsschweren Aufgabe in der Kenntnis und Ausübung ostkirchlicher Gebräuche, in ostkirchlicher Ordnung, Lehre, Geschichte und charakterlicher Eigenart gründlich unterrichten lassen.“
Im Gesetzbuch für die Katholischen Ostkirchen, den CCEO wurde dies bemerkenswert fortgeführt (siehe mit weiterführenden Hinweisen Gedanken zur Woche 123, 124, 125).
Gedanken zur Woche 131, Dr. Matthias Martin
26. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Das Gleichnis vom reichen Mann, auch genannt der reiche Prasser, und dem armen Lazarus berührt einen ganz neuralgischen Punkt des Christentums. Als Papst Franziskus zum Abschluss des Heiligen Jahres 2016 für den 33. Sonntag im kirchlichen Jahreskreis den Welttag der Armen proklamierte, hat er dies deutlich gemacht. Er warnte, „dass es keine Gerechtigkeit noch sozialen Frieden geben kann, solange Lazarus vor der Tür unseres Hauses liegt“ (siehe https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_letters/documents/papa-francesco-lettera-ap_20161120_misericordia-et-misera.html und Gedanken zur Woche 86).
Der Einsatz für die Notleidenden, die Armen, die an den Rand Gedrängten, ist und bleibt eine dauernde Herausforderung für die Christenheit. Dabei verdeutlicht das Gleichnis vom reichen Mann/Prasser und dem armen Lazarus, wie sehr dies bereits in dem grundgelegt und verankert ist, was die jüdische Überlieferung genannt wird. Schließlich ist es der alttestamentliche Patriarch Abraham, in dessen Schoß der im irdischen Leben so benachteiligte Lazarus nun sitzen darf. Und Abraham ist es, der das harte Urteil gegen den reichen Prasser verbunden mit scharfen Worten in Hinblick auf dessen Brüder ausspricht. Verbunden damit ist die sehr deutliche Warnung, gefälligst auf Mose und die Propheten zu hören. Noch stärker auf das Alte/Erste Testament kann man sich wohl kaum beziehen. Da mögen Pfarrangehörige der Pfarrgemeinde zum Heiligen Nikolaus in Stein an der Donau sowie Besucherinnen und Besucher der Pfarrkirche an den dortigen neugotischen Hochaltar denken. Dort ist ja die Szene aus der Begegnung des auferstandenen Herrn mit den beiden Emmausjüngern als sie zu Tisch waren, abgebildet (siehe Gedanken zur Woche 82-b). Nach der Erzählung des Lukasevangeliums hat der auferstandene Herr ausgehend von Mose und allen Propheten dargelegt, was im Alten/Ersten Testament über ihn geschrieben steht (siehe Gedanken zur Woche 81). Hier wie dort also dieser ganz starke Bezug auf das Alte/Erste Testament und gerade auf Mose und die Propheten. Wenn es um die Fürsorge für Arme, um das Eintreten für Benachteiligte geht, lassen sich also Altes und Neues Testament, auch genannt Erste und Zweites Testament, redlicherweise nicht gegeneinander ausspielen.
Dies verdeutlichen zum einen schon die Fünf Bücher Mose, also die Thora/Tora/Torah, auch genannt der Pentateuch. Dort werden auch schon so etwas wie grundlegende Arbeitnehmerrechte angesprochen (siehe allgemein Gedanken zur Woche 127). Ganz besonders mag da ein Blick in das Buch Amos interessant sein, welches zum Zwölfprophetenbuch gehört. Hier ist heftige Kritik an den Reichen und Mächtigen das Thema. Hier wird das Establishment attackiert, und das sehr deutlich. Dieses mutige Auftreten war sicher riskant. Tatsächlich gibt es die Theorie, dass der so unbequeme Prophet Amos buchstäblich aus dem Weg geräumt wurde, ihn sein mutiges Auftreten also das Leben in dieser Welt gekostet habe. Damit wäre es ihm so gegangen wie später Johannes dem Täufer, auch genannt „der Prophet zwischen den Testamenten“ (siehe Gedanken zur Woche 127-b). Wie sehr dieser früh schon im Judentum verehrt wurde, verdeutlicht der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus (siehe Gedanken zur Woche 24-b). Umso besser ist es, sich intensiver Verse aus dem Buch Amos anzusehen, nicht zuletzt jene, welche im Kirchenjahr 2021/2022 Lesejahr C als Lesung für den 26. Jahreskreis nach der bei uns üblichen Leseordnung vorgesehen sind. Wer es nun nicht so sehr mit dem Alten/Ersten Testament als solchem hat, dem mag der Blick gerade in zwei bestimmte Schriften des Neuen/Zweiten Testaments unter Berücksichtigung natürlich des größeren Ganzen anempfohlen sein.
Da ist zum einen mit dem Jakobusbrief die vielleicht älteste Schrift des Neuen/Zweiten Testaments mit einem, wenn überhaupt, noch kaum vorhandenen Auseinanderdriften von Judentum und Christentum. Dieser Jakobusbrief steht nicht nur für konsequente Abgrenzung gegen (pseudo-)religiösem Antisemitismus, sondern im Sinne alttestamentlicher Schriften auch für das Tun guter Werke im Allgemeinen und das Eintreten für die Armen im Besonderen (siehe Gedanken zur Woche 77).
Dann ist da das Matthäusevangelium, das „jüdischste“ aller neutestamentlichen Evangelien. Dort wird im Rahmen der Bergpredigt in kantigen Worten die Fortgeltung von überliefertem jüdischem Gesetz und Propheten betont (Mt 5,17-19) (siehe Gedanken zur Woche 61, 71 und 81) betont. Weiter hinten im Matthäusevangelium wird im berühmten Gleichnis vom Jüngsten Gericht (Mt 25,31-46) erklärt, dass das, was man dem geringsten Bruder oder der geringsten Schwester Gutes getan habe, man dem göttlichen Herrn getan habe und was man dem geringsten Bruder oder der geringsten Schwester nicht an Gutem getan habe, man dem göttlichen Herrn nicht getan habe.
Umso schwerwiegender sind all die Verwirrungen, die es im Laufe der Kirchengeschichte leider immer wieder gegeben hat und immer wieder gibt. So sollten kirchliche Einrichtungen nicht als Versorgungseinrichtungen für örtlichen Adel oder als Refugien und Finanzierungsquellen für Missbrauchstäter dienen, sprich missbraucht werden. Wenn man da vor Jahren schon unwidersprochen vernahm, dass das ganze Sinnen und Trachten einer offiziell katholischen Bischofskonferenz wie der von England und Wales darauf, gerichtet war, von der britischen Königin und damit auch obersten Kriegsherrin des Vereinigten Königreiches jährlich zum Tee eingeladen zu werden, da stimmt das doch zumindest sehr bedenklich.
Ein Mensch, der da sehr klar Stellung bezog, war der spätere Kardinal Henry Edward Manning (1808-1892). Ursprünglich anglikanischer Staatskirchengeistlicher folgte er seinem Gewissen und trat in die römisch-katholische Kirche über. Für ihn gehörten soziales Engagement und eine profilierte katholisch-konfessionelle Position aufs engste zusammen. So war er auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869-1870) einer der theologischen Stars und dies nicht zuletzt mit seiner klaren Kritik an der anglikanischen Staatskirche, aus der er ja selber gekommen war.
Im deutschen Sprach- und Kulturraum bekannter ist sicher ein anderer berühmter Konvertit des 19. Jahrhunderts aus dem Klerus des anglikanischen Staatskirchenwesens, der ebenfalls Kardinal wurde: John Henry Newman (1801-1890). Anlässlich seiner Heiligsprechung durch Papst Franziskus wurde er sogar vom damaligen Prince of Wales und jetzigen britischen König und damit Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche, Charles III., gewürdigt. Ja, für den sich einst so konsequent gegen die anglikanische Staatskirche von England stellenden Newman fand das nunmehrige Oberhaupt eben dieser Staatskirche im Rahmen eines umfangreichen Beitrages, der auch in der deutschen Ausgabe des L’OSSERVATORE ROMANO (Nummer 43 2019 (49. Jahrgang – 25. Oktober 2019) Seite 6) nachzulesen ist, sehr anerkennende Worte! So schrieb der jetzige Charles III. u.a.:
„In der Epoche, in der er lebte, stand Newman für das Leben des Geistes gegen jene Kräfte, die die Würde des Menschen und die Bestimmung des Menschen herabsetzen wollten. In der Epoche, in der er zur Heiligkeit gelangt, ist sein Vorbild notwendiger denn je, …
Und der vielleicht bedeutendste Aspekt in dieser unserer Zeit – in der wir allzu viele gravierende Angriffe gegen Gemeinschaften und Einzelne durch intolerante Kräfte erlebt haben, darunter gegen viele Katholiken wegen ihres Glaubens – ist die Tatsache, dass er für seine Überzeugungen einstand, trotz der Nachteile, die mit der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft verbunden waren, deren Mitgliedern die volle Teilnahme am öffentlichen Leben verwehrt war. Während des gesamten Prozesses der Katholikenemanzipation und der Wiederherstellung der Hierarchie der katholischen Kirche war er die Führungspersönlichkeit, die sein Volk, seine Kirche und seine Zeit brauchten …“.
1. Lesung: Am 6,1a.4-7
2. Lesung: 1 Tim 6,11-16
Evangelium: Lk 16,19-31
Gedanken zur Woche 131-b, Dr. Matthias Martin
26. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Der Umstand, dass die beiden Heiligen Kosmas und Damian namentlich im Römischen Messkanon/Ersten Hochgebet genannt sind (siehe Gedanken zur Woche 28-b) macht schon ihre herausragende Bedeutung in der christlichen Überlieferung deutlich. Immerhin ist dieser Messkanon ja der erste im nachkonziliaren Messbuch, der Liturgie Pauls VI. Nimmt man ein Messbuch einschließlich eines Volksschotts für die Feier der Heiligen Messe in der vorkonziliaren oder Tridentinischen Liturgie, so handelt es sich hierbei um das Hochgebet, den Messkanon, schlechthin.
Was uns über diese beiden Heiligen stark überliefert ist, verdeutlicht, dass sie die beiden Grundelemente des Christentums, Bekenntnis des Glaubens und Praktische/Angewandte Nächstenliebe sehr konsequent miteinander verbunden haben. Diese existentielle Verbindung von Martyria und Diakonia verdeutlicht, dass diese Grundelemente von Christsein, diese Grundfunktionen von Kirche, nicht auseinandergerissen oder gar gegeneinandergestellt werden sollen. Wahrer Glaube samt dessen verbales Bekenntnis bewährt sich in den Werken der Nächstenliebe. Verwirklichung von Nächstenliebe bezeugt die Ernsthaftigkeit des in Wort oder Schrift erklärten bzw. bekannten Glaubens und stärkt ihn. Es ist ja doch so, dass der Glaube tot oder nutzlos ist ohne die Werke, wie der neutestamentliche Jakobsbrief bekennt (Jak 2,20.26), dass wir in Tat und Wahrheit lieben sollen und nicht mir Wort und Zunge, wie der Erste Johannesbrief mahnt (1 Joh 3,18). Dabei macht schon ein Blick in die beiden ersten Kapitel des Buches Tobit, sowie die beiden Bücher Exodus und Levitikus deutlich, wie sehr Glauben und gute Werke zusammengehören. Zugleich wird hier schon deutlich, dass die Bekenner des so angenommenen wahren Glaubens sich unter Umständen gegen ein brutales Unterdrückerregime behaupten müssen und dessen Opfer werden können.
Genau dies haben die beiden Heiligen Kosmas und Damian bis zur letzten Konsequenz am eigenen Leib erfahren. Egal ob sie nun unter Diocletian oder unter Julian Apostata das Martyrium erlitten, sie sind ihren Weg als in Wort und Tat bekennende Christen konsequent zu Ende gegangen.
Dann weist uns der Umstand, dass beide der Überlieferung nach Ärzte waren, auf die positive Beziehung von Wissenschaft und ganz allgemein Vernunft und authentischem Christentum hin. Ärztinnen und Ärzte sollen ja möglichst gut ausgebildet sein, um an den Menschen Gutes zu vollbringen, anstelle Quacksalber und Kurpfuscher zu sein. Natürlich verdient dabei auch die Tätigkeit von Tierärztinnen und Tierärzten ganz starke Hochachtung. Allein schon in Sinne von Lebensmittelsicherheit kommt ihrer Tätigkeit ja höchste Bedeutung zu. Denken wir dazu auch an Formulierungen wie „Ist der Hund gesund, freut sich der Mensch“ und „Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch“. Nicht umsonst hat auch der Pfarrhof der Pfarrgemeinde zum Heiligen Nikolaus in Stein seine eigene Beziehung zum Tierschutz.
Der noch in jüngster Zeit durch die Kirche so außerordentlich stark empfohlene Kirchenlehrer Thomas von Aquin steht ganz besonders deutlich für die positive Beziehung von Glauben und Vernunft, von Kirche und Wissenschaft (siehe Gedanken zur Woche 46-b). Immer wieder wird deutlich, wie sehr er auf Vernunftargumente Wert legte und eine Entgegensetzung von Glauben und Vernunft ablehnte. Diesbezüglich verdienen heute noch auch seine sog. fünf Gottesbeweise, die „Quinque viae“ Beachtung. Diese können zu Nachdenken, Studium und eigenem Forschen anregen. Schon im Ersten Buch der „Summa contra gentiles“ des Thomas von Aquin kann man lesen (herausgegeben und übersetzt von Karl Albert und Paulus Engelhardt unter Mitarbeit von Leo Düppelmann, Thomas von Aquin Summa contra gentiles I. Darmstadt 2. unveränderte Auflage 2005), wo er gleich zu Beginn auf den so wichtigen, gewissermaßen klassischen, antiken Philosophen Aristoteles Bezug nimmt (Seite 3):
„7. Kapitel. Obwohl nun die genannte Wahrheit des christlichen Glaubens das Fassungsvermögen der menschlichen Vernunft übersteigt, so kann doch das, was der Vernunft von Natur aus gegeben ist, dieser Wahrheit nicht entgegengesetzt sein.
Es steht nämlich fest, daß das, was von Natur aus in die Vernunft hineingelegt ist, das im höchsten Grade Wahre ist, und zwar so sehr, daß nicht einmal zu denken möglich ist, es sei falsch. Ebensowenig darf man das, was im Glauben festgehalten wird, als falsch ansehen, da es ja so sichtbar von Gott her bestätigt wurde. Da nun der Gegensatz zum Wahren allein das Falsche ist, wie bei der Prüfung ihrer Begriffsbestimmungen ganz klar wird, ist es unmöglich, daß den Prinzipien, die die Vernunft von Natur aus erkennt, die genannte Wahrheit des Glaubens entgegengesetzt ist (Seite 25).
Etwas später heißt es in die empiristische Denkrichtung wie zu differenzierender Betrachtungsweise anregend:
„Kapitel 8. Es scheint auch in Betracht gezogen werden zu müssen, daß die sinnenfälligen Dinge, aus denen die menschliche Vernunft den Anfang der Erkenntnis nimmt, zwar in sich irgendwie eine Spur der Nachahmung Gottes enthalten, jedoch eine so unvollkommene, daß sie sich zur klaren Darstellung der Substanz Gottes als ganz und gar ungenügend erweist. Die Wirkungen haben nämlich auf ihre Weise eine Ähnlichkeit mit ihren Ursachen, da das Wirkende ein ihm Ähnliches wirkt. Dennoch erreicht die Wirkung nicht immer die vollkommene Ähnlichkeit mit dem Wirkenden. Die menschliche Vernunft verhält sich also zum Erkennen der Wahrheit des Glaubens, die allein denen, die die göttliche Substanz schauen, ganz und gar bekannt sein kann, dermaßen, daß sie bestimmte Wahrscheinlichkeitsgründe für sie beibringen kann, welche jedoch für sich nicht ausreichen, daß die genannte Wahrheit im Sinne der beweisenden Darlegung oder als durch sich eingesehen begriffen wird. Dennoch ist es nützlich, wenn sich der menschliche Geist mit derartigen, wenn auch noch so schwachen, Argumenten beschäftigt, sofern nur die Anmaßung des Begreifens und Beweisens entfällt. Denn von den höchsten Dingen auch nur in bescheidener und unzulänglicher Betrachtung etwas erschauen zu können, bereitet höchste Freude, …“ (Seite 27 und 29).
Nicht zuletzt das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870) folgte dieser intellektuellen, theologisch-philosophischen Ausrichtung, namentlich in seiner heute leider so oft vergessenen ersten dogmatischen Konstitution “Dei Filius“ (siehe https://www.vatican.va/archive/hist_councils/i-vatican-council/documents/vat-i_const_18700424_dei-filius_la.html und https://www.stjosef.at/index.php?id=konzil__suche&doc=DV1&ui=ger&la=ger), auch genannt „De fide catholica“ (siehe https://katholischglauben.info/wp-content/uploads/2018/09/pius-ix-constitutio-dogmat-de-fide-catholica.pdf).
Dabei propagierte etwa der US-amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce (1839-1914) die „Ehe von Religion und Wissenschaft“, amerikanisch „The Marriage of Religion and Science“, wie er programmatisch in einem Essay formulierte. Wenn schon das Werk des Philosophen und Kirchenlehrers Thomas von Aquin und die dogmatische Konstitution des Ersten Vatikanischen Konzils „Dei Filius/De fide catholica“ heute gerade bei Katholikinnen und Katholiken längst dem Vergessen anheimgefallen sind, dann mag vielleicht ein bedeutender US-amerikanischer Denker wertvolle Anstöße vermitteln.
Gedanken zur Woche 130, Dr. Matthias Martin
25. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Das Gleichnis vom ungerechten Verwalter ist ein besonders deutliches Beispiel, dass eine einzelne Aussage in der Bibel nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden soll. Sei es, dass es sich im Sinne der seit dem Mittelalter durchgesetzten Einteilung um den Teil eines Verses, um einen Vers oder mehr als einen Vers handelt. Immer ist die einzelne Formulierung im größeren Zusammenhang zu sehen. Dies erstreckt sich gerade in den neutestamentlichen Evangelien von der jeweiligen Perikope über das jeweilige Kapitel und Buch bis zur ganzen Bibel. Dabei ist natürlich zu beachten, dass vier der neutestamentlichen Briefe so knapp gefasst sind, dass sie nicht eigens in Kapitel unterteilt sind (siehe Gedanken zur Woche 59 und 128). Was wohl noch öfter übersehen wird, ist die Tatsache, dass es auch eine Schrift des Alten/Ersten Testaments gibt, für die dies zutrifft. Auch das Prophetenbuch Obadja ist so kurz, dass es nicht in Kapitel unterteilt ist. Dieses ist wiederum Teil des Zwölfprophetenbuch. Schon seit langem, wohl seit dem Kirchenvater Hieronymus, werden die dort enthaltenen Prophetenbücher auch als die „Kleinen Propheten“ bezeichnet. Dies bezieht sich aber nicht auf eine vermeintlich kleinere Bedeutung oder verringerte Würde dieser Schriften, sondern lediglich auf ihren kleineren Umfang. Immerhin gehört zu diesen „kleinen Propheten“, eben dem Zwölfprophetenbuch, auch das recht bekannte Prophetenbuch Jona. Auch in den anderen Schriften dieses Zwölfprophetenbuches finden sich immer wieder wichtige Aussagen für ein jüdisches und christliches Verständnis in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre. So findet man Verse aus dem Prophetenbuch Amos auch in der jeweiligen Sonntagslesung, wenn man der üblichen Leseordnung der Nachkonziliaren Liturgie, der Messe Pauls VI. folgt.
Wenn es dann an der betreffenden Stelle nach der neuen deutschen Einheitsübersetzung im Lukasevangelium heißt „(16,8) Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte …“, so ist dies keine Gutheißung von Betrügereien. Schon im darauffolgenden Vers wird dies deutlich. In den weiteren Versen wird dieser kritische Gedankengang fortgeführt. Bei diesem „Lob“ für den ungerechten oder ungetreuen Verwalter mag man an Redensarten denken wie „Der kluge Mann lernt immer gerne etwas dazu. Der noch klügere lernt auch gerne etwas vom Feind.“ Dementsprechend könnte natürlich auch formuliert werden: „Die kluge Frau lernt immer gerne etwas dazu. Die noch klügere lernt auch gerne etwas von der Feindin.“ Das haben beispielsweise die Römer beherrscht. Nicht zuletzt in der Militärtechnologie, in Fragen der militärischen Ausrüstung, übernahmen sie von anderen Völkern wesentliche Dinge. Genau mit der dadurch erhöhten eigenen Schlagkraft unterwarfen bis vernichteten sie dann die einst so gut dastehenden Kontrahenten wie etwa Etrusker, Samniten und Karthager (siehe allgemein Gedanken zur Woche 102-b, 106 und 111-b).
Als ich während meiner Tätigkeit als Priester in USA einmal im Sinne der zitierten Redensart die besondere Bedeutung von Ordensgemeinschaften und da eigens den Bettelorden für die katholische Kirche herausstrich, bekam ich eine eigene bemerkenswerte positive Rückmeldung von jemandem, der ansonsten in Rom tätig war. Ich hatte klargemacht, dass bei der sich phasenweise entwickelnden Katholikenverfolgung unter dem englischen Gewaltherrscher Heinrich VIII. zuerst ganz besonders die Bettelorden ins Visier genommen wurden. Offensichtlich wurden diese als besonders wichtig für die katholische Kirche und damit hinderlich für die Durchsetzung einer anglikanischen Staatskirche angesehen. Erst etwas später wurden dann im englischen Machtbereich verstärkt auch die Abteien vernichtet, die sie tragenden Orden intensiver verfolgt. Das Wohlverhalten von Äbten und manchen Gemeinschaften von Ordensleuten gegenüber der englischen Monarchie samt Distanzierungen von Widerstandsbewegungen wie der „Wallfahrt der Gnade“, auch genannt „Pilgerfahrt der Gnade“ hat sich nicht in Hinblick auf die erhoffte Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Abteien ausgezahlt. Das genaue Gegenteil war der Fall! Nachdem der englisch-monarchische Staatsapparat namentlich mit Bettelorden und regionalen Aufstandsbewegungen fertig war, kamen weitere Ordensgemeinschaften dran. Auch bei der Missachtung gegebener Zusagen gegenüber katholischen Rebellen zeigten Heinrich VIII. und seine Mitarbeiter eine zynische Geschicklichkeit, was an das Gleichnis vom ungetreuen Verwalter in der erwähnten Stelle im Lukasevangelium erinnern kann.
Generell sollte das Gleichnis vom ungerechten Verwalter als Warnung dienen, dass auch bei kirchlichem Vermögen und dessen ethisch verantwortlichem Schutz stets Wachsamkeit und Korrektheit nötig sind. Ganz offensichtlich ist da gerade in den letzten Jahrzehnten innerkirchlich ziemlich viel schiefgelaufen. Die umfassende Änderung des kirchlichen Strafrechts im CODEX IURIS CANONICI/CODEX DES KANONISCHEN RECHTES, abgekürzt CIC, beweist dies (siehe allgemein Gedanken zur Woche 67-b und 84). Wenn nach wenigen Jahren Geltung das gesamt Strafrecht im CIC geändert wird (siehe Gedanken zur Woche 63 und 64-b). Auch die Neufassung des für die Anerkennung neuer Ordens- und ordensähnlicher Gemeinschaften so grundlegende Canon 579 des CIC weist in diese Richtung (siehe Gedanken zur Woche 40-b und 64-b).
Bei der tiefgreifenden Neufassung des Strafrechts im CIC ging es dabei nicht nur um den Bereich sexuellen Missbrauchs. Sehr oft wurde und wird übersehen, dass auch der Bereich wirtschaftlicher Vergehen neu behandelt wurde. Dies passt zum Gleichnis vom ungerechten Verwalter.
Jetzt wird zumindest auf dem Papier falscher Umgang mit Kirchenvermögen, wie unerlaubte Aneignung oder rechtswidrige Veräußerung, mit Strafe bedroht ( https://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2021/06/01/0348/00750.html#de ). So lautet jetzt Canon 1376:
„§ 1. Bei bestehender Verpflichtung, den Schaden wieder gut zu machen, soll mit den Strafen des can. 1336 §§ 2-4 bestraft werden:
1° wer sich Kirchengüter aneignet oder verhindert, dass ihre Früchte erhalten werden;
2° wer ohne die vorgeschriebene Beratung, Zustimmung oder Erlaubnis oder eine andere vom Recht für die gültige und erlaubte Veräußerung von Kirchengütern festgelegte Voraussetzung diese veräußert oder im Hinblick auf sie einen Akt der Verwaltung setzt.
§ 2. Bei bestehender Verpflichtung, den Schaden wieder gut zu machen, soll mit einer gerechten Strafe, den Amtsverlust nicht ausgeschlossen, bestraft werden:
1° wer aus schwerer eigener Schuld die in § 1, n. 2 genannte Straftat begeht;
2° wer anderweitig bei der Verwaltung der Kirchengüter grob fahrlässig handelt.“
Besonders in Canon 1377 - § 1 mag man an das Gleichnis vom ungerechten Verwalter denken:
„Wer irgendetwas schenkt oder verspricht, damit jemand, der ein Amt oder eine Aufgabe in der Kirche ausübt, etwas unrechtmäßig tut oder unterlässt, soll nach Vorschrift des can. 1336 §§ 2-4 mit einer gerechten Strafe belegt werden; ebenso soll, wer diese Geschenke oder Versprechen annimmt, bei bestehender Verpflichtung, den Schaden wieder gut zu machen, nach der Schwere der Straftat bestraft werden, den Amtsverlust nicht ausgenommen.“
Grundsätzlich Bedeutung sollte dann auch Canon 1377 - § 2 zukommen:
„Wer bei der Ausübung eines Amtes oder einer Aufgabe eine über das Festgelegte hinausgehende Summe oder eine weitere Geldleistung oder etwas zu seinem Nutzen fordert, soll bei bestehender Verpflichtung, den Schaden wieder gut zu machen, mit einer entsprechenden Geldstrafe oder anderen Strafen belegt werden, den Amtsverlust nicht ausgeschlossen.“
1. Lesung: Am 8,4-7
2. Lesung: 1 Tim 2,1-8
Evangelium: Lk 16,1-13 (oder 16,10-13)
Gedanken zur Woche 130-b, Dr. Matthias Martin
25. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Folgen wir im Jahre 2022 dem bei uns üblichen liturgischen Kalender für die 25. Woche im Jahreskreis, so verdeutlicht dies, dass die Kirche seit ihren frühen Tagen immer wieder Verfolgungen ausgesetzt war. So wird auch der in der Überlieferung als Apostel und Evangelist betrachtete heilige Matthäus mit der liturgischen Farbe Rot, der Farbe der Märtyrer, geehrt. Er soll tatsächlich als Missionar das Martyrium erlitten haben. In der kleinen Ausgabe des Deutschen Messbuchs ist zu lesen:
„Der aus Kafarnaum stammende und durch Jesus von der Zollstätte weg berufene Apostel gilt als Verfasser des ersten Evangeliums. Schon im Martyrologium Hieronymianum ist der heutige Tag für sein Gedächtnis angegeben.“
Dabei ist natürlich zu beachten, dass gerade bezüglich der Entstehung der ins Neue/Zweite Testament aufgenommenen Evangelien die Meinungen deutlich auseinandergehen und konkurrierende Theorien oder Hypothesen vertreten werden (siehe Gedanken zur Woche 109-b, 119, 121, 125 und insbesondere 99; hier wird u. a. auf die Position hingewiesen, wonach das Matthäusevangelium das älteste der neutestamentlichen Evangelien sei). Auf jeden Fall wird der heilige Matthäus auch außerhalb der römisch-katholischen Kirche als Märtyrer verehrt.
Der frühen Zeit des Christentums wird auch das Martyrium des heiligen Januarius zugewiesen. Der Überlieferung nach hat er als Bischof von Neapel zusammen mit mehreren Gefährten in der Christenverfolgung unter dem römischen Kaiser Diocletian das Martyrium erlitten. Die Überlieferung, dass er mit mehreren, zumindest üblicherweise nicht namentlich genannten Gefährten das Martyrium erlitten habe, verdeutlicht, dass die in der kirchlichen Überlieferung bzw. Liturgie namentlich verehrten Märtyrerinnen und Märtyrer in Hinblick auf die tatsächlichen Opfer römischer Christenverfolgungen nur die Spitze des sprichwörtlichen Eisberges darstellen (siehe Gedanken zur Woche 102-b). So erlitten Schätzungen zufolge allein während der Christenverfolgung unter Diocletian im römisch besetzten Ägypten einige zehntausende Christinnen und Christen das Martyrium. Alter Überlieferungen zufolge erlitt der heilige Mauritius mit seinen Gefährten wohl zwischen 280 und 300 im heutigen Schweizer Kanton Wallis das Martyrium. Es soll sich bei den Opfern sogar um eine ganze inzwischen aus Christen bestehende Legion gehandelt haben, welche sich weigerten, selber an der römischen Christenverfolgung dieser Zeit mitzuwirken.
Dass die namentlich verehrten Märtyrerinnen und Märtyrer nur so etwas wie die Spitze eines Eisberges darstellen, gilt auch für andere Christenverfolgungen, so etwa die japanische Christenverfolgung, die verschiedenen englisch-britischen, die während des 20. Jahrhunderts in Mexiko und andere Verfolgungen (siehe Gedanken zur Woche 60-b). Dies gilt erst recht für die verschiedenen kommunistischen Christenverfolgungen, bei denen die Täterregime natürlich alles taten und tuen, um ihre Untaten zu vertuschen. Der Holodomor genannte und durch die Sowjetunion zu Beginn der dreißiger Jahre begangene Völkermord in der Ukraine einschließlich ukrainisch besiedelten Gebieten forderte zwischen sieben und vierzehn Millionen Menschenleben. Es überrascht nicht, dass in weiten Gebieten sich die Mehrheitsverhältnisse zulasten der Ukrainerinnen und Ukrainer veränderten, ganze Gebiete entukrainisiert wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann eigens ein gezielter Vernichtungsfeldzug gegen die Ukrainisch-katholische Kirche/ukrainisch-unierte Kirche/Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche durchgeführt (siehe Gedanken zur Woche 128-b). Gleiches geschah in Hinblick auf die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, was nicht vergessen werden darf. In beiden Fällen scheiterten die sowjetischen Machthaber mit all ihren Handlangern in Ost und West. Beide Gemeinschaften haben in Untergrund und Exil überlebt. Längst hat mit dem Patriarchen von Konstantinopel der ranghöchste aller orthodoxen Patriarchen die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche mit dem Recht auf Selbstregierung, genannt Autokephalie, anerkannt. Das so wichtige orthodoxe Patriarchat von Alexandrien und die orthodoxen Kirchen von Estland, Finnland, Zypern und Griechenland haben sich rasch dieser Anerkennung ausdrücklich angeschlossen.
Christenverfolgungen gab es auch auf der koreanischen Halbinsel. Die Heiligsprechung von Andreas Kim Taegon, Paul Chong Hasang und Gefährten weist darauf hin. Brutal werden bis heute Christen wie die Anhänger anderer Religionen im kommunistischen Nordkorea verfolgt. Es wird mitunter davon ausgegangen, dass gerade bei der Verfolgung von Christen in Nordkorea im weltweiten Vergleich die schlimmsten Zustände herrschen (siehe z. B. https://www.christianitytoday.com/news/2021/january/christian-persecution-2021-countries-open-doors-watch-list.html und https://www.statista.com/statistics/271002/persecution-of-christians-worldwide/ und https://www.christianitytoday.com/news/2021/january/christian-verfolgung-2021-lnder-open-doors-watch-liste-de.html). Demgegenüber genießen Christinnen und Christen wie die Anhängerinnen und Anhänger anderer Religionen in der prowestlichen Republik Südkorea alle Freiheiten.
Eigens befinden sich gerade die meisten der Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen in einer bedrängten Situation. Derzeit richten sich infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine die Augen vieler auf die Ukrainisch-katholische Kirche. Aber auch die meisten anderen zur katholischen Weltkirche gehörenden Kirchen eigenen Rechts jenseits der lateinischen Kirche stehen unter besonderem Druck. So befindet sich die Heimat mehrerer dieser Kirchen eigenen Rechts im Nahen Osten (Chaldäisch-Katholische Kirche, Maronitische Kirche, Koptisch-Katholische Kirche, Melkitisch-Katholische Kirche, Syrisch-Katholische Kirche) und angrenzenden Regionen (Armenisch-Katholische Kirche, Äthiopisch-Katholische Kirche, Eritreisch-Katholische Kirche) mit ihren jeweiligen Konflikten. Auch für die Kirchen eigenen Rechts mit Zentrum auf dem indischen Subkontinent nimmt die Bedrängnis eher zu (Syro-Malabarische Kirche und Syro-Malankara/Syro-Malankarische Kirche). Hierbei darf aber nicht vergessen werden, dass die britische Kolonialherrschaft dort Abermillionen Menschen das Leben gekostet hat und den Subkontinent schamlos ausplünderte. Dabei war und ist das britische Staatsoberhaupt bekanntlich zugleich Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche. Bischöfe dieser Staatskirche sind auch weiterhin Mitglieder des Oberhauses in London. Die britischen Streitkräfte waren und sind die Streitkräfte Seiner bzw. Ihrer Majestät und damit des anglikanischen Kirchenoberhauptes. Dies gilt natürlich auch in Hinblick auf Kolonialkriege und dergleichen! Diese anglikanische Staatskirche behauptet ja, christlich zu sein, und wird innerhalb der christlichen Ökumene meist als Partnerin anerkannt, allen Bedenken zum Trotz. Dass dies in Indien einen sehr negativen Eindruck vermittelt, was Christentum sein soll, ist nachvollziehbar. Hinzu kommen immer wieder Lobhudeleien von katholischen Kirchenvertretern auf das Vereinigte Königreich, mit seinen Streitkräften und eben dem monarchisch-staatskirchlichen Staatsoberhaupt. In Zusammenhang mit dem jüngsten Irakkrieg war wiederholt zu vernehmen, mit Kritik daran verletze man doch die religiösen Gefühle so vieler Anglikaner, mit der britischen Königin bzw. jetzt dem König als ihrem religiösen Oberhaupt. Kritik an dem durch Großbritannien vorangetriebenen Irakkrieg mit all seinen furchtbaren Folgen müsse deswegen unterlassen werden. Das lässt wohl gerade auf dem indischen Subkontinent, aber nicht nur da, das Christentum erst recht in einem schlechten Licht erscheinen. Umso mehr empfiehlt sich eine wieder etwas klarere Abgrenzung gegenüber dem britischen System, wie es sich vor wenigen Jahren erst wieder mit dem jüngsten Überfall auf den Irak wie dem Überfall auf Libyen in Szene setzte. Dabei war wohlgemerkt britischerseits in Person der Königin das Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche zugleich die offizielle Oberbefehlshaberin, also die oberste Kriegsherrin.
Bezüglich der Ukrainisch-Katholischen Kirche wurde wiederholt kritisiert, dass sie mit Rücksicht auf Moskau und die dort sehr enge Verbindung von Staat und Russisch-Orthodoxer Kirche noch nicht in den Rang einer Patriarchalen Kirche erhoben wurde. Es gibt gerade jetzt wieder die massive Befürchtung, dass die Ukrainisch-Katholische Kirche wie in den Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil mehr oder weniger deutlich als Bauernopfer behandelt werde, um russischen Wünschen gefällig zu sein.
Gedanken zur Woche 129, Dr. Matthias Martin
24. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Das Doppelgleichnis vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme verdeutlicht, dass einzelne Bibelstellen nicht isoliert zu betrachten sind. Sie schweben, um es etwas bildhaft auszudrücken, nicht im luftleeren Raum. Sie sind nicht losgelöst von anderen Inhalten und Texten bzw. Textteilen zu betrachten. Natürlich geht es immer wieder darum, betreffende Verse etwa eines Sonntagsevangeliums vor dem Hintergrund betreffender sozialer, gesellschaftlicher, technologischer, sprachlicher und kultureller Gegebenheiten zu verstehen. Kurz gesagt, es geht darum, den geschichtlichen Zusammenhang zu beachten.
Unterschiedliche Wissenschaften haben vom christlichen Glauben her immer wieder starke Impulse erhalten (siehe allgemein Gedanken zur Woche 123). Umgekehrt haben verschiedene Wissenschaften einschließlich der Philosophie mit ihren Disziplinen und unterschiedlichen Richtungen immer wieder gläubige Christinnen und Christen und überhaupt christliches Leben angeregt.
Der Professor der berühmten US-Universität Yale, Dale B. Martin, stellte heraus, dass ganze Fachabteilungen an Universitäten geschichtlich von der Beschäftigung mit der Bibel herkommen (https://www.youtube.com/watch?v=HC7-MEwQccE). Er betonte nicht zuletzt die Bedeutung von Schriften für die Interpretation des Neuen/Zweiten Testaments, die selber gar nicht zu dem gehören, was üblicherweise als „Bibel“ bezeichnet wird. Dabei ist Dale B. Martin Verfasser einer ganzen Reihe bemerkenswerter Bücher, welche sich mit der Bibel und dem Umgang mit ihr beschäftigen. In seinem Wirken schenkt er nicht zuletzt der sozialen und kulturellen Geschichte der gräko-römischen Welt der Antike Aufmerksamkeit (siehe z. B. https://emeritus.yale.edu/fellows/dale-martin).
So ist unbestritten, dass in neutestamentlicher Zeit die meisten Menschen im Bereich der Landwirtschaft einschließlich Bereichen wie dem Weinbau tätig waren. Dass Jesus nach Überlieferung des Lukasevangeliums eine sehr grundlegende Aussage in die Gestalt eines Gleichnisses kleidete, in der es um die Rettung eines Schafes geht, verwundert da umso weniger. Auch die Erwähnung von Wüste als Ort, wo dieses Schaf zu suchen ist, wird leicht verständlich. Schließlich breiteten und breiten sich über weite Gebiete des Nahen Ostens Wüsten und Halbwüsten aus. Sind Wüsten für Menschen namentlich in Mitteleuropa eine fremde Angelegenheit, so ist dies bei Menschen in anderen Weltgegenden ganz anders. Ein Blick in einen Atlas kann dies verdeutlichen. Geografische Kenntnisse können also eine wertvolle Verstehenshilfe sein, wenn man sich mit Bibelstellen beschäftigt. So ist es kein Zufall, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerade mit der Entwicklung der landschaftlichen Gegebenheiten des Heiligen Landes wie des Zweistromlandes von Euphrat und Tigris schon seit geraumer Zeit intensiver beschäftigen. Auch archäologisches und philologisches, einschließlich etwa auch numismatisches Wirken entwickelte sich gerade mit Blick auf diese zentralen Regionen biblischer Ereignisse, von denen sich Überlieferungen im Alten/Ersten und Neuen/Zweiten Testament finden. Trotz aller Bedrängnisse und Anspannung bei der Sicherung der Existenz des eigenen Staatswesens und dem Eintreten für jüdische Menschen in aller Welt betreibt man eifrig im Staat Israel archäologische und andere Forschungen.
Da wird auch deutlich, welche interessante geschichtliche Quellen Münzen sein können. Eine Drachme war eine auf Silber beruhende Münze im Altertum. Mitunter wird behauptet, sie sei überhaupt die älteste Währungseinheit der Welt (https://www.mdm.de/muenzwelt/lexikon-a-z/muenzlexikon-d/drachme). Dabei ist zu bedenken, dass, wenn von „Griechischen Drachmen“ die Rede ist, das was irgendwie von irgendjemandem als antikes Griechenland bezeichnet wird, sehr lange in hunderte bis über tausend Herrschaftsbereiche aufgesplittert war. Je nach Gegend lebten unterschiedliche Stämme bzw. Stammessplitter, wurden bei geringen Entfernungen bereits unterschiedliche Götter verehrt und für das politische Leben so etwas wie unterschiedliche Verfassungsmodelle verwirklicht. Lange wurden selbst unterschiedliche Alphabete verwendet. Derartiges fand inzwischen sogar Niederschlag in historisierenden Fantasyfilmen. Dass Städte ihre eigenen Münzen prägten, passt ins Bild.
Selbst als der persische Großkönig Xerxes Krieg gegen einige griechische Stadtstaaten führte, war es mit „griechischer“ Einheit nicht weit her. Zahlreiche heute als griechisch bezeichnete Staatswesen verhielten sich neutral oder waren sogar propersisch. Schon der Vater des Xerxes, Großkönig Darius, konnte bei seinem Feldzug gegen Athen auf die Unterstützung von griechischen Sympathisanten des persischen Reiches zählen. Zwar erlitt sein Heer in der durch die Sportgeschichte berühmt gewordenen Schlacht von Marathon einen Rückschlag, dass aber auch für seine attischen Gegner die Bäume nicht so einfach in den Himmel wuchsen, zeigte sich bald überdeutlich. Da scheiterte ein von athenischer Seite angezettelter Feldzug gegen perserfreundliche „Griechen“. Im 20. Jahrhundert wurde dann schon gemeint, die Schlacht von Marathon sei den Persern nur als ein unbedeutendes Gefecht an ihren Grenzen erschienen.
Dass der Überlieferung nach beim größeren Griechenlandfeldzug des Xerxes ein angeblicher Verräter an den Thermopylen persische Truppen in den Rücken der unter spartanischem Kommando kämpfenden Verteidiger führte, wird heutzutage von Historikern und Mitwirkenden bei Geschichtsfilmen mitunter verständnisvoll kommentiert. Was hätten die Einheimischen in diesem Teil des heutigen Mittelgriechenland mit den von woanders herkommenden Spartanern zu schaffen gehabt? Diese hätten selber von damaligen Menschen, welche in der Gegend der Thermopylen lebten, als Eindringlinge betrachtet werden können. Dazu hätten ja die Perser betreffende Hilfsdienste wie das Geleiten ihrer Truppen durch für sie unbekanntes Gelände sicher ordentlich honoriert.
Die Spartaner ihrerseits hatten nicht nur ein ganz eigenes Währungssystem. Ihr Staatswesen beruhte in seiner Blütezeit auf der erbarmungslosen Unterjochung der für sie rechtlosen Heloten und der Zwangsrekrutierung der Periöken für den Militärdienst, genannt Heeresfolge. Bezeichnenderweise ging der Ausdruck „Heloten“ für völlig entrechtete Menschen in den allgemeinen Wortschatz ein. Nicht allzu lange nach dem Scheitern des gerne so genannten Griechenlandfeldzuges von Großkönig Xerxes scheute sich Sparta nicht, mit dem Persischen Großreich im Peloponnesischen Krieg gemeinsame Sache gegen Athen mit dessen Untertanen und Verbündeten zu machen.
Dass es ein „Griechenland“ als solches nicht gab, fand nicht zuletzt seinen Niederschlag in den beiden Makkabäerbüchern, welche wir im Alten/Ersten Testament finden. Die Einschätzung, das antike Griechenland sei eine Erfindung deutscher Studienräte in der Zeit der Romantik des 19. Jahrhunderts, ist bemerkenswert.
So mag das Gleichnis von der verlorenen Drachme zur Wiedergewinnung verlorenen Geschichtsbewusstseins und Streben nach vorurteilsfreier Betrachtung anregen. Solches Streben stellt wie die Suche nach der verlorenen Drachme im Gleichnis eine Herausforderung dar. Auch der Auszug aus Ägypten und der Weg der Israeliten durch die Wüste, wie sie im alttestamentlichen Buch Exodus überliefert werden, war eine Herausforderung.
Dabei sollte gerade dieses Gleichnis von der verlorenen Drachme zusammen mit dem vom verlorenen Schaf auch einen Anstoß bieten, Menschen nicht von vornherein auszugrenzen, wenn diese nicht eigenen liebgewonnenen Vorstellungen entsprechen.
1. Lesung: Ex 32,7-11.13-14
2. Lesung: 1 Tim 1,12-17
Evangelium: Lk 15,1-32 (oder 15,1-10)
Gedanken zur Woche 129-b, Dr. Matthias Martin
24. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Wenn Heiligen wie des heiligen Johannes Chrysostomus, des heiligen Kornelius, auch Cornelius geschrieben, und des heiligen Cyprian in einer einzigen Woche gedacht wird, so macht dies dramatisch deutlich, wie schwierig authentische christliche Existenz im römischen Reich war. So wirkten der in der kirchlichen Überlieferung als Papst verehrte heilige Kornelius wie auch der heilige Cyprian als Leiter der kirchlichen Metropole von Karthago in der Mitte des dritten Jahrhunderts. Cyprian wird gerne als Erzbischof von Karthago oder auch als Primas von Afrika bezeichnet. Dabei bezieht sich letzteres in der Realität nur auf den nordafrikanischen Raum. Schon in der Zeit vor Entstehung des Christentums war die Grenze zwischen Tripolitanien und der Cyrenaika die Grenze zwischen dem karthagischen und dem auf Ägypten zentrierten ptolemäischen Einflussbereich gewesen. Dementsprechend war die Cyrenaika vorher Einflussbereich des Persischen Reiches gewesen, als dieses Ägypten beherrschte. Später entwickelte sich entlang dieser Grenze zwischen Tripolitanien und der Cyrenaika die Grenze für die Reichsteilung zwischen dem West- und dem Oströmischen Reich. Wie sich in unseren Tagen Grenzziehungen und staatliche Neugestaltung in diesem Teil Nordafrikas entwickeln werden, bleibt abzuwarten. Gerade auch hier ist kein „Ende der Geschichte“ zu erkennen.
Die Zeit des heiligen Kornelius und des heiligen Cyprian war aber die Zeit der ersten systematischen reichsweiten Christenverfolgung im Römischen Reich. Gestartet hatte diese Kaiser Decius (249-251), der schon vorher seine Neigung zu heimtückischem und brutalem Verhalten bewiesen hatte. Als Militär und erfolgreicher Putschist ging er sehr gezielt gegen die christliche Gemeinschaft vor. Verbunden war diese direkte und auf die Vernichtung von Menschenleben ausgerichtete Verfolgung mit dem Versuch, altrömische Überlieferungen gerade im religiösen Bereich stärker wiederzubeleben. Offensichtlich kam es in der relativ kurzen Verfolgungszeit unter Decius nicht zu vielen Hinrichtungen, wohl aber zu vielen Abgefallenen. Die Frage, wie diese bei Rückkehrwilligkeit in die Kirche zu behandeln seien, führte zu schweren innerchristlichen Auseinandersetzungen. In Rom ließ sich der prominente Theologe Novatian gar zum Gegenbischof wählen. Dementsprechend wird er oft als Gegenpapst bezeichnet. Seine als Novatianer bezeichneten Anhänger kritisierten die Versöhnungsbereitschaft des römischen Bischofs Kornelius gegenüber in der Verfolgung abgefallenen Christen. Ihnen war das, was heute oft als die Großkirche bezeichnet wird, zu lasch. Die Novatianer wurden eine rigoristische Gegenkirche, welche ernstzunehmende Bedeutung gewann. Ihr letztendliches Verschwinden wurde gerade durch innere Spaltungen gefördert. So etwas sollte für alle heute im religiösen Bereich Wirkenden eine deutliche Warnung sein. Natürlich war schon die Abspaltung dieser Novatianer von der Großkirche des heiligen Kornelius und des heiligen Cyprian eine schwere Herausforderung gewesen. Nicht umsonst gibt es die lateinische Redensart „Divide et impera“, zu Deutsch „Teile und herrsche“. Römische Machthaber haten eine solche Strategie immer wieder angewandt. Die Vernichtung des Christentums aber misslang. Zu Hilfe kamen den verfolgten Christen das germanische Volk der Goten. Gegen sie verlor der Christenverfolger Decius nicht nur die Schlacht, sondern auch das Leben (siehe Gedanken zur Woche 66-b). Wenige Jahre später kam es zu Verfolgungen unter Kaiser Valerian, bei dem der heilige Cyprian (von Karthago) den Märtyrertod starb. Dessen Niederlage gegen das neupersische Reich der Sassaniden samt Gefangenahme sowie die Angriffe germanischer samt sarmatischer wie nordafrikanischer Völker und eigene Abspaltungstendenzen von Gebieten des Römischen Reiches dürften Entlastungseffekte für die dort wieder verfolgten Christen bedeutet haben.
Hatte schon der Christenverfolger und offensichtliche unfähige Heerführer Valerian mit seinem Sohn Gallienus einen Mitkaiser für den Westen eingesetzt, so ging später mit der Verselbständigung des West- und des Oströmischen Reiches die Reichseinheit völlig verloren. Aus dem Oströmischen Reich ging hervor, was gemeinhin das Byzantinische Reich genannt wird. In die Zeit der allmählichen Verselbständigung des West- und des Oströmischen Reiches fällt das Leben und Wirken des heiligen Johannes Chrysostomus (ungefähr 344/354-407). Als Bischof von Konstantinopel, das zum Sitz des oströmischen Kaisers aufgerückt war, wirkte er engagiert in sozial-caritativer Hinsicht. So wird ihm die Errichtung von Hospizen und Hospitälern zugeschrieben. Zugleich war ihm die Glaubensverkündigung ein großes Anliegen. Eigens gewann er für die Entwicklung der byzantinischen/konstantinopolitanischen Liturgie große Bedeutung. Die größte Kirche eigenen Rechts, also Kirche sui iuris, nach der Lateinischen Kirche wie überhaupt unter den Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen ist die Ukrainisch-katholische Kirche, auch genannt die ukrainisch-unierte Kirche oder kirchenamtlicher die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche.
Als Johannes Chrysostomos die Reichen und Mächtigen offen kritisierte und damit den Konflikt mit dem Kaiserhof nicht scheute, wurde er gegen die scharfen Proteste des Papstes in Rom abgesetzt und in die Verbannung geschickt. Als er weiter verschleppt werden sollte, starb er als Opfer oströmischer Politik auf dem Weg in seinen neuen Verbannungsort. Er ist ausdrücklich als Kirchenlehrer anerkannt, was nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner so kritischen Haltung gegenüber den führenden Schichten des Oströmischen Reiches bemerkenswert ist. Dabei wird er in verschiedenen christlichen Konfessionen verehrt, bis in Anglikanertum und Protestantismus hinein. Zwar starb er als Opfer eines brutalen Regimes, dem er sich gewaltlos wie mutig entgegengestellt hatte, und wird von vielen Menschen als so etwas wie ein Märtyrer betrachtet. Allerdings wird er in der katholischen Kirche nicht offiziell als Märtyrer gefeiert. Sowohl wenn man in den Volksschott von 1961 für die Feier der Heiligen Messe im Tridentinischen Ritus als auch in das bei uns verwendete nachkonziliare Deutsche Messbuch blickt, wird dies bestätigt. Sowohl im Volksschott von 1961 wie im Direktorium der Diözese St. Pölten 2021/2022 wird als Liturgiefarbe für seinen Gedenk- bzw. Festtag weiß angegeben und nicht das Rot für Märtyrer.
Dabei hatte er grundsätzlich den Weg für entschlossene Christinnen und Christen gewiesen, auch den Konflikt mit dem Oströmischen bzw. Byzantinischem Kaisertum nicht zu scheuen.
Mit seinem Leiden und Sterben erging es ihm wie Papst Pius VI. (1775-1799). Dieser eigens von Johann Wolfgang von Goethe gewürdigte Förderer der Wissenschaften und der Künste wurde von den französischen Besatzern des Kirchenstaates verschleppt und starb während der Deportation. Bei ihm ist überhaupt bis zum heutigen Tag die Heiligsprechung wie auch die Seligsprechung unterblieben, trotz der nach Meinung vieler sonst inflationären Zunahme an Selig- und Heiligsprechungen in den letzten Jahrzehnten. Gegen gar manche dieser Selig- und Heiligsprechungen wurden bekanntlich ernste Einwände vorgebracht. Dabei hatten bereits Zeitgenossen Pius VI. als so etwas wie einen Märtyrer gesehen, der für den Glauben gestorben sei. Gegner der napoleonischen Gewaltherrschaft beriefen sich alsbald auf Pius VI. Aber nimmt man in Kirchenkreisen mit dem Unterlassen selbst einer Seligsprechung vielleicht bewusst Rücksicht auf den französischen Staatsapparat und profranzösische Kreise bzw. Handlanger in verschiedenen Teilen der Welt? Die Frage darf gerade vom historischen Standpunkt aus zumindest gestellt werden. Auch fragt man sich, warum etwa die Seligsprechung Pius VII. (1800-1823) unterblieben ist. Immerhin musste dieser seinen Widerstand gegen den Tyrannen Napoleon I. mit jahrlanger Inhaftierung bezahlen, die er in Treue zu seiner Aufgabe durchlitt.
Gedanken zur Woche 128, Dr. Matthias Martin
23. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Dass die Nachfolge Jesu eine Herausforderung ist, wird im Neuen/Zweiten Testament an mehr als einer Stelle angesprochen. Solche Worte lassen sich in den größeren Gesamtzusammenhang einordnen, dass das christliche Leben in dieser Welt mit Widerständen und vielfältigen Problemen zu tun hat und die Christinnen und Christen aufgefordert sind, sich nicht gemütlich zurückzulegen. Sie sollen vielmehr danach streben, Gutes zu tun und Böses zu unterlassen in Gedanken, Worten und Werken. Davon sollen sie sich auch nicht durch eigene Schwächen und schlechten Neigungen abbringen lassen.
Recht drastisch heißt es bereits im alttestamentlichen Buch Ijob:
„(7,1) Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf der Erde? Sind nicht seine Tage die eines Tagelöhners?
(2) Wie ein Knecht ist er, der nach Schatten lechzt, wie ein Tagelöhner, der auf seinen Lohn wartet.“
Ehrlich betrachtet ist schon die konsequente Einhaltung der Zehn Gebote eine starke, ja übermenschliche Herausforderung. Der uns gerade im Buch Exodus berichtete Weg der Israeliten durch die Wüste bis ins gelobte Land war eh keine Vergnügungsreise.
Dass es darum geht, gute Taten zu vollbringen und Schwierigkeiten zu überwinden, wird auf eigene Weise auch in dem neutestamentlichen Brief an Philemon, dem Philemonbrief, angesprochen. Dabei ist dieser so knapp formuliert, dass er wie der Zweite und der Dritte Johannesbrief sowie der Judasbrief nur über Verse und über keine Kapiteleinteilung verfügt (siehe Gedanken zur Woche 59).
In eigener Art der Formulierung werden Schwierigkeiten im menschlichen Leben etwa auch schon im wiederum alttestamentlichen Buch der Weisheit angesprochen. Dies geschieht sehr eindrücklich im sog. Gebet Salomos.
Gegen Schwierigkeiten und gerade gegen eigene Schwächen und böse Neigungen anzukämpfen ist auch in unseren Tagen fortdauernde Herausforderung für Christinnen und Christen. Dies wird durch die Entwicklung in dem so eindrucksvollen Bereich der Medien verstärkt. Fehlverhalten kann heute sehr rasch die Runde machen. Natürlich besteht fortwährend die Gefahr, dass heute umso schneller auch falsche Beschuldigungen und einfach Klatsch und Tratsch die Runde machen, ja sogar weite Verbreitung finden. So sind Christinnen und Christen gehalten, den über Medien einschließlich den Sozialen Medien verbreiteten Unterstellungen mit einem kritischen Geist zu begegnen und sich selber vor unbedachten Stellungnahmen und enthemmter Wortwahl zu hüten. Da hat wohl die Mahnung an Katholikinnen und Katholiken etwas für sich, statt die Zeit mit der Beschäftigung mit dubiosen bis offensichtlich unsinnigen Behauptungen in Sozialen Medien zu verschwenden, sich lieber dem Studium der Kirchenväter zu widmen. Natürlich ist das Lesen der Bibel ganz generell zu empfehlen wie auch die Beschäftigung mit Geschichte und Philosophie, ganz im Sinne des Heiligen Papstes Pius X. (siehe Gedanken zur Woche 110-b).
Gute Ausbildung und Ankämpfen gegen eigene schlechte Neigungen sind gerade eine Herausforderung für kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und alle, die es werden wollen. Es ist offenkundig, dass Fehlverhalten in diesem Bereich gerade heutzutage für Skandal sorgt und immer wieder schweren Schaden zufügt. Dabei hat aber schon der Kirchenlehrer und Papst Gregor I. mit seiner Amtszeit von 590 bis 604 (siehe Gedanken zur Woche 25-b und 75-b) deutlich gemahnt:
„Besser ist, es gibt Skandal, als dass die Wahrheit zu kurz kommt.“
Als Ansporn, einer solchen Mahnung nach Kräften zu folgen, mag auch dienen, dass sich Gregor der Große über konfessionelle Grenzen über die Jahrhunderte hin großer Anerkennung erfreute und oft noch erfreut.
Jesus selber hat sich nach den Worten des Neuen/Zweiten Testaments als die Wahrheit und eben nicht als die Vertuschung bezeichnet. Im Johannesevangelium wird den Jüngern verheißen „(8,32) … und die Wahrheit wird euch befreien“, oder wie es auch wiedergegeben wird, „und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Davon, dass Vertuschung, Verschweigen unangenehmer Tatsachen oder einfach Klatsch, Tratsch und Oberflächlichkeiten befreiten, war nicht die Rede. In den Abschiedsreden des Johannesevangeliums (16,13) wird der Heilige Geist als der „Geist der Wahrheit“ bezeichnet, der die Jünger selber in der ganzen Wahrheit leiten werde. Als Geist des geschickten Vertuschens oder des Verbreitens von Unsinn wird er also ganz und gar nicht bezeichnet, schon gar nicht in den Abschiedsreden des Johannesevangeliums.
Das Streben nach wahrer Erkenntnis bei kirchlichen Mitarbeitern, deren gediegene Ausbildung, war eigens Thema auf dem Konzil von Trient (1545-1563) und dem Zweiten Vatikanische Konzil (1962-1965). Dieses erließ mit „Optatam totius“ ein eigenes, recht umfangreiches Dekret über die Priesterausbildung (siehe Gedanken zur Woche 46, 73 und 123). Dieses konziliare Dekret besitzt über die engere oder eigentliche Priesterausbildung hinaus seine Aussagekraft und dies in den vorhandenen unterschiedlichen Kirchen eigenen Rechts in der katholischen Weltkirche.
Die Zurückweisung der Grundversuchung des Fideismus ist auch und nicht zuletzt in dem breiten Feld der Ausbildung von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine drängende Daueraufgabe (siehe allgemein Gedanken zur Woche 6, 54-b, 90-b, 103 und 110-b).
So wurden natürlich auch in den Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen jeweils eigene Bildungseinrichtungen geschaffen. Besondere Bildungseinrichtungen für die Mitglieder der Katholischen Ostkirchen mit ihren vielfältigen Überlieferungen in Spiritualität, Theologie, Disziplin und Liturgie wurden seit der katholischen Erneuerung im 16. Jahrhundert in Rom geschaffen. Ein Blick auf diesen heutzutage gerade in Mitteleuropa gerne übersehenen Aspekt mag das Verständnis für die Weltkirche fördern.
So wurde im Jahre 1576 in Rom das Päpstliche Griechische Kolleg für die Ausbildung von Männern aus dem katholisch-ostkirchlichen Bereich gegründet. Gründer war kein geringerer als der von 1572 bis 1585 amtierende Papst Gregor XIII. Dieser wurde vor allem durch seine Kalenderreform berühmt, welche dem heute weltweit verwendeten Kalender bezeichnenderweise den Namen Gregorianischer Kalender gab. Gregor XIII. ist auch untrennbar mit der Gründung des Maronitischen Kollegs verbunden, welches noch während seiner Amtszeit in den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts seinen Betrieb aufnehmen konnte.
Einen Schub für die Gründung bedeutender Bildungseinrichtungen für Kandidaten aus den Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen unierten Kirchen in Rom gab es dann vom 19. Jahrhundert an. So darf 1883 als Gründungsjahr des Päpstlichen Armenischen Kollegs angenommen werden. Dass die Gründung solcher Bildungseinrichtungen auch eine politische Aussagekraft hat, verdeutlichen sicher gerade die Entstehung des Päpstlichen Ukrainischen Kollegs zum heiligen Josaphat im Jahre 1897 und des Ukrainischen Kleinen Seminares nach dem II. Weltkrieg. Schon vorher war das Italo-Albanische Seminar gegründet worden. Letzteres verdeutlicht, dass das, was heutzutage gerne einfach als „Italien“ bezeichnet wird, keine so einheitliche Größe ist. Damit setzte auch die Gründung einer kirchlichen Bildungseinrichtung einen Kontrapunkt gegen nationalistische Mythenbildung.
Einen eigenen Kontrapunkt gegen italienischen Imperialismus wenige Jahre vor dessen nächstem Eroberungskrieg gegen Äthiopien setzte dann die Gründung des Päpstlichen Äthiopischen Kollegs im Jahre 1930. Italienischem Zugriff wurde diese Einrichtung dadurch nach Möglichkeit entzogen, dass sie die einzige Bildungseinrichtung dieser Art innerhalb der vatikanischen Mauern ist ( https://www.ofmcap.org/de/notizie/altre-notizie/item/3702-das-paepstliche-aethiopische-kolleg ). Der damalige Papst Pius XI. (1922-1939) schuf auch vor Ort eigene kirchliche Strukturen für die jeweiligen unierten Eritreer und Äthiopier.
1. Lesung: Weish 9,13-19
2. Lesung: Phlm 9b-10.12-17
Evangelium: Lk 14,25-33
Gedanken zur Woche 128-b, Dr. Matthias Martin
23. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Allein schon ein kurzer Blick auf das Leben und Wirken des heiligen Petrus Claver (1580-1654) kann zu einer gründlichen Beschäftigung mit Geschichte und Erdkunde/Geografie anregen. Die Vermittlung von geschichtlichen und geografischen Kenntnissen und überhaupt die Pflege dieser so vielfältigen, breiten und weiten Wissensbereiche sind seit frühen Tagen ein Anliegen in der Christenheit. Dies ist gerade für die katholische Kirche, auch genannt die römisch-katholische Kirche, naheliegend. Sie versteht sich ja bewusst als Weltkirche, also als Gemeinschaft von und für Menschen in den verschiedenen geografischen Regionen, und das durch die geschichtlichen Wandlungen mit ihren Aufs und Abs hindurch. Nicht zuletzt wird schon in der traditionellen Christologie betont, dass Jesus Christus die göttliche mit der menschlichen Natur verbindet. Er ist demnach seit seiner Empfängnis wahrer Gott und wahrer Mensch und als solcher eine historische Persönlichkeit in der Geschichte. Betont wurde auch von seiner menschlichen Mutter Maria und den Aposteln, dass diese wirkliche Menschen in der Geschichte waren. Gerade in Hinblick auf Jesus von Nazaret hat die katholische Überlieferung unterstrichen, dass dieser nicht ein Mythos, eine Art Fantasygestalt, sondern eben eine wirkliche menschliche Person der Geschichte ist. Wenn nun schon etwa Verse aus der Apostelgeschichte, in denen es nur um kirchengeschichtliche Vorgänge in einem sehr überschaubaren Bereich des östlichen Mittelmeeres geht, das Interesse an geschichtlichen und geografischen Fakten fördern, so mag dies erst recht für den Lebensweg des heiligen Petrus Claver gelten.
Seit den Tagen des Altertums waren sehr große Weltgegenden erst nach und in Europa und ihm besonders eng verbundenen Gebieten rund um das Mittelmeer bekannt geworden. Die Entdeckungsfahrten von Columbus, Vasco da Gama und anderen sind hinlänglich bekannt. Dabei ist natürlich zu betonen, dass etwa sowohl der Amerikanische Doppelkontinent, die vielfältigen Gegenden Afrikas wie die Weiten Australien-Ozeaniens jeweils von anderen Menschen längst entdeckt worden waren. Als die sog. Europäischen Entdecker dorthin kamen, lebten dort ja bereits längst bereits Menschen, welche eigene Kulturen und Sprachen besaßen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat man begonnen, dies verstärkt anzuerkennen und sich auch seitens europäischer Menschen für diese Kulturen und Sprachen zu interessieren (siehe etwa Gedanken zur Woche 96-b). Auch für die Fahrten und Siedlungsaktivitäten der meist Wikinger genannten Menschen in Richtung Nordamerika sind längst Interesse und Forschungstätigkeit erwacht. Schließlich ging auf diese lange weitestgehend vergessene, einst von Wikingern entfaltete Aktivitäten nicht zuletzt die Gründung einer Diözese, eines Bistums, in Grönland mit Pfarrgemeinden und Klöstern zurück. Dessen Bischof war offensichtlich auch für das historisch so schwierig zu greifende Vinland zuständig.
Nicht zuletzt in den USA wird Persönlichkeit und Wirken des Christoph Kolumbus oder auch Christopher Columbus längst sehr kontroversiell diskutiert. Auf der anderen Seite bleibt abzuwarten, ob sich nicht verstärkt öffentliches Interesse den deutschen Seefahrern Hans Pothorst und Didrik Pining zuwendet. Beide gelten als mögliche „Entdecker“ Nordamerikas noch in der Zeit vor Columbus.
Auf seine Weise war dann der heilige Petrus Claver seiner Zeit voraus. Er ging als in Katalonien geborener Mensch nach Lateinamerika. Er wirkte in damals von Spanien besetzten und ausgebeuteten Gebieten des heutigen Kolumbiens insbesondere für Sklaven afrikanischer Herkunft. Das heutige Staatswesen der Republik Kolumbien konnte sich erst nach und nach seit den langwierigen Freiheitskämpfen gegen Spanien herausbilden (siehe allgemein Gedanken zur Woche 76-b). In diesem Sinne ist es irreführend zu sagen oder zu schreiben, der heilige Petrus Claver sei nach Kolumbien gegangen, sei dort zum Priester geweiht worden, habe dort gewirkt und sei schließlich dort gestorben. Es wäre besser, anders zu formulieren, etwa von Gebieten des späteren Kolumbiens zu reden bzw. zu schreiben. Dabei ist gerade die Geschichte des heutigen Kolumbiens für die Zeit nach der von drastischen Rückschlägen gekennzeichneten Befreiung von der spanischen Kolonialherrschaft blutig und schillernd. So konnte sich das innerlich heftig zerrissene Groß-Kolumbien (Gran Columbia) nie festigen. Dieses Staatsprojekt scheiterte und zerbrach schon nach wenigen Jahren vollends. Dadurch erlangten erst einmal Ecuador und Venezuela ihre Unabhängigkeit. Im verbleibenden Neu-Grenada bzw. Kolumbien kam es schon im 19. Jahrhundert wiederholt zu Bürgerkriegen. 1903 spaltete sich Panama von Kolumbien ab. Auch im 20. Jahrhundert bis ins 21. Jahrhundert wurde mit Auswirkungen bis heute Kolumbien durch Bürgerkriege erschüttert. Vor wenigen Jahren wurde mitunter ausdrücklich zwischen den Herrschaftsgebieten der verschiedenen Bürgerkriegsparteien ähnlich wie zwischen den Territorien voneinander zu unterscheidender Staaten differenziert. Sprachen einige etwa über die Drogen-Republik der massiv im Drogenhandel aktiven kommunistischen FARC, so spekulierten manche, dass aus dem Machtbereich der rechten Paramilitärs ein eigenes Staatswesen erwachsen und dies dem bisherigen Staat Kolumbien mehr oder minder endgültig das Ende bereiten könnte.
Umso vorsichtiger sollte man sein, auch noch um Jahrhunderte zurück vom betreffenden Wirkungsgebiet des heiligen Petrus Claver einfach als „Kolumbien“ zu sprechen.
Auf jeden Fall besitzen Nord- und Südamerika auch große Bedeutung für Geschichte und Gegenwart der Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen wie gerade auch der autokephalen Ukrainisch-orthodoxen Kirche. Letztere konnte sich seit dem 19. Jahrhundert sehr gut gerade in Kanada entwickeln und konsolidieren. Natürlich besitzt die Ukrainisch-orthodoxe Kirche auch in den USA beachtliche Bedeutung. Die betreffenden katholischen Kirchen eigenen Rechts wie die Ukrainisch-orthodoxe Kirche erhielten auf dem Amerikanischen Doppelkontinent fortdauernd Zuzug durch Zuwanderung einschließlich infolge von Flucht und Vertreibung.
Immer wieder werden auch in Hinblick auf diesen Teil der Welt neue Bischöfe für katholische Ostkirchen berufen. Dies verdeutlicht, dass diese Kirchen eigenen Rechts längst auch außerhalb ihrer Herkunftsländer bemerkenswerte Bedeutung erlangt haben.
Allein schon ein Blick in die jeweiligen Nummern der deutsche Ausgabe des L’OSSERVATORE ROMANO als der offiziellen Zeitung des Vatikans ist da interessant. Dort wurde jüngst eigens die Privataudienz des Papstes für den Botschafter der Ukraine am Heiligen Stuhl, Andrii Yurash berichtet (Nummer 33 2022 (52. Jahrgang – 19. August 2022) Seite 4). In derselben Ausgabe wurde zusammen mit der Veröffentlichung eines Fotos des Märtyrers vergleichsweise sehr umfassend von der Anerkennung des Martyriums des ukrainischen Priesters Petro Paul Oros berichtet (ebd.). Neben einer etwas kürzeren Mitteilung heißt es:
„Papst Franziskus hat den Märtyrertod des ukrainischen Priesters Petro Paul Oros anerkannt. In der damaligen Sowjetunion hatte der griechisch-katholische Geistliche trotz Verbots des Regimes seine pastorale Arbeit fortgesetzt. Er feierte heimlich die Heilige Messe und zog zivile Kleidung an, um Gemeindemitgliedern die Taufe oder die Kommunion zu spenden. Am 28. August 1953 wurde er von der sowjetischen Polizei verhaftet und vor dem Bahnhof des Dorfes Siltse hingerichtet. Seine Leiche wurde versteckt, um zu verhindern, dass er als Märtyrer verehrt wird.“
Dabei ist zu beachten, dass hier wie in vergleichbaren Fällen das Adjektiv (= Eigenschaftswort) „griechisch“ nicht in einem nationalen oder ethnischen Sinne zu verstehen ist (siehe Gedanken zur Woche 116-b und 117-b). Es hat lediglich mehr oder minder liturgischen und liturgie- und kirchenrechtsgeschichtlichen Hintergrund.
Gedanken zur Woche 127, Dr. Matthias Martin
22. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Dass das Tun guter Werke, gerade Hilfe für Notleidende ganz wesentlich zum Christentum gehört, ist einigermaßen bekannt. So ist das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter das vielleicht bekannteste Gleichnis aus der ganzen Bibel. Ebenfalls noch gewisser Bekanntheit dürfte sich das Gleichnis, auch genannt die Predigt oder die Rede vom jüngsten Gericht erfreuen (siehe Gedanken zur Woche 126). Weniger bekannt sind dann andere Stellen, seien sie mehr abstrakter oder mehr bildhaft-gleichnishafter Art.
Da empfiehlt sich gerade ein Blick in das Lukasevangelium. Dieses wird nicht ganz umsonst manchmal das „soziale“ Evangelium genannt. Dabei ist natürlich zu beachten, dass wir soziale Aussagen auch in anderen biblischen Schriften finden. Dies beginnt schon in den Fünf Büchern Mose, welche auch der Pentateuch wie auch die Thora/Tora/Torah genannt werden. Also gleich zu Beginn des Alten Testaments, in seiner Gesamtheit in neuerer Zeit manchmal als Erstes Testament bezeichnet, finden sich bereits die Aufforderung, den Bedürftigen zu helfen, sozial tätig zu sein und so etwas wie grundlegende Arbeitnehmerrechte zu achten (siehe Gedanken zur Woche 58, 59, 75, 79 und 86). Das macht auch deutlich, dass das, was meist das Alte Testament genannt wird, keineswegs im schlechten Sinne zum „Alten“ Eisen gehört. Dies hat dann natürlich auch massive Konsequenzen für das Gottesbild. Eine Trennung des Gottes des Alten Testaments und dem des Neuen Testaments, ja erst recht eine dualistische Entgegensetzung verbietet sich umso mehr von einem biblischen-inhaltlichen Standpunkt aus.
Aber bleiben wir einmal beim Lukasevangelium. Da beginnt die Zuwendung zu den Armen, den Niedriggestellten bis Ausgegrenzten schon dort, wo es sehr viele am allerwenigsten vermuten mögen, nämlich in der Weihnachtsgeschichte. Die erwähnten (Lk 2,8-20) und in Krippenspielen wie der Malerei so gerne romantisierend in Szene gesetzten Hirten waren in der damaligen gesellschaftlichen Rangordnung nämlich sehr weit unten angesiedelt. Für sie gab es keine Gewerkschaften, keine Arbeiter- oder Arbeitskammer (zu dieser Bezeichnung siehe eigens https://www.arbeitskammer.de/publikationen/broschueren-bestellung/agb/; https://www.boeckler.de/fpdf/HBS-007012/p_fofoe_WP_098_2018.pdf und zum Begriff Arbeitnehmerkammer https://www.arbeitnehmerkammer.de/ und https://www.bremen.de/visitenkarte/arbeitnehmerkammer-bremen-340607#/) und keine Sozialversicherungen. Folgen wir der neuen deutschen Einheitsübersetzung, so ist ein Vers, über den gerne in einem erbaulichen Sinne hinweggelesen wird, aufschlussreich: „(Lk 2,8) In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde.“ Die Hirten mussten sich offensichtlich auf freiem Feld aufhalten. Sie konnten sich nicht in Häusern und dergleichen aufhalten. Das Ganze war auch keine Freizeitbeschäftigung und schon gar kein Freilufturlaub. Denn die Hirten hatten ja auf ihre Herden aufzupassen, und das eben auch mitten in der Nacht. Die Arbeitsbedingungen stellten eine also schon eine ziemliche Herausforderung für diese nicht gut gestellten Arbeitnehmer, genannt Hirten, dar. Dazu ist der geschichtliche Zusammenhang, die sozio-ökonomische Grundlage ihrer Tätigkeit zu beachten. Die Herden gehörten diesen Hirten nämlich nicht. Diese hatten für geringes Entgelt auch mitten in der Nacht und im Angesicht der Bedrohung durch wilde Tiere auf sie aufzupassen. Und genau diese gesellschaftlich zu schlecht gestellten Hirten werden in der Weihnachtserzählung des Lukasevangeliums zu Helden der Handlung. Sie empfangen die exklusive Einladung durch den Engel des Herrn. Dieses Privileg wird nicht Vertretern „besserer“ Kreise der damaligen Zeit zuteil. Es wird nicht dem mit den Römern kollaborierenden Priesteradel mit Zentrum in Jerusalem, nicht Offizieren der Römer und mit ihnen verbündeter örtlicher Streitkräfte, nicht der Dynastie des Herodes und auch nicht der des seinerseits so brutal zur Macht gelangten Octavian, auch genannt Augustus, zuteil. Und diese Hirten sind dann auch noch die ersten menschlichen Verkünder von so etwas wie Froher Botschaft.
Dazu wurde Jesus von Nazaret ja selber nicht in eine der damaligen Familien von Geld und Macht hineingeboren. Dies entspricht dem, was die neutestamentliche Überlieferung in ihrer Gesamtheit nahelegt, also zusammen mit dem Lukasevangelium die beiden anderen synoptischen Evangelien (Matthäus und Markus), das Johannesevangelium und die anderen neutestamentlichen Schriften. Zwar war Josef wohl ein tüchtiger und für das Auskommen seiner Familie sorgender Handwerker, aber der Oberschicht von Macht und Reichtum gehörten er und Maria nicht an.
Ein besonders heftiger Kritiker des Establishments war dann auch nach dem Zeugnis des Lukasevangeliums Johannes der Täufer (Lk 3,1-20 und 7,24-34), was ihm dann buchstäblich den Kopf kostete (Lk 9,7-9). Dass Macht, Konsum und Reichtum mit Vorsicht zu begegnen ist, spricht auf eigene Weise die Erzählung von der dreifachen Versuchung Jesu an (Lk 4,1-12). Wie eine Abschreckung ist das Gleichnis vom reichen Gutsherrn, von dem sein Leben zurückgefordert wird, formuliert (Lk 12,15-21). Auch das Gleichnis vom barmherzigen Vater und dem verlorenen Sohn (LK 15,11-32) hat eine bemerkenswerte gesellschaftspolitische Note. Der in die Fremde gegangene Sohn ist ja wirtschaftlich abgestürzt und inzwischen ohne Vermögen. Dass er als Schweinehüter versuchte durchzukommen, bedeutete gerade nach jüdischen Verständnis, dass er gesellschaftlich ganz unten gelandet war. Genau dieser wirtschaftlich-sozial gescheiterte Sohn wird nun in höchsten Gnaden angenommen.
Besonders drastisch ist dann wieder das Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lk 16,19-31). Der, welcher sein Herz und Vermögen vor dem leidenden Mitmenschen verschloss und wohl voller Verachtung auf den „Pöbel“ herabblickte, wird dafür in der Ewigkeit bestraft. Der arme Lazarus als personifizierter Vertreter eben solchen „Pöbels“ darf dafür im Jenseits im Schoß des Patriarchen Abraham sitzen. Man beachte dabei auch, dass der in diesem so gesellschaftskritischen Gleichnis das endgültige Urteil in einer gottähnlichen Position aussprechende Abraham eine sehr prominente Gestalt aus dem Alten Testament ist und dazu aus dessen ersten Buch, Genesis. Also wird hier eine besonders augenfällige Verklammerung von Altem und Neuem, Ersten und Zweiten Testament geboten. Besonders häufig in Vergessenheit geraten ist die kurze Erzählung von der armen Witwe (Lk 21,1-4). Dabei wird in ihr diese arme Witwe in Gegenüberstellung zu den Reichen eigens gepriesen.
Insgesamt durchzieht das Lukasevangelium ein Spannungsverhältnis zwischen Jesus von Nazaret mit seinen Jüngern auf der einen und dem jeweiligen Establishment auf der anderen Seite. Das Ganze gipfelt dann in der Anklage gegen Jesus von Nazaret durch die führenden prorömischen Kollaborateure, die Verurteilung durch den kaiserlichen Statthalter Pontius Pilatus, Folterung und Hinrichtung durch die römischen Soldaten.
Zu solcher Frontstellung passt dann eben, dass die Jünger aufgefordert werden, nicht etwa reiche Nachbarn, sondern Arme, Krüppel, Lahme und Blinde zum Essen einzuladen (Lk 14,12-14). In diese Richtung geht auch die Warnung vor Überheblichkeit im Buch Jesus Sirach (Sir 3,18-20.28-29), mit dessen Ehrennamen Ecclesiasticus.
1. Lesung: Sir 3,17-18.20.28-29
2. Lesung: Hebr 12,18-19.22-24a
Evangelium: Lk 14,1.7-14
Gedanken zur Woche 127-b, Dr. Matthias Martin
22. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Dass die Kirche immer wieder gefordert, sich den Mächtigen dieser Welt zu widersetzen und sich nicht durch die Behaglichkeit eines netten Verhältnisses zu Machthabern verführen lassen soll, wird in der Bibel wie in der außerbiblischen Überlieferung wiederholt deutlich. Dafür steht Johannes der Täufer, der im Christentum als der besondere Wegbereiter Jesu von Nazarets verehrt wird. In diesem Zusammenhang gilt er auch als „der Prophet zwischen den Testamenten“. Im Neuen/Zweiten Testament wird er, dem seine Kritik an den damaligen Verhältnissen letztlich buchstäblich den Kopf kostete, besonders geehrt (siehe Gedanken zur Woche 15-b, 39 und 65-b). Dabei erfreut sich dieses berühmte Opfer nicht nur im später römische Christenverfolgungen überlebenden Christentum, sondern weit darüber hinaus enormer Verehrung. Dies gilt insbesondere in Hinblick auf den Islam, das Mandäertum und jüdische Überlieferung (siehe Gedanken zur Woche 24-b und 39 sowie speziell hier zum Mandäertum Gedanken zur Woche 40).
Auf das fortdauernde Spannungsverhältnis bis auf offene Verfolgung hinweisend heißt es im Matthäusevangelium:
„(11,12) Seit den Tagen Johannes‘ des Täufers bis heute wird dem Himmelreich Gewalt angetan und Gewalttätige reißen es an sich.“
Wie ein Durchhalteappell in der Bedrängnis klingt es im angeblich so obrigkeitsfreundlichen Römerbrief:
„(8,18) Ich bin nämlich überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.“
Das letzte Buch des Neuen/Zweiten Testament, die (Geheime) Offenbarung des Johannes, auch genannt das Buch der Apokalypse oder kurz einfach die Apokalypse wird sehr oft als Trostbuch in römischer Christenverfolgung gesehen, mit wiederum dem Charakter eines Durchhalteappells. In diese Richtung weist auch der Erste Petrusbrief gleich zu Beginn:
„(1,6) Deshalb seid ihr voll Freude, wenn es für kurze Zeit jetzt sein muss, dass ihr durch mancherlei Prüfungen betrübt werdet. (7) Dadurch soll sich eure Standfestigkeit im Glauben, die kostbarer ist als Gold, das im Feuer geprüft wurde und doch vergänglich ist, herausstellen – zu Lob, Herrlichkeit und Ehre bei der Offenbarung Jesu Christi.“
Das Schicksal des heiligen Paulinus von Trier, der oft ausdrücklich als Märtyrer verehrt wird mit der dazu gehörenden Liturgiefarbe Rot an seinem Gedenktag, verdeutlicht, dass die Schwierigkeiten im Römischen Reich mit der sog. Konstantinischen Wende keineswegs zu Ende waren. Konstantin der Große verhielt sich wiederholt mehr als zweifelhaft und ließ sich erst auf seinem Sterbebett auch noch von einem arianischen Geistlichen taufen (siehe Gedanken zur Woche 85-b). Sein letztendlicher Alleinerbe Konstantius II. überhaupt bemühte sich, das Glaubensbekenntnis von Nicäa zu beseitigen und jede daran festhaltende Kirchenstruktur zu vernichten (siehe Gedanken zur Woche 44-b und 71-b). Erst als Kaiser Valens von den wieder einmal bedrängten Christen so hilfreichen Goten vernichtend besiegt und getötet wurde, war es mit arianischer Unterdrückung im Römischen Reich vorbei (siehe Gedanken zur Woche 66-b). Die Unterdrückung bis brutale Verfolgung für die Kirche durch angeblich „christliche“ Herrscher aber kehrte in der Geschichte immer wieder. Man denke da nur an Gewaltherrscher wie Justinian, Philipp IV. von Frankreich, Heinrich VIII. von England und Napoleon I. samt zahlreichen Herrschern gewissermaßen dazwischen und in der Folge.
Ein eigenes Problem stellte die Gängelung und Korrumpierung der Kirche durch die sich katholisch gebende Staatsmacht des monarchischen Frankreichs dar. „Gallikanismus“ entwickelte sich zu so etwas wie einem Schreckensbegriff. Der als Retter Wiens gefeiertes selige Innozenz XI. wusste, warum er sich dem Gewaltherrscher Ludwig XIV. mit seinen Versuchen, königliche Einmischungsmöglichkeiten in Gebieten auszudehnen, die erst im Laufe der Zeit von Frankreich erobert worden waren, so energisch widersetzte. Auch sonst war der selige Innozenz XI. ein entschlossener Opponent französischer Politik. Er folgte der Linie, welche das V. Laterankonzil (1512-1517) und dann das Konzil von Trient (1545-1563) vorgezeichnet hatten (siehe Gedanken zur Woche 87 und 95). Die Erarbeitung und Verabschiedung der dogmatischen Konstitution über die Kirche „Pastor Aeternus“ (1869-1870) des I. Vatikanischen Konzils war gerade gegen die Ideologie oder Pseudotheologie des Gallikanismus gerichtet (siehe eigens Gedanken zur Woche 95).
Jenseits noch so guter Konzilsbeschlüsse und immer wieder feststellbarer päpstlicher und anderer Protestmaßnahmen kam es aber immer wieder oft zum Arrangieren. Dieses wirkte sich im französischen Machtbereich verheerend aus. Die Kumpanei von Päpsten wie Leo X. (1513-1521) und Clemens VII. (1523-1534) mit dem französischen Königtum hatte übelste Folgen. So verkamen Bischofsämter zu Versorgungsposten für Adelssprösslinge. Liest man Quellen aus dem 18. Jahrhundert, weiß man mitunter nicht, ob man lachen oder wütend werden soll. Wie damit die so bedeutende Abtei Cluny in von Frankreich inzwischen unterworfenen Gebieten als Versorgungeinrichtung missbraucht und allmählich völlig zu Grunde gerichtet wurde, wurde bei meinem Theologiestudium in Innsbruck angesprochen. In einer Vorlesung wies der Professor für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit in Würzburg, Klaus Ganzer, darauf hin, dass der berühmte Erzbischof Marcel Lefebvre sich heftig gegen Zugeständnisse an den Gallikanismus gewandt und deswegen sogar das päpstliche Rom für die Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil kritisiert habe. Zwar hielt Professor Ganzer letztere Kritik für unberechtigt, drückte aber seinen Respekt für die sehr klare Abgrenzung von Erzbischof Lefebvre gegen Tendenzen des Gallikanismus aus. Sonst war dieser Professor dem Erzbischof beileibe nicht so respektvoll gesonnen.
Manfred Lütz verwendet über die geschichtlichen Zustände des französischen Katholizismus in „Gott. Eine kleine Geschichte des Größten“ deutliche Worte. Er schreibt (Ausgabe München 2007, Seite 55):
„Es war ein Gott, der repräsentiert wurde von manchen charakterlich und geistig verrotteten Adeligen, die als reich dotierte Bischöfe selbst die atheistische Libertinage verinnerlicht hatten, zumindest als praktische Atheisten lebten oder sich gar, wie der Bischof von Lodeve, offen zum Atheismus bekannten.“
Recht deutlich spricht Manfred Lütz einen Einzelfall an (Seite 56):
„Aber die Dokumente geben Auskunft, dass der damalige Erzbischof von Reims, Monseigneur de Mailly, geradezu das Musterbild eines aristokratischen Widerlings war. Ausnahmsweise sind sich alle Zeugnisse über diesen ›cholerischen Despoten‹ völlig einig. Und dieser gefühlskalte Tyrann rief ›seinen‹ Pfarrer Meslier, der bis dato treu seinen Dienst versehen hatte, im Jahre 1716 rüde zur Ordnung. Der Pfarrer hatte sich nämlich soeben geweigert, für einen Adeligen zu beten, der gerade Bauern misshandelt hatte. Er solle gefälligst seine Pflicht tun und für den Mann beten, verlangte der Oberhirte. Nun fügte sich der Pfarrer – und betete dafür, dass der Adelsherr künftig das Misshandeln der Armen und das Berauben der Waisen unterlassen möge. Ein Wutausbruch des Erzbischofs ist die Folge: Persönliche Abkanzelung, vierwöchiger Zwangsaufenthalt im Priesterseminar, verschärfte Kontrollen.“
Zu solcher ganz krassen Fehlentwicklung bietet das Magnificat Mariens im Lukasevangelium (Lk 1,46-55) ein Gegenprogramm. Nicht umsonst wird das Lukasevangelium sowohl das „soziale“ (siehe Gedanken zur Woche 127) als auch das „marianische“ Evangelium genannt. Dort heißt es zur Ehre Gottes neben anderem:
„(51) Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind;
(52) er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.
(53) Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“
Gedanken zur Woche 126, Dr. Matthias Martin
21. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Das mahnende, ja aufrüttelnde Wort im Lukasevangelium von der engen Türe, durch die zu gelangen man sich bemühen solle, gehört zu den Stellen in der Bibel, die sehr in Richtung von Leistungsanforderung, von Anstrengung gehen und die das eifrige Erbringen von Leistungen nahelegen. Von Gnade oder Rechtfertigung aus dem Glauben ist hier nicht die Rede! Es geht eben um den Einsatz der eigenen Kräfte, um so etwas eben wie persönliche Leistung.
Da mag dem religiös Interessierten so manch andere Stelle in der Bibel in den Sinn kommen. Beim einen mag dies das Gleichnis vom Jüngsten Gericht (Mt 25,31-46) sein, bei einem anderen das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30-37) oder der Jakobusbrief (besonders Jak 2-4). Auch so mancher Vers im Ersten Johannesbrief mag einfallen (1 Joh 3,1-19) oder etwa die Bergpredigt (Mt 5-7), welche als Schlagwort in der politischen Arena zumindest vor einigen Jahren gerne verwendet wurde. In dieser Bergpredigt finden sich nach der neuen deutschen Einheitsübersetzung starke bis regelrecht heftige Formulierungen wie „(Mt 5,16) So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen“; „(Mt 5,19) Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich. (20) Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“; „(Mt 5,28) Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau ansieht, um sie begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen. (29) Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. (30) Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle kommt.“
Auch eine besondere Ähnlichkeit mit der zu Beginn angesprochenen Stelle im Lukasevangelium findet sich in der Bergpredigt nach Matthäus:
„(7,13) Geht durch das enge Tor! Denn weit ist das Tor und breit der Weg, der ins Verderben führt, und es sind viele, die auf ihm gehen. (14) Wie eng ist das Tor und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und es sind wenige, die ihn finden.“
Sind wir natürlich alle eingeladen, die ganze Bergpredigt nach Matthäus und nach Möglichkeit überhaupt die ganze Bibel zu lesen, so hat es mit dieser Stelle für mich eine eigene persönliche Bewandtnis. Sie erinnert mich an den sehr empfehlenswerten Dokumentarfilm über die christliche Konfession der Hutterer, „Kinder der Utopie“ von Klaus Stanjek (https://www.youtube.com/watch?v=6iA7JTaVgm0 und https://www.cinetarium.de/film/kinder-der-utopie/). Diese halten wie manch andere aus der Täuferbewegung hervorgegangene Gemeinschaft strikt am Ideal eines christlichen Pazifismus wie an der deutschen Sprache fest. Dies haben sie den Orthodoxen Amischen, auch genannt Old Order Amish/Old Order Amische, und konservativen Mennoniten gemeinsam. Eine Besonderheit der Hutterer ist, dass sie konsequent Gütergemeinschaft praktizieren.
In dem angesprochenen Dokumentarfilm wird nun genau diese zitierte Stelle aus der Bergpredigt verbunden mit dem Einsatz einer bildlichen Darstellung behandelt! Diese Stelle aus dem Matthäusevangelium geht eben sehr in die Richtung der angesprochenen Stelle im Lukasevangelium mit ihren aufrüttelnden Worten.
Dort werden die Menschen heftig aufgefordert, sich anzustrengen. Folgen wir der neuen deutschen Einheitsübersetzung, so heißt es. „(Lk 13,24) Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen …“. Nach der älteren deutschen Einheitsübersetzung lautet diese Passage ebenso: „(13,24) Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen …“. Diese Worte finden wir auch in der 4. Unveränderten Auflage von 2004 (Würzburg) der NEUEN ECHTER BIBEL, Kommentar zum Neuen Testament mit der Einheitsübersetzung: Jacob Kremer, Lukasevangelium. In der „Synopse der drei ersten Evangelien“ von Josef Schmid in ihrer 9. Auflage aus dem Jahre 1983 (Regensburg) lautet die Wiedergabe im Deutschen: „(13,24) Ringet darum, durch die enge Türe hineinzukommen …“. In der 6. Auflage von 1998 der Interlinearübersetzung „Das Neue Testament Interlinearübersetzung Griechisch-Deutsch“, übersetzt von Ernst Dietzfelbinger (Neuhausen) finden wir dazu „(13,24) Kämpft (darum), hineinzugehen durch die enge Tür …“.
Die Botschaft scheint recht deutlich zu sein. Es geht im Christentum nicht darum, die Hände behaglich in den Schoß zu legen und gewissermaßen den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen, den Weg des geringsten Widerstandes hier auf Erden zu gehen, es sich im irdischen Sinne halt zu richten und sich dabei darauf zu verlassen, dass der liebe Gott schon so lieb sein werde, dass er einem alles durchgehen lässt.
Es scheint im Christentum darum zu gehen, sich gerade in der Auseinandersetzung mit Schwierigkeiten zu bewähren. Es geht sicher darum, als Christin, als Christ die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten für Gutes in der Welt einzusetzen. Immer wieder werden die Menschen dorthin schon durch die Schriften des Alten/Ersten Testamentes gewiesen. Die Fürsorge für Notleidende, Arbeitnehmerrechte, Grundsatztreue in der Bedrängnis bis Martyrium hinein findet man schon dort. Die Zehn Gebote besitzen ihre Aussagekraft über Zeiten und geografische Grenzen hinweg. Gestalten des Alten/Ersten Testamentes wie z. B. Tobit, Samuel, Rut und Debora wie natürlich etwa auch Abraham und Moses können auch heute sehr wertvolle Inspirationen vermitteln. Das gilt auf je eigene Weise etwa auch bezüglich Persönlichkeiten aus den Makkbäerbüchern und Sätzen aus der biblischen Weisheitsliteratur einschließlich dem Buch der Psalmen. Auf die ganze alttestamentliche Überlieferung wird man ja nicht zuletzt in der Emmausgeschichte eindrücklich hingewiesen (Lk 24,13-35) (siehe Gedanken zur Woche 71 und 81). Und zur Emmausgeschichte befindet sich eine eigene Reliefabbildung am Hochaltar der Pfarrkirche zum Heiligen Nikolaus in Stein an der Donau (siehe Gedanken zur Woche 56-b). Dies kann für sich eine Anregung eigener Art sein. Nicht umsonst waren gerade wieder in den letzten Tagen Besucherinnen und Besucher von der Inneneinrichtung der Pfarrkirche beeindruckt.
1. Lesung: Jes 66,18-21
2. Lesung: Hebr 12,5-7.11-13
Evangelium: Lk 13,22-30
Gedanken zur Woche 126-b, Dr. Matthias Martin
21. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Heilige besitzen jeweils eine eigene Aussagekraft. Jede und jeder von ihnen verdeutlicht den einen oder anderen Akzent bzw. Akzente besonders deutlich, der bzw. die für christliches Leben Bedeutung haben und Beachtung verdienen. Wer sich beispielsweise generell für Philosophie im christlichen Umfeld interessiert, von philosophischen Gottesbeweisen bis hin zur politischen Philosophie, mag sich besonders zum heiligen Thomas von Aquin hingezogen fühlen (siehe Gedanken zur Woche 46-b). Der heilige Thomas Morus verkörpert die Verbindung von intellektuellem Engagement, christlichem Familienleben und gewaltlosem Widerstand gegen ein Unrechtsregime (siehe allgemein Gedanken zur Woche 65-b). Der heilige Augustinus gehört natürlich auf seine Weise zu den Großen der Philosophie- und der Theologiegeschichte (siehe Gedanken zur Woche 74-b). Er kann nicht zuletzt als Vorbild dafürstehen, dass Christinnen und Christen sich nicht durch ein politisch-militärisches System vereinnahmen lassen sollen, wie damals durch das bereits angeschlagene und nicht allzu lange vorher noch Christverfolgungen durchführende Römische Reich. Dass Christen sich einem Unrechtsregime wie der damaligen Supermacht Frankreich widersetzen sollen, dabei aber auch nach Möglichkeit Kirchenmusik, Philosophie und Theologie samt Geschichtskenntnissen pflegen sollen, verdeutlichte der heilige Pius X. (siehe Gedanken zur Woche 19, 58, 73-b und 78).
Natürlich verdienen die verschiedenen Heiligen Aufmerksamkeit und richtig verstandene Wertschätzung, die selbstverständlich vor Übertreibungen und Verdrehungen bewahrt werden muss. Mit dem Werk eines heiligen Thomas von Aquin etwa wie mit dem so energischen heiligen Pius X. kann man sich intensiv ein Leben lang beschäftigen. Aber oft fehlt auf der emotionalen Ebene doch etwas der persönliche Bezug. Da ist es für die Menschen, die mit der Pfarrgemeinde zum Heiligen Nikolaus in Stein an der Donau und überhaupt mit dem kirchlichen Leben im jetzigen Stadtgebiet von Krems verbunden sind, umso interessanter, wenn nach dem bei uns üblichen liturgischen Kalender an ein und demselben Tag sowohl des Josef von Calasanz wie des Königs Ludwigs IX. von Frankreich, auch genannt Ludwig der Kreuzfahrer, gedacht wird.
Der vom heiligen Josef von Calasanz oder Calasanza gegründete Orden, im Deutschen meist einfach die Piaristen genannt, ist auf vielfältige mit Krems verbunden. (siehe Gedanken zur Woche 74-b). Zu nennen ist hierbei auch die Piaristenkirche in Krems, ebenso Kremser Frauenbergkirche genannt (https://www.donau.com/de/donau-niederoesterreich/imx/ausflug-freizeit/piaristenkirche/17772fb934585606019baa8ca7d7275e/ und https://www.kirchen-am-fluss.at/krems-piaristenkirche).
Bei Ludwig von Frankreich/Ludwig dem Kreuzfahrer ist der Bezug zur Pfarrgemeinde von Stein ein ganz eigener. Er ist auf einem der Kirchenfenster auf der Südseite des Langhauses der Pfarrkirche zum Heilligen Nikolaus abgebildet. Die Farbgebung ist wie bei den beiden anderen Heiligendarstellungen ins Auge stechend, gewissermaßen etwas grell bis ins Aggressive, vor allem, wenn man sie mit den Kirchenfenstern von Anfang des 20. Jahrhunderts vergleicht. In dieselbe Richtung geht auch die Formgebung. Dies gilt für das heutige Glasbild Ludwigs des Kreuzfahrers wie den anderen, welche nach dem Bombenanschlag im Jahre 1934 auf dem Pfarrhof hergestellt wurden. Damals hatte die durch den Sprengsatz hervorgerufene Druckwelle einige der Kirchenfenster, aber eben nicht alle zerstört. Die auf diese Weise zerstörten Kirchenfenster wurden ersetzt und weisen einen ganz anderen Stil auf als die Kirchenfenster von zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dies fiel wiederholt unbefangenen Besuchern der Pfarrkirche auf. Diese wunderten sich mitunter ausdrücklich, wieso in ein- und derselben Kirche die Kirchenfenster in zwei unterschiedlichen Stilrichtungen ausgeführt sind. Dabei ist natürlich der geschichtliche Hintergrund zu beachten. 1934 war nicht nur das Jahr des Bombenanschlags auf den Pfarrhof und der damit verbundenen Zerstörung und Neuherstellung eben einiger der Kirchenfenster. Es war in Österreich überhaupt das „Jahr des doppelten Bürgerkrieges“. Die Stimmung war massiv aufgeladen und aggressiv. Auch bei manchen Kirchenvertretern war Konfrontation statt Verständigung angesagt. Für bewusst konfrontatives Verhalten stand auch der damalige Pfarrer von Sankt Nikolaus in Stein. Darum hatte es ja auch offensichtlich von nationalsozialistischer Seite her den Bombenanschlag auf den Pfarrhof gegeben. In der ganzen Gestaltung der neuen Kirchenfenster zeigte sich ein nicht auf Deeskalation hin orientierter Zeitgeist. So ist schon der heilige Leopold ein „politischer“ Heiliger. Dies gilt erst recht für Ludwig IX. Dieser wird ja bezeichnenderweise „der Kreuzfahrer“ genannt. Tatsächlich führte er zwei gescheiterte Kreuzzüge durch. Sein Verhalten gegenüber den Juden war sehr negativ. Dies trägt ihm bis heute schwere Vorwürfe ein. Hinzukommt die blutige Verfolgung der Katharer gerade in den damals erst mehr oder weniger französischer Kontrolle unterworfenen Gebieten bis zum Mittelmeer. Einer der dortigen Bischöfe hat erst vor wenigen Jahren öffentlich um Vergebung für die massenweise Tötung bis (versuchte) Ausrottung der Katharer gebeten. Schon vorher hatte ein Mitglied der österreichischen Bischofskonferenz bei seinem Aufenthalt in Innsbruck gemeint, Ludwig IX. sei „kein Heiliger, sondern ein Massenmörder und Kriegsverbrecher“. Ganz ähnlich äußerte sich die jüdische Reiseführerin bei meinem Israelbesuch Ende der neunziger Jahre. Sie betonte aber, dass so jemand natürlich nicht für die katholische Kirche oder die Katholiken stünde. Juden und Katholiken hätten seit der Antike gemeinsame Gegner, wie es schon bei der Auseinandersetzung mit Markion/Marcion deutlich geworden sei (siehe dazu Gedanken zur Woche 96 und 99). Innerkirchlich wird gerne die Art und Weise, wie es zur offiziellen Heiligsprechung Ludwigs des Kreuzfahrers kam, kritisch betrachtet bis regelrecht hämisch kommentiert. Die Heiligsprechung Ludwigs wird gesehen als diplomatisches Zugeständnis von Papst Bonifaz VIII. bei seinem damaligen Ausgleich mit Philipp IV., genannt „der Schöne“. Wie sich der mehr oder minder offizielle Status Ludwigs des Kreuzfahrers in der katholischen Kirche noch entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Das aggressive Verhalten des französischen Königshauses gegen Konstantinopel bzw. das Byzantinische Reich stellt wirkmächtig eine schwere Hypothek im Verhältnis von katholischer und orthodoxer Kirche dar. Hierbei ist im Auge zu behalten, dass Papst Franziskus bei seinem Besuch in Athen Ende 2021 die Orthodoxen um Verzeihung für das Fehlverhalten von Katholiken gebeten hat (https://www.ncronline.org/news/vatican/pope-francis-apologizes-catholic-wrongs-against-orthodox-believers-urges-unity). Anhängern französischer Machtpolitik bzw. französischer Monarchie seit den Tagen des Mittelalters muss dies übel aufstoßen. Umso mehr, da Papst Franziskus hier gerade die Politik von Johannes Paul II. fortsetzte, entschied man sich in betreffenden Kreisen wohl bewusst für Aussitzen und in die andere Richtung schauen, sozusagen „to look the other way“ . Das französische Staatswesen hat ja schon mehr als genügend Probleme am Hals. Man denke hier nur an die Konflikte um und in Außenbesitzungen wie Neukaledonien, Guadeloupe und Korsika und die gewalttätigen Konflikte in zum französischen Staatsverband gehörenden Großstädten bis in den Ballungsraum von Paris hinein. Eine Eskalation mit der Spitze der katholischen Weltkirche und Einrichtungen bzw. Menschen, die von betreffenden päpstlichen Schritten angetan sind, schüfe da nur zusätzliche Probleme.
Gedanken zur Woche 125, Dr. Matthias Martin
20. SONNTAG IM JAHRESKREIS und VORABEND von AUFNAHME MARIENS IN DEN HIMMEL (2022)
An den betreffenden Stellen im Lukasevangelium wird deutlich, dass sich die Christgläubigen nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen und sich nicht auf familiäre Beziehungen, auf ihr jeweiliges Herkommen verlassen sollen. Vielmehr sind sie aufgefordert, konsequent offen zu sein für das Wort Gottes und dieses nach Kräften in ihrem eigenen Leben umzusetzen.
Es wird ein Gegenprogramm zu einem sich behaglich in dieser Welt Einrichten vorgestellt. Damit stehen betreffende Verse des synoptischen Lukasevangeliums nicht allein in der Bibel. Etwas knapper gehalten finden wir die Aussagen des Lukasevangeliums, Jesus sei gekommen, um Konflikt bis in Familien zu bringen, auch im anderen Großevangelium nach Matthäus (Mt 10,34-36). Wer mit der Zwei-Quellen-Theorie/Zweiquellentheorie sympathisiert (siehe Gedanken zur Woche 78-b) wird dies der dort angenommenen Quelle Q (siehe Gedanken zur Woche 99 und 119) zuweisen. Demgegenüber stellen die zwei Verse, in denen eine Frau die Mutter Jesu würdigt und Jesus aber betont, dass derjenige selig sei, der das Wort Gottes höre und befolge, lukanisches Sondergut dar. Wir finden diese nur im Lukasevangelium. Wir finden sie namentlich nicht in den beiden anderen synoptischen Evangelien nach Matthäus und nach Markus. Auf jeden Fall werden hier familiäre Bande relativiert. Das Hören des Wortes Gottes und seine Befolgung wird darüber gestellt.
Konflikte bis in die Familie hinein finden wir in der Bibel immer wieder. Dies beginnt bereits im Buche Genesis mit dem Mord an Kain an seinem Bruder Abel (Gen 4,1-16), welcher seinerseits sehr positiv im Römischen Messkanon genannt wird (siehe Gedanken zur Woche 14). Auch wird vom Zerwürfnis zwischen Noah und seinem Sohn Ham erzählt, während die beiden anderen Söhne, Sem und Jafet loyal zu ihrem Vater standen (Gen 9,18-27 und siehe Gedanken zur Woche 105-b). Gab es den dramatischen Konflikt zwischen König David und seinem Sohn Abschalom, der schließlich zu dessen Aufstand und Tod führte (2 Sam 15,1-19,9) so spaltete sich der biblischen Erzählung zufolge nach dem Tod des Sohnes und Nachfolgers von König David, Salomo, überhaupt das Reich (1 Kön 12,1-19 und 2 Chr 10,1-19).
Umso weniger mag es überraschen, dass dann im Neuen/Zweiten Testament wiederholt familiäre Beziehungen in ihrer Bedeutung relativiert werden. Ja von Jüngern wird mitunter sogar ein schroffes Verhalten gegenüber eigenen Angehörigen erwartet. So verlassen Apostel nach ihrer Berufung einfach ihre Familien und deren etwaigen Mitarbeiter (siehe z. B. Mt 4,18-22; Mk 1,16-20; LK 5,1-11 und Joh 1,35-51). Wir finden dieses als Grundmotiv in den drei synoptischen Evangelien bei allen Eigenheiten im Detail bei Lukas. Es geht hier in Richtung einer Traditio Triplex, auch genannt Triplex Traditio. Dazu finden wir eben ein ähnliches Geschehen auch in dem ja nicht zu den Synoptikern gehörendem Johannesevangelium. Dies ist sehr bemerkenswert.
Dass jemand, um Jesus nachzufolgen, nicht einmal sich mehr Zeit nehmen soll, seinen Vater zu begraben, wird uns immerhin als Traditio Duplex, auch genannt Duplex Traditio, in den synoptischen Evangelien geboten. Die Aussage kommt unabhängig von einzelnen Worten in zwei der synoptischen Evangelien vor. Passend zur Zwei-Quellen-Theorie/Zweiquellentheorie findet sich dieses Material in den beiden Großevangelien oder Seitenreferenten (Mt 8,18-22 und Lk 9,57-60) (zu den beiden Begriffen Großevangelien und Seitenreferenten siehe Gedanken zur Woche 78-b). Abgerundet wird dies im Lukasevangelium durch ein Stück lukanischen Sondergutes (Lk 9,61-62; beginnend schon mit Lk 9,60b). Bei dieser Stelle haben wir es also mit Traditio Simplex, auch genannt Simplex Traditio, zu tun.
Es wird auf jeden Fall klar, dass bei aller Unverzichtbarkeit von Ehe und Familie, familiäre Beziehungen auch Schwierigkeiten mit sich bringen können und ihre Tücken haben. Sie sind in das größere Ganze einzuordnen und nicht isoliert zu betrachten. So sollen ja auch nicht einzelne Halbverse, Verse oder Gruppen von Versen aus mehr oder minder als biblisch anerkannten Schriften aus dem Zusammenhang gerissen und so verabsolutiert werden.
Alle sind aufgerufen, gute Werke zu vollbringen und wie es genannt wird, für das Gottesreich zu arbeiten. Menschen können dafür im CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM/KODEX DER KANONES DER ORIENTALISCHEN KIRCHEN, abgekürzt CCEO, Anregungen finden. Dort werden ja alle Gläubigen unter dem Titel über die Christgläubigen und ihre Rechte und Pflichten aufgefordert, sich zu engagieren unter Wahrung ihrer je eigenen Würde und Rechte (siehe Gedanken zur Woche 118 und 120).
Unter dem speziellen Titel LAIEN wird nicht zuletzt festgehalten:
„Can. 400 – Laien haben außer den Rechten und Pflichten, die allen Christgläubigen gemeinsam sind, und jenen, die in anderen Kanones festgesetzt sind, die Rechten und Pflichte, wie sie in den Kanones dieses Titels genannt sind.“
Im Besonderen wird für die Laien, welche Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen angehören, u.a. festgehalten:
„Can. 405 – Um das liturgische, theologische, geistliche und disziplinäre Erbe sollen sich auch die Laien eifrig bemühen, … .
Can. 406 – Eingedenk der in can. 14 genannten Pflicht (siehe Gedanken zur Woche 118), sollen die Laien wissen, daß diese um so dringender ist in solchen Umständen, in denen die Menschen lediglich durch sie das Evangelium hören und Christus kennenlernen können.
Can. 407 - Laien, die im Ehestand leben, haben gemäß ihrer eigenen Berufung die besondere Pflicht, durch Ehe und Familie am Aufbau des Volkes Gottes mitzuarbeiten.“
Es ist deutlich, dass die Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirche/katholischen orientalischen Kirchen in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung erzielt haben.
So erhob noch Papst Benedikt XVI. im Jahre 2005 die Rumänische Griechisch-Katholische Kirche, auch genannt die Rumänisch-Unierte Kirche oder eben Unierte Kirche Rumäniens, in den Rang einer großerzbischöflichen Kirche.
Papst Franziskus erhob im Jahre 2015 die Griechisch-Katholische Kirche in Ungarn, auch genannt die Ungarisch-Unierte Kirche oder die Ungarische Griechisch-Katholische Kirche, zu einer metropolitanen Kirche.
Auch in politischer Hinsicht bedeutsam ist die Tatsache, dass bereits kurz vorher im selben Jahr 2015 Papst Franziskus die Eritreisch-Katholische Kirche, auch genannt die Unierte Kirche Eritreas in den Rang einer metropolitanen Kirche erhob. Um eine Kirche eigenen Rechts in diesem Rang zu sein, musste diese Kirche nicht erst als eine der anderen/sonstige Kirchen eigenen Rechts einige Zeit warten. Dabei hatte die Nation von Eritrea erst nach jahrzehntelangem Unabhängigkeitskrieg gegen Äthiopien im Jahre 1993 die Unabhängigkeit erlangt, welche der Apostolische Stuhl umgehend diplomatisch anerkannte (siehe allgemeiner Gedanken zur Woche 95-b).
Die gute Entwicklung Katholischer Ostkirchen/Unierter Kirchen/katholischer orientalischer Kirchen geht offensichtlich weiter. So berichtete das offizielle Organ des Vatikans L´OSSERVATORE ROMANO in seiner deutschen Ausgabe (Nummer 27/28 2022 (52. Jahrgang – 8. Juli 2022) Seite 4), dass Papst Franziskus Joy Alappat zum Bischof der syro-malabarischen Eparchie „Heiliger Apostel Thomas von Chicago“ (Vereinigte Staaten von Amerika) ernannte. Zum Apostolischen Visitor für die in der Republik Irland sowie in Nordirland lebenden ukrainischen Gläubigen des byzantinischen Ritus wurde Kenneth Anthony Adam Nowakowski, Bischof der Eparchie „Heilige Familie von London“ der unierten Ukrainer berufen. Damit wurde erneut unterstrichen, dass es für die katholische Kirche ein Irland gibt (siehe Gedanken zur Woche 65-b und 83-b).
1. Lesung: Jer 38,4-6.7a.8b-10 oder 1 Chr 15,3-4.15-16; 16,1-2
2. Lesung: Hebr 12,1-4 1 Kor 15,54-57
Evangelium: Lk 12,49-53 Lk,11,27-28
Gedanken zur Woche 125-b, Dr. Matthias Martin
20. WOCHE IM JAHRESKREIS einschließlich HOCHFEST von der AUFNAHME MARIENS IN DEN HIMMEL (2022)
Immer, wenn das Hochfest der AUFNAHME MARIENS IN DEN HIMMEL/MARIÄ AUFNAHME IN DEN HIMMEL naht, mag einem ein Filmtitel wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ oder auch von Friedrich Nietzsche her der Ausdruck von „der ewigen Wiederkehr des Gleichen“ in den Sinn kommen.
Es geistern ja immer wieder irreführende Ausdrücke herum, wie der von einer Himmelfahrt Mariens (siehe allgemein Gedanken zur Woche 23-b - 20. WOCHE IM JAHRESKREIS (2020) und Gedanken zur Woche 41 - 4. ADVENTSONNTAG (2020)). Dabei ist sowohl in der „Munificentissimus Deus“ von Papst Pius XII. vom 01. November 1950 mit der betreffenden dogmatischen Definition (https://www.vatican.va/content/pius-xii/en/apost_constitutions/documents/hf_p-xii_apc_19501101_munificentissimus-deus.html ; http://www.kathpedia.com/index.php/Munificentissimus_Deus_(Wortlaut) und Gedanken zur 23-b) wie im CIC für die lateinische Kirche, dem CODEX IURIS CANONCI/CODEX DES KANONISCHEN RECHTS, ausdrücklich von der Aufnahme Mariens in den Himmel die Rede (siehe auch Gedanken zur Woche 62-b). Es ist dort nichts zu finden von Himmelfahrt Mariens! Ganz in diesem Sinne äußern sich das II. Vatikanische Konzil in der Konstitution „Lumen Gentium“, der Katechismus der Katholischen Kirche, abgekürzt KKK, sowie das gewissermaßen authentische und nicht verdrehte Rosenkranzgebet (siehe Gedanken zur Woche 23-b).
Im Kompendium der Katholischen Kirche wird unter Punkt 198 (Deutsche Ausgabe 2005 München, Seite 81) eigens vor einer Marienanbetung gewarnt.
Einer Vergöttlichung Mariens oder einer kultischen Vermengung mit der Anbetung der Allerheiligsten Dreifaltigkeit sollte Paroli geboten sein. Folgt man konsequent namentlich dem Beschluss des Konzils von Ephesus im Jahre 431 über Maria als Gottesgebärerin, dem des II. Konzils von Nicäa im Jahre 787 über die Bilderverehrung (siehe dazu Gedanken zur Woche 91), so ist natürlich die Bezeichnung Gottesgebärerin zu bevorzugen. Dieser Ausdruck ist wohl nicht zuletzt besser geeignet, Missverständnisse auszuschließen, das Christentum verehre eine Göttermutter wie etwa die alte polytheistische griechische und römische Religion in Gestalt von Hera und Juno (siehe Gedanken zur Woche 23-b). Auch sonst begegnen in polytheistischen Religionen immer wieder die Verehrung einer Göttermutter. Der fließende Übergang zwischen außerchristlichen Überlieferungen und Christentum unter Bezugnahme auf Maria verwundert umso weniger. Offensichtlich kam es etwa von afrikanischen Sklaven im Machtbereich von Mächten, welche den Katholizismus offiziell als ihre Staatsreligion forcierten, zum Praktizieren eigener überlieferter Inhalte, namentlich der Verehrung einer weiblichen (Haupt-)Gottheit unter einer Art Deckmantel von zur Schau gestellter Marienverehrung bzw. Verwendung von auf Maria bezogenen Devotionalien.
Dabei verwendet auch das II. Vatikanische Konzil, wenn wir der deutschen Übersetzung folgen, die wohl weniger verfängliche Bezeichnung Gottesgebärerin. Dies geschieht sowohl in der Konstitution über die Kirche „Lumen Gentium“, Nummer 66, wie in der Konstitution über die Liturgie „Sacrosanctum Concilium“, Nummer 103 (siehe zu letzterem auch Gedanken zur Woche 73). Ebenso bezeichnete der selige Papst Pius IX. in seinem dogmatischen Text zur Definierung der Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Mariens „Ineffabillis Deus“ vom 8. Dezember 1854 Maria als Gottesgebärerin (siehe auch Gedanken zur Woche 39-b). Zur Vermeidung von Missverständnissen einschließlich des Vorwurfs der Missachtung gleich mehrerer Konzilien bzw. deren Beschlüssen ist wohl der Ausdruck Gottessgebärerin gegenüber Ausdruck Gottesmutter vorzuziehen. Hierbei ist zu bedenken, dass das erwähnte Konzil von Ephesus auch von den orthodoxen Kirchen bzw. der orthodoxen Kirche sowie den meisten der altorientalischen Kirchen anerkannt wird. Zumindest die das Konzil von Chalcedon anerkennenden Ostkirchen, mitunter chalcedonensische Ostkirchen genannt, erkennen auch ausdrücklich das II. Konzil von Nicäa an. Hinzu kommt jeweils die Anerkennung durch mehr oder minder zahlreiche Gemeinschaften in dem so äußerst vielfältigen Bereich des Protestantismus einschließlich des Anglikanismus. Solche Gemeinsamkeiten sollten nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt oder beschädigt werden.
Ein grundsätzliches Problem ist natürlich auch hier die sprachliche bis massive inhaltliche Verwirrung, welche seit den sechziger Jahren verstärkt in der katholischen Kirche um sich gegriffen hat. Da kriegt man eben auch schon einmal in einer bundesdeutschen Diözese von einem prominenten Priester ohne leisesten Zweifel bei diesem zu hören, natürlich beteten die Katholiken Maria an. Oder denken wir an die Verdrehung des Rosenkranzgebetes, derzufolge Maria ihrerseits Jesus in den Himmel aufgenommen hätte (siehe Gedanken zur Woche 23-b). Derartiges fügt zweifelsohne der katholischen Kirche auch im Verhältnis zu anderen Konfessionen wie zu Muslimen Schaden zu.
Ein eigenes Problem bei all diesen Verwirrungen ist das verstärkte Auftreten synkretistischer bis neureligiöser Tendenzen und Bewegungen unter Verwendung von Elementen einer Marienverehrung wie anderer Elemente katholischer Heiligenverehrung. Dann gibt es eben auch eine Reihe seit dem II. Vatikanischen Konzil entstandenen oder vorübergehend Aufmerksamkeit findenden Gruppierungen, in denen etwa Maria zur Vierten Göttlichen Person erhoben erklärt wurde oder sich die Gründerin eines Tages als Wiedergeburt Mariens ausgab.
In einigen Fällen kam es zu einer klaren Trennung von der römisch-katholischen Kirche. Es sei aber allgemein bemerkt, dass das, was mitunter „der religiöse Markt“ genannt wird, ziemlich unüberschaubar geworden ist. So geschah die Entwicklung von außerkatholischen Extremposition in der Marienverehrung bis Marienvergottung in diversen mehr oder minder mit dem Protest gegen das II. Vatikanische Konzil verbundene Splittergruppen, welche eigene mehr oder minder als Gegenpäpste zu bezeichnende Führungspersonen aufwiesen bzw. aufweisen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die sog. Armee Mariens, auch genannt „Gemeinschaft der Frau aller Völker“ mit einer klaren Abgrenzung der katholischen Kirche gegen sie hinzuweisen. Natürlich ist bei so etwas wie marianistischen Sekten oder Splittergruppen vor einer Verwechslung mit Gemeinschaften zu warnen, welche einen ähnlichen oder zumindest vermeintlich gleichen Namen haben, aber von der katholischen Kirche offiziell anerkannt sind.
Schon vorher hatte sich die katholische Kirche im Laufe der Geschichte von Bewegungen bzw. Gruppierungen ausdrücklich distanziert, welche sich unter Berufung auf die Mutter Jesu, eben Maria, sehr „auffällig“ verhielten. Dies geschah auf überörtlicher Ebene grundsätzlich etwa in Hinblick auf die Kollyridianer, auch genannt Philomarianiten (siehe Gedanken zur Woche 116), wie unter dem heiligen Papst Pius X. in historisch hervorragend dokumentierter Weise gegenüber den Mariaviten, welche sich inzwischen ihrerseits längst mehrfach gespalten haben. Solche Abgrenzungen seitens der katholischen Kirche wurden längst auch ausdrücklich im Bereich der Ökumene gewürdigt, wie ich selber erfahren konnte. Solche lobenden Worte konnte man bei klassischen Evangelikalen wie bei Oneness-Pfingstlern vernehmen, so sehr diese theologisch-spirituellen Richtungen sonst voneinander getrennt sind.
Der Verwirrung der Geister gerade in Hinblick auf die Mutter Jesu, Maria, entgegen zu wirken, ist eine dauernde Herausforderung. Der Blick auf die tatsächlichen Konzilien wie auf Entscheidungen des römischen Lehramtes ist da immer sehr nützlich. Natürlich hat die Bibel auch hier ganz grundsätzliche Bedeutung und verdient die allgemeine kirchliche Überlieferung, wie sie sich auch in Glaubensbekenntnissen äußert, fortwährende Beachtung. Das Hochfest von der AUFNAHME MARIENS IN DEN HIMMEL mag dies verdeutlichen.
Gedanken zur Woche 124, Dr. Matthias Martin
19. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Wie ernstzunehmend die Mahnung im Evangelium ist, wachsam zu sein, zeigt sich im menschlichen Leben immer wieder. Das anzuerkennen, muss man nicht Anhängerin bzw. Anhänger einer bestimmten Konfession, Religion oder philosophischen Richtung sein.
Sorglosigkeit kann bedenkliche bis sehr schlimme Folgen haben.
Es gilt, aufmerksam zu sein, um auf Herausforderungen bis hin zu Unglücksfällen rasch reagieren zu können.
Nicht umsonst gibt es ja Einrichtungen wie Feuerwehr und Katastrophenschutz. Je nach Land, Region und manchmal auch (Stadt-)Gemeinde sind die Angelegenheiten unterschiedlich organisiert. Aber immer geht es darum, mit geeignetem Personal bereit zu sein, wenn einmal etwas passiert. Parallel dazu verhält es sich mit Polizei und Militär einschließlich Spezialeinheiten. Auch hier gibt es örtlich Verschiedenheiten in der Organisation und der täglichen Ausführung des Dienstes. Die grundsätzliche Herausforderung aber ist immer wieder dieselbe. Denken wir auch an den anstrengenden Dienst, den Menschen in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen leisten, die mit medizinischer Bereitschaft verbunden sind. Immer wieder geht es darum, bereit zu sein, auf dass es nicht zu bösen Überraschungen kommt, dass man in einem solchen Falle nach Möglichkeit nicht hilflos ist.
Nicht umsonst verfügt auch der Vatikan über eine eigene Polizei und in Gestalt der berühmten Schweizer Garde über eine eigene Armee (siehe Gedanken zur Woche 30-b). Weniger bekannt ist, dass der Vatikan auch über eine eigene Feuerwehr verfügt. Wie bei Polizei und Armee des Vatikanstaates ist bei der vatikanischen Feuerwehr der Papst oberster Chef.
Bereit zu sein ist natürlich fortwährender Auftrag überall in der Kirche. Eine Einrichtung wie örtliche Krankenhausbereitschaft von Priestern und manchmal auch Laientheologinnen und -theologen wird weit über den Bereich praktizierender Katholiken hinaus von sehr vielen Menschen geschätzt. Die Bedeutung der Seelsorger an Kranken und Verletzten wird dadurch verdeutlicht, dass in unseren Breiten früher allgemein Glockengeläut den Priester beim Versehgang begleitete. In manchem Spielfilm hat diese einst konsequent hochgehaltene Tradition ihren Niederschlag gefunden und lebt dort gewissermaßen fort. Im wirklichen Leben ist die Praxis des begleitenden Glockenläutens beim Versehgang ziemlich verschwunden. Dies wird immer wieder als ein Verlust empfunden. Eine Wiederherstellung dieser Übung ist dort, wo sie aufgegeben wurde, aber schon aus formalrechtlichen Gründen sehr schwierig bis unmöglich. Das Bemühen der Kirche um die Menschen in guten und schlechten Tagen schlägt sich auf jeden Fall auch in der Militärseelsorge und etwas weniger bekannt in der Polizei- und Feuerwehrseelsorge nieder.
Im staatlichen Bereich gibt es weltweit immer wieder auch Vorsorgeeinrichtungen gerade in Hinblick auf die Lebensmittel- und Energieversorgung. Längst wurde von sehr vielen Menschen erkannt, dass man hier in einigen Mitgliedsländern der EU viel zu sorglos war. Da hätte man sich lieber an so unterschiedliche Staatswesen wie die baltischen Republiken, Kanada und die USA halten sollen. Auch die Sorglosigkeit in Hinblick auf die Inflation wird inzwischen vielfach kritisiert. Dass in der EU und gerade bei der Europäischen Zentralbank, abgekürzt EZB; sogar eine Grundinflation als wünschenswert eingestuft und gefördert wurde, ruft inzwischen bei nicht wenigen Menschen sogar richtige Wut hervor. Sonst wird inzwischen zumindest deutlich die Sorglosigkeit in Hinblick auf Inflation und Staatsverschuldung von sehr vielen Menschen kritisch gesehen.
Es geht eben immer wieder darum, Vorsorge zu treffen und für böse Ereignisse zumindest etwas vorbereitet zu sein.
Das schlägt sich auch im CCEO für die katholischen Ostkirchen nieder. Im Hintergrund stehen die sehr schlimmen Erfahrungen solcher Kirchen eigenen Rechts in der katholischen Weltkirche und mit ihnen verbundenen Gläubigen mit russischer und generell kommunistischer Unterdrückungs-, ja Vernichtungspolitik (siehe Gedanken zur Woche 117-b).
So gibt es eigene Regeln für den Fall, dass der jeweilige Patriarch bzw. Großerzbischof (siehe zu den Gemeinsamkeiten Gedanken zur Woche 119) an der Ausführung seiner Tätigkeit gehindert ist:
„Can. 132 - § 1. Wenn der patriarchale Sitz aus irgendeinem Grund so behindert ist, daß der Patriarch sich nicht einmal brieflich mit den Eparchialbischöfen der Kirche, die er leitet, verständigen kann, liegt die Leitung der patriarchalen Kirche nach Maßgabe des can. 130 bei dem der Bischofsweihe nach ältesten Eparchialbischof innerhalb der Grenzen des Territoriums dieser Kirche, der selbst nicht behindert ist, wenn nicht der Patriarch einen anderen Bischof oder im äußersten Notfall auch einen Priester bestellt hat.
§ 2. Wenn der Patriarch so behindert ist, daß er sich mit den Christgläubigen seiner eigenen Eparchie nicht einmal brieflich verständigen kann, liegt die Leitung dieser Eparchie beim Protosynkellos; wenn aber auch dieser behindert ist, bei demjenigen, den der Patriarch oder derjenige, der zwischenzeitlich die patriarchale Kirche leitet, bestellt hat.
§ 3. Wer die Leitung zwischenzeitlich übernommen hat, muß den Papst sobald wie möglich über die Behinderung des patriarchalen Sitzes und die Übernahme der Leitung benachrichtigen.“
Die Regelungen sind also sehr detailliert und tiefgehend. Man hat hier also die Möglichkeit im Blick, dass sowohl der jeweilige Patriarch bzw. Großerzbischof wie auch verschiedene seiner Mitarbeiter massiv gehindert sind. Wohl noch etwas deutlicher in der Wortwahl ist der Canon, welcher die einzelnen Bischöfe in ihrer Gesamtheit betrifft:
„Can. 233 - § 1. Wenn der Eparchialsitz durch Gefangenschaft, Verbannung, Exil oder Unfähigkeit des Eparchialbischofs so behindert ist, daß dieser sich nicht einmal schriftlich mit den ihm anvertrauten Christgläubigen verständigen kann, liegt die Leitung der Eparchie beim Bischofskoadjutor, wenn der Patriarch mit Zustimmung der Ständigen Synode für die Eparchien, die innerhalb der Grenzen des Territoriums der Kirche liegen, die er leitet, oder der Apostolische Stuhl nicht anders Vorsorge getroffen haben; wenn es aber keinen Bischofskoadjutor gibt oder dieser behindert ist, liegt sie beim Protosynkellos, einem Synkellos bzw. einem anderen geeigneten vom Eparchialbischof bestimmten Priester, dem von Rechts wegen die Rechte und Pflichten des Protosynkellos zustehen; der Eparchialbischof aber kann zur rechten Zeit mehrere benennen, die einander im Amt nachfolgen.
§ 2. Wenn es diese nicht gibt oder sie daran gehindert sind, die Leitung der Eparchie zu übernehmen, kommt es dem Kollegium der Eparchialkonsultoren zu, einen Priester zu wählen, der die Eparchie zu leiten hat.
§ 3. Wer die Leitung einer Eparchie innerhalb der Grenzen des Territoriums einer patriarchalen Kirche übernommen hat, muß sobald wie möglich dem Patriarchen über die Behinderung des Eparchialsitzes und die Übernahme des Amtes benachrichtigen; in den anderen Fällen muß er den Apostolischen Stuhl benachrichtigen und, wenn es eine patriarchale Kirche betrifft, auch den Patriarchen.
Unterdrückung durch eine kirchenfeindliche Diktatur bzw. Besatzungsmacht haben ja gerade katholische Ostkirchen immer wieder drastisch und leidvoll erfahren. Da gilt es eben auch heutzutage, vorbereitet zu sein.
1. Lesung: Weish 18,6-9
2. Lesung: Hebr 11,1-2.8-19 (oder 11,1-2.8-12)
Evangelium: Lk 12,32-48 (oder 12,35-40)
Gedanken zur Woche 124-b, Dr. Matthias Martin
19. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Die 19. Woche im kirchlichen Jahreskreis hat, wenn man dem derzeit bei uns üblichen liturgischen Kalender folgt, ihre eigene Stärke, ja dramatische Aussagekraft.
So wird dreier besonders prominenter und als Märtyrer anerkannter Glaubenszeugen gedacht. Da ist zunächst die von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochene Karmelitin Theresia Benedicta vom Kreuz. Das Kind jüdischer Eltern aus der schlesischen Metropole Breslau studierte Philosophie zusammen mit Psychologie, Germanistik und Geschichte. Sie verband die phänomenologische Methode der Philosophie im guten Sinne mit dem überlieferten scholastischen Erbe. Sie besitzt ihren eigenen Platz in der Geschichte der Philosophie und hinterließ ein sehr umfangreiches und facettenreiches Werk. Sie war aber auch schon früh eine Frau der praktischen guten Werke. So wirkte sie während des I. Weltkriegs im freiwilligen Lazarettdienst. Religiös wandte sie sich der katholischen Kirche zu und empfing als Konsequenz ihrer bewussten Glaubensentscheidung 1922 die Taufe.
Wie andere Größen des deutschen Geisteslebens und gerade auch der Pflege von Deutsch als Wissenschafts- einschließlich Publikationssprache wurde sie ab 1933 ein Opfer der nationalsozialistischen Politik. Ihre konsequente Entscheidung für den katholischen Glauben und die damit verbundene Gemeinschaft der Kirche führte sie sogar zum Eintritt in den strengen Orden der Unbeschuhten Karmelitinnen. Schließlich übersiedelte sie als Ordensfrau in die Niederlande. Dort wurde sie im Jahre 1942 wie tausende andere Katholikinnen und Katholiken jüdischer Herkunft durch die nationalsozialistischen Machthaber verschleppt und schließlich in Ausschwitz ermordet. Gerade die Schlesische Landsmannschaft der deutschen Heimatvertriebenen hat ihr Andenken gepflegt. So fand bereits vor Jahren in Würzburg in Zusammenarbeit von Schlesischer Landsmannschaft und dem Dokumentationszentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken eine Ausstellung über sie statt. Edith Stein, die heilige Theresia Benedicta vom Kreuz mag auch und gerade heutzutage Anstöße für gesellschaftspolitisches Wirken, gegen Geschichtsvergessenheit und für das positive Zusammenwirken von Glauben und Vernunft, Kirche und Wissenschaft vermitteln. Dies gilt umso stärker, da sie bereits Papst Johannes Paul II. zur Mitpatronin Europas erhob (siehe allgemeiner Gedanken zur Woche 31-b, 99-b und gerade 19-b). Sie verkörpert eben umso mehr die Befürwortung wissenschaftlichen Strebens und von Wissensvermittlung durch die Kirche. Zugleich weist die Heiligsprechung und Erhebung zur Mitpatronin auf die dauernde Verbundenheit der katholischen Kirche mit Flüchtlingen und Heimatvertriebenen, generell den Opfern von religiös, ethnisch oder politisch motivierter Gewalt, hin. Es war ja nicht zuletzt Papst Johannes Paul II. welcher wiederholt eigens die Tätigkeit der deutschen Vertriebenenverbände würdigte und so deutlich zu betreffendem Engagement ermutigte. Passend zum aktuellen Krieg in der Ukraine war er ein klarer Befürworter der ukrainischen Unabhängigkeit und eifriger Förderer der Ukrainisch-Katholischen Kirche/ukrainisch-unierten Kirche, auch genannt die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche.
Zugleich verdeutlicht die heilige Edith Stein/Theresia Benedicta vom Kreuz ganz allgemein, dass die Kirche auf Erden immer wieder Verfolgung erleidet.
Bereits als Opfer römischer Christenverfolgungen zu verschiedenen Zeiten starben der heilige Laurentius und der Namensgeber und Schutzpatron von Stadt und Diözese St. Pölten, der heilige Hippolyt, den Märtyrertod. Dabei verkörpert der heilige Laurentius eigens das caritative Wirken, die praktische Nächstenliebe, als Wesenselement unverfälschten Christentums (siehe Gedanken zur Woche 22-b, 46 und 86). Der heilige Hippolyt steht für intensives theologisch-geistiges Bemühen verbunden mit auch innerkirchlicher Konflikt- wie Versöhnungsbereitschaft (siehe Gedanken zu Woche 22-b, 64-b, 72-b, 85, 89-b).
Die Beliebtheit des heiligen Laurentius seit den frühen Jahrhunderten der Christenheit zeigt sich u. a. darin, dass er namentlich im ungekürzten Römischen Messkanon/I. Hochgebet erwähnt wird (siehe Gedanken zur Woche 22-b und 86). Wie die allermeisten anderen der dort erwähnten Heiligen starb er eben als Opfer des Römischen Reiches den Märtyrertod (siehe Gedanken zur Woche 114-b).
Schon im Alten/Ersten Testament finden wir immer wieder Beispiele für die Unterdrückung von Gläubigen bzw. des auserwählten Volkes. Ein besonders drastischer Fall ist der Befehl des ägyptischen Pharaos, die neugeborenen Knaben der Hebräer zu töten (Ex 1,15-22). Deutlich sind auch die Formulierungen zu Eroberung des Königreiches Juda und Zerstörung des Tempels zu Jerusalem durch den neubabylonischen König Nebukadnezzar (2 Chr 36,17-21 und 2 Kön 25,1-26). Interessant sind in diesem Gesamtzusammenhang von Bedrängnis und Selbstbehauptungswillen gerade auch die beiden Anfangskapitel des Buches Tobit. Ganz grundsätzlich verdienen die beiden Makkabäerbücher Beachtung, wenn es um Verfolgung wie Widerstand von Gläubigen im Alten/Ersten Testament geht. Besonders bekannt ist dabei die Geschichte vom Martyrium der sieben Brüder mit ihrer Mutter (2 Makk 7,1-42). Die aufrüttelnden Worte der Mutter an ihren jüngsten Sohn, sich nicht einschüchtern und korrumpieren zu lassen, sondern lieber standhaft für die ererbte monotheistische Religion und die damit verbundene Lebensweise in den Tod zu gehen, entfalteten eine eigene Bedeutung für die Ausformulierung christlicher Schöpfungslehre. Diese Worte wurden auch als Ermutigung gesehen zur Verweigerung gegen Unrechtsregime:
„(7,28) Ich bitte dich, mein Kind, schau dir den Himmel und die Erde an; sieh alles, was es da gibt, und erkenne: Gott hat das aus dem Nichts erschaffen und so entstehen auch die Menschen. (29) Hab keine Angst vor diesem Henker, sei deiner Brüder würdig und nimm den Tod an! Dann werde ich zur Zeit des Erbarmens mit deinen Brüdern wiederbekommen.“
Die geplante Vernichtung des jüdischen Volkes, die versuchte Zerstörung seiner Religion und nationalen Kultur durch das hellenistische Herrschergeschlecht der Seleukiden scheiterte schließlich spektakulär (siehe allgemein Gedanken zur Woche 121-b). Auch sonst wandten sich mit der Zeit Menschen aus verschiedenen Völkern gegen die Hellenisierungspolitik damaliger Herrscher, welche im Gefolge der brutalen Eroberungspolitik Alexanders, oft genannt „der Große“, sich hatten etablieren können. Die scheinbar unbesiegbaren hellenistischen Herrschaftssysteme mit ihrer Politik der Vernichtung nationaler bzw. regionaler Kulturen sind längst vergangen. So erging es im Laufe der Geschichte früher wie später eben auch anderen großen Reichen. So heißt es in dem oft verwendeten „dtv-Atlas zur Weltgeschichte I“ von Werner Hilgemann und Hermann Kinder (München 1980, 16. Auflage, Seite 71):
„Seit dem 2. Jh geistige Reaktion der einheimischen Bevölkerung gegen die Hellenisierung. Festhalten an der eigenen Kultur und Sprache.“
Geschichte und religiöse Überlieferung seit dem Altertum verdienen immer wieder unser Interesse. Wir sind eingeladen, möglichst unbefangen Rückschlüsse für unsere eigene Zeit zu ziehen.
Gedanken zur Woche 123, Dr. Matthias Martin
18. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Das Gleichnis vom reichen Gutsherren verdeutlicht, wie sehr für das Verständnis von uns überlieferten Texten historische bzw. sozio-kulturelle Kenntnisse nützlich bis unerlässlich sind. Umgekehrt kann die Beschäftigung mit einem betreffenden Text und erst recht mit einer Gruppe von Texten unser Verständnis historischer Vorgänge wie auch Sprachkenntnisse fördern. Hier gehen grundsätzlich Archäologie, Geschichtswissenschaft, Linguistik wie alle möglichen Formen von Sprachwissenschaft Hand in Hand. Hinzu kommen etwa auch Numismatik, also die mehr oder minder wissenschaftliche Beschäftigung mit Geld und seiner Geschichte, namentlich Münzen, Erdkunde/Geografie und Kunstgeschichte. Auch das für sich schon so breite wie tiefe Feld der Rechtswissenschaft ist hier zu nennen. Zum einen erwachsen ja Rechtswesen und rechtliche Normen aus den Lebensumständen. Zum anderen sollen so etwas wie ein Rechtswesen und rechtliche Normen das Leben von Menschen beeinflussen. Eine Wechselwirkung von menschlichem Leben und der Aufstellung und zumindest versuchten Umsetzung irgendwelcher Normen sehen wir natürlich auch in dem wiederum so breiten wie tiefen Bereich von dem, was mehr oder minder Philosophie genannt wird.
So sollte man sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass etwa das II. Vatikanische Konzil die Unverzichtbarkeit der Philosophie einschließlich der Philosophiegeschichte anmahnte (siehe Gedanken zur Woche 62-b). Auch in so einem eher speziellen Punkt wie dem Bestehen auf einer intensiven Ausbildung in Philosophiegeschichte folgte gerade das Dekret über die Ausbildung der Priester des II. Vatikanischen Konzils „Optatam totius“ dem, was gerne die katholische Tradition genannt wird. Dies gilt auch in Hinblick auf die Herausstellung der Bedeutung des Kirchenlehrers und Klassikers der Philosophie, Thomas von Aquin (siehe Gedanken zur Woche 46-b). Auch die Bedeutung von Dogmengeschichte und der allgemeinen Kirchengeschichte werden in „Optatam totius“ herausgestellt, was in unserer gerade sicher im deutschen Sprach- und Kulturraum so geschichtsvergessenen Zeit eigene Beachtung verdient. So heißt es in Abschnitt 15 von „Optatam totius u. a.:
„Die philosophischen Disziplinen sollen so dargeboten werden, daß die Alumnen vor allem zu einem gründlichen und zusammenhängenden Wissen über Mensch, Welt und Gott hingeführt werden …
Die Philosophiegeschichte soll so gelehrt werden, daß die Studenten zu den letzten Prinzipien der verschiedenen Systeme vordringen, den Wahrheitsgehalt festhalten, die Irrtümer aber in ihren Wurzeln erkennen und widerlegen können.“
In Abschnitt 16 dieses Priesterausbildungsdekrets ist in markanter Weise nachzulesen:
„Die dogmatische Theologie soll so angeordnet werden, daß zuerst die biblischen Themen selbst vorgelegt werden; dann erschließe man den Alumnen, was die Väter der östlichen und westlichen Kirche … beigetragen haben, ebenso die weitere Dogmengeschichte, unter Berücksichtigung ihrer Beziehung zur allgemeinen Kirchengeschichte …“.
Vom geschichtlichen Hintergrund, den sozio-kulturellen Zusammenhängen ist nun sehr leicht nachvollziehbar, dass auch die Behandlung einer besonders ernsten Thematik, wie dies in dem Gleichnis von dem reichen Gutsherrn geschieht, eben anhand eines Bildes aus der Landwirtschaft geschieht. So waren in der damaligen Zeit in etwa vier Fünftel der Menschen im mehr oder minder landwirtschaftlichen Bereich tätig. Dies änderte sich grundsätzlich erst mit der Industriellen Revolution.
Die Lebensumstände haben sich vielfach geändert, die existentiellen Herausforderungen sind geblieben. So geht es darum, auch so ein Gleichnis aus den Zeiten des Neuen/Zweiten Testaments zu erschließen und im guten Sinne heutigen Menschen nutzbringend nahezubringen. Das Wesentliche ist unter den sich immer wieder wandelnden Zeitumständen zu erkennen, zu pflegen und in guten Worten und Taten gewissermaßen umzusetzen.
So hat sich zur Unterscheidung zwischen veränderlichen Gegebenheiten, Regelungen und ganzen Ordnungen und dem, was unaufgebbare Substanz ist, die Ausdifferenzierung in ius divinum (Göttliches Recht) und ius mere ecclesiasticum (Bloßes Kirchenrecht/Rein kirchliches Recht) entwickelt (siehe Gedanken zur Woche 63). Das stets zu beachtende und inhaltlich nicht als veränderlich angesehene ius divinum setzt sich nach katholischer Überlieferung seinerseits aus dem ius divinum positivum (Positive göttliche Offenbarung) und dem ius divinum naturale (Naturrecht) zusammen.
Auch der Papst hat nicht das Recht, gegen die traditionelle, überlieferte Glaubens- und Sittenlehre etwas Neuartiges zu verkünden. Auch und gerade der Papst hat sich an das ius divinum zu halten. Um Missverständnisse zu vermeiden, wurde auf dem I. Vatikanischen Konzil (1869-1870) in der Dogmatischen Konstitution „Pastor aeternus“ festgehalten:
„Den Nachfolgern des Petrus wurde der Heiligen Geist nämlich nicht verheißen, damit sie durch seine Offenbarung eine neue Lehre ans Licht brächten, sondern damit sie mit seinem Beistand die durch die Apostel überlieferte Offenbarung bzw. die Hinterlassenschaft des Glaubens heilig bewahrten und getreu auslegten.“
Eine Willkürherrschaft soll und darf es in der Kirche also keineswegs geben. Sollte es aber doch zu etwas kommen bzw. gekommen sein, so ist dies ein klarer Verstoß u. a. gegen das I. Vatikanische Konzil mit seiner Dogmatischen Konstitution „Pastor aeternus“.
Die Orientierung am ius divinum wird nicht zuletzt auch im CCEO angemahnt bei gleichzeitiger Betonung der Bedeutung der Vernunft:
„Can. 1506 - § 1. Die Gewohnheit einer christlichen Gemeinschaft, soweit sie mit der Tätigkeit des Heiligen Geistes im Leib der Kirche übereinstimmt, kann Rechtskraft erlangen.
§ 2. Keine Gewohnheit kann in irgendeiner Weise göttliches Recht aufheben.
Can. 1507 - § 1. Nur eine solche Gewohnheit kann Rechtskraft haben, die vernünftig ist und von einer wenigstens zur Annahme eines Gesetzes fähigen Gemeinschaft in beständiger und friedvoller Praxis eingeführt worden ist und auch sich auf eine vom Recht festgesetztes Ziel erstreckt hat.“
Dabei gibt es traditionell eine legitime Vielfalt in den Riten, in den theologischen Formulierungen und der Spiritualität, was sich gerade bei den Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen zeigt (siehe Gedanken zur Woche 117, 118-b, 119-b; 120-b; 121-b, 122; 122-b; zum Vorhandensein westlicher Riten wie des Westgotischen Ritus siehe Gedanken zur Woche 106-b und 116-b). Dies zeigt sich recht tiefgreifend auch im kirchenrechtlichen Bereich, in der hierarchischen Gliederung (siehe eigens Gedanken zur Woche 119). Dazu ist im CCEO grundlegend festgehalten:
„Can. 174 – Eine Kirche eigenen Rechts, die weder patriarchale noch großerzbischöfliche noch metropolitane Kirche ist, wird einem Hierarchen anvertraut, der sie nach Maßgabe des gemeinsamen Rechts und des vom Papst festgesetzten Partikularrechts leitet.“
Es kann also bei den katholischen Ostkirchen demnach patriarchale Kirchen, großerzbischöfliche, metropolitane und andere/sonstige Kirchen geben.
1. Lesung: Koh 1,2;2,21-23
2. Lesung: Kol 3,1-5.9-11
Evangelium: Lk 12,13-21
Gedanken zur Woche 123-b, Dr. Matthias Martin
18. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Eine so vielfältige Persönlichkeit wie der heilige Alfons Maria von Liguori, kürzer auch Alfons von Liguori, weist uns in Richtung der Bandbreite und Tiefe kirchlichen und überhaupt menschlichen Lebens. So wird er im Direktorium der Diözese St. Pölten für 2021/2022 ausdrücklich gewürdigt als Ordensgründer, Bischof und Kirchenlehrer. Gleiches geschieht auch in der Kleinausgabe des bei uns üblicherweise verwendeten Deutschen Messbuchs.
So ging er eben auch als Gründer der „Kongregation des allerheiligsten Erlösers“, oft Redemptoristen und seltener Ligorianer oder auch Liguorianer genannt, in die Geschichte ein. Auch die Gemeinschaft für Frauen, im Deutschen Redemptoristinnen genannt, geht auf sein vielfältiges Wirken zurück. Auch diese Ordensgründungen verdeutlichen die allein schon kirchengeschichtlich so große Bedeutung des Königreichs Neapel, auch genannt das Königreich beider Sizilien. Nicht zuletzt für Interessentinnen und Interessenten am Religionsrecht, früher sehr oft Staatskirchenrecht genannt, hat dieses so bemerkenswerte Staatswesen noch heute seine eigenen Reize. Einst hat der Heilige Stuhl genau dieses dann durch die beschönigend als Italienische Einigung bezeichneten Eroberungsfeldzüge vernichteten Staat in vielfältiger Weise berücksichtigt, ja gewürdigt. Dieses lebt selbst heute noch in der Gewährung des Privilegs zu/von Weiß, des Privilegio del bianco, für ein weibliches Mitglied des dortigen traditionellen Königshauses fort. Der erbitterte Widerstand ernstzunehmender Bevölkerungsteile bis hin zu zähem Partisanenkrieg gegen die Vernichtung des Königreichs Neapel/Beider Sizilien und seine gewaltsame Eingliederung in das neugeschaffene Königreich Italien ist gezielt verdrängt worden (siehe Gedanken zur Woche 71-b). Dies gilt auch für den Jahrzehnte vorher durchgeführten Aufstand der Sanfedisten bzw. Sanfedisti Ende des 18. Jahrhunderts gegen die hereingebrochene französische Besatzung samt dem Wüten ihrer örtlichen Kollaborateure im Gebiet des Königreichs Neapel, dem Festlandsgebiet des Königreichs beider Sizilien. Anführer dieses Volksaufstandes war der legendäre Kardinal Fabrizio Ruffo. Damals wies ein solcher Kardinal noch solche Beleibtheit im Volk auf, dass er zahlreiche einfache Menschen dazu motivieren konnte, gegen eine scheinbar unbesiegbare Besatzungsmacht und ihre Handlanger aufzustehen. Eine Persönlichkeit wie Kardinal Fabrizio Ruffo ist heutzutage ziemlich unvorstellbar, zumindest in Europa. Dabei hat der damalige von ihm angeführte Volksaufstand auch ein musikalisches Erbe hinterlassen (siehe https://www.youtube.com/watch?v=xid2_oEP5ho und https://lyricstranslate.com/en/canto-dei-sanfedisti-song-sanfedists.html-0).
Mit der Gegend von Stein an der Donau sind die Gründungen des heiligen Alfons von Liguori besonders eng verbunden. So unterhielten die Redemptoristinnen von 1839 bis 1848 in Stein an der Donau ein eigenes Kloster. Da es sich damit um eine recht kurze Zeitspanne handelte, ist die einstige Existenz dieses Klosters ziemlich aus dem Bewusstsein der örtlichen Bevölkerung geschwunden. Wir erleben es auch in unseren Tagen, dass sich in betroffenen Orten viele Menschen nicht mehr an einst dort vorhandene Ordensniederlassungen erinnern können, nachdem in der Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil die Schließung zahlreicher Ordensniederlassungen gewissermaßen in Fahrt kam.
Zwar mussten die Ordensfrauen schon 1848 im Rahmen der damaligen revolutionären Auseinandersetzungen ihr Kloster in Stein an der Donau aufgeben (https://raumforscherinnen.at/frauen/maria-benedicta-rizy/), ihre Klosterkirche aber blieb erhalten und ist inzwischen ein baulicher Bestandteil der weithin bekannten Straf-/Justizanstalt Stein (https://mapcarta.com/de/W104499944 und https://www.kirchen-am-fluss.at/klosterkirche-justizanstalt-stein). Immerhin wurde eine Gedenktafel an das einstige Redemptoristinnenkloster angebracht (https://www.noen.at/krems/geschichte-kloster-in-krems-stein-wurde-zu-zuchthaus-krems-stein-justizanstalt-stein-gedenktafel-johann-hadrbolec-erich-grabner-ulf-geppert-print-285261812).
Überhaupt war man damals gerade in habsburgischen Erblanden den Redemptoristen und nicht zuletzt auch den Redemptoristinnen feindlich gesinnt. Da der Kaiser aus dem Hause Habsburg Oberhaupt des Deutschen Bundes war und mit Erzherzog Johann ein weiteres Mitglied dieser Dynastie 1848 durch die Deutsche Nationalversammlung zum Reichsverweser gewählt wurde, verwunderte es nicht, dass es über die Stellung der Redemptoristen im Gebiet des Deutschen Bundes bzw. des zu verwirklichenden Deutschen Reiches politische Auseinandersetzungen gab. Tatsächlich war es bei den ausführlichen Diskussionen um die zu erarbeitende Nationalverfassung lange ein ernster Punkt gewesen, die Redemptoristen wie die Jesuiten durch eine eigene Festlegung in der Verfassung ausdrücklich zu verbieten. Die Verbotsforderung wurde nicht zuletzt dadurch der Lächerlichkeit preisgegeben, dass ihre Vertreter nicht erkannt hatten, dass Redemptoristen und Ligorianer dieselbe Ordensgemeinschaft darstellten. Wie man sich leicht denken kann, kommt der Ausdruck Ligorianer einfach vom Namen des Gründers her. Die Abwehr der so lächerlichen Verbotsforderung in der Deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt am Main konnte aber nicht den Untergang des Klosters der Redemptoristinnen zu Stein an der Donau wie andere Verfolgungsmaßnamen in den habsburgischen Erblanden verhindern.
Auch sonst wurde in Gebieten, die heutzutage mehr oder minder mit Österreich in Verbindung gebracht werden, viele kirchliche Einrichtungen zerstört. Man denke hier nur an die zahlreichen Klosterauflösungen unter Joseph II.
So ist es inzwischen nur noch eine ferne Erinnerung, ja bei sehr vielen Menschen völlig unbekannt, dass einst der Erzbischof von Salzburg das vom Papst bestätigte Recht besaß, in seinen Eigenbistümern, auch genannt Quasi-Bistümern, die Bischöfe einzusetzen. Diese Regelung passt etwas zum Wirken etwa des heiligen Alfons von Liguori als Bischof.
Erst durch das Konkordat von 1933 wurde dieses Ernennungsrecht des Salzburger Erzbischofs für Gurk und Seckau beseitigt, wie auch die freie Wahl des Salzburger Erzschofs durch das örtliche Domkapitel. Immerhin gibt es für das Salzburger Domkapitel noch das Recht, einen Kandidaten aus der vom Apostolischen Stuhl vorgelegten Dreiervorschlagsliste auszuwählen. Auch der Ehrentitel des Primas Germaniae, also Primas von Deutschland, blieb dem Salzburger Erzbischof erhalten.
Vorher war das Recht, den Bischof zu bestimmen, Salzburg in Hinblick auf den Bischofssitz von Lavant kurz nach dem I. Weltkrieg verloren gegangen. Einst waren auch Chiemsee und Leoben Salzburger Eigenbistümer gewesen.
Heutzutage ist die Möglichkeit einer örtlichen Wahl oder zumindest Mitsprache bei Bischofsberufungen gerade noch bei den katholischen Ostkirchen mit ihrer Ausdifferenzierung in patriarchale, großerzbischöfliche, metropolitane und andere/sonstige Kirchen gegeben. Dabei ist zu bedenken, dass Rechte und Pflichten der jeweiligen Patriarchen und Großerzbischöfe in diesen Kirchen eigenen Rechts bis auf die Einzelheiten ihrer Wahl und den Ehrenrang gleich sind (siehe Gedanken zur Woche 119).
Gedanken zur Woche 122, Dr. Matthias Martin
17. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Das Stück aus dem Lukasevangelium, in welchem seine Jünger Jesus von Nazaret bitten, sie beten zu lehren, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zunächst wird damit die Bedeutung des Betens als solches unterstrichen. Dazu passt, dass es zur Einführung heißt, Jesus habe damals an einem Ort gebetet. Daraufhin hätten ihn seine Jünger angesprochen mit der Bitte, sie beten zu lehren.
Beten ist nun in der Tat ein religiöser Grundvollzug. Beten begegnet uns in vielfältigen möglichen Formen in den unterschiedlichen Religionen und Konfessionen. Für Katholikinnen und Katholiken mag im Besonderen aussagekräftig sein, dass das Beten für die Lebenden und für die Toten eines der sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit ist. Gerade das Beten hat in diesem Sinne seinen augenfälligen Bezug zu den sieben leiblichen Werken der Barmherzigkeit. Zu diesen gehört schließlich die Toten begraben. Bei Beerdigungen wird üblicherweise gebetet. Meist wird für die bzw. den Verstorbenen ein eigener Gottesdienst gehalten. Auch Menschen, die sonst keinen erkennbaren Bezug zur Kirche haben, nehmen gerne an einem betreffenden Requiem, an einer Seelenmesse teil. Vor allem früher war es unter Katholikinnen und Katholiken verbreitet, eigens Gebetsstunden für die bzw. den Verstorbenen zu halten und namentlich in diesem guten Sinne zum Rosenkranzgebet einzuladen. Nicht selten wurde und wird auch noch der bzw. dem Verstorbenen ein Rosenkranz in den Sarg mitgegeben. Dabei gibt es im jeweiligen Zusammenhang einen Rosenkranz in verschiedenen Religionen und christlichen Konfessionen. Der Rosenkranz stellt selber ein bemerkenswertes Kulturgut dar (siehe Gedanken zur Woche 30-b).
Dann wird ja sehr oft zum Essen gebetet und zumindest eine religiöse Formel, vielleicht eine Art Stoßgebet zum Trinken gesprochen. So ist schon von daher das Beten auch mit den Werken der leiblichen Barmherzigkeit verbunden, die Hungrigen speisen und den Dürstenden zu trinken geben. Gerne betet man ja man auch mit Menschen, die sich in einer Notlage befinden, und man kann auch in ihrer Abwesenheit für solche Menschen beten. So ergibt sich schon ganz von selbst ein Bezug des Betens für die Lebenden und die Verstorbenen auch zu den leiblichen Werken der Barmherzigkeit nämlich die Nackten bekleiden, die Fremden aufnehmen, die Kranken besuchen und schließlich die Gefangenen besuchen.
Dann ist bemerkenswert, dass die Jünger Jesu diesem gegenüber betonen, dass schon Johannes der Täufer seine Jünger zu beten gelehrt hat. Dies wird seinerseits von Jesus von Nazaret positiv aufgegriffen und nicht kritisiert. Dieser Johannes der Täufer erfreut sich nicht nur in christlichen Konfessionen besonderer Verehrung, sondern auch außerhalb des Christentums. Dies lässt sich namentlich im Islam, im Mandäertum und im Judentum feststellen (siehe Gedanken zur Woche 39 und 65-b). Die besondere Stellung, die Johannes der Täufer auch in der christlichen Überlieferung einnimmt, wird dadurch verdeutlicht, dass er der „Prophet zwischen den Testamenten“ (siehe Gedanken zur Woche 39) und auch „Vorläufer Christi“ genannt wird.
Die Jünger Jesu haben mit ihrer Bitte an Jesus von Nazaret, sie auf spezifische Weise beten zu lehren, den Weg in die Richtung von dem gewiesen, was in der Theologie mitunter „Lex orandi, lex credendi“ genannt wird. Die bedeutet auf Deutsch so viel wie „Das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens“. Dies sagt in Kurzform aus, dass sich religiöse Inhalte in einer jeweiligen Form des Betens, des Gottesdienstes ausdrücken. Die Art des Betens, des Gottesdienstes ihrerseits trägt und beeinflusst die religiösen Vorstellungen. Wie man betet, so glaubt man, wie man glaubt, so betet man. Dies gilt zumindest dann, wenn eine gewisse religiöse Wahlfreiheit gegeben ist und nicht durch äußeren Druck die Menschen zur Verstellung bis hin zu einer Katakombenreligiosität gedrängt werden.
Dabei sind in der katholischen Kirche traditionell verschiedene Formen des Gottesdienstes anerkannt. Unterschiedliche Liturgien haben in dieser Weltkirche Platz. In diesem Sinne äußerte sich ganz stark der Kirchenlehrer Thomas von Aquin (siehe Gedanken zur Woche 117). Gerade der CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM/KODEX DER KANONES DER ORIENTALISCHEN KIRCHEN, abgekürzt CCEO verdeutlicht diesen legitimen Pluralismus in unserer Zeit.
Ganz Grundsätzliches kann man dazu in den Kanones 27 und 28 des CCEO nachlesen (siehe Gedanken zur Woche 118-b). Dabei wird schon ausgesagt, dass es in Zusammenhang mit den unterschiedlichen Riten in der Weltkirche jeweils Kirchen eigenen Rechts gibt.
Gleichberechtigung und Bestand dieser Kirchen eigenen Rechts jenseits der zahlenmäßig dominierenden lateinischen Kirche wird verschiedentlich verteidigt. Dabei wird deutlich, dass Religiosität nicht bloß eine abstrakte Angelegenheit ist, die sich gewissermaßen in einem luftleeren Raum verwirklichte.
So sind die verschiedenen Kirchen eigenen Rechts untereinander gleichberechtigt, wenn es um die Gewinnung von Mitgliedern durch die Taufe von Kindern geht. Auch sind die Eltern solcher Kinder einander unabhängig von der Rituszugehörigkeit gleichgestellt:
„Can. 29 - § 1. Ein Kind, welches das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wird durch die Taufe in die Kirche eigenen Rechts aufgenommen, welcher der katholische Vater angehört; wenn aber nur die Mutter katholisch ist oder beide Elternteile übereinstimmend darum bitten, wird es in die Kirche eigenen Rechts aufgenommen, der die Mutter angehört, unbeschadet des vom Apostolischen Stuhl festgesetzten Partikularrechts.
§ 2. Wenn aber ein Kind, welches das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat,
1⁰ von einer unverheirateten Mutter geboren wurde, wird es in die Kirche eigenen Rechts aufgenommen, welcher die Mutter angehört;
2⁰ von unbekannten Eltern abstammt, wird es in die Kirche eigenen Rechts aufgenommen, der diejenigen angehören, deren Sorge es rechtmäßig anvertraut ist; wenn es sich aber um Adoptivvater und Adoptivmutter handelt, ist § 1 anzuwenden;
3⁰ von ungetauften Eltern abstammt, wird es in die Kirche eigenen Rechts aufgenommen, welcher derjenige angehört, der seine Erziehung im katholischen Glauben übernommen hat.“
Der Grundsatz der Gleichberechtigung der verschiedenen Riten bzw. Kirchen eigenen Rechts bei der Gewinnung von Mitgliedern durch die Taufe setzt sich fort:
„Can. 30 – Jeder Taufbewerber, der das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann jede beliebige Kirche eigenen Rechts frei wählen, in die er durch den Empfang der Taufe aufgenommen wird, …“.
Ein eigenes Augenmerk wird dabei auf die jeweilige Kultur gelegt:
„Can 588 – Es steht den Katechumenen frei, sich in irgendeine Kirche eigenen Rechts nach Maßgabe des can. 30 aufnehmen zu lassen; jedoch muß dafür gesorgt werden, daß ihnen nichts nahegelegt wird, was ihrer Aufnahme in eine Kirche entgegenstehen könnte, die ihrer Kultur besser entspricht.“
1. Lesung: Gen 18,20-32
2. Lesung: Kol 2,12-14
Evangelium: Lk 11,1-13
Gedanken zur Woche 122-b, Dr. Matthias Martin
17. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Es gibt Heilige, deren Bekanntheit und Verehrung sich eher auf eine gewisse Region in der Weltkirche konzentriert. Zu diesen Heiligen gehört wohl der heilige Berthold von Garsten. Dann gibt es natürlich Heilige, die sich einer starken Bekanntheit und Beliebtheit über örtliche oder regionale Grenzen hinweg erfreuen. Zu diesen gehören natürlich die Apostel wie der heilige Jakobus, auch genannt Jakobus der Ältere. Dieser war einer der beiden Zebedäussöhne. Diese beiden hatten nach Zeugnis des Neuen/Zweiten Testaments durchaus ihre menschlichen Schwächen (siehe Gedanken zur Woche 82). Seine Grablege ist der Überlieferung zufolge Santiago de Compostela. In den letzten Jahrzehnten hat die Wallfahrt dorthin einen gewaltigen Wiederaufschwung genommen. Dabei ist Santiago de Compostela nicht nur ein wichtiger Kirchensitz und internationaler Wallfahrtsort, sondern auch die nationale Hauptstadt Galiciens. Dieses gehört mit seiner mehr dem Portugiesischen verwandten eigenen Sprache als Autonomieregion dem krisengeschüttelten spanischen Staatsverband an. Natürlich wird Jakobus der Ältere wie die anderen Apostel namentlich in der ungekürzten Fassung des Römischen Messkanons, des I. Hochgebets erwähnt.
Wie der heilige Jakobus wird auch das heilige Ehepaar Anna und Joachim in verschiedenen christlichen Konfessionen verehrt. Werden sie zwar als solches nicht namentlich in den gemeinhin als Teile der Bibel anerkannten Schriften erwähnt, so werden sie doch in einer überregional und interkonfessionell vorhandenen Überlieferung als die Eltern Mariens, der Mutter Jesu, verehrt.
Ganz großer Bekanntheit und Beliebtheit erfreuen sich natürlich die in der Bibel erwähnten heiligen Geschwister Martha, Maria und Lazarus. Papst Franziskus ließ persönlich den 29. Juli als gemeinsamen Gedenktag der drei heiligen Geschwister in den Römischen Generalkalender aufnehmen (siehe https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/ccdds/documents/rc_con_ccdds_doc_20210126_decreto-santi_ge.html).
Dies weist natürlich eigens in die Weltkirche mit ihren verschiedenen Riten und Kirchen eigenen Rechts hinaus.
Ähnliches geschieht mit dem Gedenktag des heiligen Petrus Chrysologus. Dieser Bischof von Ravenna ist in der katholischen Kirche ausdrücklich als Kirchenlehrer anerkannt. Seine Bischofsstadt Ravenna stellt einen Schnittpunkt zwischen verschiedenen Völkern und Kulturen dar. Als Herrschersitz wie in kunstgeschichtlicher Hinsicht gewann Ravenna besondere Bedeutung (siehe Gedanken zur Woche 91 und zu Ravenna als weströmischen Kaisersitz eigens auch Gedanken zur Woche 35-b). War Ravenna einst seit den Tagen Theoderichs des Großen die Hauptstadt der Ostgoten, so gibt es bis heute in der lateinischen Kirche immerhin noch den eigenen Westgotischen Ritus (siehe Gedanken zur Woche 106-b und 116-b). Dieser erfuhr Berichten zufolge seit dem II. Vatikanischen Konzil (1962-1965) einen gewissen Wiederaufschwung. Derartiges mag auch kulturelle bzw. kultur- und theologiegeschichtliche Interessen fördern und generell helfen, Menschen über Grenzen hinweg zusammenzubringen.
Außerhalb der lateinischen Kirche gibt es dann in den betreffenden Kirchen eigenen Rechts eine ganze Reihe eigener Riten. Diese sind zu schützen und in Ehren zu halten (siehe Gedanken zur Woche 117, 118-b, 119, 119-b und 122).
So ist laut dem Kirchenrecht für die katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen, dem CCEO, ein Abwerben von Gläubigen zulasten dieser Kirchen eigenen Rechts in die Richtung der lateinischen Kirche ausdrücklich untersagt:
„Can. 31- Niemand darf es wagen, einen Christgläubigen auf irgendeine Weise zum Übertritt in eine andere Kirche eigenen Rechts zu verleiten.“
Das Strafrecht im CCEO wendet sich ausdrücklich gegen derartige rechtswidrige Praktiken:
„Can. 1465 – Wer ein Amt, einen Dienst oder eine andere Aufgabe in der Kirche ausübt, welcher Kirche eigenen Rechts auch immer, auch der lateinischen Kirche, er askribiert ist, und gewagt hat, irgendeinen Christgläubigen gegen can. 31 zum Übertritt in eine andere Kirche eigenen Rechts wie auch immer zu veranlassen, muß mit einer angemessenen Strafe belegt werden.“
Man beachte, dass es sich bei dieser Strafbestimmung und um eine Mussbestimmung handelt und nicht einfach um eine Kannbestimmung! Der Schutz der betreffenden Kirchen eigenen Rechts mit ihren je eigenen Riten ist also sehr scharf formuliert. Umso mehr sollten herabwürdigende Äußerungen von Mitgliedern der lateinischen Kirche eigenen Rechts wie die Unterstützung solcher herabwürdigenden Aussagen gegen andere Kirche eigenen Rechts innerhalb der katholischen Kirche mit ihren jeweiligen Riten und eigenen rechtlichen Regelungen unterbleiben. Diesbezüglich ergibt sich wohl für kirchliche Amtsträger und dergleichen in der lateinischen Kirche eigenen Rechts immer wieder Handlungsbedarf.
Die kirchenrechtlichen Bemühungen um Schutz und Förderung der verschiedenen Kirchen eigenen Rechts außerhalb der lateinischen Kirche innerhalb der ganzen katholischen Weltkirche werden noch abgerundet:
„Can. 35 – Nichtkatholische Getaufte, die zur vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche kommen, müssen den eigenen Ritus überall auf der Welt bewahren, pflegen und nach Kräften einhalten; demnach müssen sie in die Kirche eigenen Rechts desselben Ritus aufgenommen werden, unbeschadet des Rechts, in besonderen Fällen von Personen, Gemeinschaften oder Regionen den Apostolischen Stuhl anzugehen.“
Eine Absorbierung der östlichen/unierten/orientalischen Kirchen eigenen Rechts bzw. von Teilen ihrer Gläubigen in die viel größere lateinische Kirche eigenen Rechts soll prinzipiell unterbleiben. So ist festgelegt, dass die betreffenden Gläubigen jeweils Mitglieder ihrer bisherigen Kirche eigenen Rechts bleiben, unabhängig von jeweiligen pastoralen Gegebenheiten:
„Can. 38 – Die Christgläubigen orientalischer Kirchen, auch wenn sie der Sorge eines Hierarchen oder Pfarrers einer anderen Kirche eigenen Rechts anvertraut sind, bleiben dennoch in die eigene Kirche eigenen Rechts aufgenommen.“
Die Unterscheidung zwischen einem Ehemann und einer Ehefrau bezüglich des Übertritts von einer Kirche eigenen Rechts in eine andere Kirche eigenen Rechts soll eigens dem Schutz der östlichen/unierten/orientalischen Kirchen innerhalb der katholischen Weltkirche dienen. Dabei ist auch hier die völlige Gleichberechtigung der Ehepartner beim Schließen wie Führen der Ehe zu betonen. Missverständnissen muss diesbezüglich in aller Klarheit entgegengewirkt werden. In diesem Sinne ist auch der betreffende Kanon zu sehen und nicht misszuverstehen:
„Can. 33 – Der Ehefrau steht es frei, bei Eingehen oder während des Bestehens der Ehe in die Kirche eigenen Rechts des Mannes überzutreten; nach Auflösung der Ehe aber kann sie frei in die frühere Kirche eigenen Rechts zurückkehren.“
Gegen betreffende Missverständnisse und erst recht mutwilligen Missbrauch besitzt gleich der nächste Kanon im CCEO eigene Aussagekraft und sollte in diesem Sinne verstanden werden:
„Can. 34 – Wenn Eltern oder in einer Mischehe der katholischen Ehepartner in eine andere Kirche eigenen Rechts übertreten, werden die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres von Rechts wegen in dieselbe Kirche aufgenommen; wenn aber in einer Ehe unter Katholiken nur ein Elternteil in eine andere Kirche eigenen Rechts übertritt, treten die Kinder nur dann über, wenn beide Eltern zustimmen; nach Vollendung des 14. Lebensjahres aber können die Kinder in die frühere Kirche eigenen Rechts zurückkehren.“
Gedanken zur Woche 121, Dr. Matthias Martin
16. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Das Stück des Lukasevangeliums mit dem Besuch Jesu von Nazarets bei den Schwestern Marta und Maria und der sich entwickelnden Diskussion Jesu mit eben dieser Marta stellt sogenanntes lukanisches Sondergut dar. Das heißt, dass diese, nach der bei uns jetzt üblichen Leseordnung verwendete Perikope nur im Lukasevangelium überliefert. Wir finden diese eher knappe Passage sonst in keiner neutestamentlichen Schrift. Wir finden sie also auch nicht in den beiden anderen synoptischen Evangelien, dem kürzeren nach Markus und dem wie Lukas wiederum vergleichsweise längeren synoptischen Evangelium nach Matthäus.
Dies mag eigens in Zusammenhang mit der Diskussion um die Entstehung der neutestamentlichen Schriften und insbesondere eben der drei synoptischen Evangelien (Mt, Mk und Lk) von eigenem Interesse sein. Solches Sondergut stellt eine Herausforderung in Hinblick auf die vor allem in früheren Jahren unter Theologinnen und Theologen gerade im deutschen Sprachraum so beliebte Zweiquellentheorie/Zwei-Quellen-Theorie dar (siehe Gedanken zur Woche 99 und 119). Vom kritisch-historischen Grundansatz her bleibt es dabei für sich schon bemerkenswert, dass von der in diesem Zusammenhang angenommenen Quelle Q bisher weder ein klar zuweisbarer Teil noch eine Erwähnung in antiken Quellen und dergleichen gefunden wurde (siehe Gedanken zur Woche 99). Dabei stellt diese gedanklich rückerschlossene Quelle Q ein ganz wichtiges Element der Zweiquellentheorie/Zwei-Quellen-Theorie zur angenommenen Entstehung der drei synoptischen Evangelien dar. Von denen, die von einer geschichtlichen Existenz dieser Quelle Q ausgehen und nicht anderen Theorien zur Entstehung der synoptischen Evangelien folgen, wurden ihrerseits verschiedene Theorien zur Entstehung eben dieser angenommenen (Logien-)Quelle Q entwickelt.
Das macht schon deutlich, wie sehr das Christentum auf seine Weise eine wissenschaftlich-intellektuelle Angelegenheit ist. Die Frage, was denn überhaupt zu einer christlichen Bibel gehören solle und was nicht, äußerte sich in der Geschichte immer wieder. Mit der Reformation ging in dem, was gerne die westliche Christenheit genannt wird, der bis dahin zumindest in der Öffentlichkeit vorhandene Konsens über die Zusammensetzung der Bibel mit ihren Einzelschriften verloren (siehe Gedanken zur Woche 77). Verglichen mit der katholischen Kirche gibt es im orthodoxen Hauptzweig des Christentums eine nach der Zahl der in ihr enthaltenen Einzelschriften umfangreichere Bibel. Noch umfangreicher wird es, wenn man sich in diesem Zusammenhang den altorientalischen Kirchen und dem dort jeweils verwendeten Kanon biblischer Bücher zuwendet (siehe Gedanken zur Woche 98). Bei diesen auch manchmal orientalisch-orthodoxen genannten Kirchen ist noch einmal zwischen einzelnen kirchlichen Gemeinschaften zu unterscheiden. Dies gilt erst recht für das so vielfältige und tausende bis zehntausende voneinander unabhängige konfessionelle Gemeinschaften umfassende Phänomen, das sehr vereinfachend gerne „Protestantismus“ genannt wird.
Auf jeden Fall wird immerhin das Lukasevangelium von den sich als christlich verstehenden Gemeinschaften, Kirchen oder Sekten in der Regel als Teil der Bibel anerkannt.
Dabei sind schon die so wenigen Verse, die von der erwähnten Begegnung Jesu von Nazarets mit den Schwestern Marta und Maria berichten, sehr bemerkenswert. So nehmen in ihnen diese beiden Frauen offensichtlich eine starke Stellung ein. Sie sind so etwas wie die Hausherrinnen. Marta wird im Evangelium als die dargestellt, welche die Initiative ergreift und Jesus und vielleicht auch dessen Jünger bei sich aufnimmt. Sie wendet sich auch offensichtlich recht selbstbewusst an Jesus, um ihre Meinung kundzutun. Jesus reagiert, indem er die andere der beiden Schwestern als so etwas wie ein Vorbild hinstellt. Wir haben hier also eine ganz starke Präsenz von Frauen mitten im Neuen/Zweiten Testament vor uns.
Zugleich geht es in Richtung einer betonten Befürwortung von Lernen, von geistiger Beschäftigung. Maria hörte, als die dafür vom „Herrn“ ausdrücklich gewürdigte, diesem wohl bei seiner Lehrtätigkeit zu. Das ist schon ein deutlicher Hinweis, dass man/frau sich im Christentum geistig engagieren soll, statt sich mit einfachem Vertrauen auf den lieben Gott, religiösen Wohlfühlempfindungen zufrieden zu geben.
Bildung, Fortbildung, geistige Tätigkeit als Aufgabe und Herausforderung ist umso ernster zu nehmen. Dies schlägt sich bemerkenswert auch im CCEO als dem Gesetzbuch für die Katholischen Ostkirchen nieder. Dies wird schon unter Titel I „Christgläubige und ihre Rechte und Pflichten“ und damit in einem sehr grundsätzlichen Teil des CCEO ersichtlich. So wird dort ganz deutlich Erziehung, Bildung, wissenschaftliche Tätigkeit in einem bejahenden Sinne angesprochen:
„Can. 20 - Die Christgläubigen, die ja durch die Taufe zu einem der Lehre des Evangeliums entsprechenden Leben berufen sind, haben das Recht auf eine christliche Erziehung, durch die sie zur Erlangung der Reife der menschlichen Person und zugleich zur Erkenntnis und zum Leben des Heilsmysteriums in rechter Weise angeleitet werden.“
Die Gläubigen haben also ausdrücklich ein Recht auf so etwas wie Bildung, wie Wissenserwerb. Dies wird noch etwas spezifiziert:
„Can. 21 – Diejenigen, die sich mit theologischen Wissenschaften befassen, erfreuen sich der angemessenen Freiheit zu forschen sowie ihre Ansicht in Fragen, in denen sie über Sachverstand verfügen, in kluger Weise zu äußern unbeschadet des geschuldeten Gehorsams gegenüber dem Lehramt der Kirche.“
Solcher Gehorsam ist natürlich nicht absolut zu setzen. Im selben Kirchenrecht wird ja ausdrücklich das Recht auf Verteidigung des eigenen guten Rufes und der eigenen Intimsphäre sowie das Recht auf die Verteidigung der eigenen Rechte mit Schutz vor Willkür festgeschrieben (siehe Gedanken zur Woche 120). Überhaupt haben die Gläubigen auch das Recht, ihre Wünsche, Anregungen und Beschwerden gegenüber kirchlichen Amtsträgern zu äußern. Noch fundamentaler gibt es die gerade im CCEO - Can. 11 anerkannte grundsätzliche Gleichheit aller Christgläubigen (siehe Gedanken zur Woche 118).
Auch im Weiteren verdient der CCEO in Hinblick auf die dort zumindest formulierte Sicherung von Grundrechten eine Beachtung:
„Can. 22 – Alle Christgläubigen haben das Recht, bei der Wahl des Lebensstandes von jeglichem Zwang frei zu sein.“
Dabei sollte es bei der Verwirklichung und Sicherung von Grundrechten zu einem Zusammenwirken der verschiedenen Glieder der Kirche kommen, wie schon vorher angesprochen wird:
„Can. 19 – Alle Christgläubigen, die an der Sendung der Kirche teilhaben, haben das Recht, je nach ihrem Stand und ihren Verhältnissen mit eigenen Unternehmungen eine apostolische Tätigkeit zu fördern oder zu übernehmen; keine Unternehmung darf jedoch die Bezeichnung „katholisch“ in Anspruch nehmen, wenn nicht die Zustimmung der zuständigen kirchlichen Autorität vorliegt.“
1. Lesung: Gen 18,1-10a
2. Lesung: Kol 1,24-28
Evangelium: Lk 10,38-42
Gedanken zur Woche 121-b, Dr. Matthias Martin
16. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Wenn in einer einzigen Woche nach dem bei uns jetzt üblichen liturgischen Kalender gleich dreier in der christlichen Überlieferung so herausragender Frauen wie der heiligen Margareta von Antiochien, der heiligen Maria Magdalena und der heiligen Birgitta von Schweden gedacht wird, dann macht das schon deutlich, welche enorm wichtige Rolle Frauen schon im christlichen Altertum wie in den oft als „Mittelalter“ genannten Zeiten spielen konnten.
Wie so vieles ist ziemlich in Vergessenheit geraten, dass die heilige Margareta von Antiochien zu den Vierzehn Nothelfern gehört. Mit ihr wurden auch der heiligen Barbara und der heiligen Katharina diese Ehre zuteil. Die Position dieser drei, der Überlieferung zufolge als frühchristliche Märtyrerinnen gestorbenen Frauen, innerhalb der Gruppe der Vierzehn Nothelfer ist unbestritten. Bei männlichen Heiligen gibt es diesbezüglich Schwankungen. Es ist bemerkenswert, dass diese drei heiligen Frauen in deutscher Sprache mit einem bekannten kürzeren Gedicht geehrt wurden und auch, dass sie in so ständisch orientierten Zeiten des Mittelalters und der frühen Neuzeit allesamt zu Patroninnen besonders wichtiger Stände wurden (siehe Gedanken zur Woche 69-b).
Dabei wird diese heilige Katharina zur Unterscheidung von der ebenfalls so wichtigen heiligen Katharina von Siena sehr gerne Katharina von Alexandrien genannt. Beim Antiochien der heiligen Margareta handelt es sich um Antiochien in Pisidien, gelegen im Binnenland des gegenwärtigen türkischen Staatsgebiets. Dieses Antiochien ist nicht zu verwechseln mit dem noch bekannteren Antiochien am Orontes. Dieses Antiochia am Orontes ist sicher überhaupt die bekannteste und wichtigste der verschiedenen Städte dieses Namens im Altertum. Vergleichbar verhält es sich mit dem Alexandrien im Beinamen der erwähnten heiligen Katharina. Es hatte eine ganze Reihe Städte gegeben, welche der brutale Eroberer Alexander aus Makedonien nach sich benannte bzw. umbenannte. Das wichtigste unter diesen ist eben das heute noch allgemein bekannte Alexandrien oder Alexandria am Mittelmeer.
Antiochien am Orontes war Hauptstadt des Seleukidenreichs, das aus der Teilung des so kurzlebigen Reiches Alexanders hervorging. Dem schon stark geschwächten Seleukidenreich versetzten dann die Römer den Todesstoß.
Alexandrien oder Alexandria im heutigen Ägypten war die Hauptstadt des ebenfalls aus der Erbmasse des Eroberers Alexander hervorgegangenen Ptolemäerreiches. Auch dieses Reich, mit der bekannten Cleopatra als letzter Herrscherin, wurde schließlich durch Rom vernichtet (siehe allgemein Gedanken zur Woche 103).
Dieses Alexandrien/Alexandria und nicht das Antiochien der heiligen Margareta, sondern eben das noch wichtigere Antiochien am Orontes wurden mit Rom zu den drei ältesten Patriarchaten der Christenheit (siehe Gedanken zur Woche 118-b), worauf bei antiken Päpsten ausdrücklich Wert gelegt wurde.
Alleine schon um Verwechslungen zwischen Orten wie historischen bzw. religiösen Persönlichkeiten zu vermeiden empfiehlt sich immer wieder eine Beschäftigung mit Geschichte und Geografie/Erkunde.
So ist es auch sehr gut und richtig, sich immer wieder zu erinnern, dass die heilige Maria Magdalena, auch genannt Maria von Magdala (siehe Gedanken zur Woche 69-b), schon im christlichen Altertum höchst ehrenvoll „Apostelin der Apostel“ genannt wurde (siehe Gedanken zur Woche 5, 11, 19-b, 69-b, 74). Papst Franziskus und andere haben diesbezüglich da nichts neues erfunden, sondern nur eine weitgehend in Vergessenheit geratene altkirchliche Überlieferung wieder in Erinnerung gerufen!
Diese drei so wichtigen heiligen Frauen weisen uns durch ihre Herkunft, welche sich eben auch in ihren Beinamen und dergleichen niederschlägt, nach Osten hin. Die ihnen besonders verbundenen Orte Antiochien in Pisidien, Alexandrien und Magdala liegen alle im östlichen Bereich des Mittelmeeres.
Auch die heilige Birgitta von Schweden weist uns auf ihre Weise mit nach Osten. So ist sie eine Schutzpatronin Europas. Europa endet nun doch nicht an den gegenwärtigen Außengrenzen von EU oder NATO, so wie es auch früher weder an der Elbe noch an Oder und Neiße endete. Dann ist bei der heiligen Birgitta von Schweden ein gerne übersehener Aspekt zu beachten. Teil des Königreiches Schweden war über Jahrhunderte hin auch Finnland. Noch heute ist Schwedisch neben Finnisch eine weitere anerkannte Amtssprache in Finnland. Die Zugehörigkeit Finnlands zu Schweden endete erst mit dem russischen Eroberungskrieg von 1808-1809. Schweden und das seinem Staatsverband bis dahin angehörende Finnland wurden Opfer dessen, was das System von Tilsit genannt wird. Diese Zusammenarbeit zwischen dem Gewaltherrscher aus dem Westen Napoleon, der ja auch nicht vor der Gefangennahme des Papstes und der Annexion des bis dahin verbliebenen Kirchenstaates zurückschreckte, und dem Despoten aus dem Osten, Zar Alexander I. von Russland, sah eine De facto-Aufteilung Europas zwischen den beiden expansionistischen Großmächten Russland und Frankreich vor. Verbunden damit war eine Zusammenarbeit gegen Dritte. So annektierte direkt im Anschluss an den sog. Frieden von Tilsit Russland gleich einmal das preußische Gebiet von Bialystok. Zugleich erhielt Russland freie Hand bei seinem Eroberungskrieg gegen den unter osmanischer Hoheit stehenden Balkan. Zumindest vorrübergehend schluckte wenig später das zaristische Russland das bis dahin unter habsburgischer Herrschaft stehende Gebiet von Tarnopol.
Aber nicht nur Finnland war sehr lange Teil des schwedischen Staatsverbandes. Auch Ingermanland einschließlich dem Gebiet des heutigen Sankt Petersburg gehörten einst zu Schweden. Diese staatliche Zugehörigkeit ging mit der Niederlage im Nordischen Krieg von 1700 bis 1721 verloren. Auch auf seine Herrschaft im Baltikum, wohin es sich nach dem Zusammenbruch des Deutschordensstaates ausgedehnt hatte, musste Schweden verzichten. Diese Gebiete waren zu Lebzeiten der heiligen Birgitta unter Führung des Deutschen Ordens mehr oder minder katholisch gewesen. Später gingen in einem komplizierten und vielschichtigen Prozess Zurückdrängung der katholischen Kirche und Auflösung des nicht so homogenen gewissermaßen Staatsverbands des Deutschen Ordens Hand in Hand. Als Schweden dann auf seine nicht so langlebige Herrschaft im Baltikum verzichten musste, wurde von russischer Seite den betroffenen Gebieten die Bewahrung deutscher Sprache und Verwaltung und der lutherischen Glaubensgemeinschaft als offizieller Landeskirche zugesichert. Dies verhinderte nicht eine spätere brutale Politik der (versuchten) Russifizierung.
Beim Gedenktag der heiligen Birgitta von Schweden mag man gerade an diese östlichen Teile Europas denken. Die beiden anderen heiligen Frauen dieser Woche im kirchlichen Jahreskreis, Margareta von Antiochien und Maria Magdalena, weisen uns zusammen mit Katharina von Alexandrien in Richtung des alten christlichen Ostens rund um das Mittelmeer. Mit dieser Region sind im Besonderen Entstehung und erste Ausbreitung des Christentums und bis heute bestehende alte Patriarchate und Riten im Erbe der Christenheit verbunden.
Gedanken zur Woche 120, Dr. Matthias Martin
15. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist ganz sicher eines der bekanntesten der ganzen Bibel. Ja, vielleicht ist es überhaupt das bekannteste Gleichnis der aus Altem/Erstem und Neuem/Zweiten Testament bestehenden Bibel. So hat dieses Gleichnis ja auch seinen starken Niederschlag in der bildenden Kunst gefunden (siehe Gedanken zur Woche 82-b und 101). Es ging auch nicht nur im Deutschen in den allgemeinen Sprachschatz und die Alltagssprache ein. Immer wieder kann einem schriftlich wie mündliche das geflügelte Wort vom bzw. von einem „barmherzigen Samariter“ begegnen.
Dabei wird dieses Gleichnis ausgehend von einem Gespräch Jesu von Nazarets und einem jüdischen Gesetzeslehrer her entwickelt. Dies ist weit weniger bekannt und wird sehr oft einfach nicht wahrgenommen. Dabei geht es in diesem Gespräch um die brisante Frage, was denn das wichtigste im Sinne des überlieferten Gesetzes sei. Die Erörterung findet sich eigens auch in den beiden anderen synoptischen Evangelien, also dem Evangelium nach Matthäus (Mt 22,34-40) und dem nach Markus (Mk 12,28-34). Es ist schon für sich bemerkenswert, dass ein jüdischer Rechts- bzw. Schriftgelehrter als Gesprächspartner Jesu auftritt. Genau von dessen Anfrage her erzählt Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Dazu ist es gut, sich zu vergegenwärtigen, dass im Judentum die Heilige Schrift gerade das durch Mose übermittelte „Gesetz“ enthält (siehe allgemein Gedanken 112 und 115). In Hinblick auf die Zehn Gebote wird von den „Gesetzestafeln“ gesprochen, wozu sich ein eigener Blick auf die neugotische Kanzel in der Pfarrkirche zum Heiligen Nikolaus in Stein an der Donau lohnt (siehe Gedanken zur Woche 113). Zusätzlich zum geschriebenen Gesetz, der geschriebenen Thora/Tora gibt es ja dann auch noch die Überlieferung der „mündlichen T(h)ora“ (siehe Gedanken zur Woche 115). Auch dort überlieferte Inhalte verbanden Jesus von Nazaret mit zahlreichen jüdischen Zeitgenossen. Dies geschah offensichtlich gerade in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit den romfreundlichen Sadduzäern.
Bekanntlich betonte Jesus von Nazaret auch bei anderen Gelegenheiten wie der Bergpredigt (Mt 5,17-19) und der Begegnung mit dem Emmausjüngern (Lk 24,13-32) seine positive Einstellung zu Gesetz und Propheten, so wird dies gerade auch im Sonntagsevangelium mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter deutlich. Seine Antwort ist nämlich die Kombination von Aussagen aus den Büchern Levitikus und Deuteronomium (siehe Gedanken zur Woche 66, 71, 81, 84 und 112). Das doppelte Liebesgebot Jesu stammt also aus der Mitte des überlieferten jüdischen Gesetzes. Jesus zitiert in seiner Antwort auf die in unterschiedlichen Formulierungen in allen drei synoptischen Evangelien überlieferten Anfrage aus dem damaligen Judentum bezeichnenderweise eben aus der Thora/Tora. Diese wird gerne auch der Pentateuch oder schlicht die Fünf Bücher Mose genannt.
Nächstenliebe und verlässliche Normen, Nachfolge Jesu und im Sinne der Bibel überliefertes Gesetz schließen sich also keineswegs aus. Sie sind vielmehr untrennbar miteinander verbunden. Die Lektüre allein schon der erwähnten Stellen im Alten/Ersten und dem Neuen/Zweiten Testament verdeutlichen dies. Um etwas Gutes zu erreichen und Schaden zu vermeiden, bedarf es im menschlichen Leben offenkundig Regeln, Normen, Gesetzen oder wie immer man sagen bzw. schreiben will. Dazu mag auch eine Geschichte wie die Erzählung „Das Dorf ohne Regeln“ in den Sinn kommen (siehe Gedanken zur Woche 99-b).
Natürlich verdient die Gesamtheit der Bibel immer wieder in den Blick genommen zu werden. Dies entspricht der unverfälschten katholischen Überlieferung. Gegen alle Verdrehungen und Verfälschungen ist dies immer wieder klarzustellen und zu beherzigen.
Das Tun guter Werke, gerade die praktische Nächstenliebe gegenüber Notleidenden, wird auch im Kirchenrecht angesprochen. Dies geschieht nicht zuletzt im CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM/KODEX DER KANONES DER ORIENTALISCHEN KIRCHEN; dem CCEO. So heißt es unter dem Titel über die Christgläubigen und ihre Rechte und Pflichten:
„Ca. 25 - § 1. Die Christgläubigen sind verpflichtet, den Bedürfnissen der Kirche nachzukommen, damit dieser zur Verfügung steht, was für die ihr eigenen Zwecke, vor allem für den Gottesdienst, für die Werke des Apostolats und der Caritas sowie für den angemessenen Unterhalt ihrer Bediensteten notwendig ist.
§ 2. Sie sind auch verpflichtet, die soziale Gerechtigkeit zu fördern sowie aus den eigenen Einkünften die Armen zu unterstützen eingedenk des Gebotes des Herrn.“
Schon etwas weiter im CCEO werden die Gläubigen unter demselben Titel eingeladen, für solche guten Zwecke eigene Initiativen zu entwickeln:
„Can. 18 – Den Christgläubigen steht es frei, Vereinigungen zu Zwecken der Caritas oder der Frömmigkeit oder auch zur Förderung der christlichen Berufung in der Welt frei zu gründen und zu leiten und zur gemeinsamen Verfolgung dieser Zwecke Versammlungen abzuhalten.“
Die Verpflichtung zu gutem Verhalten gegenüber Mitmenschen gilt laut CCEO eigens auch in Hinblick auf den guten Ruf. So etwas sollte gerade kirchlichen Oberen in der lateinischen Kirche als Kirche eigen Rechts in der katholischen Weltkirche heutzutage zu denken geben:
„Can. 23 – Niemandem ist es erlaubt, den guten Ruf, dessen sich jemand erfreut, rechtswidrig zu schädigen oder das Recht irgendeiner Person auf den Schutz der eigenen Intimsphäre zu verletzen.“
Grundsätzlich haben die Gläubigen das Recht, in der Kirche auf ihre Rechte zu pochen. Sie sind eben nicht die diesbezüglich rechtlosen Untertanen offizieller Amtsträger oder von so etwas wie Kirchenfunktionären, auch wenn von dieser Seite versucht werden sollte, einen solchen Eindruck zu erwecken:
„Can. 24 - § 1. Den Christgläubigen steht es zu, die Rechte, die sie in der Kirche haben, rechtmäßig in Anspruch zu nehmen und nach Maßgabe des Rechts vor der zuständigen kirchlichen Behörde zu verteidigen.
§ 2. Die Christgläubigen haben auch das Recht, wenn sie von der zuständigen Autorität vor Gericht gezogen werden, daß ein Urteil gefällt wird unter Wahrung der Rechtsvorschriften, die mit Billigkeit angewendet werden“.
Der Gedanke der Rechtssicherheit für die Gläubigen gegenüber Willkür wird zum Abschluss desselben Kanons eigens vertieft:
„Can. 24 - § 3. Die Christgläubigen haben das Recht, daß sie mit kanonischen Strafen nur nach Maßgabe des Gesetzes bestraft werden.“
So etwas wie die Aufforderung zum Tun guter Werke und zugleich das Recht auf so etwas wie innerkirchliche Selbstverteidigung hat natürlich überall in der katholischen Weltkirche zu gelten, eben auch in der skandalgebeutelten lateinischen Kirche.
1. Lesung: Dtn 30,9c-14
2. Lesung: Kol 1,15-20
Evangelium: Lk 10,25-37
Gedanken zur Woche 120-b, Dr. Matthias Martin
15. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Das heilige Kaiserehepaar Heinrich II. und Kunigunde ist zumindest noch etwas bekannt. Weniger bekannt ist wohl, dass nach alter kirchlicher Überlieferung der als Schutzpatron Europas und Vater des abendländischen Mönchtums verehrte heilige Benedikt ebenfalls eine starke Frau an seiner Seite hatte. Es war dies seine Schwester, die heilige Scholastika (siehe Gedanken zur Woche 48-b). Mitunter wird sie als die erste Benediktineräbtissin angesehen.
In beiden Fällen wird deutlich, welche enorme Bedeutung Frauen im katholischen Bereich in jenen Zeiten erlangen konnten, welche gerne als „Mittelalter“ bezeichnet werden. Dies mag immer wieder in unseren Zeiten als Anregung dienen, Vorurteile abzubauen und etwa zwischen christlichen Konfessionen das Verbindende zu suchen. So wurde die vor wenigen Wochen ratifizierte Grundsatzerklärung über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der presbyterianischen Landeskirche und früheren Staatskirche Schottlands und der katholischen Kirche zu Ehren der heiligen Königin Margareta aus dem elften Jahrhundert benannt (https://churchofscotland.org.uk/news-and-events/news/2022/articles/scottish-parliament-welcomes-deeply-significant-friendship-agreement-between-kirk-and-the-catholic-church und https://www.churchtimes.co.uk/articles/2022/27-may3-june/news/uk/kirks-and-roman-catholic-scots-celebrate-their-common-heritage). Schon vorher hatte sich eben diese bemerkenswerte Frau gerade in der katholischen Kirche großer Verehrung erfreut, bis hin zur namentlichen Würdigung in der so wichtigen Enzyklika „Caritatis Studium“ von Papst Leo XIII. (siehe Gedanken zur Woche 86-b und allgemein Gedanken zur Woche 38-b, 65-b und 68-b).
Eigens weisen uns dazu der heilige Benedikt von Nursia wie auch das heilige Kaiserehepaar Heinrich II. und Kunigunde nach Osten hin.
So schöpfte der heilige Benedikt bereits aus der Klostertradition, welche sich früh in den östlichen Gebieten der Christenheit entwickelt hatte. Überhaupt wusste er das Erbe von Kirchenvätern, Kirchenlehrern und dergleichen über engere Grenzen hinweg zu schätzen und natürlich die Bibel aus Altem/Ersten und Neuem/Zweiten Testament. So heißt es in seiner Regel unter „Kapitel 9: Die Ordnung der Vigilien im Winter“:
Ausdrücklich wird auch „eine Lesung aus den Apostelbriefen“ angemahnt.
Laut „Kapitel 12: Die Laudes am Sonntag“ soll verbunden mit Texten aus der Bibel beim betreffenden Anlass „ein Hymnus des Ambrosius“, also eines Kirchenvaters, angestimmt werden.
Die Bedeutung grenzüberschreitenden Erbes und dies gerade aus östlichen Gebieten wird dann wohl gerade in „Kapitel 73: Die Regel als Anfang unseres Weges zur vollen Gerechtigkeit“ herausgestellt. Dort heißt es u. a.:
„Für den aber, der zur Vollkommenheit des klösterlichen Lebens eilt, gibt es die Lehren der heiligen Väter, deren Beobachtung den Menschen zur Höhe der Vollkommenheit führen kann.
Ist denn nicht jede Seite oder jedes von Gott beglaubigte Wort des Alten und Neuen Testamentes eine verlässliche Wegweisung für das menschliche Leben?
Oder welches Buch der heiligen katholischen Väter redet nicht laut von dem geraden Weg, auf dem wir zu unserem Schöpfer gelangen.
Aber auch die Unterredungen der Väter, ihre Einrichtungen und Lebensbeschreibungen sowie die Regel unseres heiligen Vater Basilius …“ (https://teambenedikt.de/wp-content/uploads/2020/03/Benediktsregel_deutsch.pdf).
Dabei gehört der in der Regel des heiligen Benedikt von Nursia so hochgelobte Basilius zu den drei großen Kappadokiern der Theologie- und allgemeineren Kirchengeschichte (siehe Gedanken zur Woche 93-b). Er ist also dem westasiatischen Bereich zuzuordnen.
Auf vielfältige Weise weist auch das Wirken des heiligen Kaiserehepaares Heinrich II. und Kunigunde auf Länder östlich der Hautverbreitungsgebiete der lateinischen Kirche hin. So verteidigte unter ihrer Führung das Reich Rom und damit das im Sinne gegenseitiger Treue unter dem Schutz des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation/Erstes Deutsches Reich/Altes Reich/Deutsches Reich stehende Papsttum. So kann man bei S. Fischer Fabian, Die deutschen Caesaren (München – Zürich Taschenbuchausgabe 1979) auf Seite 144 nachlesen:
„Diesmal waren es die Byzantiner, die für Unruhe sorgten: sie hatten nichts weniger im Sinn, als von ihrem unteritalienischen Machtgebiet aus nach Rom vorzustoßen. Hier mußte ein deutscher Kaiser eingreifen, wollte er seinen Titel zu Recht führen, denn mit der Bedrohung Roms war das Reich gefährdet. Doch auch der Papst war gefährdet, und Heinrich nützte die Gelegenheit, ihm zu zeigen, daß ohne kaiserliche Hilfe kein höchster Herrscher der Christenheit sicher sei. Er ließ ihn über die Alpen nach Bamberg kommen, wo das Ersuchen um Hilfe gnädigst entgegengenommen wurde.
Als er, Ende 1021, endlich eingriff, geschah es mit einem starken Heer und gründlicher taktischer und strategischer Vorbereitung. Innerhalb von neun Monaten drängte er die Griechen zurück, sicherte die langobardischen Fürstentümer Salerno, Benevent und Capua, die für die Sicherheit des Reiches so wichtigen Pufferstaaten.“
Ganz besonders bemerkenswert ist das Bündnis des schon vor Jahrhunderten heiliggesprochenen Kaisers Heinrich II., bei dem ja die ebenfalls heiliggesprochene Ehefrau Kunigunde ihrerseits eine enorm wichtige Rolle bis in die Landesverteidigung spielte (siehe Gedanken zur Woche 18-b, 68-b, 69-b und 70-b), mit dem Reich von Kiew. Dieses Bündnis des von einem heiligen Kaiserehepaar angeführten Reiches diente vor allem dem Schutz der deutschen Ostgrenze und Rückgewinnung einstweilen polnisch besetzter Gebiete. Vergleichbare Anliegen verfolgte das Reich von Kiew gerade gegenüber polnischer Expansionspolitik.
Bekanntlich handelt es sich bei Kiew um die nationale Hauptstadt der Ukraine. Da drängt sich der Blick auf die Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen geradezu auf. Von diesen ist die Ukrainisch-Katholische Kirche, auch genannt die ukrainisch-unierte Kirche und amtlicher die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche die größte. Nicht zuletzt verfügt sie auf dem amerikanischen Doppelkontinent über eigene (Erz-)Bischofssitze. Deutlich wurde die Wichtigkeit des ukrainischen Elements für die katholische Weltkirche auch beim katholischen Weltfamilientreffen im September 2015 in Philadelphia deutlich, an dem ich selber teilnahm und beim päpstlichen Hauptgottesdienst u. a. als Kommunionspender zum Einsatz kam.
Der Ukrainisch-Katholischen Kirche kam und kommt in vielfältiger Weise eine enorme Bedeutung zu. Interessant ist dabei nicht zuletzt die Rolle von Frauen während der Untergrundzeit, als diese Kirche eigenen Rechts von sowjetrussischer Seite ausdrücklich verboten und verfolgt wurde. Dabei war brutale Unterdrückung gegen diese im Rahmen der katholischen Weltkirche Kirche eigenen Rechts keine Erfindung der (russischen) Kommunisten. Verfolgungen gab es schon längst in der Zarenzeit (siehe Gedanken zur Woche 116-b und 117-b), auch wenn im 20. Jahrhundert natürlich neue technische, administrative und propagandistische Möglichkeiten für die Verfolger hinzukamen.
Dass die Ukrainisch-Katholische Kirche durch das päpstliche Rom noch nicht als Patriarchat/Patriarchale Kirche anerkannt wurde, stieß längst von verschiedener Seite auf heftige Kritik, auch wenn der Unterschied zwischen einer Großerzbischöflichen und einer Patriarchalen Kirche eher formal-protokollarischer Natur ist (siehe Gedanken zur Woche 119).
Gedanken zur Woche 119, Dr. Matthias Martin
14. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Die Aussendung der 72 Jünger nach der Überlieferung des Lukasevangeliums verdeutlicht die stark missionarische Grundausrichtung des Christentums. Dies gilt umso mehr, wenn man im Sinne kritisch-historischer Herangehens- und Verständnisweise davon ausgeht, dass es sich bei den fraglichen Einzelformulierungen um besonders alte Textelemente innerhalb des Neuen/Zweiten Testaments handelt. Wesentliche Aussagen finden sich bzw. einzelne Formulierungen bezeichnenderweise auch im anderen Großevangelium, dem anderen Seitenreferenten unter den eben drei synoptischen Evangelien. Dementsprechend findet sich eine mehr oder weniger als Parallelstelle einzustufende Passage im Matthäusevangelium. Dieser Umstand des gleichzeitigen Vorhandenseins in diesen beiden synoptischen Großevangelien weist in die Richtung der im Rahmen der Zweiquellentheorie/Zwei-Quellen-Theorie angenommenen sog. Quelle Q (siehe Gedanken zur Woche 99 und allgemein Gedanken zur Woche 78-b). Auf jeden Fall sind die am jeweiligen Ende der drei synoptischen Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas zu findenden Worte zur Aussendung der Jünger zur Mission keineswegs isoliert innerhalb des Neuen/Zweiten Testaments. Natürlich ist da auch an die Verkündigung und Ausbreitung der Botschaft betreffenden Aussagen in den sog. Paulusbriefen zu denken. Dabei sollten Diskussionen über Auslegung, entstehungsgeschichtlichen Hintergrund und Bedeutung dieser wie anderer Bibelstellen ohne jede Polemik und Gehässigkeit geführt werden.
Zugleich verdeutlicht die im Lukasevangelium erzählte Aussendung der 72 Jünger in je Zweiergruppen, wie wichtig es ist, in Gemeinschaft und nicht alleine zu wirken. Damit werden wir hier auf eigene Weise auf den Grundgedanken des Miteinanders, des Zusammenwirkens hingewiesen. Später wurde dieses durch die kirchliche Überlieferung einschließlich Kirchenväter und Konzilien weitergeführt und entfaltet. Dies schlug sich natürlich auch im Kirchenrecht nieder. So verdienen die in den Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen viel stärker als in der lateinischen Kirche vorhandenen synodalen Elemente samt betreffenden Kollegialorganen umso mehr Beachtung.
Folgen wir dem für diese Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholisch orientalischen Kirchen in ihrer Vielfalt als Rahmengesetzgebung erlassenen CCEO, so mag zunächst ein Blick auf die eigens für die Patriarchal-/Patriarchatskirchen erlassenen Regelungen naheliegen. So wird der Patriarch durch die dafür zuständige Synode der jeweiligen Kirche eigenen Rechts gewählt. Er hat dann nur den Papst um die Gewährung der kirchlichen Gemeinschaft zu bitten, also nicht einmal um eine im engeren Sinne des Wortes auszusprechende Bestätigung seiner Wahl (siehe Gedanken zur Woche 117). Eine eigene Überprüfung der durch die Synode durchgeführten Wahl des Patriarchen im Vatikan ist als solches nicht vorgesehen!
Aber auch sonst hat die Synode einer solchen wohlgemerkt katholischen Patriarchal-/Patriarchatskirche eine sehr wichtige Stellung.
So wird nicht nur der Patriarch, sondern es werden auch andere Amtsträger durch die jeweilige Synode gewählt. Diese ist die gesetzgebende Instanz ihrer Patriarchal-/Patriarchatskirche und zugleich ihre höchste richterliche Einrichtung. Geht man von der Lehre von drei Staatsgewalten in einem Staatswesen mit Gesetzgebung/Legislative, Rechtsprechung/Judikative und Regierung/Vollziehende Gewalt/Exekutive aus, so wird die Zusammenfassung von Kompetenzen in solch einer Synode deutlich. So heißt es im CCEO:
„Can, 110 - § 1. Ausschließlich der Synode der Bischöfe der Patriarchalen Kirche steht es zu, Gesetze für die gesamte patriarchale Kirche zu erlassen, die nach Maßgabe von can. 150 §§ 2 und 3 Rechtskraft erlangen.
§ 2. Die Synode der Bischöfe der patriarchalen Kirche ist Gericht nach Maßgabe des can. 1062.
§ 3. Die Synode der Bischöfe der patriarchalen Kirche führt die Wahl des Patriarchen, der Bischöfe und der Kandidaten für die Ämter durch, über die in can. 149 gehandelt wird.“
In den angeführten Paragraphen 2 und 3 von Kanon 150 wird die starke Stellung der Bischöfe eigens deutlich zusammen mit der Verbindung der jeweiligen katholischen Kirchen östlicher Tradition mit der sichtbaren Spitze der katholischen Kirche, dem Apostolischen Stuhl, betont:
„§ 2. Die von der Synode der Bischöfe der patriarchalen Kirche erlassenen und vom Patriarchen promulgierten Gesetze gelten auf der ganzen Welt, wenn sie liturgische Gesetze sind; wenn sie aber disziplinäre Gesetze sind oder wenn es sich um andere Entscheidungen der Synode handelt, haben sie Rechtskraft nur innerhalb der Grenzen des Territoriums der patriarchalen Kirche.
§ 3. Die außerhalb der Grenzen des Territoriums der patriarchalen Kirche eingesetzten Eparchialbischöfe mögen den disziplinären Gesetzen und den anderen synodalen Entscheidungen, die ihre Zuständigkeit nicht überschreiten, in den eigenen Eparchien Rechtskraft zuerkennen; wenn aber diese Gesetze oder Entscheidungen vom Apostolischen Stuhl genehmigt worden sind, haben sie überall auf der Welt Rechtskraft.“
Dass die Wahlzuständigkeit der Synode über die Bestimmung eines neuen Patriarchen hinausgeht, stellt Kanon 149 klar:
„Die Kandidaten, mindestens drei, für das außerhalb der Grenzen des Territoriums der patriarchalen Kirche zu erfüllende Amt des Eparchialbischofs, Bischofskoadjutors oder Auxiliarbischofs wählt die Synode der Bischöfe der patriarchalen Kirche nach Maßgabe der Kanones über die Bischofswahl und schlägt sie durch den Patriarchen dem Papst zur Ernennung vor, unter Wahrung der Geheimhaltung, auch gegenüber den Kandidaten, durch alle, die auf irgendeine Weise den Ausgang der Wahl kennen.“
Eine bestimmende Rolle kommt damit dem Patriarchen lediglich im Bereich der Exekutive, der Ausführung zu:
„Can. 110 - § 4. Verwaltungsakte kommen der Synode der Bischöfe der patriarchalen Kirche nicht zu, wenn nicht der Patriarch für bestimmte Akte etwas anderes festgesetzt hat oder im gemeinsamen Recht einige Akte dieser Synode vorbehalten sind, und unbeschadet der Kanones, welche die Zustimmung der Bischöfe der patriarchalen Kirche fordern.“
Auch in den anderen katholischen Ostkirchen gibt es bemerkenswerte und gerade für die Angehörigen der lateinischen Kirche als anderer Kirche eigenen Rechts in der katholischen Weltkirche interessante synodale Strukturen bzw. Elemente. Dies gilt gerade für die großerzbischöflichen Kirchen. Abgesehen vom Titel oder Ehrenrang und der laut CCEO notwendigen Bestätigung der Wahl ihres obersten eigenen Bischofs durch den Papst sind diese den Patriarchalkirchen gleichgestaltet:
„Can. 152 – Was im gemeinsamen Recht über die patriarchalen Kirchen bzw. die Patriarchen gesagt wird, ist so zu verstehen, daß es auch für die großerzbischöflichen Kirchen bzw. die Großerzbischöfe gilt, wenn es nicht anders im gemeinsamen Recht ausdrücklich vorgesehen ist oder aus der Natur der Sache feststeht.“
Tatsächlich umfassen die eigens die großerzbischöflichen Kirchen betreffenden Bestimmungen im CCEO nur vier Kanones einschließlich dem zitierten Can. 152.
1. Lesung: Jes 66,10-14c
2. Lesung: Gal 6,14-18
Evangelium: Lk 10,1-12.17-20 (oder 10,1-9)
Gedanken zur Woche 119-b, Dr. Matthias Martin
14. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Die Gedenktage der Heiligen besitzen in vielfältiger Weise ihre Bedeutung. Es ist daher umso wichtiger, sie am Leben zu erhalten. Ihre Inhalte sind zu pflegen und den Menschen gerade in so konfliktreichen Zeiten wie heutzutage nahezubringen.
Da kann jede und jeder Heiliger ihre bzw. seine besondere Vorbildfunktion für einen bestimmten Bereich des menschlichen Lebens haben. Der bewusste Blick auf eine jeweilige Heilige, einen jeweiligen Heiligen kann helfen, bestimmte christliche oder allgemein menschliche Inhalte klarer zu sehen. Von daher mag Inspiration und Ermutigung für das eigene Handeln erwachsen.
So verdeutlicht der heilige Ulrich von Augsburg die Bedeutung persönlicher Treue und ehrenhaften Verhaltens. Zugleich macht er deutlich, dass Staat und Kirche zum Wohle der Menschen durchaus gut zusammenarbeiten können und Politik nicht ein schmutziges Geschäft zu sein braucht. Ebenso wird deutlich, dass sich ein sehr bedeutender Kirchenmann nichts vergibt, wenn er Frauen ihrerseits eine führende Rolle zuerkennt (siehe Gedanken zur Woche 8-b und 16-b), wie das damals beim sächsisch-ottonischen Herrscherhaus und den sich ihm gegenüber loyal verhaltenden Angehörigen der Reichskirche offensichtlich kein Problem war (siehe Gedanken zur Woche 70-b und allgemeiner zu Frauen in Kirche und gerade deutscher Reichskirche Gedanken zur Woche 12-b, 68-b und 80). Der Blick auf Leben und Wirken der mit dem Herrscherhaus der Hohenstaufen verwandten heiligen Elisabeth von Portugal (siehe Gedanken zur Woche 16-b) mag da seinerseits wertvolle Anregungen vermitteln und Vorurteilen entgegenarbeiten.
Dass sich die Kirche dabei nicht zur willigen Handlangerin übler Machthaber oder führender Kreise machen soll, verdeutlichen Leben und Sterben des heiligen Kilian und seiner Gefährten (siehe Gedanken zur Woche 17-b und 67-b).
Die Beschäftigung mit solchen Heiligen regt geschichtliche bis juristische und sprachwissenschaftliche Studien an und hilft, menschlich-kulturelles Erbe zu pflegen und zu bewahren. Dies gilt natürlich auch in Hinblick beispielsweise auf einen heiligen Ordensgründer wie Antonius Maria Zaccaria, die Märtyrerin Maria Goretti und den heiligen Bischof Willibald, derer nach dem jetzt bei uns üblichen liturgischen Kalender in derselben Woche des kirchlichen Jahreskreises gedacht wird.
Dann regte und regt die Heiligenverehrung, die Erinnerung an Heilige das künstlerische Schaffen, sowohl in dem vielfältigen Bereich der bildendenden Künste wie auch in der Musik, dem Theaterwesen und der Filmkunst an. Davon wiederum sind etwa Kunstgeschichte, die verschiedenen Bereiche der Musikwissenschaft, der Theater- wie der Filmwissenschaft nicht zu trennen. Natürlich verdient jener Bereich der Philosophie eigene Beachtung, der öfters „Ästhetik und Kunstphilosophie“ genannt wird.
Das Heiligengedenken in seiner eigenen Bandbreite und Tiefe kann so einen sehr wichtigen Beitrag zur Kulturbewahrung und einer richtig verstandenen Identitätspflege leisten. Christliche Überlieferung lebendig zu erhalten ist gerade heutzutage eine ständige Herausforderung. Dabei ist auch der für sich wiederum so vielfältige Bereich der Liturgie unverzichtbar. Dies gilt für die lateinische Kirche wie für die Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen eigenen Rechts mit ihren eigenen Riten (siehe allgemein Gedanken zur Woche 116-b und 118-b).
Dies hob unter starker Berufung insbesondere auf Benedikt XIV. (1740-1758) umfassend Leo XIII. in seinem Apostolischen Schreiben „Orientalium Dignitas“ vom 30. November 1894 hervor. Er betonte, dass sich die verschiedenen Riten durch ein hohes Alter auszeichnen. Ausdrücklich lobte Leo XIII. die Vielfalt der Riten. Er tat dies in einer Weise, die an den Kirchenlehrer Thomas von Aquin erinnert (siehe Gedanken zur Woche 117). Eigens wird das Vorhandensein alter Sprachen stark gewürdigt (siehe https://www.vatican.va/content/leo-xiii/la/apost_letters/documents/hf_l-xiii_apl_18941130_orientalium-dignitas.html und https://www.papalencyclicals.net/Leo13/l13orient.htm).
Die Verteidigung der allein schon in kulturell-bildungsmäßiger Hinsicht so wichtigen Riten der Katholischen Ostkirchen eigenen Rechts ist auch ein Thema im kirchenrechtlichen Kodex der katholischen Weltkirche für diese, dem CCEO. In Fortführung u. a. Thomas von Aquins und Leos XIII. wird festgehalten:
„Can. 39 – Die Riten der orientalischen Kirchen als Erbe der gesamten Kirche Christi, in dem das aufleuchtet, was von den Aposteln über die Kirchenväter Überlieferung ist und was die göttliche Einheit des katholischen Glaubens in der Vielfalt bekräftigt, sollen gewissenhaft gewahrt und gefördert werden.“
Diese Riten sollen also nicht nur bewahrt werden! Sie sollen eigens gefördert werden! Diese Bewahrung und Förderung wird sehr deutlich als Daueraufgabe für Klerus und Ordensleute gesehen:
„Can. 40 - § 1. Die Hierarchen, die Kirchen eigenen Rechts leiten, und die anderen Hierarchen sollen sich eifrigst um die zuverlässige Bewahrung und genaue Einhaltung des eigenen Ritus sorgen und keine Änderung darin zulassen, es sei denn aufgrund seiner organischen Fortentwicklung, wobei jedoch die gegenseitige Wertschätzung und die Einheit der Christen zu beachten sind.
§ 2. Die anderen Kleriker und die Mitglieder der Institute des geweihten Lebens sind alle verpflichtet, den eigenen Ritus zuverlässig einzuhalten und ihn auch von Tag zu Tag besser kennenzulernen und vollkommener zu verwirklichen.“
Letztlich gilt die Aufgabe der Bewahrung und Förderung dieser Riten auch für die anderen betroffenen Gläubigen:
„Can. 40 - § 3. Auch die anderen Christgläubigen sollen die Kenntnis und die Wertschätzung des eigenen Ritus fördern und sind verpflichtet, ihn überall einzuhalten, wenn nicht durch das Recht etwas ausgenommen wird.
Can. 41 – Die Christgläubigen einer jeden Kirche eigenen Rechts, auch der lateinischen Kirche, die aufgrund eines Amtes, eines Dienstes oder einer Aufgabe häufige Beziehungen zu Christgläubigen einer anderen Kirche eigenen Rechts haben, müssen in der Kenntnis und Pflege des Ritus dieser Kirche genau gebildet werden, entsprechend der Bedeutsamkeit von Amt, Dienst oder Aufgabe, die sie ausüben.“
Ein diese Riten beschädigender Wildwuchs soll verhindert werden. Zugleich wird in den einschlägigen Bestimmungen die bemerkenswerte Bedeutung der hierarchischen Vertreter der katholischen Ostkirchen bei aller Abstufung auch bei liturgischen Angelegenheiten bei gleichzeitiger voller Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl betont (zu Can. 150 – 2 siehe Gedanken zur Woche 119):
„Can. 657 - § 1. Die Approbation liturgischer Texte ist nach vorhergehender Prüfung durch den Apostolischen Stuhl in patriarchalen Kirchen dem Patriarchen mit Zustimmung der Synode der Bischöfe der patriarchalen Kirche vorbehalten, in metropolitanen Kirchen eigenen Rechts dem Metropoliten mit Zustimmung des Hierarchenrates; in den anderen Kirchen kommt dieses Recht allein dem Apostolischen Stuhl und innerhalb der von diesem festgesetzten Grenzen den Bischöfen und deren rechtmäßig eingerichteten Zusammenschlüssen zu.
§ 2. Denselben Autoritäten steht auch das Recht zu, die Übersetzungen derselben zum liturgischen Gebrauch bestimmten Bücher zu approbieren nach Benachrichtigung, wenn es sich um patriarchale oder metropolitane Kirchen eigenen Rechts handelt, des Apostolischen Stuhls.“
Die Bedeutung des reichen Erbes der katholischen Ostkirchen wird also immer deutlich.
Gedanken zur Woche 118, Dr. Matthias Martin
13. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Dass es mit der Nachfolge Christi im Allgemeinen nicht ganz einfach ist wie auch im Besonderen, wenn es um den Dienst der Verkündigung des Gottesreiches geht, wird in der Bibel immer wieder deutlich. Besonders eindrücklich geschieht dies in den abschließenden Versen des neunten Kapitels des Lukasevangeliums und etwas knapper in der Parallelstelle im ebenfalls synoptischen Matthäusevangelium (Mt 8,18-22).
Dabei sind eben alle Christgläubigen in die Nachfolge Christi gerufen. Alle Katholikinnen und Katholiken sind aufgefordert, dem nachzueifern. Dies gilt unabhängig etwa von beruflicher und familiärer Situation, Alter, Volksgruppenzugehörigkeit bzw. Nationalität, Ritus und Teilkirche.
Dies wird in dem leider (noch) recht unbekannten CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM/KODEX DER KANONES DER ORIENTALISCHEN KIRCHEN, abgekürzt CCEO, betont:
„Can. 10 – Indem sie am Wort Gottes festhalten und dem lebendigen authentischen Lehramt der Kirche anhangen, sind die Christgläubigen verpflichtet, den von den Vorfahren als höchsten Schatz gehüteten und überlieferten Glauben unversehrt zu bewahren und offen zu bekennen sowie im Glaubensleben tiefer zu erfassen wie auch durch Werke der Liebe fruchtbar zu machen.“
Dabei sollte allen Standesdünkeln gewehrt, gegen jede Art innerkirchlichen Amtsmissbrauchs energisch und konsequent angekämpft werden. Der CCEO ist zwar für die katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen verfasst und in Kraft gesetzt worden. Vieles was sich dort findet, verdient gerade in Zeiten wie diesen aber auch in der lateinischen Kirche innerhalb der katholischen Weltkirche Beachtung. Gerade offizielle Amtsträger sollen sich nicht überheben und ihre Stellung in keiner Weise missbrauchen. Dies wird schon weit vorne im CCEO deutlich:
„Can. 11 – Unter allen Christgläubigen besteht aufgrund ihrer Wiedergeburt in Christus eine wahre Gleichheit hinsichtlich Würde und Tätigkeit, aufgrund derer alle entsprechend ihren je eigenen Verhältnissen und ihrer Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken.“
Es wird dieser Gedankengang in eindringlichen Worten fortgeführt. Dies sollte gerade all denen in der katholischen Weltkirche zu denken geben, welche irgendein offizielles Amt, eine offizielle Position oder Funktion innehaben. Wie in jedem System unter Menschen hier auf Erden droht immer wieder in verschiedener Weise Missbrauch. Dies geschieht nicht zuletzt sehr oft unter Verwendung religiöser Begriffe und frommer Floskeln. Gerade in den letzten Tagen wurde dies in der lateinischen Kirche innerhalb der katholischen Weltkirche wie in konfessionellen Gemeinschaften außerhalb derselben wieder drastisch bestätigt. Die hier wie dort immer wieder zutage tretende Täter-Opfer-Umkehr ist bei solchem Krebsgeschwür so etwas wie das Krebsgeschwür des Krebsgeschwüres. Umso mehr gilt es eben, gerade gegen religiös verbrämten Missbrauch jedweder Art anzukämpfen. Gerade offizielle Amts-/Funktionsträger und -innen sollten sich da an der Nase fassen. Formulierungen wie die Kanones 12, 13 und 14 des CCEO sollten in diesem Sinne wahrgenommen werden, wie auch andere kirchenrechtliche Normen und allgemein Aussagen aus dem Gesamtbereich der Glaubens- und Sittenlehre. Sie dürfen umgekehrt nicht für die Rechtfertigung von Missbrauch und etwaigen Pflichtverletzungen eingesetzt werden:
„Can. 12 - § 1. Die Christgläubigen sind verpflichtet, in ihrem je eigenen Verhalten die Gemeinschaft mit der Kirche stets zu wahren.
§ 2. Mit großer Umsicht müssen sie die Pflichten erfüllen, die sie gegenüber der Gesamtkirche und der eigenen Kirche eigenen Rechts haben.
Can. 13 - Alle Christgläubigen müssen je nach ihren Verhältnissen ihre Kräfte einsetzen, ein heiliges Leben zu führen sowie das Wachstum und die unablässige Heiligung der Kirche zu fördern.
Can. 14 - Alle Christgläubigen haben das Recht und die Pflicht, darauf hinzuwirken, daß die göttliche Heilsbotschaft zu allen Menschen aller Zeiten und auf der ganzen Welt mehr und mehr gelangt.“
Dementsprechend haben die Gläubigen gegenüber den sog. Hirten das Recht, ihre Wünsche, Anregungen und Beschwerden freimütig zu äußern. Dieses Grundrecht darf ihnen nicht abgesprochen werden, auch wenn dies leider immer wieder geschieht. So heißt es im CCEO immerhin, wenn auch etwas im Wortlaut entschärft:
„Can 15 - § 2. Den Christgläubigen steht es frei, ihre Bedürfnisse, insbesondere die geistlichen, und ihre Wünsche den Hirten der Kirche zu eröffnen.
§ 3. Gemäß dem Wissen, der Kompetenz und dem Ansehen, die ihnen zukommen, haben sie das Recht und manchmal auch die Pflicht, ihre Ansicht über das, was das Wohl der Kirche betrifft, den Hirten der Kirche mitzuteilen und, unbeschadet der Unversehrtheit von Glauben und Sitten und der Ehrfurcht gegenüber diesen Hirten sowie unter Beachtung des Gemeinnutzes und der Würde der Personen, den anderen Christgläubigen kundzutun.“
Schärfer formuliert hat dies schon vorher etwa der berühmte deutsche Kirchenrechtler Georg May. Prof. Dr. Georg May war es auch gewesen, der das Problem der Unterschlagung unangenehmer Nachrichten durch Bischöfe gerade gegenüber dem Papst schon vor Jahrzehnten thematisiert hatte.
Immerhin heißt es parallel im CODEX IURIS CANONICI/CODEX DES KANONISCHEN RECHTS für die lateinische Kirche (siehe Gedanken zur Woche 116-b), abgekürzt CIC, in der betreffenden deutschen Übersetzung:
„Can. 212 - § 2. Den Gläubigen ist es unbenommen, ihre Anliegen, insbesondere die geistlichen und ihre Wünsche den Hirten der Kirche zu eröffnen.
§ 3. Entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung haben sie das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und sie unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Personen den übrigen Gläubigen kundzutun.“
Dass es gerade im Bereich der lateinischen Kirche einiges zu tun gibt, verdeutlicht schon allein die Tatsache, dass vor kurzem das gesamte Strafrecht im CIC verändert und neu herausgegeben wurde (siehe Gedanken zur Woche 63 und 64-b). Auch der so wichtige Canon 579 über die Neugründung von Ordensgemeinschaften wurde geändert, nachdem es seitens des Apostolischen Stuhles vorher schon zu einer schriftlichen De Facto-Verschärfung gekommen war (siehe Gedanken zur Woche 40-b und 64-b).
1. Lesung: 1 Kön 19,16b.19-21
2. Lesung: Gal 5,1.13-18
Evangelium: Lk 9,51-62
Gedanken zur Woche 118-b, Dr. Matthias Martin
13. WOCHE IM JAHRESKREIS einschließlich HOCHFEST PETRUS UND PAULUS (2022)
Gerade wenn der Tag des heiligen Cyrill von Alexandrien auf dem bei uns üblicherweise verwendeten liturgischen Kalender steht, erinnere ich mich lebhaft an ein Arbeitsgespräch, welches sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre ereignete. Damals war ich für die offizielle Wochenzeitung der Diözese Innsbruck tätig. Ich arbeitete gerade an einer Artikelreihe über orthodoxe und altorientalische Christen im Gebiet eben der römisch-katholischen Diözese Innsbruck. Um mich über die örtlichen Aktivitäten und Strukturen der nicht in voller Einheit mit dem römisch-katholischen Apostolischen Stuhl stehenden koptischen Kirche zu informieren, traf ich mich mit drei Vertretern eben der koptischen Kirche im berühmten Stift Wilten. Es war ein sehr angeregtes bis herzliches Gespräch. Meine Gesprächspartner waren direkt begeistert, dass ich von mir aus die enorme Bedeutung ansprach, welcher der heilige Cyrill von Alexandrien eben auch für die römisch-katholische Kirche besitzt. Schließlich wird er hier ja u.a. ausdrücklich als Kirchenlehrer anerkannt. Gerne stimmte man mir koptischerseits zu, dass der gerade in der koptischen Kirche so hochverehrte heilige Cyrill von Alexandrien zu dem als römischen Papst anerkannten heiligen Coelestin I. ein herzliches und brüderliches Verhältnis hatte. Dies verdeutlicht zum einen, wie nützlich theologische und gerade kirchengeschichtliche Kenntnisse sind, wenn es um die Pflege der Beziehungen zwischen Zweigen des Gesamtchristentums geht, die zurzeit leider nicht in voller Einheit miteinander verbunden sind. Zum anderen weist uns ein Gespräch wie das erwähnte ganz generell auf die enorme Bedeutung hin, welche das im heutigen Ägypten gelegene Alexandrien konfessionsübergreifend für die Entwicklung des Christentums besitzt. So ist Alexandrien zusammen mit Antiochia und Rom eines der drei ältesten christlichen Patriarchate. Diese Position rührt bereits aus der Zeit vor der sog. Konstantinischen Wende her. Erst mit der Verlagerung des Hauptsitzes des Römischen Reiches in das massiv zur Reichshauptstadt ausgebaute Konstantinopel gewann der dortige Bischofssitz stärkere Bedeutung. Schließlich erlangte der Bischof in der einstigen recht kleinen Stadt Byzanz mit dessen neuen Namen Konstantinopel sogar die Position als vierter Patriarch. Auch dem einst durch die Römer zerstörten und inzwischen wiederaufgebauten Jerusalem wurde dann der Status als Patriarchat zuerkannt. Bezüglich dieser gemeinsamen Existenz von fünf Patriarchaten wird mitunter von der Pentarchie gesprochen und geschrieben.
Das zu den drei ganz alten Patriarchaten zählende Alexandrien wurde nicht zuletzt Ausgangspunkt der Herausbildung eines eigenen Hauptzweiges christlicher Liturgie. Es gibt hierzu auch den Begriff der alexandrinischen Ritusfamilie. Dementsprechend heißt es im allgemeinen kirchlichen Gesetzbuch für die Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen, dem CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM/KODEX DER KANONES DER ORIENALISCHEN KIRCHEN, abgekürzt CCEO:
„Can. 28 - § 1. Ritus ist das aufgrund von Kultur und historischen Gegebenheiten der Völker unterschiedliche liturgische, theologische, spirituelle und disziplinäre Erbe, das in der eigenen Art des Glaubenslebens einer jeden Kirche eigenen Rechts zum Ausdruck kommt.
§ 2. Die Riten, über die in dem Kodex gehandelt wird, sind, wenn, nichts anderes feststeht, jene, die hervorgehen aus der Alexandrinischen, Antiochenischen, Armenischen, Chaldäischen und Konstantinopolitanischen Tradition.“
Damit sind für die Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen so etwas wie fünf Hauptüberlieferungen oder -traditionsstränge vorhanden (siehe Gedanken zur Woche 116-b).
Dabei wird auf das Vorliegen der verschiedenen Riten auch im CIC für die lateinische Kirche ausdrücklich Rücksicht genommen. So wird bezüglich der Pflichten des jeweiligen Diözesanbischofs festgehalten:
„Can. 383 - § 2. Wenn er in seiner Diözese Gläubige eines anderen Ritus hat, hat er für deren geistliche Erfordernisse Vorsorge zu treffen, sei es durch Priester oder durch Pfarreien desselben Ritus, sei es durch einen Bischofsvikar.“
Gerade in Hinblick auf Pfarrgemeinden wird der Existenz der verschiedenen Riten im CIC ein eigener Augenmerk geschenkt:
„Can. 518 – Die Pfarrei hat in aller Regel territorial abgegrenzt zu sein und alle Gläubigen eines bestimmten Gebietes zu umfassen; wo es jedoch angezeigt ist, sind Personalpfarreien zu errichten, die nach Ritus, Sprache oder Nationalität der Gläubigen eines Gebietes oder auch unter einem anderen Gesichtspunkt bestimmt werden.“
Grundsätzlich wird den Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen unierten Kirchen, welche die betreffenden Riten in der Gesamtheit der katholischen Weltkirche vertreten, gerade im CCEO der Status als Kirchen eigenen Rechts zuerkannt:
„Can. 27 – Eine mit der Hierarchie nach Maßgabe des Rechts verbundene Gemeinschaft von Christgläubigen, welche die höchste Autorität der Kirche ausdrücklich oder stillschweigend als eigenen Rechts anerkennt, wird in diesem Kodex als Kirche eigenen Rechts bezeichnet.“
Man muss es leider immer wieder vor dem Hintergrund von Verwirrungen und böswilligen Unterstellungen, welche gegen die Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen verbreitet werden, betonen: Die genannten Kirchen sind eben voll und ganz Teil dessen, was gerne die katholische Weltkirche genannt wird. Ein kurzer Blick in den CCEO verdeutlicht dies. Gerade die Canones 42 bis 54 sind da sehr schnell sehr aussagekräftig.
So heißt es in Hinblick auf die höchste Autorität in der Kirche im CCEO ganz grundsätzlich:
„Can. 42 – Wie nach Weisung des Herrn der heilige Petrus und die anderen Apostel ein einziges Kollegium bilden, so sind in gleicher Weise der Papst, der Nachfolger des Petrus, und die Bischöfe, die Nachfolger der Apostel, untereinander verbunden.“
Eigens wird die Beziehung zum (römischen) Papst unterstrichen. So wird im CCEO u. a. festgehalten:
„Can. 43 – Der Bischof der Kirche von Rom, in dem das vom Herrn allein dem Petrus, dem Ersten der Apostel verliehene und seinen Nachfolgern zu vermittelnde Amt fortdauert, ist Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden; deshalb besitzt er kraft seines Amtes höchste umfassende, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt in der Kirche, die er immer frei ausüben kann.“
Natürlich ist über die Art und Weise der Amtsführung des Papstes zu diskutieren. Besonders die beiden jüngst gewählten Päpste (Benedikt XVI. und Franziskus) haben dies ihrerseits betont. Sie haben diesbezüglich auch eine ökumenische Offenheit erklärt. Sowohl der ökumenische wie der mehr innerkirchliche Diskussionsprozess in Hinblick auf das Papstamt ist voll am Laufen. Auf jeden Fall lässt sich aber die volle Gemeinschaft des Papstes, der Bischöfe der lateinischen Kirche und der Bischöfe der anderen (Teil-)Kirchen nicht anzweifeln. Hier anhand der Unterschiede im Ritus bzw. der Zugehörigkeit zu einer jeweiligen Teilkirche innerhalb der katholischen Weltkirche Gräben aufzureißen, die keine Berechtigung haben, sollte stets unterbleiben.
Gedanken zur Woche 117, Dr. Matthias Martin
12. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Mit dem Evangelium vom 12. Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr C nach Lukas werden wir in der heutzutage üblichen Leseordnung auf eine jener Bibelstellten aufmerksam gemacht, welche uns in Richtung des Petrusprimates als der Grundlegung des, bekanntermaßen nicht unumstrittenen, Papstprimates führt bzw. führen kann. Diese Stelle im neunten Kapitel des Lukasevangeliums stellt tatsächlich so etwas wie eine Kurzausgabe der besonders bekannten Stelle im ebenfalls synoptischen Matthäusevangelium dar und entspricht im Wesentlichen vom Umfang her der Parallelstelle im gleichfalls synoptischen Markusevangelium. Die gerne so genannte Primatsstelle im sechzehnten Kapitel des Matthäusevangeliums, die immer wieder gerne zugunsten einer starken Stellung des Papstamtes auf der Grundlage einer angenommenen Führungsstellung des Petrus im Apostelkreis angeführt wird, ist ganz erheblich matthäisches Sondergut, liegt also in anderen Evangelien sowie weiteren neutestamentlichen Schriften nicht vor. Hierbei handelt es sich um die Verse Mt 16,17-19, welche in der neuen deutschen Einheitsübersetzung lauten:
„(17) Jesus antwortete und sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. (18) Ich aber sagte dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. (19) Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein, und was du Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein.“
Dieses matthäische Sondergut spielte nicht zuletzt eine ganz wichtige Rolle auf dem I. Vatikanischen Konzil (1869-1870) bei den Diskussionen um das auf Simon Petrus zurückzuführende Papstprimat mit seinen etwaigen Zuständigkeiten. Als Schluss dieser Diskussionen wurde dann auf dem I. Vatikanischen Konzil die Dogmatische Konstitution „Pastor Aeternus“ verabschiedet. Ist dieses Dokument zumindest schlagwortartig etwas bekannt, so ist schon die andere auf dem I. Vatikanischen Konzil verabschiedete Dogmatische Konstitution „Dei Filius“ (siehe Gedanken zur Woche 54-b und 58-b) auch bei in der katholischen Kirche aktiven Menschen ziemlich dem Vergessen anheimgefallen.
Erst recht fielen ganze thematische Hauptbereiche, zu denen auf dem I. Vatikanischen Konzil schon intensiv gearbeitet wurde, einschließlich speziellerer Themen, dem Vergessen zum Opfer. Dazu zählen so wichtige Bereiche wie die Missionen, Aufgaben und Amt von Bischöfen und Priestern, Verbesserungen im Kirchenrecht, die Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen (zu letzterem siehe auch Gedanken zur Woche 116-b) wie spezielle Themen, so die gewünschte vollständige Aussöhnung mit der sog. Kleinen Kirche in Frankreich (siehe Gedanken zur Woche 101-b) und den ebenfalls von der offiziellen katholischen Kirche getrennten Stevenisten in Belgien.
Dabei kommt den Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen in der katholischen Weltkirche ein eigener Zeugnischarakter zu. Da ist zum einen die vorbildliche getreue Standfestigkeit dieser Kirchen über die Jahrhunderte hinweg in Not, Bedrängnis und oft offener Verfolgung. Dann verwirklichen diese Kirche eigenen Rechts den Grundsatz, dass es in voller Gemeinschaft mit dem Papst in der katholischen Weltkirche verschiedene Liturgien und kirchenrechtliche Regelungen geben kann. So sind in den Katholischen Ostkirche/Unierten Kirchen eine ganz Reihe eigener Ritusüberlieferungen lebendig und findet man die Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Ritusfamilien und Einzelriten. So betonte schon der heilige Kirchenlehrer Thomas von Aquin die Richtigkeit und Wichtigkeit eines solchen innerkatholischen Pluralismus und formulierte u.a. (https://mthz.ub.uni-muenchen.de/MThZ/article/download/2006H1S50-64/3284/):
„Die Kirche Gottes […] erträgt unterschiedliche Riten der Gottesverehrung; daher [...] gibt es auch unterschiedliche Gewohnheiten der Kirchen in der Feier der Eucharistie. […] [Antwort:] Die unterschiedlichen Gewohnheiten der Kirche im göttlichen Kult widersprechen der Wahrheit auf keine Weise. Sie sind deswegen zu beobachten, und es ist nicht erlaubt, über sie hinwegzugehen.“
Ganz bemerkenswert gibt es bei den Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen auch Eigenheiten in kirchenrechtlicher Hinsicht, nicht zuletzt für die Bestellung von kirchlichen Führungskräften. Dabei gibt es noch einmal eine bemerkenswerte Ausdifferenzierung innerhalb der Gesamtheit Katholischer Ostkirchen/Unierter Kirchen. So gibt es Patriarchal-/Patriarchatskirchen, dann auch großerzbischöfliche Kirchen, weiters Metropolitankirchen schließlich die weiteren Katholischen Kirchen/Unierten Kirchen eigenen Rechts.
Die größte Autonomie genießen die Patriarchalkirchen oder Patriarchatskirchen. So ist im CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM/KODEX DER KANONES DER ORIENTALISCHEN KIRCHEN, abgekürzt CCEO, festgelegt:
„Can. 55 – Nach ältester Tradition der Kirche, die schon von den ersten Ökumenischen Konzilien anerkannt worden ist, besteht in der Kirche die Einrichtung des Patriarchats; deshalb ist den Patriarchen der orientalischen Kirchen, die jeder ihrer Patriarchalen Kirchen als Vater und Haupt vorstehen, mit besonderer Ehre zu begegnen.
Can. 56 – Patriarch ist ein Bischof, der nach Maßgabe des von der höchsten Autorität der Kirche genehmigten Rechts die Gewalt über alle Bischöfe, die Metropoliten nicht ausgenommen, und über die anderen Christgläubigen jener Kirchen zusteht, die er leitet.“
Besonders bemerkenswert auf die starke innerkatholische Stellung sind die Regelungen bezüglich der Wahl von Patriarchen in Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen:
„Can. 63 – Der Patriarch wird kanonisch gewählt auf der Synode der Bischöfe der patriarchalen Kirche.“
Eigens werden die eigenen rechtlichen Regelungen dieser (Teil-)Kirchen, deren „Partikularrecht“, innerhalb der katholischen Weltkirche auch in Hinblick auf die Patriarchenwahl in ihrer Bedeutung gewürdigt:
„Can. 64 – Im Partikularrecht muß genannt werden, was erforderlich ist, damit jemand für die patriarchale Würde als geeignet angesehen werden kann ... .“
Die Eigenständigkeit geht soweit, dass ein gewählter Patriarch bereits zu inthronisieren ist, bevor dem Papst Mitteilung mit einer Art Bitte um Bestätigung zu machen ist. Übrigens sind auch die anderen katholischen Patriarchen förmlich in Kenntnis zu setzen:
„Can. 75 – Wenn der Gewählte die Wahl angenommen hat und geweihter Bischof ist, muß die Synode der Bischöfe der patriarchalen Kirche nach den Vorschriften der liturgischen Bücher zu seiner Proklamation und Inthronisation als Patriarch schreiten; wenn der Gewählte noch nicht geweihter Bischof ist, kann die Inthronisation nicht gültig erfolgen, bevor der Gewählte die Bischofsweihe empfangen hat.
Can. 76 - § 1. Die Synode der Bischöfe der patriarchalen Kirche muß den Papst in einem Synodalschreiben möglichst bald über den kanonischen Vollzug von Wahl und Inthronisation sowie über die Ablegung des Glaubensbekenntnisses und des Versprechens der zuverlässigen Amtsführung seitens des neuen Patriarchen vor der Synode gemäß den gebilligten Formeln benachrichtigen; das Synodalschreiben muß auch an die Patriarchen der anderen orientalischen Kirchen geschickt werden.
§ 2. Der neue Patriarch muß durch einen eigenhändig unterschriebenen Brief möglichst bald dem Papst um die Gewährung der kirchlichen Communio bitten.“
Einheit in der Glaubens- und Sittenlehre und volle Gemeinschaft mit dem Papst schließt also solche bemerkenswerte innerkirchliche Autonomie nicht aus. Umso mehr verdienen die verschiedenen Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen immer wieder starke Beachtung.
1. Lesung: Sach 12,10-11;13,1
2. Lesung: Gal 3,26-29
Evangelium: Lk 9,18-24
Gedanken zur Woche 117-b, Dr. Matthias Martin
12. WOCHE IM JAHRESKREIS einschließlich HOCHFEST von der GEBURT JOHANNES DES TÄUFERS und HOCHFEST HEILIGSTES HERZ JESU (2022)
Wenn Märtyrer wie die beiden sehr prominenten Opfer englischer Katholikenverfolgungen, Thomas Morus und John Fisher, und dann auch noch Johannes der Täufer auf dem liturgischen Kalender stehen, dann verdeutlicht dies, wie sehr der Weg des Christentums immer wieder von Verfolgungen gekennzeichnet war und ist (siehe Gedanken zur Woche 34, 47-b, 60-b ,67-b, 75-b, 87, 92-b, 110-b, 114-b).
Gerne wird verdrängt, wie sehr besonders Katholische Ostkirchen/Unierte Kirchen des byzantinischen Ritus Opfer von Verfolgungen wurden. Bei diesen ging es grundsätzlich um die Vernichtung dieser ganzen Gemeinschaften und nicht nur um die Ausschaltung führender Persönlichkeiten. Dies gilt gerade für die Ukrainisch-Katholische Kirche, auch genannt die Unierte Kirche der Ukraine oder die ukrainisch-unierte Kirche. Mitunter wird auch in diesem Zusammenhang das Eigenschaftswort „griechisch“ verwendet. Dies rührt vom liturgischen und anderweitigen Einfluss aus Byzanz/Konstantinopel her und stiftet immer wieder Verwirrung (siehe auch Gedanken zur Woche 116-b). Eindeutig falsch ist auf jeden Fall die Meinung, die Verfolgung der Ukrainisch-Katholischen Kirche wie auch anderer unierter Kirchen bzw. kirchlicher Strukturen habe erst mit dem Kommunismus begonnen. Vielmehr fanden solche Verfolgungen in Russland längst schon vor der kommunistischen Oktoberrevolution statt (siehe sehr allgemein https://www.youtube.com/watch?v=-WN7GsgIH_k). Gerade die russische Westexpansion wirkte sich in der Zarenzeit sehr schlimm für die Katholiken und insbesondere für die unierten Katholiken aus.
Nach dem II. Weltkrieg und der daraus resultierenden Unterwerfung des östlichen Europa unter das nun kommunistische Moskau einschließlich dem Vordringen des Kommunismus nach Südosteuropa wurde in den betroffenen Ländern die Vernichtung insbesondere der Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen des byzantinischen Ritus mit aller Brutalität vorangetrieben. Dabei bedienten sich die kommunistischen Verfolger Methoden zur Verschleierung und propagandistischen „Rechtfertigung“ Methoden, wie sie typisch für totalitäre Systeme sind. So wurden Pseudo-Synoden abgehalten, die angeblich „freiwillig“ die Trennung von der katholischen Kirche und den von den Kommunisten gewünschten Anschluss an ihnen genehme orthodoxe Kirchenstrukturen beschlossen. Das russisch-orthodoxe Patriarchat von Moskau mit seinem Apparat war hierbei ein integraler Bestandteil der sowjetischen Politik. Ungezählte Katholikinnen und Katholiken, welche sich dem widersetzen, starben der Märtyrertod. Wie viele es im Einzelnen waren, lässt sich höchstens schätzen: „Nur Gott kennt ihre Zahl“. Ambekanntesten davon ist der blutige Vernichtungsfeldzug gegen die Ukrainisch-Katholische Kirche. Interessierten Kreisen zum Trotze sollte aber auch das Schicksal etwa der Bulgarisch-Katholischen Kirche, der Ruthenisch Griechisch-Katholischen Kirche/Unierten Ruthenischen Kirche, der Griechisch-Katholischen Kirche in der Slowakei/Unierten Kirche der Slowakei, der Rumänischen Griechisch-Katholischen Kirche/Rumänisch-Unierten Kirche/Unierten Kirche Rumäniens, der Griechisch-Katholischen Kirche in Ungarn/Ungarisch-Unierten Kirche wie der unierten Katholiken weißrussischer Tradition nicht vergessen werden. Dasselbe gilt gerade bezüglich der Katholiken, unierten wie lateinischen, in Albanien. Ein eigenes Themenfeld bildet der Kirchenkampf im einstigen Jugoslawien. Hier war vor allem der Zweig der lateinischen Kirche der Katholiken betroffen.
Nach der Wende konnte allgemein eine erhebliche Wiederbelebung und Reorganisation der unierten Kirchen des byzantinischen Ritus in den betroffenen Gebieten festgestellt bzw. durchgeführt werden.
Im CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM/KODEX DER KANONES DER ORIENTALISCHEN KIRCHEN, abgekürzt CCEO, ist das Bemühen, die Würde, Existenz und Arbeitsmöglichkeiten der verschiedenen Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen zu sichern, ausgedrückt. Dies gilt unabhängig vom jeweiligen Ritus wie nationalen oder kulturellen Gegebenheiten. Dies wird schon in den Einleitenden Kanones eben dieses CCEO deutlich. Parallelen zum CODEX IURIS CANONICI/CODEX DES KANONISCHEN RECHTES, abgekürzt CIC, springen ins Auge. So heißt es im CCEO:
„Can. 1 – Die Kanones dieses Kodex betreffen alle und nur die katholischen orientalischen Kirchen, wenn nicht, was die Beziehungen zur lateinischen Kirche betrifft, etwas anderes ausdrücklich festgesetzt ist.
Can. 2 – Die Kanones des Kodex, in denen für gewöhnlich das alte Recht der orientalischen Kirchen rezipiert oder angepaßt wird, sind vor allem von diesem Recht her zu würdigen.
Can. 3 – Auch wenn er sich oft auf die Vorschriften der liturgischen Bücher bezieht, entscheidet der Kodex für gewöhnlich nicht über liturgische Angelegenheiten; deshalb sind jene Vorschriften sorgfältig einzuhalten, wenn sie nicht den Kanones des Kodex widersprechen.
Can. 4 – Die Kanones des Kodex heben die vom Heiligen Stuhl mit den Nationen oder mit anderen politischen Gemeinschaften geschlossenen oder genehmigten Verträge weder ganz noch teilweise auf; diese gelten daher wie bis jetzt fort ohne die geringsten Einschränkungen durch entgegenstehende Vorschriften des Kodex.
Can. 5 – Wohlerworbene Rechte wie auch Privilegien, die vom Apostolischen Stuhl bislang physischen oder juristischen Personen gewährt wurden, die in Gebrauch sind und nicht widerrufen wurden, bleiben unangetastet, wenn sie nicht durch Kanones des Kodex ausdrücklich widerrufen werden.“
Es wird also rasch zweierlei deutlich: Zum einen sind die Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen, eben auch genannt die katholischen orientalischen Kirchen ebenso integraler Bestandteil der katholischen Weltkirche, wie es die lateinische Kirche ist. Zum anderen darf mit ihren Rechten und Privilegien wie denen ihrer jeweiligen Glieder nicht willkürlich und respektlos umgegangen werden. Dies wird durch nachfolgende Kanones vertieft. So sind folgende von Papst Johannes Paul II. wie der ganze CCEO approbierten Worte klar und deutlich:
„Can. 7 - § 1. Christgläubige sind diejenigen, welche, durch die Taufe Christus eingegliedert, zum Volk Gottes gemacht worden sind und so, des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi auf ihre Weise teilhaftig, gemäß ihren je eigenen Verhältnissen zur Ausübung der Sendung berufen werden, die Gott der Kirche zur Erfüllung in der Welt anvertraut hat.
§ 2. Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen mit ihm geleitet wird.
Can. 8 – In voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche in dieser Welt sind jene Getauften, die durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung in ihrer sichtbaren Gestalt mit Christus verbunden sind.“
Die Katholikinnen und Katholiken in den Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen/katholischen orientalischen Kirchen sind also voll und ganz gleichberechtigte Glieder der einen katholischen Kirche. Sie stehen keine Stufe unter lateinischen Katholikinnen und Katholiken. Sie stehen mit diesen exakt auf ein und derselben Stufe. Gerade Generalvikare und Bischöfe, wie auch Diakone, Priester und Laienfunktionäre in der lateinischen Kirche sollten es als ihre Aufgabe beherzigen, dies immer wieder deutlich zu machen.
Gedanken zur Woche 116, Dr. Matthias Martin
DREIFALTIGKEITSSONNTAG (2022)
Der Glaube an die ALLERHEILIGSTE DFREIFALTIGKEIT von GOTT VATER, GOTT SOHN und GOTT HEILIGEM GEIST ist das Zentrum christlichen Glaubens, eint irgendwie die allermeisten all jener Kirchen, Konfessionen und Gruppierungen, welche sich wie auch immer „christlich“ nennen. Umso wichtiger ist es für Katholiken und Katholikinnen, wenn eigens ein (Hoch-)Fest von der ALLERHEILIGSTEN DREIFALTIGKEIT gefeiert wird. Dieses Hochfest/Fest I. Klasse gibt es tatsächlich. Es ist dazu sehr erfreulich, dass es nicht nur in der katholischen Kirche gefeiert wird, sondern auch in anderen konfessionellen Gemeinschaften und Konfessionsfamilien westlicher Tradition, gerade dann, wenn diese eine gewisse liturgische Überlieferung und Ordnung pflegen. Besonders im Amerikanischen werden solche Gemeinschaften gerne „Liturgical Churches“ genannt bzw. bezeichnen sich selber so. Mitunter stellen Angehörige verschiedener Kirchen bzw. Konfessionsfamilien auch eigens heraus, dass man nicht nur eben im Glauben an die ALLERHEILIGSTE DREIFALTIGKEIT vereint ist, sondern auch das (Hoch-)Fest von der ALLERHEILIGENSTEN DREIFALTIGKEIT, den DREIFALTIGKEITSSONNTAG, gemeinsam hat. Klarerweise verdient es der DREIFALTIGKEITSSONNTAG, wieder stärker ins Bewusstsein gerückt zu werden. Er sollte nicht einfach von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern „abgehakt“ werden, und von Gläubigen nur als etwas betrachtet, das es halt auch so im liturgischen Jahr gibt. Der DREIFALTIGKEITSSONNTAG steht eben für die Mitte des christlichen Glaubens, bezeichnet die Grundlage des ganzen Christseins auch und gerade über konfessionelle Spaltungen hinweg. Das Verbindende des Glaubens an die ALLERHEILIGSTE DREIFALTIGKEIT wurde auch dahingehend durch das Lehramt der römisch-katholischen Kirche betont, dass dieses Lehramt schon seit ganz frühen Tagen der theologisch-konfessionellen Überlieferung betonte, dass auch die auf dem Namen der ALLERHEILIGSTEN DREIFALTIGKEIT mit Wasser in der richtigen Absicht in anderen Kirchen bzw. konfessionellen Gemeinschaften gespendeten Taufen gültig sind (siehe Gedanken zur Woche 13, 44, 77-b und 94). Schließlich heißt es auch in der berühmten Stelle am Ende des Matthäusevangeliums, dass die Menschen zu taufen sind „(Mt 28,19). . . auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Gerade Kirchen oder konfessionelle Gemeinschaften westlicher Tradition sind dieser Anerkennung der in einer anderen als der eigenen Gemeinschaft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes gespendeten Taufen gefolgt. Dies war schon in der Reformationszeit bei all den damals zutage tretenden Feindseligkeiten zwischen den Hauptzweigen der sich oft auseinander entwickelnden mehr oder minder westlichen Christenheit unbestritten. Diese Anerkennung der außerhalb der sichtbaren Gemeinschaft der römisch-katholischen Kirche gespendeten Taufen wurde dann eigens noch einmal durch das Konzil von Trient (1545-1563) betont (siehe Gedanken zur Woche 77-b und 94). Dies verdient ebenso wie das Hochfest vom DREIFALTIGKEITSSONNTAG, das Fest I. Klasse von der ALLERHEILIGSTEN DREIFALTIGKEIT immer wieder ins Gedächtnis gerufen und Menschen nahgebracht zu werden.
Der Glaube an die ALLERHEILIGSTE DREIFALTIGKEIT, an den DREIEINIGEN GOTT, mit der Göttlichkeit Christi ist Voraussetzung für die Aufnahme einer konfessionellen Gemeinschaft in den auf Weltebene tätigen Ökumenischen Rat der Kirchen, abgekürzt ÖRK (https://www.heiligenlexikon.de/Glossar/Oekumenischer_Rat_Kirchen.html ; https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96kumenischer_Rat_der_Kirchen#Nichtmitglieder und https://www.oikoumene.org/de/node/6243).
Das Hochfest vom DREIFALTIGKEITSSONNTAG, das Fest I. Klasse von der ALLERHEILIGESTEN DREIFALTIGKEIT bezeichnet also umso mehr die Mitte, das Zentrum christlicher Existenz, mag dies nun stärker oder schwächer oder manchem gar nicht bewusst sein.
Dazu passt sehr gut, dass der DREIFALTIGKEITSSONNTAG eben in mehr als einer Konfession ziemlich in der Mitte des Jahres gefeiert wird.
In der frühen Zeit des Christentums wurde gerade um die Frage gerungen, wie die Verehrung eines einzigen Gottes, die Grundposition des Monotheismus, mit der herausragenden und dann bei christlichen Strömungen irgendwie schon als göttlich angesehenen Stellung Jesu von Nazarets, auch genannt Jesus Christus, und mit der Existenz des Heiligen Geistes zu vereinbaren sei. Gibt es nur einen Gott in einer göttlichen Person, der in drei verschiedenen Weisen, unter verschiedenen Titeln oder Namen wirkte, wie dies im gerne Sabellianismus genannten Modalismus vertreten wurde und wiederbelebt mit Beginn des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Gemeinschaften wieder vertreten wird? Gibt es vielleicht zwei göttliche Personen, Gott Vater und Gott Sohn mit dem Heiligen Geist gleichzeitig als einer Wirkweise des Göttlichen? Wurde Jesus erst nachträglich zu einer göttlichen Position erhoben, indem er vom Vatergott in diesem Sinne gewissermaßen adoptiert wurde? Hatten bzw. haben damit die Vertreter des Adoptianismus Recht, unabhängig von Einzelheiten in der Ausdrucksweise und des Grades konfessioneller Organisierung? Oder gab es eine Existenz der zweiten göttlichen Person schon vor der sogenannten Menschwerdung, wenn auch erst einige Zeit nachdem Gott Vater schon existierte? Gibt es passend dazu vielleicht drei göttliche Wesen, in einer Unterordnungsfolge beginnend mit Gott Vater an der höchsten Stelle, gefolgt vom göttlichen Sohn und schließlich dem Heiligen Geist, was die grundsätzliche Position des Suborditianismus mit all seinen Varianten und Schattierungen ist? In einer abgeschwächten Form von Suborditianismus wurde auch die Meinung vertreten, dass zwar Gott Vater und Gott Sohn wesensgleich seien und auf einer Ebene stünden, dass aber die Position des Heiligen Geistes nicht auf derselben Ebene, sondern darunter zu finden sei.
Immerhin kam es im frühen Christentum sehr wahrscheinlich nicht zu einer ausdrücklich tritheistischen Gemeinschaft. Vielmehr haben es Christinnen und Christen immer wieder energisch von sich gewiesen, drei verschiedene Götter zu verehren, unabhängig von der eigenen Konfessionszugehörigkeit und dergleichen. Der Tritheismus wie ein Ditheismus mit Gott Vater und Gott Sohn als jeweils eigenständigen Gottheiten hätte offenkundig den Abschied vom sonst so sehr betonten Monotheismus bedeutet. Was einzelne Menschen, die sich als Christinnen und Christen verstanden, gedacht und im Herzen gefühlt, auf ihre Weise empfunden haben, lässt sich natürlich nicht feststellen. Dazu wurde im Laufe der Kirchengeschichte manchem Vertreter des Geisteslebens bzw. der Theologie das Vertreten von Tritheismus vorgeworfen. Auch hier sollte man also mit Verallgemeinerungen vorsichtig sein.
Es kam ja doch bezeichnenderweise in etwa in Spätantike - Frühmittelalter zur Bildung der Bewegung oder Gemeinschaft der Kollyridianer. Diese Richtung, auch genannt Philomarianiten, verehrte Maria, die Mutter Jesu, als Gottheit und führte wohl in diesem Sinne gottesdienstliche Feiern durch. Sehr wichtig für diese Entwicklung dürfte der Einfluss von außerhalb des Christentums und Judentums mit bekanntlich verschiedenen Muttergottheiten und anderen Göttinnen gewesen sein. Dass es insbesondere in Randbereichen einer Religion und damit auch des Christentums zu synkretistischen Entwicklungen kommen kann, sieht man in der Religionsgeschichte immer wieder. In neuester Zeit seit in etwa dem II. Vatikanischen Konzil wurde mitunter Maria in Splittergruppen, welche sich mehr oder minder von der römisch-katholischen Kirche trennten, als präexistentes Wesen oder gar ausdrücklich als Vierte Göttliche Person anerkannt. Dies konnte offensichtlich bis zur Anerkennung des Ehemanns Mariens, des Heiligen Josefs als Fünfter Göttlicher Person gehen.
So ist es gerade heute sehr wichtig, die Lehre von der ALLERHEILIGSTEN DREIFALTIGKEIT unter Verzicht auf Polemik und Verzerrungen darzustellen und eben auch das Hochfest vom DREIFALTIGKEITSSONNTAG würdig zu begehen und Menschen dafür anzusprechen.
1. Lesung: Spr 8,22-31
2. Lesung: Röm 5,1-5
Evangelium: Joh 16,12-15
Gedanken zur Woche 116-b, Dr. Matthias Martin
11. WOCHE IM JAHRESKREIS einschließlich HOCHFEST DES LEIBES UND BLUTES CHRISTI/FRONLEICHNAM (2022)
Gleich nach dem so wichtigen Hochfest/Fest I. Klasse des DREIFALTIGKEITSSONNTAGS/von der ALLERHEILIGSTEN DREIFALTIGKEIT folgt insbesondere für Katholikinnen und Katholiken ein anderes sehr wichtiges Hochfest, das von FRONLEICHNAM, anders gesagt, das HOCHFEST DES LEIBES BLUTES CHRISTI. Es ist ein gutes Zeichen, dass dieses Hochfest/Fest I. Klasse auch vergleichbar im Anglikanismus gefeiert wird. Ganz besonders wird auch in Hinblick auf FRONLEICHNAM die Gemeinsamkeit mit der römisch-katholischen Kirche bei den Anglo-Katholiken innerhalb dessen, was irgendwie als Anglikanismus oder Anglikanertum bezeichnet wird, in Ehren gehalten. Im Bereich der mit den offiziellen Anglikanern der Lambeth-Konferenz wenn auch nicht mit den zahlreichen „anglikanischen“ Abspaltungen in voller Kirchengemeinschaft befindlichen Altkatholiken der Utrechter Union hängt es von der örtlichen Gemeinde ab, wie FRONLEICHNAM begangen wird. Es kann in einer altkatholischen Pfarrgemeinde der Utrechter Union sogar eine Fronleichnamsprozession stattfinden. In anderen Pfarrgemeinden der Altkatholiken der Utrechter Union ist dies nicht so, auch wenn man öfters FRONLEICHNAM feiert als „Festtag der Eucharistie“ bzw. „Danktag der Eucharistie“ oder „Danktag für die Eucharistie“ (siehe z. B. https://www.alt-katholisch.de/wp-content/uploads/2020/04/gemeindebrief0707-02.pdf; https://www.alt-katholisch.de/unsere-gemeinden/gemeinde-saarbruecken-startseite/termine/ und https://www.wilhelmshaven-alt-katholisch.de/mein-glaube/gedanken-zu/juni-feste-fronleichnam/). Gerade in Hinblick auf FRONLEICHNAM gibt es einen Pluralismus innerhalb des im Sinne der staatlichen Anerkennungen gerade in der Bundesrepublik, Österreich, der Schweiz (Confoederatio Helvetica) und den Niederlanden offiziellen altkatholischen Kirchenwesen. Wenn man sich für Einzelheiten interessiert, empfiehlt sich eine Kontaktaufnahme mit den jeweiligen altkatholischen Kirchenvertreterinnen, Kirchenvertretern und Einrichtungen. Auch hier gilt: „Es ist besser, man redet miteinander als übereinander“.
Dabei ist auch zu bedenken, dass es im Laufe der Zeit zur Entstehung verschiedener Gemeinschaften bis Splittergrüppchen kam, die sich mehr oder minder intensiv „altkatholisch“ nannten bzw. nennen, aber meist unabhängig voneinander wirkten bzw. wirken. Auch bei sich irgendwie „altkatholisch“ nennenden Gemeinschaften kann es deutliche Unterschiede in Glaubens- und Sittenlehre geben. Die Mitgliedskirchen der Utrechter Union vertreten (https://www.utrechter-union.org/) Positionen, welche gerne als „liberal“ oder „fortschrittlich“ bezeichnet werden, etwa in der Frage der Priester- und Bischofsweihe von Frauen. Solche Positionen werden in der Union von Scranton abgelehnt, die sich nicht zuletzt deswegen von der altkatholischen Union von Utrecht abgespalten hat. Hinzukommen zahlreiche weitere Gruppierungen, welche jeweils beanspruchen, in der Apostolischen Sukzession zu stehen, und damit gültig geweihte Geistliche zu haben. Die Union von Scranton (https://nordischkatholisch.de/profil-geschichte/) steht in einer doch einigermaßen weitgehenden, wenn auch nicht vollständigen, sakramentalen Gemeinschaft mit der römisch-katholischen Kirche (siehe hierzu Oregon Catholic Press/OCP (Hg.), Today´s missal 76/4. Portland 2009. Innenseite der Buchvorderseite und https://www.usccb.org/committees/ecumenical-interreligious-affairs/joint-declaration-unity) zurzeit mit Papst Franziskus als ihrem sichtbaren Oberhaupt auf Erden.
Seitens der Utrechter Union wurde wiederholt Interesse bekundet, von der römisch-katholischen Kirche auch offiziell einen solchen Status zuerkannt zu bekommen. Dies ist aber bisher noch nicht geschehen. Dies war sogar seinerzeit ein Thema im Prüfungsfach Kirchenrecht bei meinem Rigorosum für das Doktorat in katholischer Theologie an der Universität Würzburg.
Keine Frage und kein inhaltliches Diskussionsthema ist demgegenüber die volle sakramentale Gemeinschaft zwischen den Mitgliedern einschließlich Geistlichen der verschiedenen Einzelkirchen innerhalb der (römisch-)katholischen (Welt-)Kirche mit ihren unterschiedlichen liturgischen, kirchenrechtlichen und spirituellen Traditionen und Hintergründen. Dies gilt gleichermaßen für die Gläubigen westlicher Tradition, welche die Heilige Messe in dem seit Ende der sechziger Jahre üblichen Ritus, sei es in einer gängigen Landessprache oder in Latein, im Tridentinischen oder in einem anderen anerkannten Ritus feiern, wie etwa dem Westgotischen Ritus (zum Westgotischen Ritus siehe auch Gedanken zur Woche 106-b), wie auch für all die Angehörigen der Katholischen Ostkirchen, oft genannt die Unierten Kirchen/unierten Kirchen. Dies sind innerhalb der katholischen Weltkirche in voller Einheit mit dem Papst Kirchen eigenen Rechts, also Kirchen „sui iuris“. Sie stimmen in der Glaubens- und Sittenlehre völlig mit den anderen Gliedern der katholischen Kirche unter und mit dem Papst überein.
Hierbei gibt es unierte Kirchen des byzantinischen Ritus. Die größte von diesen ist die Ukrainisch-Katholische Kirche. Ihre Mitglieder werden manchmal etwa katholisch-unierte Ukrainer oder kürzer unierte Ukrainer genannt. Wenn eine (Teil-)Kirche des byzantinischen Ritus oder eine ihrer Diözesen oder Klöster mitunter irgendwie als „griechisch“ bezeichnet wird, so hat dies in allermeisten Fällen gar nichts mit einer ethnischen oder staatsrechtlichen Beziehung zu Griechenland oder einem angenommenen griechischen Volk zu tun. Dabei ist sowieso auch in Hinblick auf griechische Staatlichkeit, Volkstum und so fort vor Geschichtsklitterungen und Mythenbildungen zu warnen (in Hinblick auf Spanien und Italien warnend etwa ganz kurz Gedanken zur Woche 106-b und 107-b).
Dann gibt es innerhalb der katholischen Kirche (Teil-)Kirchen des alexandrinischen Ritus und eigens die Armenisch-Katholische Kirche mit dem armenischen Ritus. Ebenso gibt es die Kirchen des ostsyrischen Ritus, der auch chaldäischer Ritus genannt wird. Nicht zuletzt gibt es die Kirchen des westsyrischen Ritus, auch genannt der antiochenische Ritus. Zu diesem bemerkenswerten Zweig, wohlgemerkt innerhalb der einen katholischen Kirche, gehört die Maronitische Kirche mit ihrem Zentrum in der Nation des Libanon. Nach dem libanesischen Nationalpakt aus dem Jahre 1943 und der geltenden Staatsverfassung hat der Präsident des Libanon jeweils ein Maronit zu sein, und damit ein Angehöriger dieser Kirche eigenen Rechts innerhalb der weltweiten katholischen Kirche!
Im Laufe der Jahrhunderte haben Päpste wiederholt die unverzichtbare Bedeutung der verschiedenen Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirche und namentlich auch ihrer liturgischen Traditionen betont. Dies taten etwa Papst Benedikt XIV. (1740-1758), Leo XIII. (1878-1903) und Johannes Paul II. (1978-2005). Auf dem I. Vatikanischen Konzil (1869-1870) waren die Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen und ihre gewünschte Stärkung einer der großen Themenbereiche. Bekanntlich musste dieses Konzil wegen des italienischen Überfalls auf die noch unbesetzten Gebiete des Kirchenstaates abgebrochen werden. Immerhin nahm in seinen Beschlüssen das II. Vatikanische Konzil (1962-1965) eine umfassende Würdigung dieser Kirchen innerhalb der katholischen Weltgemeinschaft vor. 1990 erschien für die Katholischen Ostkirchen/Unierten Kirchen der CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM/KODEX DER ORIENTALISCHEN KIRCHEN, abgekürzt CCEO. Dieses nun parallel zu dem in westlichen Ländern bekannteren CODEX IURIS CANONICI/CODEX DES KANONISCHEN RECHTS, abgekürzt CIC. Dieser CIC gilt lediglich für die, wenn auch zahlenmäßig in der katholischen Weltkirche dominierende, lateinische Kirche. So heißt es gleich ganz zu Beginn des CIC:
„Can. 1 - Die Canones dieses Codex betreffen allein die lateinische Kirche.“
Umso mehr mögen in Liebe und Freude vereint nicht zuletzt die Angehörigen der verschiedenen liturgischen Überlieferungen und (Teil-)Kirchen innerhalb der katholischen Weltkirche das Hochfest
miteinander feiern.
Gedanken zur Woche 115, Dr. Matthias Martin
HOCHFEST von PFINGSTEN (2022)
Wenn wir das Hochfest, das Fest I. Klasse von PFINGSTEN begehen, so feiern wir gewissermaßen gleich in mehr als einer Hinsicht etwas ganz Wichtiges, ist PFINGSTEN doch zum einen das Hochfest des HEILIGEN GEISTES, wird sehr oft gesehen als Geburtsstunde der Kirche und markiert schließlich den Beginn der bewussten Missionstätigkeit, welche bekanntlich das Christentum zur Weltreligion machte (siehe auch Gedanken zur Woche 61), samt des immer wieder erkennbaren kulturellen oder inhaltlichen Einflusses auf andere religiöse und philosophische Überlieferungen bei all den fließenden Übergängen, die es im weltanschaulichen Bereich wie im alltäglichen gesellschaftlichen Leben immer wieder gibt.
Dabei stammt selbstverständlich das Christentum selber aus dem Judentum. Alle Apostel, Maria, die Mutter Jesu von Nazarets, und die das Wirken Jesu unterstützenden Frauen wie das, was immer wieder im Neuen/Zweiten Testament als weiterer Kreis etwa von 72 Jüngern (siehe hierzu insbesondere Lk 10,1-20) irgendwie in Erscheinung tritt, waren Juden und Jüdinnen. Jesus von Nazaret selber war Jude oder wie es theologisch oft genannt wird, seiner menschlichen Natur nach ein Jude. Auch gab es bereits ein jüdisches Pfingstfest, wie in dem berühmten Pfingstbericht der Apostelgeschichte anklingt. Dass es ein jüdisches Pfingstfest bereits gab, wird ausdrücklich angesprochen im KOMPENDIUM DER CHRISTLICHEN LEHRE des heiligen Papstes Pius X. (Ausgabe Wien 1981, Seite 296-297):
„93. War Pfingsten nicht auch ein Fest des Alten Bundes?
Pfingsten war auch ein sehr feierliches Fest bei den Hebräern und war das Vorbild des Festes, das von den Christen gefeiert wird.
94. Wozu ist das Pfingstfest der Hebräer eingesetzt worden?
Das Pfingstfest der Hebräer wurde zum Gedächtnis des Gesetzes eingeführt, das ihnen von Gott auf dem Berge Sinai unter Blitz und Donner gegeben und auf zwei steinerne Tafeln geschrieben worden war, fünfzig Tage nach dem ersten Osterfest, das heißt nach ihrer Befreiung aus der Knechtschaft des Pharao.
95. Auf welche Weise wurde im Pfingstgeschehen der Christen erfüllt, was in jenem der Hebräer vorgebildet worden war?
Was im Pfingstgeschehen der Hebräer vorgebildet worden war, wurde im Pfingstgeschehen der Christen dadurch erfüllt, daß der Heilige Geist auf die Apostel und die anderen Jünger Jesu Christi, die mit der allerseligsten Jungfrau Maria an einem Ort beisammen waren, herabkam und durch seine göttliche Liebe das neue Gesetz einprägte“.
Man vergegenwärtige sich hierbei, dass eben die hier erwähnten Apostel, Maria und die anderen Jünger jüdischer Herkunft waren! Die hier natürlich nur äußerst kurze Erwähnung des jüdischen Gesetzes mag das Interesse an diesem wieder fördern, gerade unter Menschen, die sich als Christinnen und Christen verstehen. Dabei verdient auch die Diskussion um das aufmerksame Beachtung, was die „mündliche Thora“ genannt wird. Schließlich betonte Jesus von Nazaret gerade in der Bergpredigt, wie sie im Matthäusevangelium überliefert wird, dass er nicht gekommen sei, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben, sondern um sie zu erfüllen (siehe Gedanken zur Woche 27, 61 und knapper 71). Auch in der Emmausgeschichte, die Eingang in die bildlichen Darstellungen am neugotischen Hochaltar von Sankt Nikolaus in Stein an der Donau fand, wird in diese Richtung gewiesen (siehe Gedanken zur Woche 56-b und 81 sowie allgemeiner Gedanken zur Woche 71).
Verdient die bildende Kunst bei allen mitunter kontroversiellen Diskussionen gerade zu Einzelfragen grundsätzlich Beachtung und Förderung, so gilt dies auch für die Musik, Gesang wie Instrumentalmusik. Dies gilt gerade innerhalb des religiösen Lebens, im kirchlichen Bereich. Eine eigene Herausforderung stellt da das Verhältnis von religiöser Musik und dem Pfingstfest dar. Es gibt auch zu diesem Hochfest ein ganz beachtliches musikalisches Erbe. Allerdings sind etwa Lieder zu diesem Hochfest wohl nicht in so weiten Bereichen der Menschheit populär geworden, wie dies bei einigen Weihnachts- und Osterliedern der Fall wurde. Auch sonst erfreuen sich ja gerade Weihnachten und Ostern einer überragenden Stellung in der Volkskultur. Da ist es umso wertvoller, dass in diesem Jahre 2022 der Kirchenchor der Pfarrgemeinde zum Heiligen Nikolaus in Stein an der Donau für das Hochfest von Pfingsten besondere musikalische Akzente in Angriff genommen hat. Dies macht auf eigene Weise wieder einmal deutlich, wie ganz wichtig die Pflege des musikalischen und eben auch kirchenmusikalischen Erbes ist, und dass Menschen die sich für die Pflege der Kirchenmusik einsetzen, eigens Dank und Wertschätzung verdienen. Da ist es eine Ermutigung, wie etwa in der Gegend von Krems dem Musiker und auch Komponisten Prof. Ernst Schandl durch die Benennung von Straßen (siehe z. B. https://www.strassen-in-oesterreich.at/181559608-prof-ernst-schandl-strasse-in-furth-bei-goettweig.html ; https://www.geo-explorer.at/?id=road_33159 ; https://www.strassen-in-oesterreich.at/414232799-ernst-schandl-strasse-in-mautern-an-der-donau.html und https://www.geo-explorer.at/?id=road_139739) sowie des Platzes bzw. Parks bei der heutigen „Danube Private University/DPU“ für Medizin und Zahnmedizin geehrt wurde (siehe z. B. https://www.geodruid.com/intl/en/place/348590-professor-ernst-schandl-park-erholungsgebiet-krems-an-der-donau-osterreich und https://www.kartogiraffe.de/%C3%B6sterreich/nieder%C3%B6sterreich/krems+an+der+donau/gemeinde+krems+an+der+donau/prof.-ernst-schandl-park/). Nicht zuletzt auch in den Reihen des Weltbundes für Freundschaft, Kunst und Humor, Schlaraffia, wurde dem Schöpfer so bedeutender (kirchen-)musikalischer Werke Ernst Schandl längst Ehre erwiesen (https://www.ernstschandl.at/auszeichnungen.html).
Kirchenmusik ist ja aus dem kirchlichen Leben nicht wegzudenken.
Natürlich soll auch das Bewusstsein in Hinblick auf die Glaubensbekenntnisse gerade zum Hochfest von PFINGSTEN wieder wachgerufen werden, welche den Glauben an die Allerheiligste Dreifaltigkeit ausdrücken, so das große Glaubensbekenntnis von Nicäa und Konstantinopel, das Nicäno-Konstantinopolitanum, und das sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis, welches gerne gerade in Kirchengemeinden des deutschen Sprachraumes gebetet wird. Zu diesen Glaubensbekenntnissen gibt es ja auch ganz bemerkenswerte Vertonungen, so etwa von Wolfgang Amadeus Mozart im Rahmen von Messkompositionen in Hinblick auf das Große Glaubensbekenntnis/Nicäno-Konstantinopolitanum.
Das Betrachten und Durchdenken solcher Glaubensbekenntnisse mögen helfen, Missverständnisse auszuräumen bzw. zu vermeiden. So geht es eben im Christentum nicht darum, eine Lehre von drei verschiedenen Göttern zu verbreiten, genannt Tritheismus. Auch in Hinblick auf den Modalismus oder eben Sabellianismus sollte Missverständnissen entgegengearbeitet werden (siehe ganz knapp Gedanken zur Woche 114).
1. Lesung: Apg 2,1-11
2. Lesung: 1 Kor 12,3b-7.12-13 oder Röm 8,8-17
Evangelium: Joh 20,19-23 oder Joh 14,15-16.23b-26
Gedanken zur Woche 115-b, Dr. Matthias Martin
PFINGSTMONTAG und 10. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Die Tatsache, dass PFINGSTMONTAG in zahlreichen Ländern ein gesetzlicher Feiertag ist (siehe allgemein Gedanken zur Woche 12), unterstreicht die besondere Bedeutung des Hochfestes/Festes I. Klasse von PFINGSTEN. So ist der Pfingstmontag weiterhin in den beiden Bundesstaaten der BRD mit sechzehn (https://www.ferienwiki.de/feiertage/pfingstmontag und Österreich mit neun (https://www.feiertage-oesterreich.at/pfingstmontag/) Bundesländern ein gesetzlicher Feiertag. In der ja lateinisch Confoederatio Helvetica genannten und damit als Staatenbund und nicht als Bundesstaat bezeichneten Schweiz hängt der genaue Status des Pfingstmontags vom jeweiligen Kanton und manchmal auch von der örtlichen Gemeinde ab. Es macht ja einen Staatenbund aus, dass Entscheidungskompetenzen nicht so sehr bei einer Bundesmacht liegen, sondern bei den Mitgliedsstaaten, also einer bildhaft gesprochen unterhalb der Bundesebene angesiedelten Ebene. Dies zeigt sich in der Confoederatio Helvetica generell im Staatskirchenrecht, auch genannt (öffentliches) Religionsrecht einschließlich dem Abschluss von Konkordaten durch die verschiedenen Kantone (siehe z. B. https://docplayer.org/36576719-Bistumskonkordat-mit-dem-heiligen-stuhl.html und https://bundesblatt.weblaw.ch/?method=dump&bbl_id=6692&format=pdf) samt dem alltäglichen Miteinander bis Gegeneinander von dem, was manchmal Kirche und Staat genannt wird (https://www.kath.ch/skz/skz-2003/leit/le36.htm). Da ist es in der betreffenden Angelegenheit umso bemerkenswerter, dass der Pfingstmontag in der Schweiz meist immer noch ein Feiertag oder zumindest ein Tag mit Arbeitsruhe ist. Eigens ist der Pfingstmontag im Großherzogtum Luxemburg (https://www.schulferien.org/luxemburg/feiertage/pfingstmontag/ und https://onlinekalender.info/feiertage/luxemburg/pfingstmontag), in Elsass-Lothringen (https://www.frankreich-info.de/reisen/elsass/feiertage-elsass https://www.feiertage-weltweit.com/country/France-Alsace-Moselle_296.htm) und im Fürstentum Liechtenstein (https://tourismus.li/unser-land/ueber-liechtenstein/feiertage-in-liechtenstein/) ein gesetzlicher Feiertag. Diese Regelung gilt auch für Südtirol und für das Königreich Belgien (https://feiertag.info/info/feiertage/pfingstmontag/#ist-der-pfingstmontag-ein-feiertag) mit Deutsch als einer seiner offiziellen Sprachen.
Ansonsten ist Pfingstmontag weit über den engeren Bereich des deutschen Sprachraums hinaus immer wieder als gesetzlicher Feiertag anerkannt, bis hin zu einem weitgehend eigenständigen Territorium wie den Britischen Jungferninseln (https://onlinekalender.info/feiertage/britische-jungferninseln#months).
Natürlich ist Pfingstmontag als gesetzlicher Feiertag nicht nur eine rein religiöse Angelegenheit. So ein gesetzlicher Feiertag ist immer auch ein sozialer Besitzstand und so etwas wie eine kulturelle Größe. An ihm können sich die Menschen vom Arbeitsstress erholen, Verwandte und Freunde treffen und etwa kulturelle Inhalte gepflegt werden. So verwundert es ganz und gar nicht, dass auch nicht konfessionell festgelegte Einrichtungen wie (Einheits-)Gewerkschaften und Arbeits-/Arbeiterkammer sich immer wieder energisch einsetzen für die Erhaltung eines solchen gesetzlichen Feiertages. Bei der Verteidigung bzw. Verankerung eines Feiertages wie des Pfingstmontages können Menschen über beruflich-soziale, konfessionelle wie parteipolitische Grenzen hinweg zusammenarbeiten und tun dies ja auch immer wieder.
Auf der anderen Seite weist uns ein Feiertag wie der Pfingstmontag über die Grenzen eines einzelnen Landes und etwa eines Kontinents wie Europa hinaus. Dies gilt nicht zuletzt für die Feiertage von Pfingstsonntag und Pfingstmontag. So steht PFINGSTEN ja ganz generell für den Aufbruch hin zu grenzüberschreitender Mission und der Entstehung von so etwas wie Weltkirche. Der Pfingstbericht in Apg 2,1-13/1-42. Die dort aufgezählten Länder, Regionen und Völker erstrecken sich über die heute Afrika, Asien und Europa genannten Kontinente und damit auf überhaupt jene Kontinente, von denen damals rund ums Mittelmeer zumindest Teile schon bekannt waren. Über Jahrhunderte kamen dann nach und nach weitere Regionen, Länder, ja Kontinente in den Blick. So wurde mit Papst Franziskus erstmals ein Papst gewählt, der in Südamerika geboren worden war. Als dies geschah, ging man davon aus, dass die vier Länder mit jeweils am meisten dort lebenden Katholiken alle nicht mehr in Europa samt anderen Gebieten rund um das Mittelmeer beheimatet waren: Brasilien, Mexiko, die Philippinen und die USA!
Erst dieser Tage hat Papst Franziskus mit der Ankündigung der Ernennung von 21 neuen Kardinälen erneut einen weltkirchlichen Akzent gesetzt. So galt es als besondere Überraschung, dass erstmals ein Geistlicher aus Ost-Timor/Timor-Leste und der Mongolei ins Kardinalat berufen wurden. Auch sonst zeigten die Berufungen ein stark weltkirchliches Profil. Auch Nationen wie die Republiken von Singapur und Südkorea fanden eigens Berücksichtigung, während die Gesamtheit der Berufungen in das Kardinalskollegium dieses Mal gerade (pro-)britischen und (pro-)portugiesischen Kolonial-Nostalgikern und ihren jeweiligen Handlangern übel aufstoßen muss (https://www.domradio.de/artikel/kurzportraits-der-neuen-kardinaele). Dabei liegt die Berufung von Menschen aus betreffenden Ländern ganz auf einer Linie mit der bewährten Unterstützung des Vatikans für Unabhängigkeitsbewegungen gegen Systeme wie die inzwischen weitgehend verschwundenen Kolonialreiche von Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Belgien, Spanien, Portugal, die einstige Sowjetunion und das ebenfalls zerfallene Jugoslawien und die einstige Tschechoslowakei. Auch zum Abschluss von Konkordaten und anderen Verträgen mit dergestalt nach dem Zweiten Weltkrieg unabhängig gewordenen Staaten war man seitens des Vatikans sehr gerne bereit (siehe Gedanken zur Woche 95-b und 108). Auch hatte sich der Heilige Stuhl schon vor dem Ersten Weltkrieg gegenüber einem Staat wie Montenegro freundlich verhalten (siehe Gedanken zur Woche 37). Nach und nach konnten schon vor dem Ersten Weltkrieg auch offizielle Beziehungen mit den Staaten Lateinamerikas entwickelt werden, die ihre Unabhängigkeit von Spanien und Portugal hatten erkämpfen müssen. Im Falle der Nation von Haiti war dies der besonders früh schon erfolgreiche Freiheitskampf gegen die Kolonialmacht Frankreich. Die Quertreibereien bis hin zu offenen Erpressungsaktionen der betreffenden (einstigen) Kolonialmächte und ihrer europäischen Verbündeten konnten dies im Falle Lateinamerikas auf Dauer nicht verhindern, auch wenn über lange Zeit viel Schaden angerichtet wurde. Dies gilt auch für die Staatenwelt der Karibik mit ihren je eigenen Entwicklungen und Gegebenheiten.
So weist zurecht das Hochfest von PFINGSTEN über Grenzen hinweg in die weite Welt hinaus, es weist insbesondere in die Richtung von dem, was man gerne Weltkirche nennt.
Gedanken zur Woche 114, Dr. Matthias Martin
7. SONNTAG DER OSTERZEIT (2022)
In ihrer Gesamtheit sind die sogenannten Abschiedsreden im Johannesevangelium sowohl in inhaltlicher wie eher formal-sprachlicher Hinsicht sehr beachtenswert. Dies gilt auch für die letzten Verse dieses Textabschnitts. Besteht dieser Abschluss aus dem Hohepriesterlichen Gebet Jesu, so stellt das Sonntagsevangelium vom Siebten Sonntag der Osterzeit im Lesejahr C nach der jetzt bei uns üblichen Leseordnung überhaupt die letzten Verse dieses Hohepriesterlichen Gebetes und damit der Gesamtheit der Abschiedsreden im Johannesevangelium dar. Im Anschluss daran folgen Verhaftung, Verurteilung, Folterung und Kreuzigung Jesu von Nazarets. Die damit zu Ende gehenden Abschiedsreden besitzen sehr große Bedeutung für die Entwicklung der christlichen Theologie. Natürlich gilt auch hier, dass allein schon in ein und denselben Bibelvers ganz Unterschiedliches bis direkt Entgegengesetztes hineingelesen bzw. herausinterpretiert wurde und wird. Dabei muss man sich im Fall des Falles überhaupt erst einmal einigen, ob denn ein betreffendes Buch, eine betreffende Schrift bzw. ein betreffender Teil davon überhaupt als Teil der Bibel anzuerkennen ist. Dann kommt noch im Regelfall die Frage hinzu, welche Übersetzung denn anzuerkennen und zu verwenden sei. Nicht umsonst gibt es ja nach ernstzunehmenden Berechnungen oder Schätzungen rund 41.000 bis 47.000 verschiedene konfessionelle Gemeinschaften in dem, was das Christentum genannt wird.
Dazu setzt sich u.a. der Spaltungsprozess der im Deutschen Evangelisch-Methodistischen Kirche genannten Gemeinschaft, im Amerikanischen als United Methodist Church bezeichneten kirchlichen Gemeinschaft fort (siehe im Rückblick Gedanken zur Woche 77-b). Dabei handelt es sich hierbei keine kleine konfessionelle Gruppierung, sondern um die größte der im Amerikanischen so genannten Mainline Protestant Churches, kurz Mainline Churches, mit ihrer bisher noch enormen Bedeutung im gesellschaftlichen Leben und nicht zuletzt im Bildungsbereich. Bei dieser Spaltung stellt sich nicht zuletzt die Frage nach Konsequenzen im Bereich des Staatskirchenrechts/(Öffentlichen) Religionsrechts in Ländern wie Österreich, in denen auf Grundlage spezifischer Regelungen eine betreffende staatliche Anerkennung mit ernstzunehmenden Auswirkungen etwa in Hinblick auf konfessionellen Religionsunterricht ausgesprochen und bisher aufrecht erhalten wurde. Sehr schwer hat es auch die Südlichen Baptisten, im Amerikanischen Southern Baptist Convention genannt, bei denen sich um die größte protestantische Gemeinschaft überhaupt in den USA handelt, erwischt. Der jüngst veröffentlichte Bericht über sexuellen Missbrauch und dessen großangelegte Vertuschung wird wohl zu weiteren schweren Mitgliederverlusten führen und stellt die bisherige Bedeutung dieser Gemeinschaft in Frage. Nicht zuletzt sind weitere Abspaltungen denkbar.
Dies steht in einem drastischen Spannungsverhältnis, ja Kontrast, zum Gebet Jesu von Nazarets für die Einheit unter seinen Jüngern, wie es an der betreffenden Stelle des Hohepriesterlichen Gebetes überliefert wird. Gerade die Frage nach dem Verhältnis von Jesus von Nazaret zu Gott Vater, auf das wir im Hohepriesterlichen Gebet eindringlich hingewiesen werden, war unter sich irgendwie als Christen verstehenden Menschen schon in ganz früher Zeit umstritten. Nicht zu trennen davon war und ist die Frage danach, um was für ein Wesen es sich bei Jesus von Nazaret handelt. Ist er etwa ein Gott oder nur ein Mensch oder eine Persönlichkeit zwischen einer vollen Gottheit und einem „normalen“ Menschen. Ist er vielleicht so etwas wie eine rangniedrigere Gottheit als Gott Vater und in diesem Sinne ein Zweiter Gott? Sind in ihm göttliche und menschliche Wesenselemente vereinigt? Wenn dies der Fall sein sollte, fragt sich, wie man dieses verstehen und ausdrücken soll. Hat ein göttliches Wesen in der Jesus von Nazaret genannten Gestalt vielleicht nur zum Schein eine menschliche und überhaupt eine materielle Gestalt angenommen. Im weiteren Sinne stellt sich die Frage nach dem, was von Christen inzwischen meist (Allerheiligste) Dreifaltigkeit genannt wird. Dabei ist in den Abschiedsreden des Johannesevangeliums auch vom Kommen des Geistes die Rede. So heißt es nach der neuen Ausgabe der sogenannten Einheitsübersetzung „(14,26) Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“. Etwas später heißt es wiederum innerhalb der Abschiedsreden: „(16,13) Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird reden, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird. (14) Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden. (15) Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden“.
Auch diese Verse wurden in der Geschichte ganz unterschiedlich ausgelegt und werden es noch heute. Hat etwa der Heilige Geist exklusiv durch einen Konfessions- bis Religionsgründer gesprochen oder in ihm gewissermaßen Wohnung genommen? Steht der Heilige Geist wesensmäßig unter Gott dem Vater und vielleicht auch unter Gott Sohn? Oder ist er ganz gleichen Wesens und damit wesensgleich? Bei der Spaltungsfreudigkeit im Christentum wie in anderen religiösen Überlieferungen überraschen solche Auseinandersetzungen umso weniger.
Während meines Geschichtsstudiums an der Universität in Innsbruck betonte eine unserer Professorinnen mehr als einmal, dass es schwerwiegende Auseinandersetzungen über die Ausrichtung des Christentums schon in neutestamentlicher Zeit gab. Nach menschlichem Ermessen wäre nicht klar gewesen, welche Richtung sich durchsetze. Wir können auch sagen, dass das Christentum nie ein Herz und eine Seele war (siehe Gedanken zur Woche 82). Solche Einheit hat es wohl nur auf örtlicher Ebene gegeben und eben nicht in der gesamten Christenheit.
Rasch standen sich so radikal unterschiedliche Positionen gegenüber wie die Meinung, Jesus sei als besonders verdienstvoller Mensch nur von Gott Vater adoptiert worden und die, dass es nur eine einzige göttliche Person gäbe, die auf verschiedene Weisen, lateinisch Modi, wirke. Zwischen ersterer Position, genannt Adoptianismus, und der zweiten Position, genannt Modalismus und manchmal auch nach dem frühchristlichen Theologen Sabellius Sabellianismus, gab es dann weitere unterschiedliche Strömungen. Mitunter wurde Menschen, die sowohl die Göttlichkeit des Vaters wie des Sohnes/Jesu Christi, verteidigten, vorgeworfen, sie seien Ditheisten. Mit ihrem angeblichen Ditheismus lehrten sie angeblich zwei grundsätzlich voneinander unterschiedliche Götter, auch wenn diese im guten Sinne zusammenwirkten. Anfang des vierten Jahrhunderts standen sich insbesondere der aus dem heute ägyptischen Alexandrien kommende Arius und die gewissermaßen frühkatholische Kirche gegenüber. Auch hier gab es nochmals unterschiedliche Aufspaltungen. So waren namentlich Arianer nicht gleich Arianer.
Später ereigneten sich zeitweise Spaltungen gerade in Zusammenhang mit der Frage, inwieweit in Jesus Christus eine göttliche und eine menschliche Natur vorhanden seien und wie sie sich gegebenenfalls zueinander verhielten.
Erneut brachen Auseinandersetzungen um die Lehre von der Allerheiligsten Dreifaltigkeit mit der sogenannten Reformation im 16. Jahrhundert aus. Vom christlichen Altertum her Interessierten bekannte und völlig entgegengesetzte Positionen fanden nach und nach wieder Anhänger. Solche einander völlig entgegengesetzte Glaubensgemeinschaften werden auch heute oft zusammenfassend als „Protestanten“ bezeichnet, was Missverständnisse fördert.
1. Lesung: Apg 7,55-60
2. Lesung: Offb 21,12-14.16-17.20
Evangelium: Joh 17,20-26
Gedanken zur Woche 114-b, Dr. Matthias Martin
7. OSTERWOCHE (2022)
Frühchristliche Märtyrer haben auch in unserer Zeit ihre besondere Aussagekraft, besitzen einen nicht zu leugnenden Zeugnischarakter. Sie machen natürlich deutlich, dass sich die Kirche nicht willfährig zeigen soll gegenüber den Mächtigen dieser Welt. Die Kirche, alle ihre getauften und gefirmten Glieder, und da nicht zuletzt eben auch die offiziellen Amtsträger oder wie man sie immer nennen will, sollen bereit sein, sich auch politischen Machthabern zu widersetzen. Anpasserei, es sich richten wollen im Sinne von „Eine Hand wäscht die andere“ ist eine Versuchung, die gerade in unseren Tagen auch in Kirchenkreisen sehr mächtig ist. Dies ist wohl auch ein Grund, warum der Römische Messkanon, auch genannt I. Hochgebet, im offiziellen kirchlichen Apparat oft so gerne zurückgedrängt, ja ausdrücklich schlecht geredet wird. Dabei stellt er für sich allein schon ein bemerkenswertes Stück des kulturellen Erbes der Menschheit dar. Der Römische Messkanon ist integraler Bestandteil der Tridentinischen Liturgie. Deren starke Position in der Überlieferungsgeschichte, ganz allgemein gesprochen in der Geschichte, wird schon etwas deutlich, wenn man sich die verschiedenen Bezeichnungen vergegenwärtigt, die für diese Form der Heiligen Messe auch verwendet werden. So wird sie ja eigens die Messe Johannes XXIII, die Messe des heiligen Pius V. oder kürzer Messe Pius V., die Messe Gregors des Großen oder die Messe des heiligen Damasus I, kurz Messe Damasus I. genannt. Auch Bezeichnungen wie Messe Don Camillos und Messe Ralph Raoul de Bricassarts können jemandem begegnen (siehe Gedanken zur Woche 82-b und bezüglicher früherer Päpste knapper Gedanken zur Woche 77-b und noch knapper 80-b).
In dem nicht mehr mit den beiden klassischen Darstellern von Don Camillo und Peppone, Fernand Joseph Désiré Constandin, kurz Fernandel, und Gino Cervi, fertiggestellten Film „Don Camillo e i giovani d’oggi“, zu Deutsch „Don Camillo und die Jugend von heute“, auch genannt „Don Camillo und das rothaarige Mädchen“ steht Don Camillo als der von seinem Gewissen getrieben Kämpfer für diese Liturgie dar. Leider ist diese Verfilmung gerade im deutschen Sprach- und Kulturraum ziemlich unbekannt geblieben. Dabei muss man nicht katholisch, ja nicht einmal irgendwie christlich sein, um die kulturelle Bedeutung der Tridentinischen Messe, der Messe Johannes XXIII. schätzen zu wissen. Davon legen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner jener Petition Zeugnis ab, welche zu dem nach der wohl bekanntesten Mitunterzeichnerin benannten Agatha-Christie-Indult geführt hat. Bei dieser Petition vereinigten sich ganz unterschiedliche, herausragende Persönlichkeiten, um für diesen Teil gemeinsamen Menschheitserbes einzutreten. Auf Interesse und Wertschätzung für diese Form liturgischer Überlieferung kann man auch heutzutage bei Menschen etwa aus unterschiedlichen Konfessionen stoßen.
Nun, wenn man sich die Heiligen, die im Römischen Messkanon namentlich aufgeführt werden, vor und nach der Wandlung ansieht und sich mit ihnen etwas beschäftig, so fällt auf, dass diese mit der Ausnahme von Maria und Joseph jeweils als Märtyrerinnen und Märtyrer gestorben sind, wobei beim Apostel Johannes verschiedene Einzelüberlieferungen vorliegen (siehe Gedanken zur Woche 110-b). Es gab im frühen Christentum interessanterweise auch die Überlieferung, wonach auch Maria, die Mutter Jesu, das Martyrium erlitten habe. Auf jedem Fall war dem Römischen Reich und seinen Handlangern alles Mögliche an Brutalität zuzutrauen.
So heißt es in der ungekürzten Fassung vor der Wandlung:
„In Gemeinschaft mit der ganzen Kirche
gedenken wir deiner Heiligen.
Wir ehren vor allem Maria,
die glorreiche, allzeit jungfräuliche Mutter
unseres Herrn und Gottes Jesus Christus.
Wir ehren ihren Bräutigam, den heiligen Josef,
deine heiligen Apostel und Märtyrer:
Petrus und Paulus, Andreas,
Jakobus, Johannes, Thomas, Jakobus,
Philippus, Bartholomäus, Matthäus,
Simon und Thaddäus,
Linus, Kletus, Klemens, Xystus, Kornelius,
Cyprianus, Laurentius, Chrysogonus,
Johannes und Paulus, Kosmas und Damianus
und alle deine Heiligen“.
Nach der Wandlung wird in der ungekürzten Fassung des Römischen Messkanon gebetet:
„Auch uns, deinen sündigen Dienern,
die auf deine reiche Barmherzigkeit hoffen,
gib Anteil und Gemeinschaft
mit deinen heiligen Aposteln und Märtyrern:
Johannes, Stephanus, Matthias, Barnabas,
Ignatius, Alexander, Marzellinus, Petrus,
Felizitas, Perpetua, Agatha, Luzia,
Agnes, Cäcilia, Anastasia,
und mit allen deinen Heiligen;
wäge nicht unser Verdienst,
sondern schenke gnädig Verzeihung
und gib uns mit ihnen das Erbe des Himmels“.
Es ist hier ausdrücklich der hohe Frauenanteil zu beachten, der im Zweiten zitierten Teil des Römischen Messkanons zu finden ist. Als Folge der kirchlichen Veränderungen seit den sechziger Jahren, namentlich im Bereich der Liturgie, ist dieser weitestgehend aus der liturgischen Übung und damit dementsprechend in Vergessenheit geraten (siehe Gedanken zur Woche 12-b).
Dabei stellen diese Auflistungen eine dauernde Mahnung dar, sich nicht dem Geist dieser Welt anzugleichen, als Kirchenglieder nicht zu Handlangern von Täterregimen zu werden. Als solches mag der Römische Messkanon und seine Überlieferungsgeschichte ein eigener Ansporn insbesondere zu kirchen- wie allgemeingeschichtlichen wie auch sprachwissenschaftlichen Studien sein. Bekennermut und die Pflege von Wissen, die Hochschätzung von Wissenschaft sollen sich nicht ausschließen, sondern mögen sich gegenseitig befruchten.
Gedanken zur Woche 113, Dr. Matthias Martin
6. SONNTAG DER OSTERZEIT (2022)
Wie wenig Christsein, die Nachfolge Jesu, einfach eine Angelegenheit erbaulicher Worte und süßlicher Gefühle ist, wird nicht zuletzt in den Abschiedsreden deutlich, welche im Johannesevangelium überliefert werden. Und wenn von „Liebe“, von jemanden lieben gesprochen wird, wird umso mehr deutlich, dass Liebe eben nicht nur ein Wort ist, sondern, dass es bei wahrer Liebe eben gerade auch um Taten geht (siehe Gedanken zur Woche 92). So vernehmen wir in der Überlieferung, wie sie uns das Johannesevangelium in Hinblick auf die Abschiedsreden beim Letzten Abendmahl bietet, die selbstbewusst-fordernden Worte als Aussage Jesu von Nazarets:
„(14,23). . . Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten. . . (24) Wer mich nicht liebt, hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat“.
So geht es in der Nachfolge Jesu tatsächlich um das möglichste Tun guter Werke und das Vermeiden böser Taten. Eine knapp gefasste Richtschnur finden wir dazu bereits von den Fünf Büchern Mose, dem Pentateuch, der Thora/Tora her in den Zehn Geboten. Symbolisch sind diese anhand von zwei sich überkreuzenden Gesetzestafeln auf der neugotischen Kanzel in der Pfarrkirche zum Heiligen Nikolaus in Stein dargestellt. Auch auf einer gerne verwendeten Altardecke in dieser Pfarrkirche findet sich eine ähnliche symbolische Darstellung der Zehn Gebote. Dabei wird deutlich, dass es eben um gute Worte wie Taten geht und konsequenterweise um die Vermeidung böser Worte wie Taten. Worte können ja viel Gutes bewirken, aufbauen und ermutigen. Sie können auf der anderen Seite auch viel Schaden anrichten. Sie können verletzen, wehtun, ja töten. Auch dazu bietet uns wieder einmal gerade der neutestamentliche Jakobusbrief ganz bemerkenswerte Ausführungen:
„(3,2) Denn wir alle verfehlen uns in vielen Dingen. Wer sich in seinen Worten nicht verfehlt, ist ein vollkommener Mann und kann auch seinen Körper völlig im Zaum halten. (3) Wenn wir den Pferden den Zaum anlegen, damit sie uns gehorchen, lenken wir damit das ganze Tier. (4) Siehe, auch die Schiffe: Sie sind groß und werden von starken Winden getrieben und doch lenkt sie der Steuermann mit einem sehr kleinen Steuer, wohin er will. (5) So ist auch die Zunge nur ein kleines Körperglied und rühmt sich großer Dinge. Und siehe, wie klein kann ein Feuer sein, das einen großen Wald in Brand steckt. (6) Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. Die Zunge ist es, die den ganzen Menschen verdirbt und das Rad des Lebens in Brand setzt; sie selbst aber wird von der Hölle in Brand gesetzt. (7) Denn jede Art von Tieren, auf dem Land und in der Luft, was am Boden kriecht und was im Meer schwimmt, lässt sich zähmen und ist vom Menschen auch gezähmt worden; (8) doch die Zunge kann kein Mensch zähmen, dieses ruchlose Übe, voll von tödlichem Gift“.
Sich vor unbedachten oder gar destruktiven Worten hüten, und sich um eine gute Beherrschung des eigenen Körpers bemühen, geht, wie dieser Jakobusbrief andeutet, in dieselbe Richtung. Dies sieht man gerade beim leidigen Thema des Alkoholkonsums, über das Angetrunkensein bis hin zu richtiggehender Alkoholabhängigkeit (siehe Gedanken zur Woche 102, 105, 105-b und 106-b). Schon vor Jahren vernahm ich selbst im Bankenbereich ethische Bedenken, überhaupt in Firmen zu investieren, welche alkoholische Getränke produzieren. Zurecht, so wurde mir versichert, gäbe es Vorbehalte, von solchen Firmen auch nur Aktien zu kaufen. Verbreiteter ist wohl schon die Ablehnung der Beteiligung an Firmen in den Bereichen Rüstung, Nikotin/Rauchen und sogenannter Erwachsenenunterhaltung. Das heißt leider nicht, dass man sich immer im kirchlichen Bereich, etwa bei Kirchenbanken da an hehre ethisch-moralische Grundsätze hielte, die man gerne selber im Munde führt und gar so gerne Menschen und gewissermaßen außerkirchlichen Institutionen aufbürdet bzw. aufzubürden versucht (siehe dazu Gedanken zur Woche 52 und z. B. https://www.spiegel.de/spiegel/a-717173.html und https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2009-08/14584017-vatikan-bank-investiert-in-aktien-von-ruestungskonzernen-und-verhuetungsmittel-herstellern-009.htm).
Dabei sollten ja gerade kirchliche Einrichtungen mit einem guten Beispiel vorangehen und nicht anderen Menschen und Einrichtungen einen regelrechten Überrigorismus zumuten und bei sich die Dinge ganz anderes sehen und umsetzen.
Auf jeden Fall sollen sich alle Christinnen und Christen um ein Leben im Sinne der Worte und des Vorbildes Jesu bemühen. In diesem Sinne sind etwa auch Formulierungen von der „unverfälschten kirchlichen Überlieferung“ und „katholischen Tradition“ zu verstehen. Umso weniger sollten man sich durch gewisse Vertreter offizieller mehr oder weniger kirchlicher Apparate vom moralisch-ethisch guten Wege abbringen lassen. Dass schon in der Urgemeinde von Jerusalem nicht alles zum Besten stand, macht ja die Apostelgeschichte deutlich. In den Paulusbriefen und in den Johannesbriefen werden die Dinge in ungeschminkter Weise angesprochen, wie das bei heutiger Verwirklichung kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu ausgeprägter Unkultur an Unterstützung von Missbrauchstätern und anderen Tätern heute oft gar nicht mehr vorstellbar ist. Die oft unbedacht aggressive bis gezielt verletzende Wortwahl von Kirchenvertretern ist ein eigenes Problemfeld unserer Tage, mit all der Doppelmoral, die uns auch dort begegnet. Ganz generell kann so ein nicht allzu langes neutestamentliches Schreiben wie der schon zitierte Jakobusbrief vor Fehlentwicklungen warnen und zu gutem Verhalten anspornen. Solches gute Verhalten kann dann einen guten Kontrast abgeben zu Doppelmoral, Selbstgefälligkeit und Heuchelei.
Bemerkenswert ist auch, was im Dritten Schlusssegen für Heilige Messen im Jahreskreis in dem derzeit bei uns üblichen Deutschen Messbuch formuliert ist:
„Der allmächtige Gott gewähre euch Segen und Heil,
er offenbare euch die Wege seiner Weisheit. (Alle/Antwort: Amen)
Er stärke euren Glauben durch sein Wort und
schenke euch die Gnade, nach seinen Geboten zu
leben, damit in allem sein Wille geschehe.
(Alle/Antwort: Amen)
Er lenke eure Schritte auf dem Weg des Friedens;
er mache euch beharrlich im Guten und vollende
euch in der Liebe. (Alle/Antwort: Amen)
Also auch hier geht es wieder darum, Gottes Geboten zu folgen und Gutes zu tun. Missbrauchstätern, Kriegsverbrechern und dergleichen behilflich zu sein, ist damit sicher nicht gemeint.
1. Lesung: Apg 15,1-2.22-29
2. Lesung: Offb 21,10-14.22-23
Evangelium: Joh 14,23-29
Gedanken zur Woche 113-b, Dr. Matthias Martin
6. OSTERWOCHE einschließlich HOCHFEST von der HIMMELFAHRT CHRISTI/CHRISTI HIMMELFAHRT (2022)
Die Bitttage vor dem Hochfest/Fest I. Klasse von Christi Himmelfahrt stellen einen wesentlichen Teil des Kirchenjahres dar. Auf ihre Weise gehören sie auch zur Volkskultur, auch wenn die Präsenz typisch christlicher Inhalte im Alltagsleben und der Volkskultur zusehends schwindet, ja weitgehend schon verschwunden ist. Die Gruppe der Konfessionslosen, auch genannt Konfessionsfreien, stellen in der Bundesrepublik Deutschland längst die größte Gruppe innerhalb der Gesamtbevölkerung dar und expandiert rapide weiter. In der Schweiz und Österreich stehen sie statistisch an zweiter Stelle und expandieren auch hier deutlich. In ein paar Jahren werden sie wohl auch in der Schweiz die größte Gruppe in der Gesamtbevölkerung bilden. Dies ist umso bemerkenswerter, da die Schweiz/Confoederatio Helvetica (CH) immerhin das Land der Züricher Reformation (Huldrych/Ulrich Zwingli) und der Genfer Reformation (Johannes Calvin) ist. Genf wird im Englischen bis Amerikanischen sogar das“ Protestant Rome“ genannt, was auf Deutsch so viel heißt wie das „Protestantische Rom“. Währenddessen stellt die jetzige Bundesrepublik Deutschland so etwas wie das Herkunftsland der Wittenberger Reformation (Martin Luther) dar. Ihrerseits sind in der Schweiz/Confoederatio Helvetica die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS), bis Ende 2019 Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund (SEK) genannt (https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027051/2021-10-18/), und in der Bundesrepublik Deutschland die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) statistisch längst auf den dritten Platz in der örtlichen Bevölkerung zurückgefallen.
Auf jeden Fall sollte man sich in katholischen Pfarrgemeinden bemühen, das eigene so vielfältige Erbe lebendig zu halten, zu pflegen und möglichst vielen Menschen nahezubringen. Dies gilt eben auch und nicht zuletzt in Hinblick auf die Bitttage und das Hochfest/Fest I. Klasse von Christi Himmelfahrt. Die Bitttage und das Hochfest/Fest I. Klasse von Christi Himmelfahrt sind nicht zuletzt eine sehr gute Gelegenheit, wieder die Kirchenmusik zu pflegen. Dies gilt sowohl für die Instrumentalmusik wie eben gerade auch für den so breiten und vielfältigen Bereich des Gesangs. Es ist sehr zu hoffen, dass in Zukunft nach den verschiedenen Lockdowns in Stein an der Donau gerade auch der Kirchengesang einschließlich dem so wichtigen Chorgesang wieder aufblüht. Schließlich ist die Pfarrgemeinde untrennbar mit dem Wirken von Professor Ernst Schandl (https://www.ernstschandl.at/biographie/lebenslauf.html) verbunden. So etwas ist Ermutigung und Verpflichtung zugleich.
Folgen wir darüber hinaus der jetzt offiziell üblichen Liturgie, so sind im Deutschen Messbuch je eigene Texte zur Auswahl angeboten für das Tagesgebet, das Gabengebet und das Schlussgebet. Es können auch liturgische Texte aus den Messen bei besonderen Anliegen/Messen und Orationen für besondere Anliegen im erwähnten Messbuch entnommen werden.
Im Direktorium der Diözese St. Pölten für 2021/2022 heißt es eigens:
„Die Tage vor dem Hochfest Christi Himmelfahrt werden als Bitttage begangen. Ihre Feier soll den unterschiedlichen örtlichen und menschlichen Gegebenheiten entsprechen“.
Hier wird eigens auch der Wettersegen erwähnt, der als Schlusssegen bei der Messe an diesen Bitttagen gebetet bzw. gespendet werden kann. Dabei stehen eigens zwei Schlussformeln beim Wettersegen zur Auswahl (siehe Gedanken zur Woche 80).
Ich habe immer wieder in der Pfarrgemeinde zum Heiligen Nikolaus in Stein an der Donau die Erfahrung gemacht, dass die Menschen erfreut auf das Beten/die Spendung des Wettersegens als Schlusssegen in der Heilige Messe reagieren. Am Leben und Arbeiten der Menschen in der Landwirtschaft einschließlich Weinbau und Forstwirtschaft Anteil zu nehmen, sollte auch für Priester eine Selbstverständlichkeit sein. Dass eine gesicherte Lebensmittelversorgung zu dazu noch erschwinglichen Preisen keine Selbstverständlichkeit ist, wurde und wird vielen Menschen derzeit gerade in Zusammenhang mit den Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine, auch genannt Kornkammer, drastisch bewusst. Der Vertrag über gegenseitige Anerkennung und umfassende Zusammenarbeit zwischen der ausdrücklich als unabhängig anerkannten Ukraine und den Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn sowie deren Verbündeten Bulgarien und dem Osmanischen Reich, umgangssprachlich einfach Türkei genannt, aus dem Jahre 1918 wird wegen der damit verbundenen Vereinbarungen bezeichnenderweise „Brotfrieden“ genannt (siehe z. B. https://de.wikisource.org/wiki/Friedensvertrag_zwischen_Deutschland,_%C3%96sterreich-Ungarn,_Bulgarien_und_der_T%C3%BCrkei_einerseits_und_der_Ukrainischen_Volksrepublik_anderseits ; https://de.wikisource.org/wiki/Deutsch-Ukrainischer_Zusatzvertrag_zu_dem_Friedensvertrage_zwischen_Deutschland,_%C3%96sterreich-Ungarn,_Bulgarien_und_der_T%C3%BCrkei_einerseits_und_der_Ukrainischen_Volksrepublik_anderseits ; https://www.faz.net/aktuell/politik/historisches-e-paper/brotfrieden-1918-deutschland-schliesst-getreideabkommen-mit-ukraine-15407494.html und http://www.newbooks-services.de/MediaFiles/Texts/7/9783428180677__003.pdf). Dabei ist zu betonen, dass die Ukraine, soweit es ihr überhaupt möglich war, sich schon damals an ihre vertraglichen Verpflichtungen gehalten hat. Umso mehr verdienen natürlich Ukrainerinnen und Ukrainer die volle Solidarität gerade seitens westlicher Staaten, nachdem sie auch von dieser Seite im Laufe der Geschichte oft sehr übel behandelt wurden.
Gleichzeitig ist überhaupt in der Landwirtschaft tätigen Menschen mit Respekt und Anerkennung zu begegnen. Leider gibt es auch hier mitunter von Kirchenvertretern Aussagen, die von respektlos bis schwer beleidigend reichen. Was sich etwa der weiterhin amtierende Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, 2017 auf der Grünen Woche in Berlin an Unterstellungen und Beschimpfungen gegen Landwirte und deren Familien leistete, hätten bei einem Politiker leicht zu seiner politischen „Entsorgung“ und damit Rücktritt führen können. Zurecht wurde ihm von empörten Menschen gerade aus der Landwirtschaft sein eigener sehr privilegierter Status vorgehalten, wegen dem er nicht wie in der Landwirtschaft für das Gemeinwohl tätige Familien auf einzelne Euros schauen muss (https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/erzbischof-wirft-bauern-sklaventum-und-brutale-gewalt-vor-9608140.html und https://www.zeit.de/2017/06/tierhaltung-schweine-heiner-koch-bauern-kritik/seite-2). Nicht zuletzt, da seitens der bundesdeutschen Bischofskonferenz wie der in Berlin angesiedelten Nuntiatur jede Reaktion gegen Erzbischof Koch unterblieb, sondern sich dieser weiterhin seines sehr privilegierten Lebenswandels erfreuen durfte und darf, musste man sich nicht wundern, dass auch im ländlichen Bereich die Entfremdung von der Kirche weiter voranschreitet. Auch in Hinblick auf den ländlichen Raum und die in der Landwirtschaft tätigen Menschen können sich Kirchenvertreter eben zu Recht nicht alles leisten. Mancher Pfarrer war schon überrascht, dass in einem Dorf ihm die Menschen nicht so einfach als gehorsame „Schäfchen“ zu folgen bereit sind.
Gedanken zur Woche 112, Dr. Matthias Martin
5. SONNTAG DER OSTERZEIT (2022)
Dass die Liebe ganz zentral für das Christentum ist, wird immer wieder klar, wenn man sich die Bibel und die unverfälschte kirchliche Überlieferung ansieht.
Dies ist auch der Fall, wenn wir der Erzählung vom Letzten Abendmahl folgen, wie sie im Johannesevangelium geboten wird. Da heißt es, dass dies ein neues Gebot für die Jünger sei, dass sie einander lieben, und dass die Jünger Jesu daran erkannt werden sollten, dass sie einander lieben.
Ganz so neu ist aber das, was gerne Liebesgebot genannt wird, nicht, wenn wir die Bibel aus Altem/Ersten und Neuem/Zweiten Testament insgesamt in den Blick nehmen. Immerhin antwortet ja Jesus, was überhaupt vom Gesetz das wichtigste sei, mit dem eine Kombination von Aussagen aus den Büchern Deuteronomium und Levitikus darstellenden doppelten Liebesgebot. Dieser ganz massive Rückbezug auf die Fünf Bücher Mose vorne im Alten/Ersten Testament findet sich in allen drei synoptischen Evangelien (siehe Gedanken zur Woche 66, 71, 81 und 84). Man sollte bedenken, dass sich in diesen Fünf Büchern Mose, eben auch genannt Thora oder Pentateuch, Ansätze für soziale Regelungen samt Arbeitnehmerrechten finden (siehe Gedanken zur Woche 58, 59, 75 und 79).
Das Tun guter Werke und gerade der Einsatz für die Notleidenden, die sozial Schwachen, wird bereits im Alten/Ersten Testament immer wieder angesprochen. Ja, schon weit vorne enthält eben dieses Alte/Erste Testament regelrecht sozialen oder politischen Sprengstoff. Bezeichnenderweise wurde in Bibelausgaben, welche nordamerikanische Sklavenhalter an ihre zumindest mutmaßlich des Lesens mächtigen Sklaven verteilten, damit diese durch eine manipulierte Bibellektüre ruhiggestellt würden, das Buch Exodus ausgelassen. Da geht es um die Unterdrückung und Versklavung der Israeliten durch den Pharao, also die altägyptische Monarchie, und ihren anschließenden Aufbruch in die Freiheit. Dieses Buch aus der Thora ist eine ganz frühe Ermutigung für die Unterdrückten und zugleich heftige Kritik an einer traditionellen Großmacht, wenn nicht gar Supermacht ihrer Zeit! Mose tritt in den Büchern der Thora nicht nur als religiöser Verkünder sowie Übermittler von einem religiösen „Gesetz“ auf, sondern auch als Anführer, ein Bannerträger einer Rebellion. Beim Bundesschluss am Sinai gibt es keinen Kaiser, König oder Adel (siehe allgemein Gedanken zur Woche 65-b und 87)! Auf dieser Linie liegen nach dem Pentateuch, den Fünf Büchern Mose, immer wieder Schriften des Alten/Ersten und des Neuen/Zweiten Testaments. Dabei wird deutlich, dass man gute Werke tun und besonders den Armen und anderweitig Bedürftigen helfen soll. Denken wir da nur im Neuen/Zweiten Testament an das drastische Gleichnis vom Jüngsten Gericht (Mt 25,31-46) (siehe Gedanken zur Woche 78-b), das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) und gesellschaftspolitisch besonders brisant an den Jakobusbrief. Im Alten/Zweiten Testament mögen nach den Büchern Mose besonders gerade das Buch der Richter und das Buch Amos ins Auge springen (siehe allgemein Gedanken zur 79).
Von römischer Seite wurde der jüdisch-christlichen Gesamttradition vorgeworfen, grundsätzlich gegen die Monarchie, ja revolutionär, zu sein. Dabei war der gewissermaßen erste Christenverfolger, Herodes, welcher dem neugeborenen Jesuskind nach dem Leben trachtete und auch sonst für seine Brutalität bekannt war, ein König gewesen, wie auch jener Angehörige seiner mit dem imperialen Rom kollaborierenden Dynastie, welcher Johannes den Täufer hinrichten ließ. Biblischer Überlieferung zufolge war es mit Herodes Agrippa wieder ein Mitglied dieser Dynastie, der den Apostel Jakobus, Sohn des Zebedäus, hinrichten ließ (Apg 12,1-2).
Statt sich Gewaltherrschern anzudienen, mögen Christen Nächstenliebe verwirklichen. Passend zu den angeschnittenen Aussagen im Johannesevangelium heißt es im Ersten Johannesbrief:
„(2,8) Wiederum schreibe ich euch ein neues Gebot, was wahr ist in ihm und in euch, weil die Finsternis vergeht und das wahre Licht schon leuchtet. (9) Wer sagt, er sei im Licht, aber seinen Bruder hasst, ist noch in der Finsternis. (10) Wer seinen Bruder liebt, bleibt im Licht und in ihm gibt es keinen Anstoß. (11) Wer aber seinen Bruder hasst, ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wohin er geht; denn die Finsternis hat seine Augen blind gemacht . . .
(4,7) Geliebte, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. (8) Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe. . . . (11) Geliebte, wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben. (12) Niemand hat Gott je geschaut; wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollendet“.
Blicken wir in die sog. Paulusbriefe, so finden wir etwa im Ersten Korintherbrief mit dem Hohelied der Liebe (insbesondere 13,13) die Aussage, dass die Liebe gar größer als Glaube und Hoffnung sei (siehe Gedanken zur Woche 59, 77, 89-b, 104). In diese Richtung weist uns auch der Kolosserbrief (siehe dort gerade 3,14 und Gedanken zur Woche 59).
Unter den zwölf Früchten des Heiligen Geistes steht in Anlehnung gerade an den Galaterbrief nach katholischer Überlieferung die Liebe an erster Stelle!
Nun ist Liebe nicht nur ein Wort. Liebe bewährt sich im täglichen Leben und gerade im Tun guter Werke. Nicht umsonst wurde das lateinische Wort für Liebe Caritas als Namen für das auf örtlicher wie überörtlicher Ebene wirkende Hilfswesen gewählt.
In jüngster Zeit hat sich die Caritas wie andere katholische Einrichtungen stark für ukrainische Opfer der neuerlichen russischen Aggression gegen ihr Heimatland eingesetzt. In diesem Sinne engagierten sich auch Pfarrgemeinden, Klöster, katholische Studentenverbindungen und deren Dachverbände, so auch unserer Pfarrgemeinde zum Heiligen Nikolaus in Stein an der Donau. Nicht zuletzt engagierte sich mit Columbusrittern, den Knights of Columbus, jene katholische Organisation, die mit rund zwei Millionen Mitgliedern über Kontinente hinweg tätig ist (https://www.kofc.org/en//index.html und https://www.kofc.org/en/what-we-do/charity/ukraine.html). Nicht eingeschüchtert durch die üblichen Bedenkenträger und russische Einschüchterungsversuche haben die Columbusritter schon vor Jahren begonnen, direkt in der Ukraine tätig zu sein und örtliche Strukturen aufzubauen (https://www.rkc.lviv.ua/category_2.php?cat_2=62&lang=4 und https://thedialog.org/featured/knights-of-columbus-councils-in-ukraine-poland-short-on-experience-long-on-service-to-people/).
Hilfe für Kriegsopfer, Flüchtlinge und Vertriebene ist natürlich ganz generell ein Anliegen für die katholische Kirche. Ein Dauerthema für den Heiligen Stuhl ist beispielsweise seit dem Ersten Arabisch-israelischen Krieg, auch genannt der Israelische Unabhängigkeitskrieg, die Unterstützung des Hilfswerks der Vereinten Nationen für die palästinensischen Flüchtlinge. Schon vorher hatte die katholische Kirche sich auch eingesetzt für deutsche Flüchtlinge und Vertriebene. Dabei ist zu bedenken, dass systematische Vertreibungen nicht erst mit dem Zweiten Weltkrieg durchgeführt wurden. Die französischen Vertreibungsmaßnahmen in Elsass-Lothringen, welche auch Ordensleute, Priester und Bischöfe betrafen, werden mitunter als die ersten systematischen ethnischen Säuberungen des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Werden diese heute massiv verdrängt, so stellten solche Untaten für den vermeintlich so guten Katholiken und nachmaligen französische Spitzenpolitiker Robert Schumann offensichtlich ebenso wenig ein Problem dar, wie die französischen Massaker an örtlicher Bevölkerung von Afrika bis Ostasien während seiner politischen Spitzenzeit. Gibt es im Eintreten für Opfer von Unterdrückung und Krieg viel Gutes, was Katholiken und katholische Institutionen getan haben und noch tun, so gibt es eben auch dunkle bis sehr dunkle Punkte in diesem Bereich.
Umso mehr sollte sich jede einzelne und einzelner in unserer Zeit bemühen, Gutes zu tun.
1. Lesung: Apg 14,21-27
2. Lesung: Offb 21,1-5a
Evangelium: Joh 13,31-33a.34-35
Gedanken zur Woche 112-b, Dr. Matthias Martin
5. OSTERWOCHE (2022)
In mehr als einer Hinsicht ist gerade der Heilige Johannes Nepomuk zum einen eine dauernde Mahnung und zum anderen ein anfeuerndes Vorbild.
Er hat seinen bleibenden Eindruck in der Volksfrömmigkeit wie in der bildendenden Kunst gerade des mehrheitlich deutschsprachigen Mitteleuropas hinterlassen. Dies lässt sich auch auf lokaler Ebene in der Pfarrkirche zum Heiligen Nikolaus in Stein und deren Umgebung erkennen, wenn man mit etwas offenen Sinnen die Dinge betrachtet (siehe Gedanken zur Woche 9-b und 44). Gerade solche künstlerischen Darstellungen besitzen ihre Bedeutung in einer Zeit des Massentourismus. Gemälde, Statuen und dergleichen bis hin zu einem ganzen Denkmalensemble sind ja nicht an eine bestimmte Sprache gebunden. Solche Kunstwerke stellen vielmehr die verschiedene Sprachen umgreifenden Verwirklichungen nonverbaler Kommunikation dar. Zusätzlich dazu gesprochene und geschriebene Worte können dies dann noch etwas abrunden und gewinnen ihrerseits vom jeweiligen Kunstwerk her eine Aussagekraft. So waren immer wieder gerade US-amerikanische Touristinnen und Touristen vom Johannes Nepomuk-Seitenalter mit dem Gemälde des Kremser Schmidt/Kremserschmidt angetan. Gerade eine auf Besuch weilende Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Kirche Amerikas, abgekürzt im Amerikanischen ELCA (https://www.ekd.de/Evangelisch-Lutherischen-Kirche-in-Amerika-13643.htm und https://www.oikoumene.org/de/member-churches/evangelical-lutheran-church-in-america), war direkt begeistert. Die Theologin wusste über den Heiligen Johannes Nepomuk wohl mehr als so mancher römisch-katholische Geistliche, einschließlich in der hiesigen Region. Meine amerikanische Kollegin betonte vor allem die Bedeutung des Heiligen Johannes Nepomuk als Märtyrer des Beichtgeheimnisses. Niemand anderer als Martin Luther hinterließ u. a. „Eine kurze Vermahnung zu der Beicht“ (https://www.glaubensstimme.de/doku.php?id=autoren:l:luther:e:eine_kurze_vermahnung_zu_der_beicht). In lutherischen Bekenntnisschriften wird mehrfach auf die Beichte eingegangen. Mitunter ist bei lutherischen Christinnen und Christen die Beichte durchaus noch oder schon wieder in Praxis, wie ich selber einmal ziemlich eindrücklich im Grenzgebiet der beiden nordbayerischen Regierungsbezirke Unterfranken und Oberfranken erfahren durfte.
Gerade im ostkirchlich-orthodoxen Christentum wie in den altorientalischen Kirchen wird die Bedeutung des Beichtsakramentes betont, ja auf strenge Beichtdisziplin Wert gelegt. Die Beichte begegnet nicht zuletzt auch in dem so vielfältigen und zusehends immer mehr gespaltenen Gesamtbereich des Anglikanismus.
Dies mag für Katholikinnen und Katholiken Anregung genug sein, sich selber wieder mehr mit der Beichte, dem Beichtsakrament, zu beschäftigen. Dies ist umso wichtiger, da in unseren Tagen das Beichtsakrament oft so etwas wie das „vergessene“ oder „verlorene“ Sakrament ist. Es war wiederum ein US-amerikanischer Tourist, mit dem ich mich in der Pfarrkirche von Stein darüber während seines Besuches unterhalten konnte.
Dabei kommt natürlich dem Heiligen Johannes Nepomuk gerade auch als todesmutigen Kritiker des tyrannischen Königs von Böhmen, Wenzels IV., fortdauernde Bedeutung zu. Die kommunistische Diktatur in dem vorübergehenden Staatsgebilde genannt Tschechoslowakei, abgekürzt CSSR, bekämpfte massiv das Andenken des Heiligen Johannes Nepomuk und versuchte dieses zu diskreditieren. Die konfessionelle Grenzen überschreitende Verehrung des mutigen Kirchenmannes haben sie aber nicht zerstören können. In der Zeit der kommunistischen Unterdrückung war das nach dem Heiligen Johannes Nepomuk benannte Päpstliche Kolleg in Rom ein bedeutendes Exilseminar. Der Regens Ende der achtziger Jahre versicherte mir persönlich ausdrücklich, dass dieses Haus grundsätzlich deutschsprachig sei und dementsprechend auch bundesdeutsche Gastseminaristen aufnehmen könne. Unterlagen, die er mir zusandte, waren dann auch ausnahmslos in deutscher Sprache gehalten. Vertretern einer Annäherung an die kommunistische Gewaltherrschaft und einer massiven Kollaboration mit kommunistischen Diktaturen war dieses Päpstliche Kolleg zum Heiligen Johannes Nepomuk ganz stark ein Dorn im Auge! Umgekehrt ist es nur konsequent, dass die Verehrung des Heiligen Johannes Nepomuk gerade von deutschen Heimatvertriebenen gepflegt wurde und wird.
Besitzt das Leben und Sterben des Heiligen Johannes Nepomuk einen herausragenden Zeugnischarakter, so gilt dies natürlich auch für andere Opfer unmenschlicher Gewaltherrschaft.
Dies gilt nicht zuletzt für die zahllosen Opfer der Katholikenverfolgung in Mexiko in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, von denen inzwischen einige offiziell zur Ehre der Ältere erhoben wurden. Die damaligen brutalen Vorgänge verdeutlichten, wie wenig es den Hauptsiegermächten des I. Weltkrieges Großbritannien, Frankreich, Italien, USA und Japan um so gerne beschworene Menschenrechte und dergleichen ging. Da konnte der Papst mehr als eine deutliche Enzyklika schreiben und die Kirche auch andere Protesthandlungen durchführen. Dies ließ diese Großmächte kalt oder stachelte sie höchstens noch zur Unterstützung der Täter bzw. des jeweiligen Täterreimes an. Dies geschah in krasser Weise auch bei der Auseinandersetzung des Heiligen Stuhls mit dem faschistischen Mussolini-Regime in Italien (siehe Gedanken zur Woche 60-b und 80-b). Am ehesten waren die USA in den zwanziger Jahren unter republikanischer Führung noch bereit, mäßigend auf das mexikanische Regime einzuwirken, ohne dafür sich ernsthaft zu engagieren.
Dabei hatten sich einige Katholiken ihrerseits zu nützlichen Idioten der Aggressoren gemacht, als im Jahre 1861 unter Kaiser Napoleon III. Frankreich im Zusammenwirken mit Großbritannien und Spanien unter fadenscheinigen Vorwänden Mexiko überfiel (siehe Gedanken zur Woche 60-b). Dabei stellte dieser gemeinsame Überfall auf das sich erbittert wehrende Mexiko keinen Sonderfall dar. In jener Zeit wurde ein Staat, ein Volk nach dem anderen Opfer französischer und britischer Aggression. Dies geschah in Afrika genauso wie in Ostasien. Auch vor Gewalt gegen das damals geschwächte China schreckten London und Paris nicht zurück. Hatte Großbritannien zur Förderung des Drogenhandels schon von 1840 bis 1842 rücksichtslos den Opiumkrieg geführt (siehe allgemein Gedanken zur Woche 65-b), so überfiel es 1856 zum zweiten Mal China, dieses Mal eben gemeinsam mit Frankreich, um nun den ebenfalls so schändlichen Lorcha-Krieg zu beginnen. Die Kumpanei sog. „christlicher“ Konfessionen bzw. Vertreter mit den Aggressionsmächten schadet dem Ansehen des Christentums in wichtigen Teilen der Welt bis heute. Man denke nur schlagwortartig an „Anglikanisches Staatskirchentum“ mit der jeweiligen britischen Monarchin und damit obersten britischen Kriegsherrin als offiziellem Kirchenoberhaupt!
Auch das angeblich so „katholische“ Spanien nutzte damals wieder gerne Gelegenheiten, über andere Länder herzufallen, wenn es nicht durch interne Auseinandersetzungen bis hin zu Bürgerkriegen daran gehindert wurde.
Starben die Opfer von Katholikenverfolgung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Mexiko durchaus nicht als Handlanger solcher imperialistischen Mächte, sondern eher als deren Opfer, so muss das Vorantreiben des Seligsprechungsverfahrens für einen Einpeitscher des französischen Imperialismus wie Robert Schumann umso befremdlicher bis empörender erscheinen. Kirchenkritikern bis hin zu erklärten Gegnern des Christentums wird mit so etwas doch eine offenkundige Steilvorlage geliefert. Misstrauen gegen das Christentum bis hin zu offener Feindseligkeit wird durch solche sehr umstrittenen Akte nur gefördert. Sollte man da nicht zumindest das Seligsprechungsverfahren einstellten, wie es inzwischen beim Gründer der internationalen Schönstattbewegung, Josef Kentenich, geschehen ist?!
Gedanken zur Woche 111, Dr. Matthias Martin
4. SONNTAG DER OSTERZEIT (2022)
Wenn für ein Anliegen wie die Priesterausbildung in der Diözese die offizielle Sammlung in den Pfarrgemeinden stattfindet, so geht es hier um mehr, als bloß Geldmittel für einen bestimmten Zwecke zu erzielen.
Mit so einer Aktion wird zugleich das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Priesterausbildung und damit überhaupt für das Anliegen, geeignete Menschen für das Priesteramt vorzubereiten und zur Priesterweihe hinzuführen, gefördert. Vergleichbar verhielt es sich mit anderen Unterstützungsaktionen, welche wir in letzter Zeit in der Pfarrgemeinde zum Heiligen Nikolaus in Stein an der Donau durchgeführt haben. Immer wieder wurde damit ganz generell auf ein wichtiges Anliegen, ja auf eine Grundsatzthematik von besonderer Bedeutung hingewiesen. Da war etwa das Fastensuppenessen in diesem Jahr, das erfreulicherweise wieder recht ungehindert auch in der hiesigen Pfarrgemeinde durchgeführt werden konnte. Ehrenamtliche Mitarbeiter, gerade Mitarbeiterinnen, stellten sich wieder spontan zur Verfügung. So konnte ein beachtlicher Geldbetrag für das Anliegen auf Nachhaltigkeit angelegter internationaler Hilfe erwirtschaftet werden. Zugleich wurde hiesigen Menschen auf eigene Weise deutlich, dass Christsein politische wie ethnische Grenzen überschreitet. Es wurde herausgestellt, was es heißt, als Katholikinnen und Katholiken Weltkirche zu sein. Kirchesein verwirklicht sich eben auch in praktischem Hilfseinsatz für die Menschen in anderen Weltgegenden. Damit verbunden ging einher, dass bei hiesigen Menschen das Interesse an anderen Ländern im Allgemeinen und am Wirken dortiger Katholikinnen im Besonderen gefördert wurde.
Bewusstsein, dass sich Christsein und ganz allgemein Menschlichkeit in praktischer Nächstenliebe, in der Hilfe für Mitmenschen verwirklicht, wurde auch bei anderen Aktionen gefördert und zugleich das Interesse an Menschen aus anderen Ländern wie an diesen Ländern gefördert.
Da fand im Februar 2022 im Pfarrhof die Sammlung von Hilfsgütern für Flüchtlinge statt, die von Süden kommend auf dem Staatsgebiet von Bosnien und Herzegowina gestrandet waren. Die Federführung hatte die humanitäre Initiative SOS Balkanroute inne. Unterstützung gab es von verschiedener Seite. Es arbeiteten für das gute Anliegen Menschen aus verschiedenen Teilen der Gesellschaft zusammen.
Richtiggehend überwältigend war dann die Reaktion aus der Bevölkerung auf die Sammlung wiederum im Pfarrhof für ukrainische Opfer der russischen Aggression gegen ihr Heimatland. Von Menschen, die Hilfsgüter brachten, wurde im Pfarrhof gewissermaßen die Bude eingerannt. War wiederum SOS Balkanroute sehr tätig, so brachten sich gerade auch junge Menschen aus dem parteipolitischen Bereich ein und opferten ihre Zeit, um ukrainischen Menschen zu helfen. Das von der Pfarrgemeinde hergestellte Werbeplakat für diese Ukraine-Hilfsaktion hatten gerade Geschäftsleute in Stein einschließlich Kaffee- und Gasthausbetreiber sehr gerne bei sich angebracht. Sehr aufgeschlossen reagierte man diesbezüglich auch im universitäreren-akademischen Milieu. Die überwältigende Bereitschaft überschritt deutlich parteipolitische, berufliche wie konfessionelle Grenzen. Die örtlichen Medien berichteten aufgeschlossen, und es ergaben sich viele gute Gespräche, was der mitunter widerwärtigen Stimmungsmache gegen ukrainische Kriegsopfer auf eigene Weise entgegenwirkte. Nicht zuletzt gab es gute Begegnungen zwischen Menschen mit unterschiedlichem religiösem Hintergrund einschließlich solchen, die bereits vor Jahren im Rahmen der in Österreich geltenden staatlichen Gesetzgebung ihren sogenannten Kirchenaustritt erklärt hatten. Genauso fand alsbald die Spendenaktion der überörtlichen CARITAS Anklang auch außerhalb des Bereichs der sonntäglichen Besucher der Heiligen Messe.
Gute Begegnungen ergeben sich natürlich auch, wenn ein Pfarrcafé stattfinden kann. Auch hier fand schon mancher sonst recht kirchenferne bis offiziell aus der Kirche ausgetretene Mitmensch in freundlicher Weise den Weg in den Pfarrhof. Natürlich wirkten sich die ganzen sehr ernsten Vorgänge in Zusammenhang mit der Corona-/COVID-19-Pandemie negativ aus. Umso erfreulicher aber war das erneute ehrenamtliche Engagement von Pfarrangehörigen und das Interesse von Gästen am erneuten Durchführen des Pfarrcafés, als die Einschränkungen wieder gelockert werden konnten und dessen gute Tradition eben wie so manch anderes wieder aufgenommen werden konnte.
So bleibt zu hoffen, dass auch eine Aktion wie die Sammlung für die diözesane Priesterausbildung gute Resultate zeitigt. Natürlich handelt es sich hierbei stark um ein innerkirchliches Thema, ziemlich um eine Art Insider-Thema. Dabei besitzen die Entwicklung und das Wirken von so etwa Klerus in den verschiedenen Kulturen ganz generell ihre enorme Bedeutung. Die Herausbildung von so etwas wie einem mehr oder minder profilierten Klerus ist ein Aspekt im Rahmen von Arbeitsteilung und Spezialisierung in einer Gesellschaft. So kam offensichtlich Priestern schon ganz praktisch enorme Bedeutung bei der Herausbildung und Festigung der alten ägyptischen Hochkultur zu. Besondere Bedeutung kam und kommt dem jeweiligen Priestertum auch im indischen Großkulturkreis zu. Rabbiner sind und waren besondere Kulturträger und intellektuell Tätige im Judentum. Unabhängig von theologischen Unterschieden sehen wir vergleichbares auch in anderen religiösen Überlieferungen wie der Weltreligion des Islam und dem Buddhismus. Unabhängig von dogmatischen Formulierungen und exegetischen Positionen hat sich in christlichen Konfessionen üblicherweise so etwas wie ein Klerus entwickelt, mag man es jeweils Priestertum, Pastorentum, Klerus oder wie auch immer nennen. Ich erinnere mich lebhaft, wie bei ihrem Besuch in Stein, eine lutherische Pastorin aus den USA gut amerikanisch ausdrücklich vom „Clergy“ in ihrer Denomination wie in anderen konfessionellen Gemeinschaften lutherischer Gesamttradition sprach.
Innerhalb der katholischen Kirche befassten sich gerade das Konzil von Trient und das II. Vatikanische Konzil eingehend mit dem Klerus im engeren Sinn und dem Ordenswesen/-stand (siehe Gedanken zur Woche 45 und 46). Es verdienen auch andere Konzilien hierzu Beachtung, so das II. Konzil von Nicäa (siehe allgemein Gedanken zur Woche 11-b), die Laterankonzilien und das Konzil (Basel – Ferrara -) Florenz Beachtung, sowie verschiedene Synoden.
Als solches zählt die heilige Weihe mit ihren verschiedenen Stufen, zusammen mit Taufe und Firmung zu den drei Sakramenten, welche ein Katholik, wenn überhaupt nur je einmal im Leben gültig empfängt (siehe Gedanken zur Woche 104). Verständlich, dass etwa das „Kompendium der christlichen Lehre“ des heiligen Pius X. sehr ernsthaft auf das Weihesakrament hinweist und was damit verbunden ist, thematisiert.
1. Lesung: Apg 13,14.43b-52
2. Lesung: Offb 7,9.14b-17
Evangelium: Joh 10,27-30
Gedanken zur Woche 111-b, Dr. Matthias Martin
4. OSTERWOCHE (2022)
In einer Gemeinschaft, mag es eine religiöse sein oder etwa eine politische Gruppierung, besteht immer wieder die Gefahr, dass so etwas wie ein innerer Niedergang, eine Erschlaffung oder gar Korrumpierung stattfindet.
Da können Heilige und andere herausragende Persönlichkeiten umso wertvoller als Gegen-Vorbilder sein. Sie mögen etwa aktuell lebenden Menschen den Weg weisen, sich eifrig für die authentische Umsetzung religiöser Werte, die Verwirklichung moralisch-ethischer Inhalte einzusetzen und dafür sogar persönliche Opfer zu bringen. Hinzu kommt die mögliche Bedeutung von Schriften, die Selige und Heilige immer wieder hinterlassen haben. So stehen frühchristliche Märtyrer wie der heilige Nereus, der heilige Achilleus sowie der heilige Pankratius als Opfer römischer Christenverfolgungen grundsätzlich für das treue Einstehen für die eigene Überzeugung bis hin zur Aufopferung des eigenen Lebens in der Auseinandersetzung mit einem Unrechtsregime. Wes bösen Geistes das Römische Imperium war, wird deutlich, wenn man einen auch nur kurzen Blick auf die lange Liste seiner so zahlreichen Opfer wirft wie die der Etrusker, der Samniten, der Lukaner/Lukanier, der Karthager, Germanenvölker, ganz generell die versklavten, oft sexuell missbrauchten Menschen aus einer Unzahl von Völkern (siehe Gedanken zur Woche 102-b und 106). Wes üblen Geistes das Römische Imperium, wird unterstrichen, wenn man sich verdeutlicht, dass es von kritischen Geistern neuerer Zeit als „Paradies für Perverse“ (siehe z. B. https://www.youtube.com/watch?v=mPy5AnBzkko und https://www.youtube.com/watch?v=zzkyu4SeNZM) bezeichnet wird. Nicht zuletzt sollten in diesem Zusammenhang die jüdischen und samaritanischen Opfer (siehe Gedanken zur Woche 92-b und 107) nicht vergessen werden, auch z. B. nicht die Keltiberer, die Illyrer, die Völker Galliens und Britanniens.
Ganz besonders aussagekräftig ist der Umstand, dass der faschistische Diktator Mussolini, ohne den der Menschheit mit gewisser Wahrscheinlichkeit ein Adolf Hitler erspart geblieben wäre, sich ausdrücklich auf das Römische Reich als sein Vorbild bezog (siehe u.a. Gedanken zur Woche 102-b). Dass Mussolini sich gewissermaßen harmonisch einfügt in eine brutale Geschichte von Eroberungspolitik und von sich aus wiederum Vorbild für andere Täter wurde, wird deutlich, wenn man sich die Eroberungskriege vergegenwärtigt, welche zur sog. „Italienischen Einigung“ samt der Unterdrückung der unterschiedlichen Sprachen jenseits des „Italienischen“ auf der Apenninenhalbinsel, samt Padaniens, Siziliens und Sardiniens führten, und was später folgte. Diese Eroberungspolitik war gegen den Kirchenstaat wie auch andere seit Menschengedenken international anerkannte Staaten gerichtet gewesen. Später folgte die italienische Kolonialpolitik einschließlich des Überfalls auf das unter dem Schutz des schon geschwächten Osmanischen Reiches stehenden heutigen Libyens mit seinen historischen Regionen Cyrenaica/Kyrenaika, Tripolitanien und Fessan samt Invasion in der Ägäis unter flagranter Missachtung des Völkerrechts noch vor Ausbruch des I. Weltkriegs. Ganz im Sinne von „Mancher kriegt eben nie genug“ folgt der Eintritt Italiens in den I. Weltkrieg. Der dafür grundlegende Geheimvertrag Italiens von London aus dem Jahre 1915 mit Großbritannien, Frankreich und Russland war nicht zuletzt ausdrücklich gegen den Heiligen Stuhl gerichtet.
Betrachtet man die italienische (Aggressions-)Politik seit dem 19. Jahrhundert, so wird klar, wie sehr sich Benito Mussolini in diese einfügt und alles andere als einen Ausreißer darstellt. Überfiel Italien unter Mussolini und König Viktor Emmanuel III im Jahre 1940 Griechenland, nachdem es schon 1939 Albanien annektiert hatte, so unternahm es auch alles, um Jugoslawien zerschlagen zu können. Als sich dann Anfang der neunziger Jahre das Zweite Jugoslawien auflöste, versuchte man dies italienischerseits zu Gebietsgewinnen zu nutzen. Nicht zuletzt mischte man sich unverhohlen ganz massiv im wieder unabhängig gewordenen Montenegro ein. Es sollte nicht vergessen werden, dass Italien sowohl am (jüngsten) Überfall auf den Irak wie den jüngsten auf Libyen beteiligt war. Lobenshymnen italienischer Spitzenpolitiker einschließlich des langjährigen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi auf Diktator Benito Mussolini passen in ein solch übles Bild. Weltlichen Herren in Rom galt und gilt es eben, mit starkem Misstrauen zu begegnen. Die Märtyrer einstiger römischer Christenverfolgungen können da wertvolle Vorbilder sein, wie die Abgrenzung bis Verurteilung von Päpsten insbesondere des 19. Jahrhunderts gegenüber der italienischen Nationalbewegung und die eindeutige Verurteilung des italienischen Faschismus durch den Heiligen Stuhl.
Ebenso mag der Gedenktag unserer lieben Frau von Fatima am 13. Mai aufrütteln. Die Botschaft von Fatima ist die Botschaft von Gebet, Umkehr und Buße. Auf die Erscheinungen von Fatima im Jahre 1917 geht das Fatima-Gebet zurück, welches gerne als Zusatz beim Rosenkranz gebetet wird:
„O mein Jesus, verzeih uns unsere Sünden!
Bewahre uns vor dem Feuer der Hölle!
Führe alle Seelen in den Himmel,
besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen.
Amen“.
Es ist bemerkenswert, dass die von der Kirche anerkannten Marienerscheinungen zu Fatima (siehe https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20000626_message-fatima_ge.html ; https://www.katholisch.de/artikel/522-geheimnisse-um-fatima-eine-dokumentation und http://www.intratext.com/IXT/DEU0031/_P2.HTM) in Portugal stattfanden, in dem eine scharf kirchenfeindliche Politik durchgeführt wurde. Der heilige Papst Pius X. (1903-1914) hatte seinerseits den Konflikt mit den portugiesischen Machthabern nicht gescheut, nachdem es schon in früheren Zeiten in Portugal seitens der staatlichen Macht zu kirchenfeindlichen Maßnahmen gekommen war. Gerade im 19. Jahrhundert wurden Ordensaufhebungen, die Enteignung des Kirchenvermögens bis hin zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl durchgeführt. Die kirchenfeindliche Politik im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts kam nicht ganz überraschend. Wie gegenüber der Supermacht Frankreich so war auch gegenüber Portugal mit seinem damals mit eiserner Faust zusammengehaltenen Kolonialreich der Apostolische Stuhl bereit, Dinge beim Namen zu nennen und es auf einen Konflikt ankommen zu lassen. Umso bemerkenswerter war, welche Breitenwirkung dann die Marienerscheinungen von Fatima entfalteten.
Es sollte auch nicht übersehen werden, dass in den sog. Geheimnissen von Fátima ausdrücklich von „Russland“ und nicht von einer „Sowjetunion“ oder von „Kommunismus“ als Ausgangspunkt für schwerste Bedrohungen die Rede ist. Tatsächlich hatte es schon lange vor der kommunistischen Oktoberrevolution von 1917 schwere Katholikenverfolgungen im russischen Machtbereich gegeben. Dabei waren die Katholiken nicht die einzigen Opfer brutaler russischer Politik geworden. Gerade Juden, muslimische Menschen wie auch orthodoxe Christen, welche nicht bereit waren, sich dem russischen Staatskirchensystem zu unterwerfen, sind zu nennen. Ein Nachbarland nach dem anderen zu überfallen und Verträge zu missachten ist alte russische Tradition. Da hat beispielsweise auch China noch manche Rechnung mit Russland offen. Man denke nur an die Amur-Provinz und die Küsten-Provinz. Das Kaiserreich Japan seinerseits hat nie die russische Besetzung der betreffenden Kurilen-Inseln anerkannt.
Gedanken zur Woche 110, Dr. Matthias Martin
3. SONNTAG DER OSTERZEIT (2022)
Dem Sonntag kommt nach christlicher Überlieferung eine ganz besondere Bedeutung als Wochentag zu. An ihm wird in herausragender Weise der Auferstehung des Herrn Jesus Christus gedacht und, die katholische Kirche lädt ihre Gläubigen gerade an diesem Tag zum Gottesdienst, möglichst zur Heiligen Messe, ein. Als solches stellt der Sonntag den Beginn der liturgischen Woche dar. So heißt es etwa im Römischen Messkanon, auch genannt das I. Hochgebet, wenn wir dem bei uns üblichen Deutschen Messbuch folgen, für die Feier der Heiligen Messe an Sonntagen:
„In Gemeinschaft mit der ganzen Kirche
feiern wir den ersten Tag der Woche als den Tag,
an dem Christus von den Toten erstanden ist,
und gedenken deiner Heiligen“.
Auch sonst wird in der kirchlichen Überlieferung die besondere Bedeutung des Sonntags deutlich. In den sogenannten Fünf Geboten der Kirche heißt es gleich zu Beginn:
„1. Am Sonntag und an den anderen gebotenen Feiertagen an der Messe teilnehmen und keine Arbeiten und Tätigkeiten verrichten, welche die Heiligung dieser Tage gefährden“.
Mit diesem Gebot der Kirche ist offensichtlich eine eigene Beschränkung der Arbeitszeit verbunden und damit ein gewisser Arbeitnehmerschutz. Dies gilt natürlich nur dort, wo im Rahmen von Gesetzgebung, Verträgen wie Konkordaten und Kollektiv- bzw. Tarifverträgen bis hin zu innerbetrieblichen Vereinbarungen auf kirchliche Positionen Rücksicht genommen wird.
Innerkirchlich ist die Stellung des Sonntags so stark, dass etwa im Kalenderjahr 2022 der Dritte Sonntag der Osterzeit sogar den Gedenktag bzw. das Fest des heiligen Josefs des Arbeiters verdrängt. Dies tut seinerseits der Verehrung des heiligen Josef keinen Abbruch. So wird er ja im Römischen Messkanon, dem I. Hochgebet, seit der diesbezüglichen Anordnung von Papst Johannes XXIII. namentlich genannt, gleich nach der Mutter Jesu, Maria. Gerade Papst Benedikt XVI. wünschte, dass der heilige Josef auch in das mit der sogenannten Liturgiereform Ende der Sechzigerjahre eingeführte II., III. und IV. Hochgebet eingefügt und entsprechend erwähnt werde. Papst Franziskus hat diesem Vorstoß Nachdruck verliehen. Es war ja dann auch Papst Franziskus, welcher das „Jahr des heiligen Josef“ ausrief und mit „Patris corde“ ein eigenes Schreiben über den heiligen Josef veröffentlichte. Damit folgte er seinen Vorgängern, gerade seit den Tagen des seligen Pius IX., die immer wieder gerne dem heiligen Josef besondere Ehre erwiesen und auf ihn eben auch in Form eigener päpstlicher Schreiben hinwiesen (siehe Gedanken zur Woche 53-b und 57). Der heilige Josef, jener einfache und treue Mann aus dem jüdischen Volk, nach damals geltendem menschlichen Recht Ehemann der nicht nur von der katholischen Kirche als allerseligste Jungfrau und Gottesgebärerin verehrten Maria und Nährvater Jesu von Nazarets besitzt über Zeiten, kulturelle und politische Grenzen hinweg Vorbildfunktion.
Selige und Heilige sollen ja insgesamt als Vorbilder wirken und in diesem Sinn wahrgenommen werden. Die katholische Kirche hat gerade in jüngster Zeit darauf hingewiesen. In diesem Sinne sollten nach geltendem Kirchenrecht auch Selig- und Heiligsprechungsprozesse durchgeführt werden. Dass es da auch zu zumindest sehr umstrittenen Vorfällen kommen kann, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Diese Würdigung des, selbst für die damals so argen französisch-imperialistischen Verhältnisse, Scharfmachers und Schreibtischtäters in Spitzenposition während französischer Kolonialkriege nach dem II. Weltkrieg einschließlich der durch den französischen Staat wieder einmal durchgeführten Vertreibungen in Elsass-Lothringen sowie im Saarland, Robert Schumann, wurde umgehend heftig kritisiert. Sie kann sich leicht als so etwas das Öffnen der Büchse der Pandora erweisen. Wenn man seitens kirchlicher Behörden die französischen Massaker in jener Zeit, wie die von Haiphong und Saigon wie überhaupt die mit außerordentlicher Brutalität durchgeführten Kolonialkriege in Vietnam, auf Madagaskar und dann in Algerien (siehe Gedanken zur Woche 73-b) so locker als moralisch zumindest irrelevant oder gar einem sogenannten „heroischen Tugendgrad“ entsprechend darstellt, darf man sich nicht wundern, wenn nicht zuletzt wohlmeinende Menschen verunsichert bis empört reagieren und so etwas von Kirchengegnern ausgeschlachtet wird. Tatsächlich hat die katholische Kirche im gegenwärtigen französischen Machtbereich einschließlich Elsass-Lothringen seit dem so umstrittenen Vorantreiben des Seligsprechungsprozesses für Robert Schumann keine gute Entwicklung genommen. Versteht man auf verantwortlicher diözesaner Ebene wie in betreffenden Büros des Vatikans unter pastoralem Ertrag eines solchen Vorgehens vielleicht, dass damit französische Rechtsextremisten bzw. Kolonialnostalgiker für die Kirche angesprochen werden sollen? Diese haben ja bei den zurückliegenden Präsidentenwahlen enorme Stärke gezeigt. Will man sich vielleicht durch solche und andere Liebedienerei das Wohlwollen staatlicher Stellen und Medien Frankreichs und in dessen Einflussbereich erkaufen, gerade vor dem Hintergrund fortlaufender kirchlicher Skandalgeschichten? Nun, angeschlagen wie die katholische Kirche gerade in französisch regierten Gefilden dasteht, mag dies tatsächlich eine Versuchung darstellen. Man sollte aber nicht vergessen, dass die auch nach dem II. Weltkrieg durchgeführte französische Machtpolitik in Opferländern unvergessen ist. Dass es den französischen Staatsorganen zusehends schwerer fällt, die Herrschaft in den verbliebenen Gebieten aufrechtzuerhalten, sozusagen von Neukaledonien über Korsika bis in die Vorstädte von Paris, ist kein Geheimnis. Ein Hofieren dieser schon ziemlich abgestiegenen einstigen imperialistischen Großmacht seitens kirchlicher Einrichtungen kann da zumindest als sehr kurzsichtig und zugleich etwas provinzialistisch eingestuft werden. Nicht zuletzt kann etwas wie die kirchenamtliche Würdigung für jemanden wie Robert Schumann einen sehr schalen Geschmack in Hinblick auf kirchliche Friedensappelle und humanitäre Initiativen hinterlassen und zu scharfer Gegenpropaganda regelrecht einladen. Kolonialkriege Frankreichs und dergleichen in der Zeit von jemandem wie Robert Schumann lassen sich ja nicht ernsthaft leugnen. Seine sich gerade unter US-Amerikanischem Druck allmählich entwickelnde Bereitschaft zu Europäischer Annäherung ist gerade vor dem Hintergrund eben der Anspannung zu sehen, welche die verschiedenen Kolonialkriege für Frankreich mit sich brachten, und vor der Gesamtkonfliktlage, welche gerne zusammenfassend Kalter Krieg genannt wird.
Dass der französische Krieg in Indochina, also nicht nur in Vietnam, für die französische Kolonialmacht ebenso in deren krachender Niederlage wie ihr Algerienkrieg ab 1954 endeten, können nicht einmal deutschsprachige Frankreichenthusiasten, Mitglieder der angeschlagenen französischen Bischofskonferenz und dergleichen leugnen. Dazu waren eben auch sonst für eine traditionelle Kolonialmacht wie Frankreich die Zeiten sehr ungünstig. Da noch innereuropäisch gegenüber nichtkommunistischen Regierungen samt deren Freunden in den USA in Konfrontation zu verharren, hätte sich für das Frankreich Robert Schumanns nur als zusätzliche Belastung, wenn nicht gar als völlige Katastrophe, erweisen können.
1. Lesung: Apg 5,27b-32.40b-41
2. Lesung: Offb 5,11-14
Evangelium: Joh 21,1-19 (oder 21,1-14)
Gedanken zur Woche 110-b, Dr. Matthias Martin
3. OSTERWOCHE (2022)
Das bekannte Sprichwort, dass Rom nicht an einem Tag erbaut worden sei, gilt nicht zuletzt in Hinblick auf das Selig- und Heiligsprechungswesen.
Dies mag jemandem bewusst werden, wenn in der Dritten Osterwoche 2022 so berühmter frühchristlicher Heiliger wie des heiligen Athanasius, des heiligen Florian und der heiligen Märtyrer von Lorch sowie der Apostel Philippus und Jakobus gedacht wird. Und dann steht nicht zuletzt auch mit dem heiligen Godehard jemand aus den meist als Mittelalter bezeichneten Zeiten auf dem kirchlich-liturgischen Programm.
Tatsächlich gab es in den frühen christlichen Jahrhunderten noch keine amtlichen Verfahren für etwaige Selig- und Heiligsprechungen, schon gar nicht solche, die in Rom zentralisiert gewesen wären. Entscheidend war, dass sich eine Verehrung in einem Teil des Gottesvolkes entwickelte und verfestigte. Hier spielte die Verehrung von Märtyrerinnen und Märtyrern eine zentrale Rolle. So sind der Überlieferung nach die in der ungekürzten Fassung des Römischen Messkanons, des I. Hochgebets, erwähnten Heiligen jeweils als Märtyrer bzw. Märtyrerinnen gestorben. Eine gewisse Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang höchstens der Apostel Johannes dar, wenn man etwa der Überlieferung folgt, dieser sei in hohem Alter nach einer Verbannung oder in der Verbannung gestorben. Es gibt auch die Legende, er habe zumindest einen Hinrichtungsversuch überlebt. Auf jeden Fall, war es eine starke bis lebensgefährliche Herausforderung, damals Christ zu sein. Und gerade die ungekürzte Fassung des sogenannten Römischen Messkanon/I. Hochgebet stellt so etwas wie eine ganz knapp gefasste Anklage gegen römische Christenverfolgungen dar.
Üblicherweise wird angenommen, dass der heilige Martin (von Tours) der erste als Heiliger anerkannt wurde, der nicht irgendwie als Märtyrer galt. Aber auch weiterhin hielt sich die Praxis, dass mehr oder minder örtliche Verehrung im Gottesvolk, die Verfestigung eines betreffenden Kultes, jemanden zum Heiligen, zur Heiligen machte. Die örtlichen Bischöfe hatten dies dann zu bestätigen.
Hier gab es offensichtlich im Laufe der Zeit Konflikte. Örtliche Gläubige oder Interessensgruppen wünschten sich eine betreffende Anerkennung als Heilige, als Heiliger, und der zuständige Ortsbischof mochte sich dem verweigern. So konnte es zur Einschaltung des Papstes, gewissermaßen der Kirche von Rom, als einer Schiedsinstanz kommen. Man sieht dies auch bei theologischen Kontroversen um Lehrinhalte wie bei der Verhängung von Kirchenstrafen und der Kritik an diesen, dass immer wieder an das päpstliche Rom appelliert wurde.
Offensichtlich war die Heiligsprechung des Ulrich von Augsburg (ca. 890-973), Freund und Weggefährte Ottos des Großen, die erste Heiligsprechung nach einem bewussten kanonischen Verfahren in Rom.
Dessen Bedeutung wuchs durch solche Einzelvorgänge. Dies gilt nicht zuletzt für den Bereich der Selig- und Heiligsprechungen. Im Falle des Clemens III., auch genannt Wibert von Ravenna (siehe Gedanken zur Woche 14-b, 22-b, 61-b, 64-b, 73-b), unternahm die siegreiche Papstfraktion alles, den sich alsbald nach dessen Tod entwickelnden Kult samt Wunderberichten zu beseitigen. Da wurde auch nicht vor dem Einsatz militärischer Gewalt zurückgeschreckt. Übrigens hielten sich eigens hartnäckig Wunderberichte in Zusammenhang mit dem Grab des bedeutenden Unterstützers Clemens III./Wibert von Ravenna, Kaiser Heinrichs IV. Die Verehrung Heinrichs IV. in Teilen der Christenheit und die Dankbarkeit, die ihm für seine Bemühungen um den Schutz jüdischer Menschen, entgegengebracht wurden, sind einer eigenen Aufarbeitung würdig.
Tatsächlich zog das päpstliche Rom die Zuständigkeiten für Selig- und Heiligsprechungen zusehends an sich. Auch kam es zu einer ursprünglich nicht so gegebenen Ausdifferenzierung zwischen Selig- und Heiligsprechung, zwischen der kirchlichen Bezeichnung einer Person als „selig“ oder als „heilig“. Hier kommt dem Pontifikat von Papst Sixtus IV. (1471-1484) besondere Bedeutung zu. Wieder ein anderer Papst mit dem Namen Sixtus, Sixtus V. (1585-1590), gewann große Bedeutung für die Entwicklung im Bereich der Selig- und Heiligsprechungen. Mit dem Jahre 1588 errichtete er an der Römischen Kurie die Ritenkongregation, welche sich dann bis 1969 auch um die Heiligsprechungsprozesse zu kümmern hatte. Seine Kurienreform war so bedeutend, dass mancher meint, mit ihr habe die Geschichte der Römischen/Päpstlichen Kurie überhaupt erst begonnen.
Eigens dem Wildwuchs bei Heiligenverehrung und so etwas wie Schiebung bei Selig- und Heiligsprechungsprozessen sollten die auch heutzutage öfters erwähnten einschlägigen Dekrete Papst Urbans VIII. (1623-1644) entgegenwirken.
Die Entwicklungen im Selig- und Heiligsprechungswesen waren damit aber natürlich nicht zu Ende, ja sie dauern mehr oder minder an. Hierbei wirkt sich nicht zuletzt die allgemeinere geistesgeschichtlich-wissenschaftliche Entwicklung aus. Auch in Hinblick auf die Durchführung von Selig- und Heiligsprechungsverfahren wurde zusehends die Berücksichtigung historisch-kritischer Anliegen und Methoden gefordert. Hatte schon Papst Leo XIII. (1878-1903) großes Interesse an historischen Forschungen gezeigt und dazu das zentrale Vatikanarchiv für Gelehrte geöffnet, so erließ auf Anordnung seines Nachfolgers, des heiligen Pius X. (1903-1914) die zuständige Ritenkongregation 1913 ein Dekret, in dem die Anwendung historisch-kritischer Methoden festgelegt wurde. Im CODEX IURIS CANONICI/CODEX DES KANONISCHEN RECHTS von 1917 fanden auch eigens Regelungen über die Selig- und Heiligsprechungsverfahren Eingang. Nicht zuletzt wurde eine historische Abteilung in der einstweilen noch zuständigen Ritenkongregation errichtet. Dies ist natürlich ganz generell vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit der Position des durch das kirchliche Lehramt mehrfach, nicht zuletzt auf dem I. Vatikanischen Konzil, verurteilten Fideismus bemerkenswert. Nach diesem hätte ja nur der Glaube, lateinisch fides, und keineswegs Vernunft und Wissenschaft in der Kirche zu zählen. Der heilige Pius X. hatte eigens die Bedeutung guter Geschichts- und Philosophiekenntnisse betont, wie auch dem Musikwesen und dem Kirchenrecht sehr wertvolle Impulse verliehen.
Umstrittene Änderungen fanden nach II. Vatikanischen Konzil statt. Die bis dahin einheitliche Ritenkongregation wurde zweigeteilt. Es wurde eine eigene Kurienkongregation für die Selig- und Heiligsprechungen gebildet. Regelungen zu den Selig- und Heiligsprechungsverfahren fanden keinen Eingang mehr in den CODEX IURIS CANONICI/CODEX DES KANONISCHEN RECHTS von 1983. Stattdessen erschienen zu diesem Fragekomplex Einzeldokumente. So wurde noch im Januar 1983 die Apostolische Konstitution „Divinus perfectionis magister“ (https://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/apost_constitutions/documents/hf_jp-ii_apc_25011983_divinus-perfectionis-magister.html) veröffentlicht. Kurz darauf erschien ein eigenes römisches Dokument über die Rolle der Ortsbischöfe (https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/csaints/documents/rc_con_csaints_doc_07021983_norme_en.html). 2007/08 erschien dann die Instruktion „Sanctorum Mater“ (https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/csaints/documents/rc_con_csaints_doc_20070517_sanctorum-mater_en.html und https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/csaints/index_ge.htm). Dabei wurde immerhin offen eingeräumt, dass in den zurückliegenden rund 25 Jahren im Bereich der Selig- und Heiligsprechungsverfahren vieles missverstanden und schlecht gehandhabt worden war. So ein Eingeständnis aus dem Vatikan ist ja für sich schon ganz bemerkenswert.
Gedanken zur Woche 109, Dr. Matthias Martin
2. SONNTAG DER OSTERZEIT und SONNTAG DER GÖTTLICHEN BARMHERZIGKEIT und WEISSER SONNTAG (2022)
Dass menschliche Sprache irreführend, ja sehr irreführend und verführerisch sein kann, erlebt man immer wieder. Ich erinnere mich, wie bei Beginn meines Studiums in Innsbruck einer unserer Dozenten für Politikwissenschaft an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Lehrveranstaltung mahnte, wir sollten, wenn wir gefragt würden, ob wir denn „konservativ“ oder „liberal“ seien, unsererseits darauf bestehen, dass dieser Begriff durch unseren Fragesteller erst einmal definiert werde. Allein schon unter Worten wie „konservativ“ und „liberal“ könne jeweils völlig Verschiedenes verstanden werden. Dass unter dem im Deutschen, Amerikanischen wie im britischen Englisch völlig gleich geschriebene Wort „liberal“ sogar mitunter Gegensätzliches verstanden wird, ging mir selber im Laufe der Zeit auf. Diese gegensätzliche Bedeutung, die dieses Wort „liberal“ gerade im Amerikanischen gegenüber europäischen/britischen Englisch hat, betonte dann tatsächlich einmal ein US-amerikanischer Gesprächspartner während meines Studiums noch in Innsbruck. Als wir uns über damals aktuelle Politik unterhielten, fragte er mich, ob ich denn nun amerikanisch rede oder im Sinne des britischen Englisch spreche. Schließlich habe „liberal“ in dem einen Falle doch die entgegengesetzte Bedeutung zu der im anderen Falle. Und dann gab es da über die US-Botschaft in Berlin noch in der Amtszeit von Präsident Barack Obama einmal die elektronische Aussendung über die vielen Möglichkeiten, „Amerikanisch“ zu sprechen.
Überhaupt stellt sich ja bei menschlicher Kommunikation die Frage nach der Abgrenzung zwischen Dialekt und Sprache. Ist etwa Provenzalisch ein vielleicht etwas besonderer Dialekt des Okzitanischen, eben ein Dialekt dieser europäischen Kultursprache. Oder ist Provenzalisch eine eigene Sprache, welche mit dem Okzitanischen sehr eng verwandt ist, aber auf jeden Fall eine eigene Sprache darstellt? Wie stehen etwa schottisches und irisches Gälisch sowie Gälisch von der Insel Man zueinander? Sind dies Dialekte bzw. Dialektzweige oder Dialektgruppen ein und derselben Sprache oder doch mehr oder minder eigene, natürlich eng miteinander verwandte, Sprachen (siehe allgemein Gedanken zur Woche 84-b). Ähnlich lässt sich mit Blick auf das Alpengebiet und seine engere Umgebung fragen, in welchem Verhältnis denn Ladinisch, Rätoromanisch, auch genannt Bündnerromanisch oder einfach Romanisch, und Friaulisch, auch genannt Friulanisch oder auch das Furlanische, zueinander stehen. Die Liste solcher Fragen, ob man es jeweils mit einer Sprache oder einem Dialekt zu tun habe, ließe sich beliebig fortsetzen. Der Sprachwissenschaftler des Jiddischen, Max Weinreich, wird mit den Worten zitiert:
„Eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Marine“ (https://www.gutefrage.net/frage/eine-sprache-ist-ein-dialekt-mit-einer-armee-und-einer-marine-bedeutung und https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Weinreich).
Auch jemand wie die von mir so geschätzte Professorin an der US-Universität Yale, Christine Hayes (siehe ganz allgemein Gedanken zur Woche 58-b), hat auf diese durchaus etwas sarkastische Formulierung zustimmend Bezug genommen.
Man muss natürlich kein Universitätsprofessor, keine Universitätsprofessorin in den USA sein, um die Position zu vertreten, dass das, was im Deutschen gemeinhin als Englisch bezeichnet wird, der Sammelbegriff für eine Reihe eigenständiger Englishes sei, wobei hier ausdrücklich die Pluralform zu beachten ist! Genau dies bekam ich selber nämlich mehr als einmal gerade von US-Bürgerinnen und US-Bürgern zu hören.
Dann gibt es natürlich die Möglichkeit, dass sich innerhalb einer Sprache oder Variante von Sprache die Bedeutung eines Begriffes wandelt. Bedeutungswandel kann sich in Gestalt von Bedeutungserweiterung, von Bedeutungsverengung und auch von Bedeutungsverschiebung ereignen. Dabei können schon leichte Veränderungen in der Schreibeweise eines oder mehrerer Worte für Probleme bis hin zu starker Verärgerung führen. Denken wir nur an all die Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen bis hin zu Verschwörungstheorien in Zusammenhang mit der Deutschen Rechtschreibreform seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre (siehe z. B. https://www.rechtschreibrat.com/ueber-den-rat/ ; https://www.rechtschreibrat.com/DOX/sr11-extra.pdf und https://www.duden.de/ueber_duden/geschichte-der-rechtschreibung).
So ist es auch in religiösen Angelegenheiten mit der Wortwahl, der menschliche Sprache oft nicht einfach. Eine Bezeichnung wie die des ZWEITEN SONNTAGS DER OSTERZEIT als „Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit“ mag falsche Gedankengänge fördern.
Da besteht wieder einmal die Gefahr, Religion auf bloßes Wohlfühlen zu reduzieren, auf gemütliches Vertrauen, der vermeintlich liebe Gott werde schon so lieb sein, es jemandem auch ganz lieb zu richten, und dass man sich diesbezüglich gemächlich zurücklehnen könne. Dass vor solcher Oberflächlichkeit und Projektion von Wunschvorstellungen zu warnen ist, verdeutlicht rasch ein Blick auf Grundelemente der jüdisch-christlichen Überlieferung wie der Weltreligion des Islams (siehe Gedanken zur Woche 105-b und 107-b).
Aussagekräftig ist auch, was im Direktorium der Diözese St. Pölten für 2021/2022 bezüglich der Erlangung des Ablasses am Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit zu lesen ist:
„Beichte mit entschlossener Abkehr von jeder Sünde; Kommunionempfang und Gebet in den Anliegen des Papstes: Vaterunser und ‚Gegrüßet seist du, Maria‘ oder ein anderes Gebet nach freier Wahl“.
Ausdrücklich wird die Bedeutung des Gottesdienstbesuchs herausgestellt.
Es geht also nicht einfach um einen Wohlfühltermin auf dem Kalender oder eine generelle Bestärkung oberflächlicher Wunschvorstellungen mit ihrer mitunter religiösen Verbrämung. Der Empfang eines Sakramentes wie das der Beichte, auch genannt Bußsakrament oder Sakrament der Versöhnung, weist da für sich schon in eine andere Richtung. Die Forderung nach „entschlossener Abkehr von jeder Sünde“ ist sogar direkt heftig. Dazu kommt die deutliche Aufforderung zum Gebet und mit dem Kommunionempfang ein weiteres Sakrament, das der Allerheiligsten Eucharistie. Das ist ja so etwas wie ein eigenes Anforderungspaket.
Es wird deutlich, dass wir uns ganz generell bemühen sollen, Gutes zu tun und Böses zu unterlassen. Der Sonntag von der göttlichen Barmherzigkeit kann dies eigens verdeutlichen, wenn man nicht oberflächlich über ihn hinweggeht. Es können da natürlich auch inhaltliche Punkte aus anderen Religionen und Konfessionen wie aus verschiedenen philosophischen Richtungen ernst genommen werden.
1. Lesung: Apg 5,12-16
2. Lesung: Offb 1,9-11a.12-13.17-19
Evangelium: Joh 20,19-31
Gedanken zur Woche 109-b, Dr. Matthias Martin
2. OSTERWOCHE (2022)
Folgen wir einfach einmal dem bei uns im deutschen Sprach- und Kulturraum üblichen liturgischen Kalender für die Feier der Heiligen Messe im Nachkonziliaren Ritus für die Zweite Woche der Osterzeit, so wird deutlich, wie sehr sowohl die Bibel/Heilige Schrift wie das, was gerne die kirchliche Überlieferung oder die Tradition genannt wird, ihre wegweisende Bedeutung haben, uns wertvolle Impulse vermitteln können.
Tatsächlich ist beides nicht voneinander zu trennen. Die Herausbildung der Sammlung der zur Bibel gehörenden Bücher, des biblischen Kanons, war ein Jahrhunderte andauernder Prozess. Bis heute gibt es bezüglich des Umfangs des biblischen Kanons erkennbare Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen mehr oder minder christlichen Konfessionen. Dann stellt sich natürlich die Frage, wie ein biblischer Text zu übersetzen bzw. welche Bibelübersetzung zu verwenden ist. Dies alles bildet so etwas wie religiöse Tradition, macht das aus, was für eine konfessionelle Gemeinschaft Überlieferung ist. Mit diesem Zusammenhang von der Bibel genannten Sammlung einzelner Schriften und der kirchlichen Überlieferung hat sich etwa das von 1545 bis 1563 tagende Konzil von Trient befasst, gerade in dem Bemühen, Übertreibungen nach der einen oder anderen Seite zu vermeiden.
Demensprechend verdient natürlich der Gedenktag des als Evangelisten verehrten heiligen Markus Beachtung. Das sogenannte Markusevangelium ist ja eines der insgesamt lediglich vier Evangelien des Neuen/Zweiten Testaments. Blicken wir in eine halbwegs übliche Bibelausgabe, so finden wir dort je ein:
· Matthäusevangelium
· Markusevangelium
· Lukasevangelium
· Johannesevangelium
Oftmals wird genau dieses Markusevangelium als das älteste dieser in der weiteren Christenheit anerkannten Evangelien betrachtet. Allerdings gehen gerade bei Exegeten und anderen, zumindest dem eigenen Anspruch nach wissenschaftlich tätigen Menschen die Meinungen über Alter, Entstehungsprozess und etwaige literarisch-inhaltliche Abhängigkeitsverhältnisse bei diesen Evangelien auseinander bis sehr deutlich auseinander (siehe Gedanken zur Woche 98 und 99 und eher allgemein Gedanken zur Woche 78-b).
Dann verdeutlichen Heilige wie Petrus Canisius/Kanisius, Peter Chanel, Ludwig Maria Grignion von Montfort, Katharina von Siena und Pius V., dass sich Kirche nie geschichtslos verwirklicht, dass Christsein keine Angelegenheit in einem luftleeren Raum ist.
So verband mit der Erarbeitung und Herausgabe seiner verschiedenen Katechismen der heilige Petrus Canisius u. a. eine eigene lateinische Grammatik. Durch sein engagiertes Wirken führte er, so weit es ihm möglich war, noch einmal die längst auseinander driftenden Einzelterritorien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, kürzer auch genannt Altes Reich, Erstes Deutsches Reich oder ganz kurz Deutschland, zusammen. Dabei war zu seinen Lebzeiten längst klar, welchen Schaden das französische Königtum fortwährend dem kirchlichen Leben zugefügt hatte. So hatten sowohl die als Kirchenlehrerin wie als Schutzpatronin Europas anerkannte heilige Katharina von Siena wie der heilige Ludwig Maria Grignion, gerne mit dem Namenszusatz von Montfort versehen, ihren je eigenen Kampf mit der französischen Staatsmacht durchzufechten. Die heilige Katharina von Siena soll wegen ihrem erfolgreichen Eintreten für die Rückkehr der Päpste nach Rom und die daran anschließenden rechtmäßigen römischen Päpste gegen das französisch orientierte Gegenpapsttum von Avignon jahrhundertelang die bestgehasste Frau in Frankreich gewesen sein. Dies hinderte sie wie ähnlich den heiligen Ludwig Maria Grignion nicht, nicht zuletzt ein bedeutsames literarisches Werk für die Menschheit zu schaffen. Wird in der Ausgabe von 2008 des Buches „Der große Namenstagskalender“ von Jakob Torsy und Hans-Joachim Kracht auf Seite 154 ausdrücklich bezüglich der heiligen Katharina von Siena „ihr staatspolitisches Talent“ gewürdigt, so ist in dem Beitrag von Beátrice Acklin Zimmermann in der Sonderausgabe von 2006 der dritten Ausgabe des Lexikons für Theologie und Kirche/LThK, Band V in Abschnitt 1333 eigens von „ihre polit Tätigkeit“ und „ihrer kirchenpolit Mission“ zu lesen. So war die heilige Katharina von Siena sicher eine unbeugsame, vielen unbequeme Frau, die mutig ihrer Überzeugung folgte. Dabei scheute sie auch nicht den Konflikt mit der damaligen Großmacht, um nicht zu sagen Supermacht Frankreich.
Auf seine Weise ging auch der Heilige Peter Chanel seinen Weg. Seine Missionstätigkeit in Ozeanien war geprägt von aufrichtigem Respekt vor den Einheimischen und ihrer Kultur. So bemühte er sich, deren jeweilige Sprache zu erlernen. Im 20. Jahrhundert war es dann gerade der Heilige Stuhl, welcher gerne die Unabhängigkeit der verschiedenen Nationen in Ozeanien anerkannte und mit den mehr oder minder neuerstehenden Staaten diplomatische Beziehungen aufnahm. Überhaupt stand der Heilige Stuhl dortigen Unabhängigkeitsbewegungen betont positiv gegenüber, in klarer Frontstellung insbesondere gegen die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich und die weißen, englischsprechenden „Eliten“ in den von Großbritannien errichteten Dominians von Australien und Neuseeland. Dies war längst auch zu sehen in Neukaledonien, dessen endgültige und völlige Befreiung von französischer Herrschaft bekanntlich noch auf Schwierigkeiten stößt. Auch in diesem Fall stieß die Politik der Europäischen Union auf heftige Kritik, nicht zuletzt bei Menschen, die dem Projekt europäischer Zusammenarbeit bis Einigung ausdrücklich zustimmend gegenüberstehen. Umso mehr gilt es auch in unseren Tagen vor dem Missbrauch von Kirche und Religion durch traditionelle Kolonialmächte wie Frankreich und Großbritannien auf der Hut zu sein. Die Würdigung eines erwiesenen kolonialpolitischen Scharfmachers und regelrechten Kriegstreibers wie Robert Schumann durch die römische Kurie im Rahmen eines sogenannten Seligsprechungsverfahrens muss kritisch hinterfragt werden. Was ich auch an Originalzitaten von diesem Herrn während meines Geschichtsstudiums in Innsbruck zu hören bekam, war heftig. Dass man mit betreffenden kirchenamtlichen Manövern offensichtlich gegenwärtig führenden Kreisen samt Kolonialnostalgikern in dem eh in einer Dauerkrise befindlichen Frankreich gefällig sein will, ist zumindest schwer bedenklich. Wenn man bei kirchlichen Stellen bzw. Mitarbeitern diesbezüglich nachfragt, kann man ziemlich entwaffnend-entlarvende Antworten erhalten. Da wäre es wohl in der offiziellen Kirche besser, sich immer wieder am Vorbild etwa einer heiligen Katharina von Siena wie eines heiligen Peter Chanel zu orientieren. Auch sollte das geltende Recht für Selig- und Heiligsprechungen betreffende Abirrungen in der Kirche verhindern helfen.
Gedanken zur Woche 108, Dr. Matthias Martin
HOCHFEST von OSTERN (2022)
Wenn nach den Tagen der Fastenzeit und der religiös so intensiv gestalteten Karwoche schließlich Ostern kommt, so dürfen wir das höchste Fest der Christenheit feiern. Auch wer nicht ein praktizierendes Mitglied einer christlichen Konfession oder eines christlichen Gemeindeverbandes ist, kennt sehr leicht etwas von der enormen kulturellen Ausstrahlung dieses Festes. Ungezählte Gemälde wie besonders beliebte (Kirchen-)Lieder bis hin zu größeren Kompositionen haben Ostern zum Thema (siehe Gedanken zur Woche 56-b).
Ostern ist in zahlreichen Ländern als staatlicher Feiertag anerkannt, wobei die Möglichkeit besteht, dass dies rechtlich auch durch ein Konkordat oder einen ähnlichen Vertrag mit dem Heiligen Stuhl abgesichert ist.
Dabei ist zu beachten, dass die Regelung des Verhältnisses zwischen einem Staat oder staatsähnlichen politischen Gebilde und einer konfessionellen Gemeinschaft durch einen Vertrag wie etwa ein Konkordat sich weltweit erkennbarer Beliebtheit erfreut. So haben gerade in den letzten Jahrzehnten auf den verschiedenen Kontinenten Nationen ein Konkordat mit dem Apostolischen Stuhl geschlossen. Dies geschah nicht selten recht rasch, nachdem die betreffende Nation ihre Unabhängigkeit erlangt bzw. wiedererlangt hatte. Dies geschah im Bereich des ehemaligen Ostblocks wie in anderen Regionen (zu Afrika siehe Gedanken zur Woche 95-b). So schloss ein so kleines europäisches Land wie die Republik San Marino ebenso ein Konkordat ab ( https://www.vatican.va/roman_curia/secretariat_state/archivio/documents/rc_seg-st_19920402_santa-sede-rep-s-marino_it.html ) wie ein so großes afrikanisches Land wie die Republik Mozambique ( http://visnews-en.blogspot.com/2012/03/holy-see-and-mozambique-ratify-their.html ) und die Demokratische Republik Ost-Timor/Timor-Leste im Übergangsbereich zwischen Südostasien und Australien ( http://www.archivioradiovaticana.va/storico/2016/03/03/holy_see_and_prime_minister_of_timor_ratify_key_agreement/en-1212686 ). Insgesamt ergibt sich bei Konkordaten und ähnlichen Verträgen eine weltweit interessante Entwicklung (siehe zum Überblick https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Konkordat und https://www.concordatwatch.eu/topic-48936.834 ). Wurde die Bereitschaft afrikanischer Länder einschließlich ehemals französischer Kolonien, Konkordate mit dem Heiligen Stuhl abzuschließen, längst als Zeichen schwindenden französischen Einflusses in Afrika gesehen, so erlebte erst jüngst Frankreich als die einstige Kolonialmacht im riesigen Mali ein vollständiges politisches und militärisches Debakel, das nur vom Ausbruch des russischen Krieges gegen die Ukraine ziemlich überdeckt wurde.
Ebenso wird von den allermeisten die Tragweite des Abschlusses von Staatsverträgen in Ländern der Bundesrepublik Deutschland mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V. unterschätzt bis gar nicht wahrgenommen. Schloss erst gegen Ende 2021 das Land Schleswig-Holstein einen solchen Staatsvertrag ab (siehe https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/III/Presse/PI/2021/November_2021/III_Aleviten.html ), so war dies schon 2012 seitens der Freien und Hansestadt Hamburg ( https://www.buergerschaft-hh.de/ParlDok/dokument/38534/1-vertrag-zwischen-der-freien-und-hansestadt-hamburg-dem-ditib-landesverband-hamburg-schura-%E2%80%93-rat-der-islamischen-gemeinschaften-in-hamburg.pdf ), 2014 seitens der Freien Hansestadt Bremen( https://www.rathaus.bremen.de/sixcms/media.php/13/Alevitischen_Gemeinde_in_Deutschland.pdf ) und 2019 durch das Land Rheinland-Pfalz ( https://dokumente.landtag.rlp.de/landtag/vorlagen/4636-V-17.pdf ) geschehen (siehe allgemein https://alevi.com/tag/aleviten/ ). Damit wird die Stellung des Alevitentums als eigenständige Glaubensüberlieferung nachhaltig bestätigt (siehe allgemein https://de.wikipedia.org/wiki/Religionen_in_Deutschland#Religionszugeh%C3%B6rigkeit_in_Deutschland ). Abgerundet wurde dies durch die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ( https://alevi.com/erklaerung-der-alevitischen-gemeinde-deutschland-zur-verleihung-der-rechte-einer-koerperschaft-des-oeffentlichen-rechts/ ). Bedenkt man das traditionell angespannte bis feindselige Verhältnis zwischen türkischem Staat und Alevitentum, so ist dieses zumindest eine starke Herausforderung für die türkische und jede protürkische Politik.
Dabei sollte man die Aleviten keineswegs mit den Alawiten verwechseln. Werden letztere auch Nussairer genannt, so sind beide Überlieferungen völlig unabhängig voneinander. Haben die meisten Aleviten mehr oder minder ihre Heimat oder Herkunftsregion im gegenwärtigen türkischen Staatsgebiet, so ist die alawitische Bevölkerungsgruppe aufs engste mit der blutigen Assad-Diktatur in offiziell Syrien genannten Gebieten verbunden. Bezüglich der Assad-Diktatur wird auch vom Alawiten-Regime gesprochen. Wollte in der Zwischenkriegszeit die Mandatsmacht Frankreich einen eigenen Alawitenstaat im Nordwesten des gegenwärtigen sogenannten Syrien verwirklichen (siehe Gedanken zur Woche 97), so wurde im Rahmen des syrischen Bürgerkriegs wiederholt über eine doch noch zu realisierende Verwirklichung dieses Staatsprojektes gesprochen und geschrieben.
Das wäre gewissermaßen eine Art von politischer Auferstehung. Auferstehung kann natürlich auch in einem religiös-überweltlichen Sinne gedacht werden, wie bereits sehr deutlich im Zweiten Buch der Makkabäer vor dem Hintergrund des Freiheits- und Überlebenskampfes des jüdischen Volkes gegen die hellenistische Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik ausgesprochen wird:
„(12,42) Anschließend hielten sie einen Bittgottesdienst ab und beteten, dass die begangene Sünde wieder völlig ausgelöscht werde. Der edle Judas aber ermahnte die Leute, sich von Sünden rein zu halten; sie hätten ja mit eigenen Augen gesehen, welche Folgen das Vergehen der Gefallenen gehabt habe. (43) Er veranstaltete eine Sammlung, an der sich alle beteiligten, und schickte etwa zweitausend Silberdrachmen nach Jerusalem, damit man dort ein Sündopfer darbringe. Damit handelte er sehr schön und edel; denn er dachte an die Auferstehung. (44) Denn hätte er nicht erwartet, dass die Gefallenen auferstehen werden, wäre es überflüssig und sinnlos gewesen, für die Toten zu beten. (45) Auch hielt er sich den herrlichen Lohn vor Augen, der für die hinterlegt ist, die in Frömmigkeit entschlafen. Ein heiliger und frommer Gedanke! Darum ließ er die Toten entsühnen, damit sie von der Sünde befreit werden“.
Eine irdisch-politische Auferstehung wurden schon vorher im Buch Ezechiel den durch das Babylonische Großreich unterworfen Israeliten verheißen:
„(37,12) Deshalb tritt als Prophet auf und sag zu ihnen: So spricht GOTT, der Herr: Siehe, ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zum Ackerboden Israels. (13) Und ihr werdet erkennen, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole“.
Osternacht: Ostersonntag:
1. Lesung: Gen 1,1-2,2 1. Lesung: Apg 10,34a.37-43
2. Lesung: Gen 22,1-18 2. Lesung: Kol 3,1-4/1 Kor 5,6b-8
3. Lesung: Ex 14,15-15,1 Ev: Joh 20,1-9/Joh 20,1-18/Lk 24,1-12
4. Lesung: Jes 54,5-14
5. Lesung: Jes 55,1-11
6. Lesung: Bar 3,9-15.32-4,4
7. Lesung: Ez 36,16-17a.18-28
8. Lesung: Röm 6,3-11
Evangelium: Lk 16,1-12
Gedanken zur Woche 108-b, Dr. Matthias Martin
OSTEROKTAV einschließlich OSTERMONTAG (2022)
Die Tage unmittelbar nach dem OSTERSONNTAG besitzen als OSTEROKTAV eine starke Position im liturgischen Jahreskreis. Folgen wir in diesem Jahr 2022 der jetzt bei uns zumeist verwendeten liturgischen Ordnung mit dem Deutschen Messbuch, so sehen wir, dass der Dienstag der Osteroktav am 19. April liturgisch selbst den Gedenktag eines so bedeutenden Heiligen wie des heiligen Papstes Leos IX. verdrängt, liturgisch bei dieser Gelegenheit zur Seite schiebt. Dabei heißt es über diesen in dem bei uns üblichen Deutschen Messbuch u.a.:
„Bruno aus dem elsässischen Geschlecht der Grafen von Egisheim und Dagsburg, geboren 1002, ist der bedeutendste deutsche Papst. Er wurde 1026 Bischof von Toul und 1048 durch seinen Vetter Heinrich III. Papst“.
Ausdrücklich wird auf seine eifrigen Bemühungen um Kirchenreform und zumindest andeutungsweise auf seinen Konflikt mit dem staatsoffiziellen, schließlich dann doch die Abspaltung vollziehenden Kirchenwesen im byzantinischen Macht- und Einflussbereich hingewiesen.
In die selbe Richtung werden wir bei diesem so bedeutenden Mann der kirchlichen Erneuerung wie des zum Wohle der Menschen konstruktiven Zusammenwirkens von Kirche und Staat auch in der Ausgabe von 2008 des Buches „Der große Namenstagskalender“ von Jakob Torsy und Hans-Joachim Kracht auf der Seite 142 gewiesen:
„Leo IX., Hl., geb 1002 im Elsass als Sohn des Grafen von Egisheim-Dagsburg, wurde 1026 Bischof von Toul; 1048 bestimmte ihn sein Vetter, Kaiser Heinrich III., zum Papst“.
Auch hier wird sein Bemühen um Kirchenreform gewürdigt, wobei zu bedenken ist, dass die damaligen Grenzen und politischen Zuordnungen natürlich keineswegs mit den gegenwärtig mehr oder minder offiziellen Grenzen in Europa übereinstimmen. Dies verdeutlicht ein Blick in die Ausgabe von 1970 aus Berlin – Hamburg – München – Düsseldorf – Darmstadt des Kartenwerkes zur Geschichte „Völker, Staaten und Kulturen“, herausgegeben von Hans-Erich Stier, Ernst Kirsten, Wilhelm Wühr, Heinz Quirin, Werner Trillmich, Gerhard Czybulka, Hermann Pinnow und Hans Ebeling. In dieser Ausgabe sind besonders die Seiten 34-35, 36 und 38 für die Zeit des heiligen Papstes Leo IX. interessant. Auf die kirchliche Einteilung einschließlich der der Erzdiözese Trier unterstehenden Diözese Toul im Mittelalter wird auf den Seiten 40-41 eingegangen. Auch ein Blick in das „Historischer Weltatlas“ genannte und von Walter Leisering herausgegebene Werk schadet nicht. Siehe hierzu in der Lizenzausgabe der 102. Auflage, Wiesbaden 2004, gerade die Seiten 44 und 46-47.
Auch der gleichzeitige Gedenktag am 21. April des gerade in südlichen Teilen des deutschen Sprachraums so beliebten heiligen Konrad von Parzham wie des heiligen Anselm von Canterbury wird in diesem Jahr verdrängt, und zwar durch den Osterdonnerstag oder Donnerstag der Osteroktav. Dies gilt sowohl für die Nachkonziliare wie die Tridentinische Liturgie, anders gesagt sowohl für die Messe Pauls VI. wie die Messe Pius V./Gregors des Großen/Don Camillos. Unberührt bleibt davon natürlich die fortdauernde Bedeutung des heiligen Anselm von Canterbury als herausragendem philosophisch-theologischen Denker (siehe Gedanken zur Woche 68-b), wie Kritiker des englischen Königtums und dessen Politik (siehe Gedanken zur Woche 65-b und zu beiden Punkten Gedanken zur Woche 34 und 46-b). Zum einen sollte ja das philosophische wie theologische Denken stets gepflegt werden, und zum anderen ist der Widerstand gegen Unrechtsregime stets Christenpflicht. Daran ändert auch die mitunter erschreckende Anbiederei, ja aktive Mittäterschaft sogenannter Kirchenleute aus unterschiedlichen Konfessionen bei solchen Unrechtsregimen nichts. In diese Richtung werden Menschen guten Willens schon ganz generell durch das Alte/Erste Testament gewiesen, gerade durch die beiden Makkabäerbücher.
Ebenso besitzt auch das Lebenszeugnis des heiligen Kapuziners Konrad von Parzham seine fortdauernde Bedeutung, als eine großartige Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe und Verdeutlichung der Wichtigkeit von Ordensgemeinschaften. So heißt es über den heiligen Konrad von Parzham im Volksschott von 1961:
„Erfüllt vom Geiste des Gebetes, beseelt von inniger Liebe zur heiligsten Eucharistie und zur Gottesmutter, verwaltete er 41 Jahre lang im Kapuzinerkloster St. Anna zu Altötting das Amt eines Pförtners und bekundete im Dienste der Wallfahrer, als Vater der Armen, als Kinderfreund, als Wohltäter der fahrenden Handwerksgesellen eine allzeit opferbereite Nächstenliebe“.
Am 23. April, wird sowohl im Kalender für die Feier der Heiligen Messe in der Tridentinischen Liturgie wie dem für die Feier in der Nachkonziliaren Liturgie des heiligen Georgs gedacht. Dabei wird der heilige Georg als Opfer römischer Christenverfolgungen weit über die sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche hinaus geehrt, sehr stark bei den von Rom getrennten sogenannten orthodoxen Christen und auch gar von manchem in der Welt des Judentums und des Islams. Nicht umsonst ist er Nationalpatron für so unterschiedliche Länder wie beispielsweise Katalonien und England (siehe eher allgemein Gedanken zur Woche 6-b), wo auch das rote Georgskreuz auf weißem Grund auf Fahnen und Wappen seine gerade in den letzten Jahren wieder verstärkt hervortretende Bedeutung hat. So ist ja die englische Fahne, welche keineswegs mit der des Vereinigten Königreiches zu verwechseln ist, eben die (Sankt) Georgsfahne (siehe https://www.england.de/england/england-flagge). Für Fußballfans mag besonders interessant sein, dass sich bei betreffenden Fußballspielen diese englische Fahne inzwischen gegen den großbritischen Union Jack durchgesetzt hat, worauf sich auch längst deutschsprachige Medien eingestellt haben.
Damit des Guten für das rote Kreuz des heiligen Georgs auf weißem Grund aus der Welt des Fußballs aber noch nicht genug. Da der heilige Georg auch Stadtpatron von Barcelona ist (https://www.barcelona.de/de/barcelona-sant-jordi.html ), so ist sein Kreuz gleich doppelt auf dem Wappen der Stadt Barcelona abgebildet (http://www.spanien-bilder.com/bilder/barcelona/wappen-der-stadt-barcelona_id1191.htm ). Von dort kam das rote Georgskreuz auf weißem Grund auch auf das Wappen des FC Barcelona (https://www.barcawelt.de/fc-barcelona/sonstiges/das-wappen-des-fc-barcelona-das-spiegelbild-einer-bewegten-historie/ ).
Nicht ganz so berühmt ist der heilige Adalbert, dessen auch am 23. April gedacht werden kann. Er verdient aber auf eigene Weise Beachtung, namentlich wenn man sich für die Geschichte des ottonischen Reichskirchensystems und die deutsche Ostmission interessiert. Das Gedenken an ihn mag heutiger Geschichtsvergessenheit entgegenwirken.
Gedanken zur Woche 107, Dr. Matthias Martin
PALMSONNTAG (2022)
Der Einzug des Jesu von Nazaret ist so etwas wie einer der dramaturgischen Höhepunkte des neutestamentlichen Handlungsablaufes, egal ob man in erster Linie dem Johannesevangelium, einem der drei synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) oder etwa einer außerbiblischen Überlieferung folgt. In Verfilmungen zum Wirken Jesu wird diesem Moment, der die Grundlage für das kirchliche Fest von PALMSONNTAG darstellt, gerne ein besonderer Platz eingeräumt. Der PALMSONNTAG stellt den Beginn der religiös so außerordentlich dichten KARWOCHE dar. Immer wieder wird deutlich, wie spannungsgeladen die Situation im Heiligen Land und besonders in Jerusalem war. Hier lag der Kulminationspunkt für die unterschiedlichen Konfliktelemente und im Widerspruch zueinander stehenden Interessen, namentlich zwischen unterschiedlichen jüdischen Gruppen untereinander und dann natürlich generell zwischen jüdischer Mehrheitsbevölkerung auf der einen und der ausbeuterischen römischen Besatzung auf der anderen Seite. Wenige Jahrzehnte nach dem, was gerne das irdische Wirken Jesu Christi wie es auch anders genannt wird, explodierte die grundsätzliche Spannung zwischen der Mehrheit des Judentums und eben dieser römischen Besatzungsmacht im Ersten Jüdischen Aufstand, auch genannt der Erste Jüdische Krieg. Dabei war die damit verbundene Eroberung und Zerstörung Jerusalems samt des ja auch im Neuen/Zweiten Testament immer wieder erwähnten Tempels durch die nach anfänglichen deutlichen Rückschlägen siegreiche römische Militärmaschinerie nicht das erste Mal, dass eben diese in Jerusalem eindrang und sich namentlich übergriffig gegen den Tempel der Juden verhielt. Besonders in so etwas wie einem kollektiven jüdischen Gedächtnis unvergessen geblieben sein dürfte die Belagerung Jerusalems durch den römischen General und Politiker Pompeius im Jahre 63 v. Chr. mit dessen für Juden so provokanten, ja frevlerischen Eindringens in das dem Hohepriester vorbehaltene Allerheiligste des Tempels. Kam es damals noch nicht zur Zerstörung der Stadt Jerusalem und des Tempels, so ging es bei der Niederwerfung des Ersten Jüdischen Aufstandes, der Beendigung des Ersten Jüdischen Krieges, anders aus. Diesmal wurde beides zerstört. Prorömische Entschuldigungen oder Relativierungsversuche sind einzuordnen unter das Motto „Der Sieger schreibt die Geschichte“. Längst werden in diese Richtung auch die betreffenden Aussagen des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus eingeordnet. Dieser hatte nicht nur während des Ersten Jüdischen Aufstandes vom jüdischen Widerstand in Richtung der erneut vordringenden Römer das Lager gewechselt. Josephus hatte sogar mit dem Namen Flavius seinen Namen im Sinne seiner neuen Förderer und Herren, den Mitgliedern des Flavischen Kaiserhauses, ergänzt. Zum einen versuchte er wohl, seinen Lagerwechsel zu rechtfertigen und zum anderen die historische Darstellung eben im Sinne dieses Flavischen Kaiserhauses zu gestalten. mag auch die Redensart in den Sinn kommen „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“.
Vervollständigt wurde die Ausmerzung jüdischer Widerstandsmöglichkeiten im Rahmen des Zweiten Jüdischen Aufstandes/Zweiten Jüdischen Krieges seitens der Römer unter Kaiser Hadrian.
Dabei endeten Spannungen bis Kriege um Jerusalem nicht mit dem Ende des Römischen Reiches und auch nicht mit der Beendigung der byzantinischen Herrschaft in der Gegend.
Hatte es insbesondere unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches eine Ära des Friedens gegeben, die gerade einmal durch Ereignisse wie den mit seinem scheiternden Ägyptenfeldzug verbundenen Einfall Napoleons im Heiligen Land unterbrochen wurde, so eskalierten Konflikte auch um Jerusalem mit der Niederlage des Osmanischen Reiches im I. Weltkrieg und der Aufteilung des Nahen Ostens zwischen den beiden Siegermächten Frankreich und Großbritannien. Die Grenzen wurden gezogen gemäß des längst so berüchtigten geheimen Sykes-Picot-Abkommens zwischen diesen beiden Kolonialmächten. Seitdem ist diese Großregion nicht mehr zur Ruhe gekommen. Angefeuert wurde dies dadurch massiv, dass beide imperialistischen Mächte einheimische Bevölkerungsgruppen nach Möglichkeit gegeneinander ausspielten. Auch im Heiligen Land wurde namentlich durch Großbritannien das Motto „Divide et impera“, zu Deutsch „Teile und herrsche“ umgesetzt.
Die „heilige“ Stadt Jerusalem liegt fortwährend im Brennpunkt des Interesses. Sie ist ja für die drei gerne als Weltreligionen bezeichneten Überlieferungen von Judentum, Christentum und Islam von herausragender Bedeutung. Dabei gibt es auch innerhalb dieser Religionen oder Überlieferungen massive Konflikte und Konkurrenzsituationen. Allein in Hinblick auf die Jerusalemer Altstadt wird traditionell unterschieden zwischen dem Jüdischen, dem Muslimischen, dem Christlichen und dem Armenischen Viertel. An der Grabeskirche halten sechs alte christliche Konfessionen so etwas wie Besitzrechte oder Anteile: die römisch-katholische Kirche, die armenisch-apostolische Kirche, die griechisch-orthodoxe Kirche, die koptische Kirche, die syrisch-orthodoxe Kirche und die unabhängige äthiopische Kirche. Andere christliche Konfessionen sind in diesem Sinne nicht an der Grabeskirche beteiligt, egal ob man nun von rund 9000 oder von rund 32000 überörtlich relevanten als protestantisch bezeichneten konfessionellen Gemeinschaften ausgeht, oder wie vielen auch immer. Von daher sind in Hinblick auf die Grabeskirche in Jerusalem der voranschreitende Spaltungsprozess der Evangelisch-methodistischen Kirche, im Amerikanischen United Methodist Church genannt, wie auch neue (inner-)anglikanische Spaltungen irrelevant. Mag die anglikanische Staatskirche von England, wie neuerdings selbst von konservativen britisch-monarchistischen Kreisen überlegt bis gefordert wurde, ihren Status als Staatskirche verlieren, mag diese oder jene Spaltungsgruppe der United Methodist Church/Evangelisch-methodistischen Kirche mehr oder minder erfolgreich sein, dies wird nicht die Verhältnisse in der Grabeskirche von Jerusalem beeinflussen oder gar stärker verändern.
Von Vorteil bleibt natürlich, dass die israelischen Sicherheitskräfte gegenüber Christen der verschiedenen Konfessionen sehr freundlich eingestellt sind. Sie bemühen sich ausdrücklich, deren Schutz zu gewährleisten und namentlich die ungestörte Abhaltung christlicher Gottesdienste, Wallfahrten und Prozessionen sicherzustellen. Wie wiederholt klar wurde, sollte man da falschen Beschuldigungen gegen den Staat Israel und dessen Sicherheitskräfte nicht leichtfertig Glauben schenken, egal ob sie vom anglikanischen Erzbischof von Canterbury oder von sogenannten Kirchenvertretern aus der Bundesrepublik Deutschland verbreitet werden. Mir wurde schon vor Jahren von mehrfach im Heiligen Land weilenden katholischen Geistlichen versichert, dass mit der Wiedervereinigung der Stadt Jerusalem nach dem Sieg Israels im Sechstagekrieg von 1967 sich die Lage auch für christliche Pilger erheblich verbesserte. Längst hat auch das Königreich Jordanien die Ende der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts erhobenen und bis 1967 mit Gewalt durchgesetzten Gebietsforderungen westlich des Jordans aufgegeben und einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen.
Dem Weg Jordaniens sind längst weitere Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga gefolgt, nachdem einst die Republik Ägypten unter dem Friedensnobelpreisträger Anwar Sadat vorangeschritten war, nämlich die Vereinigten Arabischen Emirate, die Republik Sudan, das Königreich Marokko und das Emirat Bahrain. Auch bei anderen Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga haben sich die Beziehungen zu Israel entspannt bis freundlich entwickelt. Ein sehr ernstes Problem bis hin zu einer dauernden Bedrohung des Weltfriedens stellt natürlich weiterhin die ausgesprochen aggressive Haltung des Regimes in Damaskus nicht nur gegen den Staat Israel, sondern auch gegen andere Nationen dar.
1. Lesung: Jes 50,4-7
2. Lesung: Phil 2,6-11
Evangelium: Lk 22,14-23,56 (oder 23,1-49)
Gedanken zur Woche 107-b, Dr. Matthias Martin
KARWOCHE (2022)
Die Karwoche besitzt im liturgischen Jahreskreis, im Kirchenjahr, besondere Bedeutung. Sie führt uns direkt hin zum höchsten Fest der Christenheit, OSTERN, und umfasst selber herausragende liturgische Tage. Da ist der Mittwoch der Karwoche. An ihm findet in römisch-katholischen Diözesen und mitunter auch außerhalb der sichtbaren Gemeinschaft der römisch-katholischen Kirche üblicherweise die CHRISAMMESSE, die Missa Chrismatis statt. In ihr weiht der zuständige Bischof die drei heiligen Öle, welche dann namentlich in die Pfarrgemeinden und betreffenden Klosterkirche gebracht werden:
- Das Chrisamöl/Sanctum Chrisma
- Das Katechumenenöl/Oleum Catechumenorum
- Das Öl für die Krankensalbung/Oleum Infirmorum
Die Bedeutung der CHRISAMMESSE/Missa Chrismatis wird u. a. im Direktorium der Diözese St. Pölten unterstrichen, wenn es dort über sie heißt:
„Sie soll ein Ausdruck der Verbundenheit zwischen dem Bischof und seinen Priestern sein. Daher sollen nach Möglichkeit alle Priester an dieser Messe teilnehmen“.
Besondere Bedeutung kommt dann natürlich jenem Tag zu, der im Deutschen GRÜNDONNERSTAG oder auch HOHER DONNERSTAG genannt wird und als solcher nichts mit der Farbe GRÜN zu tun hat (siehe Gedanken zur Woche 4, 13-b und 55-b). An diesem Tag gedenkt die Kirche des Letzten Abendmahls, des Verrates durch Judas, der Gefangennahme Jesu samt der Verleugnung durch Petrus und der Eröffnung des (Schau-)Prozesses gegen Jesus von Nazaret. Zugleich feiert die Kirche die Einsetzung gleich zweier Sakramente, des Weihesakramentes und der Allerheiligsten Eucharistie. Allein da wird schon etwas von der Reichhaltigkeit christlicher Überlieferung und Glaubenspraxis deutlich.
Besondere Bedeutung kommt dann natürlich auch dem KARFREITAG zu, mit seiner eigenen Karfreitagsliturgie. Je nach Gegend sind etwa mit dem KARFREITAG eigene Bräuche wie das Ratschen verbunden. Überhaupt besitzt die KARWOCHE allein schon in kultureller Hinsicht eine enorme Bedeutung. Bezeichnenderweise wird in den so unterschiedlichen Varianten von the Englishes, wobei der Plural ausdrücklich zu beachten ist, eine religiöse bzw. konfessionelle Gemeinschaft mitunter „cultural community“ genannt. Dies verdeutlicht den Zusammenhang von Religion und Kultur. Dann kommt ja das für religiöse Überlieferung und ihre lebendige Ausübung so wichtige Wort Kult vom lateinischen Wort „cultus“, was so viel heißen kann wie Pflege, Verehrung, Bildung, Lebensweise und Anbau. Es wird manchmal auch wiedergegeben mit Kleidung, Kultur, Schmuck und Übung. Um Beziehungen zu religiösen Gemeinschaften und deren Stellung im öffentlich-rechtlichen Bereich kümmert sich auf staatlicher Ebene oft ein Kultusministerium oder eine Kultusabteilung.
Es wird also immer wieder sehr rasch deutlich, dass Religion nicht bloß eine reine Glaubensangelegenheit oder Angelegenheit persönlicher Gefühle ist. Religion ist weit, weit mehr, erst recht, wenn es sich um etwas wie eine Weltreligion handelt. Für das Christentum verdeutlicht dies auf eigene Weise augenfällig die KARWOCHE vor Ostern.
Wie wenig Religion als reine Glaubensangelegenheit oder Gefühlsangelegenheit zu sehen ist, verdeutlicht nachdrücklich auch die Weltreligion des Islam. So gibt es die FÜNF SÄULEN DES ISLAM:
- Das Glaubensbekenntnis, als Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes und dem Propheten Mohammed
- Das Ritualgebet. So sollen die Muslime fünfmal am Tag beten, jeweils mit Richtung auf Mekka hin.
- Die Pflichtabgabe, im Deutschen auch das Almosengeben genannt. Sie ist in erster Linie für Arme und Bedürftige gedacht und soll von jeher soziale Unterschiede unter den Gläubigen abbauen helfen und finanzielle Ausgewogenheit unter den Gläubigen fördern.
- Das einmonatige Fasten, welches nach dem islamischen Mondkalender im betreffenden Monat Ramadan durch die Muslime zu halten ist.
- Die Pilgerfahrt nach Mekka, die Hadsch, auch Haddsch geschrieben.
Das Leben von Mohammed, mit seinen überlieferten Worten und Taten, wird eigens im Islam mit sehr großem Interesse betrachtet. Es ist ein sehr wichtiges Fach im islamischen Theologiestudium.
Im islamischen Recht werden sowohl Pflichten gegenüber Gott behandelt, zu denen die FÜNF SÄULEN DES ISLAM gehören, wie die Pflichten gegenüber anderen Menschen. Im Christentum mag man da spontan an das im Neuen/Zweiten Testament überlieferte doppelte Liebesgebot, mit seiner Zusammenfassung von Aussagen aus der Thora, dem Pentateuch im Alten/Ersten Testament, denken (siehe Gedanken zur Woche 66, 71, 77, 81 und 84). Ebenso ist daran zu erinnern, dass die Zehn Gebote traditionell in zwei Hauptbereiche unterteilt werden: Eben das Verhalten, die Pflichten gegenüber Gott (I. bis III. Gebot) und das Verhalten, die Pflichten gegenüber den Mitmenschen (IV. bis X. Gebot). Dies wird eigens auf der neugotischen Kanzel der Pfarrkirche zum Heiligen Nikolaus in Stein an der Donau symbolisch dargestellt.
Wie wenig Religion als leichtfertig zu behandelnde Angelegenheit abzutun ist, macht das islamische Recht auch von daher deutlich, dass es sich auf mehr als eine Quelle stützt. Da ist an erster Stelle der Koran. Dieser besteht aus 114 Suren. Die unterteilen sich wiederum in Verse.
Dann bilden die überlieferten Worte und Handlungen Mohammeds sowie durch ihn der Überlieferung zufolge geäußerte Billigungen eine weitere Rechtsquelle (siehe z. B. https://islam-ist.de/islamische-begriffe/hadithe/ und https://hadithcollection.com/ ). Bei den so entstandenen Hadithen ist deren wahrscheinliche Verlässlichkeit, ihre Authentizität eine so ernste Frage, dass sich damit traditionell eine eigene islamische Wissenschaft beschäftigt. Also auch hier wird in der islamischen Welt keineswegs leichtfertig vorgegangen. Als weitere Quellen für islamisches Recht kommen der Konsens der Rechtsgelehrten und die Analogie bzw. die Beweisführung durch Analogie in Frage. Es bildete sich eine eigene islamische Rechtswissenschaft heraus, genannt al-fiqh. Eigene Bedeutung kommt im Islam dem Gewohnheitsrecht zu, wie man dies auch aus anderen Religionen oder kulturellen Überlieferungen kennt. Dabei kann im Islam eigens zwischen dem Brauch, genannt `urf, und Gewohnheitsrecht im engeren Sinne, genannt `ādat, unterschieden werden. Die hanafitische Rechtsschule (siehe Gedanken zur Woche 105-b) wurde osmanischer Tradition folgend noch im kaiserlichen Österreich mit dem Islamgesetz von 1912 öffentlich-rechtlich anerkannt! Dafür war der Integration von Bosnien-Herzegowina in den österreich-ungarischen Reichsverband zentrale Bedeutung zugekommen wie auch der Abstimmung seitens Österreich-Ungarns mit dem Osmanischen Reich.
Schon lange vorher war es im Mittelalter zu intensiven, vereinfacht gesagt, christlich-muslimischen Begegnungen auch gerade im rechtlichen Bereich gekommen. Besondere Bedeutung kamen hierbei der in ganz verschiedene Einzelstaaten aufgeteilten Iberischen Halbinsel und dem von Normannen eroberten und dann in staufischen Besitz übergegangenen Sizilien zu. Auf ihre Weise bildete die Republik Venedig eine sehr wichtige Schnittstelle zwischen Europa und Orient, zwischen dem, was gerne die christliche und die islamische Welt genannt wird. Eigene sehr enge Beziehungen unterhielten die christlich orientierte Republik Genua und das sich am Islam orientierende Königreich Grananda bis zu dessen Untergang. Widersprechen betreffende Vorgänge ganz massiv nationalspanischen wie nationalitalienischen Mythenbildungen und Polemiken, so ist ganz generell vor Polemik, dem Verschweigen von Tatsachen und Grobschlächtigkeit zu warnen.
Gedanken zur Woche 106, Dr. Matthias Martin
5. FASTENSONNTAG (2022)
Wenn ein Tag im Jahreskreis zum einen ein Fastensonntag und zum anderen der „Gebetstag für die verfolgten Christinnen und Christen“ ist, dann kommt ihm in doppelter Hinsicht besondere Bedeutung zu. Zum einen soll ja die Fastenzeit zur Intensivierung des religiösen Lebens und damit untrennbar verbunden zu einer geistig-moralischen Erneuerung genutzt werden. Zum anderen ist der Einsatz für verfolgte Christinnen und Christen ein Grundanliegen.
So ist das Beten für die Lebenden und die Toten eines der sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit. Die Gefangenen besuchen gehört zu den sieben leiblichen Werken der Barmherzigkeit. Dieses Werk der Barmherzigkeit wird manchmal auch wiedergegeben mit „Die Gefangenen/Gefangene befreien“. Dabei wird klar, wenn man in die Bibel blickt, angefangen mit den Fünf Büchern Mose, der Thora, dass die Christin, der Christ ganz generell gute Werke tun soll. Im neutestamentlichen Jakobusbrief ist diese Grundbotschaft in der Formulierung zusammengefasst, dass der Glaube tot ist ohne die Werke (Jak 2,17 und 2,26). Dort finden wir auch die scharfe Formulierung „(2,20) Willst du also einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist?“ Wir mögen auch denken an das Gleichnis vom Jüngsten Gericht im Matthäusevangelium, wo es heißt „(25,40) . . . Was ihr für einen meiner geringsten Brüder/Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan“ und „(25,45) . . . Was ihr für eine/n dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan“. Wohl weniger bekannt ist die Formulierung in dem visionären Buch der Geheimen Offenbarung (des Johannes), auch genannt das Buch der Apokalypse oder Buch der Offenbarung, in Hinblick auf die Verstorbenen „(20,13) . . . Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Taten“.
Das Christentum ist eben keine Angelegenheit von irgendwelchen Wohlfühlgedanken oder dem selbstzufriedenen Vertrauen, der liebe Gott werde schon so lieb sein, es einem ganz lieb zu richten. Nein, es geht eben gerade auch um das Tun guter Werke, das Bemühen gute Handlungen zu vollbringen und böse zu unterlassen. Dies wird außerhalb der Bibel auch schon in frühchristlichen Schriften thematisiert wie in der Didache, dem Pastor Hermae (Hirte des Hermas) und den sogenannten Kirchenvätern.
Da wurde auch schon klar, dass Christsein die Bereitschaft bedeuten musste, gegen die Mächtigen zu stehen. Wurde Johannes der Täufer auf Anordnung eines Kollaborateurs der Römer hingerichtet, so fällte das Todesurteil gegen Jesus von Nazaret der auch sonst für seine Brutalität bekannte römische Statthalter Pontius Pilatus (siehe Gedanken zur Woche 90 und 92-b). Ein grundsätzliches Spannungsverhältnis zu den politischen Machthabern wird schon in den Schriften des Neuen/Zweiten Testaments deutlich, so in der Apostelgeschichte wie in den Abschiedsreden des Johannesevangeliums. Dass Römer nicht davor zurückschreckten, tausende gefangener Sklaven zu kreuzigen, setzte der so erfolgreiche Historienfilm „Spartacus“ mit Kirk Douglas in der Hauptrolle ins Bild. Auch sonst ließ es das römische Reich seit seiner Entstehungszeit nicht an Brutalität fehlen, sei es gegen Etrusker, Samniten, Karthager, Germanen oder andere (siehe z. B. Gedanken zur Woche 102-b). Christenverfolgungen waren also kein „Betriebsunfall“, sondern passten ins römisch-imperiale System.
Von Vorteil waren da für eine Überlebenssicherung des jungen Christentums innerrömische Auseinandersetzungen samt Bürgerkriegen, welche bis zum Tod des besonders berüchtigten Nero wie anderer Imperatoren führten und den römischen Machtapparat oder Teile von diesem mit sich selber für einige Zeit beschäftigt sein ließen. Gerade das Volk der Goten half durch seine militärischen Erfolge gegen römische Kaiser von außen mitunter nach menschlichem Ermessen sehr den bedrängten Christinnen und Christen. Manche Christinnen und Christen flohen vor römischen Verfolgungen zu germanischen Stämmen, wo ihnen offensichtlich eine entgegenkommende Behandlung zuteilwurde.
Endeten gerade für die Anhängerinnen und Anhänger des Glaubensbekenntnisses von Nicäa die Probleme keineswegs mit dem Sieg Konstantins, so wurde es besonders bedrängend unter dem so heimtückischen wie brutalen oströmischen Kaiser Justinian, der vor der Verschleppung mehr als eines Papstes nicht zurückschreckte. Die Vernichtungspolitik gegenüber Ostgoten und Vandalen ist im heutigen Sinne als Völkermord einzustufen (siehe knapp Gedanken zur Woche 71-b und 81 und gerade zur bedrängten Situation des Papsttums Gedanken zur Woche 75-b). Dabei waren Vandalen und Ostgoten längst getaufte und bekennende Christen, als sich die Vernichtungspolitik eines angeblich so „christlichen“ Herrschers wie Justinian mit seinem Hauptsitz in Konstantinopel gegen sie wandte. Auch von einem angeblich „christlichen“ Herrscher wie Justinian und schon vorher der konstantinischen Dynastie hatten sehr viele Menschen nichts Gutes zu erwarten. Dies macht auch die Ausrottungspolitik Justinians gegen die Anhängerinnen und Anhänger der frühchristlichen Richtung des Montanismus deutlich. Diese war so brutal, dass für sie in der Literatur gar der Ausdruck „Holocaust“ verwendet wird. Die gerade bei westlichen Christen so beliebten Samaritaner wurden unter eben diesem Justinian fast vollständig ausgerottet, nachdem die brutale oströmisch-byzantinische Besatzungspolitik sie zu verzweifelter Gegenwehr bis hin zu richtigen Aufständen getrieben hatte. Für nicht wenige führte die von „christlicher“ Seite heutzutage gerne verschwiegene Judenpolitik Justinians dann mit zum Holocaust des 20. Jahrhunderts an den Juden. Auch vermeintlich „christliche“ Herrscher können es eben sehr an wirklicher Christlichkeit mangeln lassen. Die gerne geübte Bezugnahme auf eine Gestalt wie Justinian in der Geschichte des Oströmischen/Byzantinischen Reiches verdeutlicht, wie sich der Fluch der bösen Tat, schlimme Verirrungen, auch in einem nominell christlichen Bereich auswirken können.
Wollen Christinnen und Christen glaubwürdig sein, so muss man sich auch solchen mitunter sehr dunklen Punkten stellen. Vermeintliche oder tatsächliche Leistungen eines Massenmörderregimes wie das des oströmischen Gewaltherrschers Justinian können nicht als dessen Rechtfertigung oder als irgendeine Art von Ausrede stehen gelassen werden, will man etwa in Hinblick auf Vergangenheitsbewältigung oder generell im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturkreisen Glaubwürdigkeit beanspruchen oder gewinnen.
Die neuere Forschung hat verdeutlicht, dass der Konflikt zwischen dem frühen Christentum und dem römischen Staat unausweichlich war. Ablehnung von Kaiservergottung und das unterschiedliche Eheverständnis seien als Beispiele für diesen existenziellen Konflikt genannt. Genauso ist längst klar, dass auch Christinnen und Christen immer wieder sehr wenig zu lachen haben unter neueren Herrschaftsstrukturen, auch wenn sich deren Akteure oft gerne ein christliches Mäntelchen umhängten bzw. umhängten. Vertreter/-innen der katholischen Kirche dürfen sich da nicht instrumentalisieren lassen, etwa von Schlagworten wie „Dialog“, „gutes Dialogklima“ oder einfach der Aussicht von einer Königin zum Tee eingeladen zu werden oder von einem Präsidenten ein diplomatisches Entgegenkommen erwarten zu können. Manchmal stürzen gewisse Regime eh recht schnell, und dann will wieder kaum einer dabei gewesen sein.
1. Lesung: Jes 43,16-21 oder Ez 37,12b-14
2. Lesung: Phil 3,8-14 oder Röm 8,8-11
Evangelium: Joh 8,1-11 oder Joh 11,1-45 (oder 11,3-7.20-27.33b-45)
Gedanken zur Woche 106-b, Dr. Matthias Martin
5. FASTENWOCHE (2022)
In der letzten Woche der Fastenzeit vor dem Palmsonntag und der damit beginnenden Karwoche ist es besonders angebracht, in sich zu gehen und die zurückliegende Zeit in einem guten Sinne selbstkritisch zu bedenken. Tatsächlich sollen sich die Christen in der Fastenzeit erneuern, von schlechten Gewohnheiten und bösen Taten besonders intensiv Abstand nehmen. Da gilt es natürlich zu fragen, inwieweit dies gelungen ist. Ist man etwa in der eigenen Familie freundlicher geworden? Hat man vielleicht wirklich mit dem Rauchen aufgehört oder den Alkoholkonsum reduziert? Hat man besondere gute Werke verwirklicht? Wir sollen ja immer in einem konstruktiven Sinne zu Buße und Umkehr bereit sein. Zwei Heilige, deren die Kirche in diesem Jahr in der letzten Woche vor Palmsonntag sowohl in der Einteilung für die Feier der Heiligen Messe in der Nachkonziliaren Liturgie, nach der Messe Pauls VI. wie im Kalender für die Tridentinische Liturgie, die Messe Pius V./Gregors des Großen/Johannes XXIII./Don Camillos gedenkt, mögen da besondere Orientierungshilfe bieten. Solche Orientierungshilfe möge sich natürlich auch über die Fastenzeit hinaus erstrecken.
Da ist zum einen der heilige Isidor, oft genannt „von Sevilla“. Er wird ausdrücklich als Kirchenlehrer anerkannt. Darauf wird eigens sowohl in dem von Papst Johannes XXIII. gewürdigten Volksschott aus dem Jahre 1961 wie in dem jetzt bei uns üblichen Deutschen Messbuch hingewiesen. Zum anderen ist da der heilige Vinzenz Ferrer, der sehr passend zur Fastenzeit gerade als Bußprediger wirkte. Beider Lebensweg verdeutlicht, wie kritisch, ja misstrauisch, wir immer wieder gegenüber politischen Narrativen und gar nationalen Mythenbildungen sein sollen. So wird gerne behauptet, beide seien in „Spanien“ geboren bzw. hätten dort gewirkt. Dabei gab es das uns heutzutage vor Augen stehende Spanien zu beider Lebzeiten gar nicht! Wurde der heilige Isidor um das Jahr 560 geboren und verstarb am 4. April 636, so war dies die Zeit des Westgotenreiches auf der Iberischen Halbinsel bis in das heutige Südfrankreich/Okzitanien hinein. Hinterließ der heilige Isidor ein großes schriftstellerisches Erbe, so ist sein Wirken wie das seines älteren Bruders Leander nicht vom westgotischen Staatswesen zu trennen. Die westgotischen Reichssynoden von Toledo erlangten große Bedeutung und werden noch heute in unterschiedlichen Zusammenhängen zitiert (siehe Gedanken zur Woche 25-b). Eine bemerkenswerte Stellung in der (europäischen) Rechtsgeschichte nimmt das um 654 geschaffene Gesetzeswerk des Lex Visigothorum ein, das bewusst als gemeinsames Gesetzbuch für die Westgoten und die als Römer bezeichneten Menschen geschaffen wurde. Vorher hatten sich die Westgoten einer Invasion des Byzantinischen Reiches unter dem so brutalen wie heimtückischen Gewaltherrscher Justinian zu erwehren und waren dann doch einige Zeit in der Lage, bemerkenswerte Beiträge für die theologische Entwicklung wie für das Rechtswesen zu liefern bzw. zu ermöglichen, wobei natürlich auch in Hinblick auf westgotische Geschichte dunkle Punkte nicht wegretuschiert werden dürfen. Der Westgotische Ritus, auch genannt Mozarabische Liturgie, wurde durch das Konzil von Trient und den heiligen Papst Pius V. bestätigt. Erst kürzlich wurde die Legitimität und Bedeutung dieser Liturgieform seitens der päpstlichen Kurie ausdrücklich bekräftigt. Wurde später der größte Teil der Iberischen Insel durch Muslime erobert und islamischer Herrschaft unterworfen, so behaupteten sich bzw. bildeten sich im jahrhundertelangen Prozess verschiedene Königreiche heraus, welche sich zum Christentum bekannten. Diese hatten verschiedene Sprachen, bis hin zum Baskischen, welches in Westeuropa die einzige einheimische nicht-indogermanische Sprache ist. In diesem geschichtlichen Zusammenhang ist das Wirken des heiligen Vinzenz Ferrer einzuordnen.
In einem seinerseits Jahrhunderte umspannenden Prozess wurden die meisten dieser Reiche mit ihren jeweiligen Sprachen zum heutigen Spanien vereinigt. Einen Höhepunkt erreichte spanische Zentralisierungspolitik unter dem umstrittenen Diktator Franco. Schon vorher hatte es die Tendenz gegeben, die Rechte früher eigenständiger Gebiete immer weiter abzubauen. Wichtig waren hierbei gerade die Teilung Kataloniens, der Spanische Erbfolgekrieg und dann die Karlistenkriege des 19. Jahrhunderts (siehe Gedanken zur Woche 76-b). Die verschiedenen Sprachen und Kulturen im derzeitigen Spanien konnten nach dem Tod Francos wieder Bedeutung gewinnen (siehe eigens Gedanken zur Woche 40-b), Insbesondere der Versuch, zumindest für das Kerngebiet Kataloniens die Unabhängigkeit wieder zu erlangen, beschäftigt auch die internationale Politik. Wenn man es so sagen will, sind weite Teile des gegenwärtigen Spanien nur bedingt bis gar nicht spanisch. Kein geringerer als Papst Benedikt XVI. würdigte in „Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit“ diese verschiedenen Kulturen, namentlich die der Basken und der Katalanen (siehe Gedanken zur Woche 31-b). Speziell die nationale Hauptstadt Kataloniens, Barcelona, würdigte er während seines Pontifikates mit einem eigenen Besuch und weihte dort persönlich die weltberühmte Kirche der Sagrada Familia und erhob sie in den Rang einer Basilika.
Das Ganze wurde als bemerkenswerte Würdigung für Katalonien, seine Sprache, Kultur und Geschichte gesehen! Schon vorher hatte er noch als Joseph Kardinal Ratzinger in dem Bestseller „Zur Lage des Glaubens“ klare Kritik an der einstigen spanischen Inquisition als Instrument des spanischen Königtums geäußert. Dies ist umso bemerkenswerter, da Joseph Kardinal Ratzinger/Benedikt XVI. doch oft als noch viel zu diplomatisch kritisiert wurde. Ihrerseits waren die Nationalsozialisten sehr angetan von der Unterdrückung bzw. Verfolgung der Juden im sich herausbildenden spanischen Machtbereich! Umso skeptischer sollte man gegenüber glorifizierenden bis völlig an den Tatsachen vorbeigehenden Aussagen zur (vermeintlichen) spanischen Geschichte sein. Ein unvoreingenommener Blick auf das Leben und Wirken des heiligen Isidor von Sevilla und des heiligen Vinzenz Ferrer kann dies nur unterstützen. Konflikte zwischen katholischer Kirche und dann irgendwie entstehender und bestehender spanischer Staatlichkeit ergaben sich eben dann erst nach deren Lebenszeit und wurden immer wieder ein eigenes sehr bemerkenswertes Thema. So darf nicht vergessen werden, dass die spanische Regierung unter dem auch sonst, gelinde ausgedrückt, umstrittenen Ministerpräsidenten José María Aznar zu den Triebkräften für den Überfall auf den Irak und damit für den Ausbruch des jüngsten Irakkrieges gehörte, allen kirchlichen und insbesondere päpstlichen Verurteilungen zum Trotze. Der lange Zeit amtierende König Juan Carlos I., der seine Stellung übrigens dem Langzeitdiktator Franco zu verdanken hatte, dankte inmitten von Skandalen ab und ging sogar ins Exil. Dabei lehnt gerade ein Teil der „spanischen“ Monarchisten überhaupt die nominelle Herrschaft seiner Familie ab und vertritt dagegen die karlistische Thronfolge.
Ich selber habe im Jahr 2012 im Hauptorgan des Mittelschüler-Kartell-Verbandes/MKV (https://www.mkv.at/) den Beitrag veröffentlicht „Spanien ist anders – anders als es selbst“ COULEUR 03/12, Seite 11-12).
Ganz so einfach ist es mit dem gegenwärtigen Spanien, nachdem es erst einmal überhaupt entstanden ist, also wirklich nicht. Auf seine Weise kann aber das Vorbild wirklicher Heiliger hilfreich sein, möge jede und jeder von uns danach streben, Gutes zu tun und Böses zu unterlassen.
Gedanken zur Woche 105, Dr. Matthias Martin
4. FASTENSONNTAG (LAETARE) (2022)
Die Möglichkeit, dass am vierten Sonntag der Fastenzeit anstelle des Violetts auch das freundlichere Rosa als liturgische Farbe verwendet werden kann, hebt diesen Tag im kirchlichen Jahreskreis eigens hervor. Rosa als mögliche liturgische Farbe ist ja sonst nur vorgesehen am dritten Sonntag der Adventzeit. Dazu sind diese beiden Sonntage mit eigenen lateinischen Namen ausgezeichnet: Wird der vierte Sonntag der Fastenzeit LAETARE genannt, so der dritte Sonntag der Adventzeit GAUDETE (siehe Gedanken zur Woche 53, 88 und 90).
Tatsächlich haben ja im kirchlichen Sinne die Adventzeit als Vorbereitungszeit auf das Weihnachtsfest und die Fastenzeit als Vorbereitungszeit auf das Osterfest mehr gemeinsam, als heutzutage oft wahrgenommen wird. Solche wichtigen Gemeinsamkeiten werden gerade heutzutage oft nicht (mehr) wahrgenommen. Beide Abschnitte im Jahr, Adventzeit und Fastenzeit sollen zu innerer, religiös-moralischer Erneuerung genutzt werden. Wir mögen darum ringen, Abstand von plattem Konsumismus zu gewinnen und freier zu werden an Leib und Seelen gegenüber bedenklichen Gewohnheiten bis hin zu wirklichen Süchten. Tatsächlich sind insbesondere Nikotin und Alkohol längst das geworden, was oftmals Volksdrogen genannt wird. Anders gesagt sind Nikotin und Alkohol zwei besonders weit verbreitete legale Drogen oder legale Suchtstoffe oder einfach Suchtmittel. Schon vor Jahrhunderten war klar, dass Alkoholkonsum bzw. Alkoholismus eine enorme Rolle im Hinblick auf häusliche Gewalt spielte. So ist es, umso lohnender, einen Abschnitt im Jahr wie die Fastenzeit gerade zum Verzicht auf solche Suchtmittel zu verwenden, zumindest eine Befreiung davon zu versuchen. Dabei gibt es natürlich auch andere weit verbreitete Süchte, seien sie stoffgebunden wie Medikamentenabhängigkeit oder stoffungebundene Süchte wie Spielsucht und alles was mit Sex bzw. Pornografie zu tun hat (zu einer ersten Einführung siehe https://www.test.de/Stoffungebundene-Suechte-Ich-brauche-den-Kick-1039665-2039665/ und https://netzwerksucht.de/wissen/faq/faq-detailseite/was-ist-eine-stoffgebundene-und-eine-stoffungebundene-abhaengigkeit).
Ich erinnere mich an einen Vortrag eines Experten im Bereich der Missbrauchsproblematik. Dieser warnte davor, dass regelmäßiger Konsum von Pornos tatsächlich das Gehirn verändere. Pornosucht sei so schwer zu therapieren wie Heroinsucht! Während meiner Tätigkeit in der berühmten US-Metropole Dallas mit ihren Universitäten, kulturellen Angeboten und Firmenzentren, hatten sich bereits verschiedene Institutionen in diese Richtung gehend in der örtlichen Zeitung mittels Inserats geäußert und namentlich vor der üblen Veränderung des Gehirns durch Pornokonsum in klaren Worten gewarnt. Zusehends finden solche Warnungen offensichtlich auch im deutschsprachigen Mitteleuropa Gehör, außer vielleicht in hartgesottenen antiamerikanischen Kreisen und bei antisemitischen Verschwörungstheoretikern.
Die Medikamentenabhängigkeit und namentlich der Missbrauch von Opioiden wurde längst in den USA von führenden Vertreterinnen und Vertretern beider dort großen Parteien drastisch thematisiert. Die Gefährlichkeit einer betreffenden Abhängigkeit ist über Parteigrenzen völlig unbestritten. Das US-Gesundheitsministerium stuft die Abhängigkeit bzw. die missbräuchliche Verwendung von Opioiden als Epidemie/Seuche ein (https://www.hhs.gov/opioids/about-the-epidemic/index.html).
Dabei ist natürlich längst klar, dass Alkoholismus und Medikamentenabhängigkeit samt Übergewicht und Nikotin nicht zuletzt im kirchlichen Bereich sehr ernste Probleme darstellen. Priester und Ordensleute sind selber oft betroffene, weswegen Kirchenmitarbeiterinnen und Kirchenmitarbeiter umso vorsichtiger mit abfälligen Bemerkungen sein sollten, die gegen „Außenstehende“ gerichtet sind.
Sich von Süchten aller Art frei zu machen, bedeutet aber immer die Rückgewinnung von Selbstkontrolle, Sicherung oder Wiedererlangung persönlicher Freiheit. Den eigenen Geist und den eigenen Körper in einem guten Sinne zu kontrollieren, sich bewahren oder erst wieder freimachen von falschen Bindungen ist doch wirklich erstrebenswert, egal welcher religiösen Überlieferung oder philosophischen Richtung jemand zuneigt. Selbstbeherrschung und die Unabhängigkeit von Süchten werden in religiösen Überlieferungen wie in der Philosophie immer wieder als große Ideale betont. Man kann auch ganz allgemein sagen, dass Askese und gerade Triebbeherrschung anzustreben und Verwirklichung echten Menschsein sind.
Da mag dann nicht zuletzt ein Blick in die „Kulturethik“ von Johannes Messner interessant sein (Johannes Messner Ausgewählte Werke 1, Wien 2001. Nachdruck der Ausgabe von 1954), wo es heißt:
"So berechtigt das Streben nach Lustwerten sein kann, die Persönlichkeitswerte sind es, die ihm Gesetz und Ordnung vorschreiben. Der Bruch mit diesem Gesetz und dieser Ordnung bedeutet das Öffnen der Schleusen für das Triebgefälle in der menschlichen Natur auf die Lustwerte zu. Diese Richtung des Triebgefälles ist es, in die sich der Mensch von heute in der Umwelt, in der er lebt, von allen Seiten gezogen sieht. So allseitig und unausgesetzt ist sein „anderes“ Ich aufgerufen, das sich ohnedies so kräftig zu melden weiß, daß an die Widerstandskraft des „besseren“ Ich gewaltig erhöhte Anforderungen gestellt sind. Das dauernde Ringen um diese Widerstandskraft wird daher zweifellos zu einer erhöhten Verpflichtung des Einzelmenschen. Es ist die Verpflichtung zur Selbstzucht.
Selbstzucht ist Willensbildung zwecks gesicherter Herrschaft des Menschen über sich selbst gegenüber den seinem besseren Ich widerstreitenden Triebneigungen. Sie bedeutet daher ein Doppeltes: erstens, eine Kraft des Willens, zweitens, den Vorgang ihrer Erarbeitung. Als Willensstärke bedeutet Selbstzucht die Widerstandskraft gegenüber der naturhaften sowie durch Umwelteinflüsse erhöhten Gewalt der auf bloße Lustwerte gerichteten Triebneigungen: die Selbstbeherrschung als Beherrschung des sinnlichen Strebevermögens und der davon bestimmten Gefühle und Leidenschaften, an die sich die Lustwerte und die in ihrem Dienst stehenden Mächte heute in so überwältigendem Ausmaße wenden“ (Seite 285-286).
Etwas später heißt es in demselben Werk mahnend und zugleich anspornend:
„Weil im Gesetz der Werteinheit das der Wertordnung eingeschlossen ist, erfordert Kultur ein Ausmaß von Askese als Tugendhaltung, wenn man darunter jene Selbstentsagung und Selbstzucht versteht, wodurch sich der Mensch wachsam und widerstandsbereit gegenüber den Verlockungen von Scheinwerten und Unwerten erweist: er wird damit reicher und stärker an Kräften im Dienste der ranghöheren Werte. Das Gegenteil solcher Askese ist die Genußsucht mit der damit einhergehenden Verweichlichung. Alle großen Erzieher ihrer Völker, die um Erhaltung, Erneuerung und Vertiefung des Ethos ihrer Kulturen bemüht waren, waren vom Wissen um die Bedeutung der Askese als eines Lebensgesetzes des Wertranges und des Wertwachstums der Kulturen geleitet“ (Seite 438).
1. Lesung: Jos 5,9a.10-12 oder 1 Sam 16,1b.6-7.10-13b
2. Lesung: 2 Kor 5,17-21 oder Eph 5,8-14
Evangelium: Lk 15,1-3.11-32 oder Joh 9,1-41 (oder 9,1,6-9.13-17.34-38)
Gedanken zur Woche 105-b, Dr. Matthias Martin
4. FASTENWOCHE (2022)
Die Fastenzeit um Kampf gegen persönliches Fehlverhalten und menschliche Abhängigkeiten etwa in Hinblick auf Suchtstoffe zu nutzen, ist gut und richtig. Dies gilt aber natürlich nicht nur für die Fastenzeit oder die (vor-)weihnachtliche Buß- und Besinnungszeit des Advents, sondern eigentlich für das ganze Jahr. So findet sich sicher nicht umsonst die Warnung vor den Folgen übermäßigen Alkoholgenusses schon ganz früh in dem, was für Christinnen und Christen die Bibel ist. Dies geschieht schon mehr als einmal im allerersten Buch der hebräischen wie der christlichen Bibel, im Buche Genesis. Es wird auf drastische Weise verdeutlicht, dass auch noch so hochgestellte Persönlichkeiten nicht gegen menschliche Schwächen gefeit sind, sondern wir alle gewissermaßen auf der Hut sein sollen. So heißt es in Genesis:
„(9,20) Noah, ein Ackerbauer, war der Erste, der einen Weinberg pflanzte. (21) Er trank von dem Wein, wurde davon betrunken und entblößte sich drinnen in seinem Zelt. (22) Ham, der Vater Kanaans, sah die Blöße seines Vaters und erzählte davon draußen seinen beiden Brüdern. (23) Da nahmen Sem und Jafet einen Überwurf; den legten sich bei auf die Schultern, gingen rückwärts und bedeckten die Blöße ihres Vaters. Sie hatten ihre Gesichter abgewandt, sodass sie die Blöße ihres Vaters nicht sahen. (24) Als Noah aus seinem Weinrausch erwachte und erfuhr, was ihm sein jüngster Sohn angetan hatte,
(25) sagte er:
Verflucht sei Kanaan. Sklave der Sklaven sei er seinen Brüdern!
(26) Und weiter sagte er:
Gepriesen sei der HERR, der Gott Sems, Kanaan aber werde sein Sklave.
(27) Raum schaffe Gott für Jafet. In Sems Zelten wohne er, Kanaan aber werde sein Sklave.“
Etwas später im Buch Genesis ist zu lesen, wie die Töchter Lots, des Neffen Abrahams, ihren Vater mit Wein betrunken machten, um sich von ihm dann schwängern zu lassen (Gen 19,30-38).
Mehr als eine Warnung findet sich im Buch der Sprichwörter, so etwa „(21,17) Der Not verfällt, wer Vergnügen liebt, wer Wein und Salböl liebt, wird nicht reich“; „(23,31) Schau nicht nach dem Wein, wie er rötlich schimmert, wie er funkelt im Becher: Er trinkt sich so leicht“ und gerade mit Blick auf Menschen mit besonderer politischer Verantwortung „(31,4) Könige sollen sich nicht, Lemuël, Könige sollen sich nicht mit Wein betrinken, Fürsten nicht berauschenden Trank begehren“.
Unabhängig von einer spezifischen literarischen wie historischen Einordnung verdient auch das alttestamentliche Buch Judit als Warnung vor (übermäßigem) Alkoholkonsum Beachtung. Dort betrinkt sich der Oberbefehlshaber der feindlichen Invasionsarmee Holofernes während seines Umgangs mit der attraktiven Jüdin Judit so sehr, dass diese ihn schließlich mit seinem eigenen Schwert töten und damit die militärische Gefahr von ihrem von Vernichtung bedrohten Volk abwenden kann. Dass man sich als Mann auch nicht in Gegenwart einer schönen Frau betrinken soll, wird drastisch verdeutlicht. Ist offensichtlich dieses Buch Judit bei Machos besonders unbeliebt, so hat das Motiv des erfolgreichen Umgangs der so klugen wie attraktiven Judit mit dem Anführer des Heeres der feindlichen Supermacht auch die bildende Kunst angeregt ( https://www.museivaticani.va/content/museivaticani/de/collezioni/musei/cappella-sistina/volta/pennacchi/giuditta-e-oloferne.html ; https://altemeister.museum-kassel.de/32183/ und https://www.google.com/search?q=Judit+und+holofernes&client=firefox-b-d&sxsrf=APq-WBtN8Xj1jWUbavOr-ZEHZ9b8b8TCMA:1647504510500&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=2ahUKEwjrx_TI2Mz2AhURwKQKHRUrDUMQ_AUoAXoECAEQAw&biw=1680&bih=897&dpr=1), während natürlich für unser heutiges Alltagsleben gerade die Warnung vor dem Sich-Betrinken aussagekräftig ist.
Ganz in dieselbe Richtung gehen Worte des ebenfalls alttestamentlichen Buches Jesus Sirach, wenn es dort u. a. heißt: „(9,9) Mit einer verheirateten Frau sitz nie zusammen, auch vermeide Weingelage mit ihr, damit du ihr nicht deine Seele zuwendest und du in deiner Leidenschaft nicht ins Verderben stürzt!“, „(19,1a) Ein betrunkener Arbeiter wird nicht reich“ und „(19,2a) Wein und Frauen verführen die Klugen“. Auch mag eine eigene Gruppe von Versen in Jesus Sirach zu denken geben:
„(31,29) Bitterkeit der Seele ist Wein, der zu viel getrunken wird in Erregung und bei einer Auseinandersetzung
(30) Trunkenheit vermehrt die Neigung eines Unverständigen bis zur Beleidigung, beeinträchtigt die Kräfte und schlägt Wunden.
(31) Beim Weingelage tadle den Nächsten nicht, verachte ihn nicht wegen seiner Heiterkeit!
Sag zu ihm kein schmähendes Wort und treib ihn nicht in die Enge mit einer Forderung!“
Zwar ist die katholische Kirche nie dem Weg gefolgt, einen völligen Alkoholverzicht zu fordern, was sich ja auch bei der Verwendung des Messweins zeigt (siehe Gedanken zur Woche 29), so hat man doch von dieser Seite her immer wieder zur Mäßigung gerade beim Alkoholkonsum aufgefordert. Namentlich Abstinenzlerbewegungen erfuhren Unterstützung wie auch die verschiedenen Bemühungen, das Rauchen, den Nikotinkonsum zumindest zurückzudrängen.
Manche christliche konfessionelle Gemeinschaft im Christentum trat bzw. tritt da härter auf, sowohl bei der Verurteilung des Alkoholkonsums wie des Rauchens.
In diese Richtung geht man sehr stark auch im Islam. Der Islam ist wie das Christentum keine einheitliche, schon gar nicht eine homogene, Größe. So haben wir im sunnitischen Islam allein vier international besonders wichtige Rechtsschulen: die Hanafiten, die Malikiten, die Schafiiten und die Hanbaliten. Dazu kommen die verschiedenen schiitischen Überlieferungen mit besonderer Bedeutung der Hauptrichtung der Zwölfer-Schiiten. Natürlich sind auch Zwölfer-Schiiten als solche nicht in einen Topf zu werfen, wie Auseinandersetzungen im Nahen Osten täglich verdeutlichen. Eigene Beachtung verdienen auch Überlieferungen wie die der Ibaditen.
Die kritische bis völlig verurteilende Haltung insbesondere gegenüber Alkoholkonsum in der Welt des Islams sollte aber als bekannt vorausgesetzt werden können.
Gedanken zur Woche 104, Dr. Matthias Martin
3. FASTENSONNTAG (2022)
Wenn man den Dritten Sonntag der Fastenzeit erreicht hat, mag das Sprichwort in den Sinn kommen „Aller guten Dinge sind drei“.Tatsächlich spielt die Zahl Drei immer wieder im menschlichen Leben eine herausragende Rolle, nimmt sie eine immens wichtige Position ein.
So werden üblicherweise bei Sportwettbewerben bis hin zu den Olympischen Spielen jeweils drei Medaillen verliehen: Gold, Silber und Bronze. Da gibt es nach dem bei uns üblichen Staatsverständnis in einer Demokratie die drei voneinander unabhängig zu haltenden Staatsgewalten: Gesetzgebung (Legislative), Regierung/Vollziehende Gewalt (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) (siehe auch Gedanken zur Woche 97-b). Hatte der berühmte Philosoph und Staatstheoretiker der Aufklärung Charles-Louis de Montesquieu (1689-1755) die Bedeutung solcher Gewaltentrennung herausgearbeitet und sich damit allein schon einen bedeutenden Platz in der Geschichte gesichert, so berief sich auch der bewusst an der katholischen Tradition orientierte Erzbischof Marcel Lefebvre auf den Gedanken voneinander unabhängiger Staatsgewalten, insbesondere einer unabhängigen Rechtsprechung, bei seinen Auseinandersetzungen mit der kirchlichen Hierarchie mit ihrem Zentrum im Vatikan.
Dann begegnet uns die Zahl Drei natürlich an ganz prominenter Stelle immer wieder in der christlichen und übrigens auch schon in der jüdischen Überlieferung.
So unterteilt sich die Hebräische Bibel, der Tanach in drei Hauptteile:
- T(h)ora (Weisung/Lehre/Gesetz)
- Nevi’im (Propheten)
- Ketuvim (Schriften).
Beruhend gerade auf dem Ersten Korintherbrief des Neuen/Zweiten Testaments gibt es drei Christliche Grundtugenden, auch genannt die Göttlichen oder die Theologischen Tugenden:
- Glauben
- Hoffnung
- Liebe
So heißt es im Ersten Korintherbrief zum Abschluss des Hoheliedes der Liebe:
„(13,13) Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe“.
Dann gibt es in der Kirche drei besonders wichtige Weihestufen: die Stufen zum
- Diakonat (Diakonenweihe)
- Presbyterat (Priesterweihe)
- Episkopat (Bischofsweihe)
Genau drei Sakramente sind es, die nach traditioneller katholischer Lehre, wenn überhaupt, ein und derselben Person im Leben nur einmal gültig gespendet werden:
- Taufe
- Firmung
- Weihe
So lautet Canon 845 § 1 des CODEX IURIS CANONICI/KODEX DES KANONISCHEN RECHTS:
„Die Sakramente der Taufe, der Firmung und der Weihe können nicht wiederholt werden, da sie ein Prägemal eindrücken“.
In Canon 879 desselben kirchlichen Gesetzbuches, abgekürzt CIC, wird speziell in Hinblick auf die Firmung festgehalten:
„Das Sakrament der Firmung, das ein Prägemal eindrückt, beschenkt die Getauften, die auf dem Weg der christlichen Initiation voranschreiten, mit der Gabe des Heiligen Geistes und verbindet sie vollkommener mit der Kirche; es stärkt sie und verpflichtet sie noch mehr dazu, sich in Wort und Tat als Zeugen Christi zu erweisen sowie den Glauben auszubreiten und zu verteidigen“.
Mit dem dortigen Canon 672 § 1 werden wir im CODEX CANONUM ECCLESIARUM ORIENTALIUM/KODEX DER KANONES DER ORIENTALISCHEN KIRCHEN, abgekürzt CCEO, in dieselbe Richtung gewiesen:
„Die Sakramente der Taufe, der Salbung mit dem heiligen Myron und der heiligen Weihe können nicht wiederholt werden“.
Wurde bereits das gesamte kirchliche Strafrecht im CIC von 1983 nach kirchengeschichtlich nur kurzer Existenz durch Papst Franziskus schon wieder tiefgreifend verändert (siehe Gedanken zur Woche 64-b und https://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2021/06/01/0348/00750.html#de) wie auch der Canon über die Neugründung von Orden und ordensähnlichen Gemeinschaften (siehe Gedanken zur Woche 40-b und https://www.vatican.va/content/francesco/de/motu_proprio/documents/papa-francesco-motu-proprio-20201101_authenticum-charismatis.html), so bleiben vielleicht doch zumindest in nächster Zeit die eben in Hinblick auf den Character Indelebilis der Sakramente von Taufe, Firmung und Weihe zitierten Teile des CIC und des CCEO von einer Änderung verschont. Ein eigenes Phänomen ist natürlich die ausufernde Papierproduktion kirchlicher Stellen seit dem II. Vatikanischen Konzil, und dies nicht zuletzt bezüglich kirchenrechtlicher Aussagen. Dieser Bereich ist längst unüberschaubar geworden. Bei Kirchenvertretern sind diese Unmengen kirchlichen Papiers bzw. dort gemachter Aussagen, Forderungen und Anordnungen weitestgehend bis völlig unbekannt (siehe z. B. Gedanken zur Woche 33 und 94-b)
Da ist es doch noch viel überschaubarer mit den Taufformeln und Glaubensbekenntnissen der frühen Kirche, in denen es um das Bekenntnis des Glaubens an die Allerheiligste Dreifaltigkeit ging! Im Vergleich zur Flut von kirchenamtlichen Texten und immer neuen Papieren seit dem II. Vatikanischen Konzil ist auch das sog. Große Glaubensbekenntnis, das Nicäno-Konstantinopolitanum, ein Mahnmal für strenge Kürze im Ausdruck. Dabei ist das Bekenntnis der drei Göttlichen Personen doch ganz wesentlich, der Glaube an:
+ Gott Vater
+ Gott Sohn
+ Gott Heiligen Geist
1. Lesung: Ex 3,1-8a.10.13-15 oder Ex 17,3-7
2. Lesung: 1 Kor 10,1-6.10-12 oder Röm 5,1-2.5-8
Evangelium: Lk 13,1-9 oder Joh 4,5-42
Gedanken zur Woche 104-b, Dr. Matthias Martin
3. FASTENWOCHE einschließlich HOCHFEST VERKÜNDIGUNG DES HERRN (2022)
Dass der Internationale Frauentag, auch genannt Weltfrauentag, Frauenkampftag oder ganz kurz Frauentag am 8. März begangen wird (https://www.lpb-bw.de/08-maerz-frauentag und https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/328076/8-maerz-weltfrauentag/), passt recht gut zu Elementen katholischer Tradition. So feiert die Kirche unmittelbar vorher die beiden frühchristlichen Märtyrerinnen Perpetua und Felizitas (siehe Gedanken zur Woche 102-b). Dies hat nach der vorkonziliaren liturgischen Ordnung des Tridentinischen Ritus am 6. März und am 7. März laut nachkonziliarer liturgischer Ordnung stattzufinden. Am 9. März wird dann der heiligen Ehefrau, Mutter und Ordensgründerin Franziska von Rom gedacht. Letzteres gilt sowohl für die Tridentinische Liturgie/Messe Gregors des Großen/Pius V./Don Camillos wie im Nachkonziliaren Ritus, der Messe Pauls VI.
Im guten Sinne ist vieles erreicht worden. Aber es gibt immer noch viel, ja sehr viel zu tun. Auch in unseren Breiten kommen immer wieder schreckliche Dinge zutage, etwa wenn es um häusliche Gewalt bis hin zu sogenannten „Ehrenmorden“, Zwangsprostituierung oder etwa herabwürdigende Bemerkungen gegen Mädchen und Frauen geht. Sexuelle Übergriffe gegen Mädchen und Frauen spielen sich ganz offensichtlich auch im kirchlichen Bereich ab. Die Reaktionen von Kirchenvertretern zu den Massenvergewaltigungen, die sich an Silvester 2015/16 bezeichnenderweise vor dem Kölner Dom, auf der Domplatte abspielten, waren schlichtweg widerwärtig. Schon damals wäre ein deutliches Auftreten gerade von Kirchenmitarbeitern, sogenannten Ehrenamtlichen, Teilzeitkräften und Hauptamtlichen gegen den angeblichen Ober-„Hirten“ von Köln, Rainer Maria Woelki mehr als angebracht gewesen. Umso verheerender sind die vielfältigen Auswirkungen des Umstandes nach innen und außen, dass selbst so besonders in die Kritik geratene Erzbischöfe wie Rainer Maria Woelki und Stefan Heße noch im Amt sind. Bekundungen von Kirchenvertretern, dass man doch eigentlich gegen sexuelle Übergriffe und anderweitige Verletzungen der Menschenwürde gerade an Frauen und Kinder aufträte, muss bei vielen gutwilligen Menschen wie blanker Hohn klingen. Offensichtich sind da in der Kirche weiterhin weit verzweigte Netzwerke weiterhin völlig intakt. Nun ja, betreffende Kirchenmänner haben es ja beizeiten geschafft, sich auch in der Politik abzusichern, Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Gerade in bundesdeutschen Gefilden mögen da die mehr als üppigen Kirchensteuereinnahmen durchaus hilfreich gewesen sein. Mag jemandem dazu der Satz in den Sinn kommen „Eine Hand wäscht die andere“, so mag ein anderer Mensch an das Motto denken „Man kennt sich, man hilft sich“.
Der wegen seiner sich über mehrere Jahre hinziehenden Laufbahn als Missbrauchstäter einschließlich der mehr als umstrittenen Verwendung großer Geldbeträge schließlich vom Papst fallengelassene amerikanische Ex-Kardinal Theodore McCarrick war passenderweise gerade bekannt für seine guten Kontakte zu kommunistischen Diktaturen.
Da sollte erst recht zu denken geben, was die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte/IGFM anlässlich des Internationalen Frauentages 2022 festhielt (https://www.igfm.de/weltfrauentag-2022-unschuldige-frauen-in-den-gefaengnissen-der-diktatoren/):
„Sie sind Opfer von Gewalt, Isolation und Unrechtsjustiz: Frauen, die sich im Iran, in Kuba und Belarus für ihre Rechte einsetzen, sich gegen Missstände engagieren oder auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen. Oft werden sie willkürlich inhaftiert und ohne fairen Prozess zu teils hohen Haftstrafen verurteilt“.
Anschließend nennt die IGFM dramatische Einzelschicksale (siehe gerade vor dem Hintergrund kirchenpolitischer Querverbindungen auch https://www.igfm.de/Belarus und https://www.igfm.de/kuba/).
Da war der diesjährige ÖKUMENISCHE WELTGEBETSTAG, auch genannt Weltgebetstag der Frauen, erst recht ein Hoffnungszeichen. Dieses Jahr waren die Texte für dieses internationale Ereignis von Frauen aus England, Wales und Nordirland vorbereitet worden. Diese engagierten Frauen verdeutlichten damit, dass man so unterschiedliche Größen wie das Vereinigte Königreich, Großbritannien und England sowie die eigenen Nationen von Wales und Schottland und das geteilte Irland nicht einfach in einen Topf werfen darf. In der deutschsprachigen Ausgabe des Textheftes erklären die Frauen u.a. in klarer Abgrenzung zu probritischen Naivlingen und unverbesserlichen Scharfmachern:
„Wir freuen uns, bei aller Gemeinsamkeit die uns verbindet, über die Vielfalt unserer unterschiedlichen Kulturen. Im Laufe der Jahrhunderte haben die Britischen Inseln Menschen aus aller Welt aufgenommen. Einige von ihnen sind aus eigenem Antrieb gekommen, andere sind vor Verfolgung und Krieg aus ihrem Heimatland geflüchtet.
Heute haben wir in unserem Land eine multiethnische, multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft. England, Wales und Nordirland sind stolz auf diese Vielfalt. Wir sind darauf bedacht, die Unterschiede in Sprache und Kultur zu bewahren. Darüber freuen wir uns“.
Da mag spontan in den Sinn kommen, dass es einst gerade mutige katholische Frauen und Männer waren, welche sich für die nationalen Sprachen und Kulturen von Irland, Schottland, Wales und Cornwall wie die Eigenheiten Nordenglands gegen die Machtpolitik Londons einsetzten. In der Irisch-Republikanischen Bewegung wie in der Schottischen Nationalbewegung etwa spielten Frauen beizeiten eine enorm wichtige Rolle, darunter eben nicht zuletzt Katholikinnen.
Wie wichtig Frauen gerade in der Kirche und für die Kirche sind, verdeutlicht auf seine Weise der Römische Messkanon, das I. Hochgebet. Dieser Zeugnischarakter ist nur leider in seiner Breitenwirkung verdunkelt worden gerade durch die liturgische Entwicklung seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts (siehe Gedanken zur Woche 12-b). Der Römische Messkanon aber als solcher ist geblieben, auch in seiner ungekürzten Fassung, und damit sein grundsätzliches Zeugnis für die Bedeutung von Frauen. Genauso sollte immer wieder ein Blick auf die als Kirchenlehrerinnen anerkannten Frauen geworfen werden.
Gedanken zur Woche 103, Dr. Matthias Martin
2. FASTENSONNTAG (2022)
Der Zweite Fastensonntag lädt uns ein, uns in den Grundgedanken des Fastens, des Ankämpfens gegen die eigenen Schwächen, der Bemühung um eine gute Disziplin des Körpers und des Geistes zu vertiefen.
Wesentlich ist hierbei, dass nach katholischer Grundüberzeugung, dass gemäß der seit den frühen Tagen der Christenheit vorhandenen Überlieferung das Christentum nicht einfach so etwas wie eine bloße Glaubensangelegenheit, sondern auch und gerade eine Angelegenheit des Verstandes, der menschlichen Vernunft ist. Die Meinung, dass nur der Glaube, lateinisch fides, zu zählen habe, wurde als Fideismus mit einem Höhepunkt am von 1869 bis 1870 tagenden I. Vatikanischen Konzil verworfen. Schon seit den frühen Tagen war auch das weltliche Wissen, gerade die Philosophie bis hin zu Mathematik und Astronomie berücksichtigt, ja gepflegt worden (siehe Gedanken zur Woche 6 und 54-b und allgemein Gedanken zur Woche 90-b). Gerade in Hinblick auf die Bedeutung von guten Kenntnissen in Geschichte und Philosophie äußerte sich der heilige Papst Pius X. (siehe Gedanken zur Woche 58). Umso mehr legt sich ein Blick in die Geistesgeschichte, eine Berücksichtigung der Philosophie auch bezüglich der Fastenzeit nahe.
So begegnet in der Geschichte tatsächlich immer wieder die Mahnung, sich um rechtverstandene Kontrolle über den eigenen Körper zu bemühen, sich nicht vom Genussstreben und den Freuden des Augenblicks beherrschen zu lassen. Verdient in Hinblick auf die Verwirklichung von Ordnung und Disziplin, von Verlässlichkeit und Ernsthaftigkeit schon ganz allgemein die Philosophie des Konfuzianismus Beachtung, so legt sich in unseren Breiten wohl eigens der Blick auf die griechisch-römische Überlieferung, die von dort herkommende Philosophiegesichte nahe.
Da ist gerade auch um der Zurückweisung gerne kolportierter Klischees willen ein Blick auf den (alt-)griechischen Philosophen Epikur interessant. In gewissem Sinne war der von 341 bis 270 v. Chr. lebende Epikur gar kein Epikureer, wie dieser schlagwortartige Begriff heutzutage gerne verstanden, ja missverstanden wird. Tatsächlich lehrte er nicht kurzfristig angelegten Konsumismus, ein Jagen nach den Genüssen des Augenblicks. Zwar meinte er, die Lust sei das höchste Ziel des Menschen. Dieses Ziel sei aber durch weise Abwägung des Genusses und Selbstbeherrschung und den Gewinn einer Unerschütterlichkeit der Seele, von Ataraxie, zu erzielen. Orientierung an dem Philosophen Epikur mit seinem Bemühen und den heute so verstandenen platten Hedonismus gleichzusetzen ist also irreführend und tut diesem antiken Denker Unrecht. Eigens verdient seine Auseinandersetzung mit dem mythologischen Vielgötterglauben damaliger Überlieferung Beachtung und mag uns vor naiver Überbewertung gewisser Dinge aus dem vereinfacht so bezeichneten antiken Griechenland warnen. War Epikur in gewissem Sinne gar kein Epikureer, so waren erst recht die Vertreter der Kynischen Richtung, manchmal Kynische Schule genannt, nicht das, was man heute landläufig unter Zynikern versteht. Den antiken Kynikern ging es zuerst einmal um persönliche Bedürfnislosigkeit. Damit verbunden war bei konsequenten Kynikern auch das Streben, sich von Reichtum und politischer Macht nicht einfangen zu lassen, sich den Reichen und Mächtigen keineswegs anzudienen. So soll der in einem Fass lebende strenge Kyniker Diogenes von Sinope auf die Frage des zusehends gefürchteten Alexanders des Großen, was er für ihn tun könne, was Diogenes wünsche, kühl geantwortet haben: „Geh mir nur ein wenig aus der Sonne“. Der Kyniker Diogenes von Sinope ließ sich von einem Machthaber wie Alexander offensichtlich weder durch dessen Brutalität einschüchtern, noch durch die Aussicht auf materielle Zuwendungen, auf materielle Reichtümer, kaufen.
Eigene strenge asketische Überlieferungen begegnen aus dann im breiteren Umfang seit dem Altertum namentlich in dem so vielfältigen Buddhismus und in dem auch als eigene religiöse Praxis vielleicht nie wirklich ausgestorbenen Manichäismus. Dabei ist gerade auch in Hinblick auf solche umfangreichen Phänomene wie Buddhismus und Manichäismus vor Verzerrungen und liebgewonnen Klischees zu warnen. Auf jeden Fall finden wir nicht zuletzt vielerlei Anregungen bezüglich Konsumverzichts und Selbstdisziplin.
Dann ist auch da die philosophische Gesamtrichtung der Stoa. Von dem zersplitterten und keine Einheit darstellenden antiken Griechenland herkommend, bot die Stoa Menschen in der Zeit römischer Bürgerkriege und des sich entwickelnden Kaisertums ein Leitbild für (Selbst-)Erziehung und inneren Halt. Viele Menschen strebten gegenüber dem vor Verbannungen und (Massen-)Hinrichtungen nicht zurückschreckenden römischen Machtapparat in Richtung innerer Emigration, innerem Exil. Seelenstärke, moralische Standfestigkeit, ethische Lebenshaltung wurden durch die Stoa erstrebt, wodurch sich auch viele Berührungspunkte mit dem sich entwickelnden Christentum ergaben.
Nicht umsonst wurde später der Sieger im damaligen römischen Bürgerkrieg Sulla mit seinem Genozid gerade am Volk der Samniten (siehe Gedanken zur Woche 92-b) und der auch durch die berüchtigten Proskriptionslisten betriebenen Ausmerzung politisch Andersdenkender als Vorläufer von „modernen“ Diktaturen des 20. Jahrhunderts gesehen. Gerade brutale Erfahrungen mit einem Gewaltherrscher wie Sulla und dann sog. Römischen Kaisern haben wohl viele Menschen zu öffentlicher Zurückhaltung, zu politischem Schweigen in Richtung eines eher stillen ethischen Bemühens gedrängt. Dabei hatte ein berühmter Anhänger stoischer Philosophie wie Cato der Jüngere, auch Cato von Utica/Cato Uticensis genannt, den Mut, die Auslieferung Caesars an die Überlebenden seiner von besonderer Heimtücke begleiteten Gemetzel an germanischen Völkern zu fordern. Als im wenig später stattfindenden neuen römischen Bürgerkrieg der Sieg Caesars feststand, ging dieser Cato der Jüngere lieber unbeugsam in den Tod, anstatt sich dem buchstäblichen Diktator Caesar zu unterwerfen. Es wird bezeichnenderweise berichtet, dass sich Cato der Jüngere im Angesicht der Niederlage der Caesargegner im Kreise treuer Freunde noch zuletzt mit Philosophie beschäftigte, bevor er aus dem irdischen Leben schied.
Ein gerütteltes Maß an Verschlagenheit und Brutalität bis hin zu regelrechtem Sadismus wies dann gerade der Adoptivsohn und De facto-Nachfolger Caesars, Octavian, auf. Zu den berühmtesten Opfern dieses später Augustus genannten Machtmenschen gehörten sein einstiger Weggefährte Marc Anton und die berühmte ägyptische Königin Cleopatra. Deren Schicksal ließ es so manchem sehr angeraten sein lassen, sich in ehrlichem ethischem Bemühen in so etwas wie innere Emigration zurückzuziehen, als das eigene Leben und das seiner Familie durch politisches Engagement zu riskieren. Wie wenig auch später im römischen Kaisertum politischer Diskussion und gesellschaftlicher Freiheit Möglichkeiten eingeräumt wurden, verdeutlichen schon so wenige Kaisernahmen wie Caligula, Nero, Domitian, Decius und Diocletian sowie der Sammelbegriff Römische Christenverfolgungen.
Umso mehr mögen wir in unserer Epoche die Fastenzeit zu innerer Erneuerung, zur Pflege von innerer Stärke und Selbstdisziplin im christlichen Sinne nutzen.
1. Lesung: Gen 15,5-12.17-18
2. Lesung: Phil 3,17-4,1 (oder 3,20-4,1)
Evangelium: Lk 9,28b-36
Gedanken zur Woche 103-b, Dr. Matthias Martin
2. FASTENWOCHE einschließlich HOCHFEST vom HL. JOSEF, BRÄUTIGAM DER GOTTESGEBÄRERIN MARIA (2022)
Die Fastenzeit soll helfen, sich auf wirklich wichtige Angelegenheiten zu besinnen, den Blick auf das schärfen, was wesentlich ist, sonst aber vielleicht vernachlässigt wird.
Unabhängig von tagespolitischen und wirtschaftlichen Schwankungen ist hier sicher der gesamte Bereich des sexuellen Missbrauchs zu nennen mit all seinen Abscheulichkeiten. Wie international deutlich ist, muss der Kampf gegen sexuelle Gewalt konfessions- und parteiübergreifend sein. Ermutigendes gibt es dazu festzustellen in so unterschiedlichen Staaten wie Chile, Costa Rica, Australien und den USA, gerade wenn man das Augenmerk auf die Ahndung und Bekämpfung sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich richtet. Dabei kann man von Gesetzgebung und exekutiven Maßnahmen etwa in den USA, in Frankreich und Australien überhaupt einiges in Mitteleuropa lernen. Es geht ja nicht nur um Bekämpfung und Ahndung von sexuellem Missbrauch in einem engeren, etwa kirchlichen Bereich. Wie längst klar wurde, ist sexueller Missbrauch und das schaurige Feld von gezielt gegen Frauen und Mädchen gerichteter Gewalt generell eine Seuche in der menschlichen Gesellschaft. Erschütternd ist, dass sich Furchtbares oft gerade in jenem Bereich abspielt, welcher im Besonderen Schutz und Geborgenheit bieten sollte: in der Familie. Wie schon vor Jahren etwa der europäische und als profranzösisch geltende Kulturkanal ARTE verdeutlichte, geht allein im jetzigen offiziellen französischen Staatsgebiet die Zahl der Opfer sexuellen Missbrauchs in die Millionen (siehe Gedanken zur Woche 67). Dass der vermeintlich „liebe“ Onkel oder Großvater manchmal gar nicht lieb ist, und das in leider gar nicht so geringer Zahl, wird inzwischen kaum noch geleugnet. Es gibt natürlich immer jemanden, für den das Offenkundige nicht gilt und alles Mögliche als Behauptungen angeblicher Verschwörernetzwerke, wenn nicht gar als Ergebnis einer behaupteten Weltverschwörung abgetan wird. Man denke an das üble Gegeifere, als bereits 2018 die mutige Spitzenjuristin Barbara Underwood im Staate Ney York den sexuellen Missbrauch in Kirchenkreisen anging. Hasserfüllt erregte man sich in angeblich „katholischen“ Kreisen ausdrücklich darüber, dass die mutige Frau Jüdin sei und fährt offensichtlich damit noch heute fort (https://gloria.tv/post/GfWYLDZpj3TZ2fUJ9NL4UfNk6). Wo blieben da die riesigen Medienapparate der bundesdeutschen Diözese, um einem solchen gegen Juden und für offensichtliche Missbrauchstäter gerichteten Ungeist schnell und effizient entgegenzutreten? Schließlich äußert sich solch menschenverachtender Ungeist nicht zuletzt in einem „katholischen“ Mäntelchen! Kirchenleute sollten auch in dieser Hinsicht erst einmal im eigenen „Hause“ aufräumen. Man kann natürlich auch fragen, wo blieben und bleiben Verfassungsschutz, (Kriminal-)Polizei und Justiz gerade in der Bundesrepublik?
Aber zumindest ist beim sexuellen Missbrauch die „Mauer des Schweigens“ ins Bröckeln geraten. Egal, ob Schulwesen, Inneres der Familien, Breiten- und Spitzensport, Unterhaltungsindustrie und Kulturbetrieb, religiöse Gemeinschaften etc. (siehe eher allgemein https://www.grin.com/document/73696): Es ist ja einiges zu tun.
Zu den Enthüllungen über sexuellen Missbrauch durch Männer im US- Frauenfußball meinte etwa der Superstar des Frauenfußballs, Megan Rapinoe, mehr als deutlich: „Brennt alles nieder!“ (siehe https://www.sueddeutsche.de/sport/fussball-usa-missbrauch-1.5430545 und https://www.archysport.com/2021/10/abuse-in-us-football-burn-it-all-down-sport/).
Nicht zuletzt in den USA wird beim Verdacht auf sexuellen Missbrauch zumindest in einer Reihe von Fällen entschlossen gehandelt, anstatt Fälle „routinemäßig“ verjähren zu lassen. Da kann es in den USA passieren, dass eine tatverdächtige Lehrkraft noch am Tag des Lautwerdens von Vorwürfen vom aktiven Schuldienst suspendiert und am nächsten festgenommen wird (https://eu.nwfdailynews.com/story/news/2021/02/05/ruckel-teacher-charged-alleged-sexual-relationship-student/4414634001/ und https://people.com/crime/florida-teacher-accused-sexually-abusing-student-2-years/) Zumindest von einem solchen Fall von Effizienz beim Kampf gegen sexuellen Missbrauch kann man, etwa in Gebieten des deutschsprachigen Mitteleuropa, noch etwas lernen!
Zu denken geben sollten auch die über den Auswärtigen Dienst der USA in deutscher Sprache zur Verfügung gestellten Stellungnahmen, etwa wenn es heißt:
„Catcalling - anzügliches Rufen, Reden, Pfeifen oder sonstige Laute im öffentlichen Raum, wie das Hinterherrufen sowie Nachpfeifen – ist eine Form der verbalen sexueller Belästigung. . . .
In der Vergangenheit wurde Frauen und Mädchen gesagt, was sie zur Vermeidung von Belästigung auf der Straße zu tun haben – wie sie sich zu kleiden, zu verhalten oder nicht zu verhalten haben und welche Gegenden sie meiden sollten. In letzter Zeit wird die Verantwortung dafür, etwas zu ändern, häufiger dort gesucht, wo sie hingehört, nämlich bei den Tätern und bei den Gemeinschaften, die Belästigung dulden . . . (https://de.usembassy.gov/de/schluss-mit-der-belaestigung-auf-der-strasse/).
Natürlich ist auch weiteres sehr bedenkenswert, etwa:
"Während der Corona-Pandemie hat es einen weltweiten Anstieg von Gewalt gegen Frauen und Mädchen gegeben.
Die Vereinigten Staaten verstärken ihre Anstrengungen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt im eigenen Land und auf der ganzen Welt.
Diese Arbeit ist auch deshalb so wichtig, weil die Zahl der gemeldeten Fälle von körperlicher und sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen während der COVID-19-Pandemie drastisch gestiegen ist. Das Problem wird inzwischen als „Schattenpandemie“ bezeichnet. . . .
Geschlechtsspezifische Gewalt hat während der Pandemie zugenommen, vermutlich als unbeabsichtigte Folge von Ausgangssperren und Anweisungen, Zuhause zu bleiben. Oft waren Frauen und Kinder aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 gezwungen, sich mit gewalttätigen Familienangehörigen zu Hause zu isolieren. Aufgrund von Mittelkürzungen gab es zugleich oft weniger Unterstützungsangebote.
Berichte über häusliche Gewalt und die Zahl der Anrufe bei Hotlines, an die man sich bei häuslicher Gewalt wenden kann, nahmen den Vereinten Nationen zufolge in Ländern wie Argentinien, Frankreich und Singapur um 25 % oder mehr und in einigen Ländern in Ostafrika sogar um 48 Prozent oder mehr zu. Auch in Kanada, Deutschland, Spanien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten wurden mehr Fälle gemeldet“ (https://de.usembassy.gov/de/bekaempfung-der-schattenpandemie-geschlechtsspezifische-gewalt/).
Es gibt also auch im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt und jede Art von sexuellem Missbrauch sehr viel zu tun, in der Fastenzeit und darüber hinaus. Bisherige Erfolge können dabei Menschen guten Willens anspornen.
Gedanken zur Woche 102, Dr. Matthias Martin
1. FASTENSONNTAG (2022)
Der erste Sonntag der Fastenzeit, der erste Fastensonntag, mag uns auf etwas ganz Wesentliches im menschlichen Leben aufmerksam machen, so etwas wie eine grundsätzliche Herausforderung für gelebtes Menschsein, die Verwirklichung menschlicher Potentiale verdeutlichen.
Es geht um die Verwirklichung von Selbstkontrolle, die Kontrolle des einzelnen Menschen über den eigenen Körper. Man kann vielleicht etwas theologischer sagen, es geht um den Kampf gegen Versuchungen, um die Zurückdrängung persönlicher Schwächen. In einer Fastenzeit, wie sie in je eigener Ausprägung in verschiedenen Religionen, Konfessionen bzw. kulturellen Überlieferungen bekannt ist (siehe Gedanken zur Woche 101-b) geht es gerade um Verzicht oder Einschränkung des Verzehrs von Nahrungs- und Genussmitteln. Hier gegen eigene Neigungen, vielleicht vorhandene Gewohnheiten anzukämpfen, kann eine lohnende, wenn auch nicht einfach zu handhabende Herausforderung sein. In unseren Breiten mit einer nun schon seit einiger Zeit herrschenden Überernährung ist natürlich schon ganz „klassisch“ die Kontrolle, die Zurückführung, der einstweilige Verzicht beim Lebensmittelkonsum ins Auge zu fassen. Bei nicht wenigen Menschen ist ein betreffender Anlauf zu einer wirklichen Fastenzeit schon aus sehr handfesten gesundheitlichen bis kosmetischen Gründen naheliegend. Bereits im Alten/Ersten Testament ist in so unterschiedlichen Büchern wie dem Ersten und dem Zweiten Buch Samuel, dem Buch Esra, dem Buch Nehemia, dem Buch Esther, dem Ersten Buch der Makkabäer, dem Buch der Psalmen und dem Buch Jesus Sirach wie Prophetenbüchern vom Fasten die Rede. Es wird schon hier deutlich, dass Fasten sowohl etwas für den einzelnen Menschen wie eine (größere) Gemeinschaft sein kann. Nicht zu trennen ist Fasten namentlich immer wieder von religiös-moralischer Erneuerung. Gerade im ebenfalls alttestamentlichen Buch Tobit wird deutlich, dass richtiges Fasten und das Tun guter Werke sehr wohl Hand in Hand gehen können. So heißt es in der neuen Ausgabe der deutschen Einheitsübersetzung:
„(12,8) Besser Gebet zusammen mit Wahrheit und Almosen zusammen mit Gerechtigkeit als Reichtum zusammen mit Unrecht. Almosen geben ist schöner als einen Goldschatz sammeln. (9) Almosen retten aus dem Tod, sie reinigen von aller Sünde. Die Almosen geben, werden mit Leben gesättigt werden“.
In der älteren deutschen Einheitsübersetzung werden diese Verse wie folgt wiedergegeben:
„(12,8) Es ist gut, zu beten und zu fasten, barmherzig und gerecht zu sein. Lieber wenig, aber gerecht, als viel und ungerecht. Besser, barmherzig sein als Gold aufhäufen. (9) Denn Barmherzigkeit rettet vor dem Tod und reinigt von jeder Sünde. Wer barmherzig und gerecht ist, wird lange leben“.
Fasten und Gutes tun wurde also schon in Zeiten, als das Alte/Erste Testament entstand, in enger Beziehung zueinander gesehen. Man kann auch sagen, dass glaubwürdiges Fasten und die Förderung des Gemeinwohls sehr miteinander verbunden sein können, und das nicht zuletzt im Sinne des Alten/Ersten Testaments.
Beim Streben nach Selbstkontrolle, beim Ankämpfen gegen Laster und persönliche Schwächen besitzt nicht zuletzt der Verzicht auf Alkohol und Nikotin eine herausragende Bedeutung. Nicht umsonst werden sowohl Alkohol als auch Nikotin als legale Drogen und als legale Suchtmittel bezeichnet. In weiten Teilen des Islams wird der Alkoholkonsum überhaupt verurteilt, bis hin zur Interpretation, dass derjenige, welcher bewusst Alkohol tränke, den muslimischen Glauben aufgäbe, also überhaupt zum Abtrünnigen gegenüber dem Islam werde. Auch in so manchen christlichen Konfession bzw. Gruppierung steht man dem Alkoholkonsum sehr ablehnend gegenüber. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang natürlich zum Beispiel auch der weltweite Buddhismus mit seinen voneinander unabhängigen Hauptrichtungen und vielen einzelnen Schulen, Einzeltraditionen oder in etwa Konfessionen. Selbst in betont westlich-liberalen, erklärt demokratischen, Staaten gibt es bezüglich des Verkaufs und des Genusses von Alkohol Restriktionen. Dies ist immer wieder ein wichtiger Teil des Kinder- und Jugendschutzes, bis hin zum Schutz von Heranwachsenden. Das Verbot, mit mehr als einem klar begrenzten Blutanteil von Alkohol etwa Auto und Motorrad zu fahren, gehört in einem Staat üblicherweise zur Rechtskultur, bis hin zu einer Null-Komma-Null-Promille-Grenze in manchem Staat. Sehr scharf äußerte sich während meines Theologiestudiums in Innsbruck eine prominenente und Studierenden gegenüber betont hilfsbereite Dozentin für eine seinerzeit diskutierte Senkung des Alkohollimits im Straßenverkehr und konsequente Kontrollen, um Derartiges zum Schutz von Menschenleben durchzusetzen. Überhaupt ist Alkohol im medizinisch-gesundheitlichen Sinne ein Zellgift. Gerade starker Alkoholkonsum greift mehr als nur ein Organ im Körper an (https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/wissen/risikofaktor-alkohol/hintergrund und https://www.quarks.de/gesundheit/drogen/alkohol-das-macht-er-in-deinem-koerper/ ). Umso besser, wenn die Fastenzeit genutzt wird, etwaigen Alkoholkonsum zu reduzieren oder gar ganz zu beseitigen.
Beim Nikotin ist die gesundheitsschädliche Wirkung schon länger auch in breiten Bevölkerungskreisen bekannt. Für manche einstige Raucherin, manchen einstigen Raucher waren eigens die mit dem Rauchen verbundenen Kosten ein wichtiger Grund, mit dem Rauchen aufzuhören. Auf einem Plakat in dem angesehenen Rehabilitationszentrum Hochegg in der Gemeinde Grimmenstein wurde für eine Entziehungsmaßnahme gegen das Rauchen u.a. mit der Ermutigung geworben, Kontrolle über den eigenen Körper zurückzugewinnen und dabei auch noch Geld zu sparen. Längst wird das Rauchen als Generalangriff auf den eigenen Körper bezeichnet. In einer Darstellung heißt es u.a.:
„Nikotin ist ein stark wirksames Gift. Die beim Rauchen vom Körper aufgenommenen Mengen sind grundsätzlich schädlich. . . .
Das Rauchen belastet den Körper in erheblichem Maße mit Schadstoffen, die den Alterungsprozess beschleunigen. Das Immunsystem ist geschädigt, die Wundheilung gestört. Die Haut der Raucher verliert an Spannung, wird schneller faltig und unelastisch. Gelbe Zähne und verfärbte Fingerspitzen lassen den Raucher auch optisch älter erscheinen, als er ist. Dem beschleunigten Alterungsprozess entspricht eine verkürzte Lebenserwartung. Mehr als die Hälfte der regelmäßigen Raucher stirbt vorzeitig“ ( https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/behandlungen-und-medizin/sucht/schaeden-rauchen-2015614?tkcm=aaus ; siehe auch https://www.gesundheit.gv.at/krankheiten/sucht/nikotinsucht/rauchen und https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/Gesundheitliche_Folgen_des_Rauchens.html ).
So kann die Fastenzeit erst recht eine gute Zeit sein, eigenen Nikotinkonsum entschlossen anzugehen, um mit dem Rauchen aufzuhören.
1. Lesung: Dtn 26,4-10
2. Lesung: Röm 10,8-13
Evangelium: Lk 4,1-13
Gedanken zur Woche 102-b, Dr. Matthias Martin
1. FASTENWOCHE (2022)
Wenn der beiden heiligen Frauen Perpetua und Felizitas gedacht wird, dann stehen zwei besonders herausragende Persönlichkeiten der Kirchengeschichte auf dem Programm. Schließlich werden beide im Römischen Messkanon, auch als I. Hochgebet bezeichnet, namentlich genannt. Dementsprechend heißt es in dessen ungekürzter Fassung nach der Wandlung:
„Auch uns, deinen sündigen Dienern,
die auf deine reiche Barmherzigkeit hoffen,
gib Anteil und Gemeinschaft
mit deinen heiligen Aposteln und Märtyrern:
Johannes, Stephanus, Matthias, Barnabas<,>
Ignatius, Alexander, Marzellinus, Petrus,
Felizitas, Perpetua (!), Agatha, Luzia,
Agnes, Cäcilia, Anastasia
und mit allen deinen Heiligen“.
Findet sich der Römische Messkanon auch in dem heute in unseren Breiten meist verwendeten Nachkonziliaren Messbuch, so ist er in dem sich offensichtlich wieder wachsender Beliebtheit erfreuenden Tridentinischen Messbuch überhaupt der Messkanon, das Hochgebet schlechthin, und das ohne Alternative. Diese herausragende Würdigung frühchristlicher Märtyrerinnen in der Vorkonziliaren Liturgie, der Messe Gregors der Großen/ Pius V. etc. oder auch Don Camillos/Ralph Raoul de Bricassarts (siehe Gedanken zur Woche 77-b und 82-b) ist ein ins Auge springender Hinweis für den so bedeutenden Platz, welcher Frauen in unverfälschter kirchlicher Tradition seit frühen Tagen eingeräumt wurde.
Beide Frauen starben nämlich zu Beginn des 3. Jahrhunderts als Opfer römischer Christenverfolgung. Dabei ist eigens der Ort ihres Martyriums bemerkenswert: Dieser war das in der heutigen Republik Tunesien gelegene Karthago.
Das antike Karthago ist ein Ort, wo römische Brutalität besonders greifbar, historisch besonders wahrzunehmen ist. So wurde das ursprüngliche Karthago am Ende des Dritten Punischen Krieges im Jahre 146 v. Chr. durch die siegreichen Römer total zerstört, weite Teile seiner Bevölkerung massakriert und die Überlebenden in die Sklaverei verkauft. Diese römische Vernichtungspolitik war so furchtbar, dass sie in neuerer Zeit ausdrücklich "The Roman Holocaust“ genannt wurde bzw. wird (siehe z. B. https://www.youtube.com/watch?v=llkDjDQrCQ8 und https://www.youtube.com/watch?v=0DnXV6R0nh0 ), zu Deutsch so viel wie „Der römische Holocaust“. Damit aber war es für römische Vernichtungspolitik noch nicht genug. So wurde im selben Jahr 146 v. Chr. wie Karthago mit Korinth auch die Metropole des Achäischen Bundes/Achaiischen Bundes durch die Römer erobert und zerstört.
Erst lange danach wurden die beiden so bedeutenden Städte alter Zivilisationen unter Julius Caesar wieder aufgebaut und nun römisch besiedelt. Das völlige Vernichten, das Ausradieren besiegter Gegner durch die Römer war für diese nichts Außergewöhnliches. Julius Caesar selber brüstete sich selber seiner Heimtücke und Brutalität gegenüber Germanenstämmen, die mit ihm hatten verhandeln wollen. Ein besonders frühes Opfer römischer Vernichtungspolitik war die nur wenige Kilometer vom damals noch recht kleinen Rom entfernt gelegene etruskische Stadt Veji, auch Veii geschrieben. Nach einem schätzungsweise zehn Jahre dauernden Endkampf wurde Veji/Veii durch die Römer erobert und zerstört. Dabei wurde schon hier die männliche Bevölkerung der unterlegenen Stadt abgeschlachtet, die Frauen und Kinder versklavt. Wurden wir während meines Geschichtsstudiums in Innsbruck ausdrücklich davor gewarnt, römischer Propaganda gegen die Etrusker, wie sie sich etwa in der sagenhaften Überlieferung über angeblich über Rom herrschende etruskische Könige äußerte, zu glauben, so gilt eine solche Warnung auch bezüglich der mitunter regelrechten Dämonisierung des durch die Römer ja vernichteten punischen Karthagos. Man möge sich an das Sprichwort erinnern „Der Sieger schreibt die Geschichte“. Dies gilt natürlich auch mit Blick auf die durch die Oströmer/Byzanz mit Ausnahme ihrer bei der Völkerwanderung in Schlesien verbliebenen Volksangehörigen weitgehend vernichteten Vandalen. Deren Hauptteil war im Rahmen der Völkerwanderung bis nach Nordafrika gelangt und hatte Karthago ohne es zu zerstören, zur Hauptstadt ihres dortigen Reiches gemacht. Dieses zeichnete sich keineswegs durch blindwütige Zerstörungswut und Mordlust abschreckend aus, wie es erst ab Ende des 18. Jahrhunderts den historischen Vandalen zusehends in die Schuhe geschoben wurde. Zu ihren Lebzeiten waren die heute oft so übel beleumdeten, ja verleumdeten Vandalen gültig getaufte Christen geworden und waren durchaus als Vertragspartner akzeptiert (siehe Gedanken zur Woche 35-b und allgemeiner Gedanken zur Woche 53 und 81). Zu Unrecht wird ihr Name namentlich in der englischen und deutschen Sprache als Synonym für rücksichtslose bis irrsinnige Verwüster verwendet. Dies muss immer wieder zurückgewiesen werden, allein schon um der historischen Gerechtigkeit willen.
Es waren ja auch nicht die gar nicht so schlimmen Vandalen, sondern eben die Römer, welche die heilige Perpetua und ihre Leidensgenossin Felizitas wie die anderen im Römischen Messkanon, dem I. Hochgebet, erwähnten Märtyrerinnen und Märtyrer töteten. Auch jener Heilige, welchem wir den über kulturelle, nationale und religiös-konfessionelle Grenzen hinweg so beliebten Valentinstag zu verdanken haben, starb als Opfer des Römischen Reiches (siehe Gedanken zur Woche 49-b und allgemein Gedanken zur Woche 84-b). Dabei waren es möglicherweise sogar zwei christliche Geistliche mit demselben Namen Valentin, welche in dieser Zeit als Opfer römischer Staatsmacht das Martyrium erlitten. Dies erklärte dann auch, warum es durchaus verschiedene St. Valentins-Überlieferungen gibt. Die Annahme zweier solcher Märtyrer mit dem Namen Valentin ist übrigens nicht einmal neu, also umso bedenkenswerter. Die offiziell verehrten und gewissermaßen kirchenamtlich registrierten Märtyrerinnen und Märtyrer aus den römischen Christenverfolgungen stellen eh nur die Spitze eines riesigen Eisberges dar.
Zog sich schon vor Christi Geburt eine sehr breite Schneise römischer Vernichtungspolitik von Veji/Veii nach Karthago und Korinth und von dort weiter, so sah niemand geringerer als der faschistische Diktator Benito Mussolini das Römische Imperium als das große Vorbild, dem er nachzueifern bestrebt war. Dieser Mussolini war dann wiederum ein großes Vorbild für Adolf Hitler. Da mag die Redensart in den Sinn kommen „Sage mir, mit wem du Umgang hast, und ich sage dir, wer du bist“. Bei Johann Wolfgang von Goethe heißt es: „Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir, wer du bist“.
Keineswegs zufällig starben die heiligen Perpetua und Felizitas als Opfer römischer Staatsmacht, wie so viele ungezählte andere Menschen auch.
Gedanken zur Woche 101, Dr. Matthias Martin
8. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Wenn in ein und demselben Sonntagsevangelium hintereinander gleich zwei besonders bekannte Gleichnisse geboten werden, dann verdient das schon für sich besondere Aufmerksamkeit. Tatsächlich gehören das Gleichnis vom Splitter im Auge des Bruders und dem Balken im eigenen Auge wie die gleichnishafte Formulierung vom guten und dem schlechten Baum samt den guten und den schlechten Früchten sicher zu den ziemlich bekannten Formulierungen in der Bibel. Diese beiden Gleichnisse haben unsere heutige Sprache beeinflusst. Abgerundet werden sie durch ebenfalls gleichnishafte Aussagen von dem andere Blinde führenden Blinden und gegen Ende des Sonntagsevangeliums von den Disteln und dem Dornstrauch, von dem man keine Feigen pflückt bzw. Trauben erntet.
Dieses sehr komprimierte Auftreten von Gleichnissen oder gleichnishaften Formulierungen verdeutlicht die Bedeutung, welche diese Literaturgattung gerade im Neuen/Zweiten Testament einnimmt.
Eigens weisen uns diese Gleichnisse bzw. gleichnishaften Formulierungen im Sonntagsevangelium auf das hin, was gerne der „Sitz im Leben“ genannt wird. Hieß die ursprüngliche Formulierung angeblich „Sitz im Volksleben“, so ging die etwas kürzere Formulierung „Sitz im Leben“ direkt als Begriff ins Amerikanische wie in das britische Englisch ein. Wenn man sich etwa über Internet Vorlesungen einer Professorin, eines Professors einer so berühmten US-Universität wie Yale anhört und ansieht, kann einem dieser aus dem Deutschen stammende Begriff begegnen, wie auch sonst manche Formulierung aus der deutschen Geisteswelt, dem Wirken deutscher Gelehrter gerade des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts Eingang insbesondere in das Amerikanische fanden. Es mögen da auch Ausdrücke wie Zeitgeist und Ding an sich in den Sinn kommen. Ein Ausdruck wie die Vier-Quellen-Theorie für die insbesondere besonders von Julius Wellhausen (1844-1918) vertretene Theorie zur Entstehung der Fünf Bücher Mose, also des Pentateuchs, hebräisch Thora, wurde demgegenüber wie manch anderer ins Amerikanische übersetzt und meist nicht in diesem neuen sprachlichen Zusammenhang als deutsches (Fremd-)Wort unverändert belassen. Unabhängig von solchen sprachlichen Einzelheiten gibt es ganz verschiedene Theorien etwa über die Entstehung des Pentateuchs wie der vier Evangelien, gerade der drei synoptischen, also Matthäus, Markus und Lukas. Sympathien des (Fach-)Publikums haben sich auch da schon gewandelt und können es weiterhin tun. Eine neue Theorie mag entwickelt oder eine schon vorhandene in leichter oder stärkerer Abwandlung fortentwickelt werden. Was der einen, dem einen dabei als unanfechtbares Ergebnis wahrer Wissenschaft erscheint, mag für andere Menschen Ausdruck konfessioneller Polemik oder Wichtigtuerei sein. Was bei den einen kein Problem für eigene Glaubensvorstellungen und –praxis darstellt, mag für die anderen als massiver Angriff auf eben diese erscheinen.
Der auf den, wie Wellhausen, protestantischen Theologen Hermann Gunkel (1862-1932) zurückgehende Ausdruck Sitz im Leben steht seinerseits für die angenommene Situation, den vermuteten geschichtlich, sozialen, kulturellen Zusammenhang der Entstehung eines Textes bzw. die von daher angenommene Aussageabsicht eines Textes.
Nicht wenige Gleichnisse aus der Bibel weisen uns auf ihre Weise oft auf die damalige Situation hin, in welcher die allermeisten Menschen in der Landwirtschaft einschließlich des Weinbaus tätig waren. Es wird geschätzt, dass dies auf vier Fünftel der Bevölkerung zutraf. Dazu passt sehr gut schon die Pflanzenfabel von der Versammlung der Bäume, recht weit vorne im Alten/Ersten Testament, nämlich im Buch der Richter (Ri 9,7-15). Diese berühmte Erzählung entwickelt von sprachlichen Bildern aus dem mehr oder weniger landwirtschaftlichen Bereich her eine drastische Warnung vor der Einführung der Monarchie, ohne mit dieser kritischen Haltung im Alten/Ersten Testament alleine zu stehen (siehe zur allerersten Einführung und Einladung zur persönlichen Vertiefung Gedanken zur Woche 18, 33 und 79).
Ein kritischer Grundzug gegenüber den Mächtigen, den Bessergestellten oder sich für etwas Besseres haltenden, ist dann ein Markenzeichen des neutestamentlichen Lukasevangeliums. Standesdünkeln wird dort auch in weniger bekannten Formulierungen Paroli geboten wie „(8,21) Er erwiderte ihnen: Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und tun“ und der gleichnishaften Warnung vor dem Samen, der auf verschiedene Weise verloren gehen kann, ohne Frucht zu bringen (8,11-15). Wenn es in der fortlaufenden Erzählung des Lukasevangeliums um Wunder wie (Toten-)Erweckungen (7,11-16 und 8,40-42.49-56), Krankenheilungen (8,43-49; 10,9.17; 13,10-17; 14,1-6; 18,35-43) oder die Speisung vieler Menschen (9,11-17) geht, wird die Zuwendung zu einfachen Menschen, gerade solchen in einer Notsituation, offenkundig. Eine Zurechtweisung gegenüber Menschen, die sich für besser als andere hielten, gesellschaftlich höher standen, stellen im Lukasevangelium gerade das Gleichnis vom reichen Gutsherrn (12,16-21), die Aussage von den Lilien auf dem Feld (12,27-28), das Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus (16,19-31) und das vom ungerechten Richter und der Witwe (18,1-8) dar. In diesem Zusammenhang ist auch das Lob Jesu von Nazaret für die arme Witwe (21,1-4) zu nennen. Besonders bekannt sind sicher die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter (10,25-37) und vom verlorenen Sohn (15,11-32). Gerade diese regten auch sehr das Schaffen in der bildenden Kunst an.
Dies, wie überhaupt die erstaunliche Wirkungsgeschichte der verschiedenen biblischen Gleichnisse, kommt wohl nicht zuletzt daher, dass hier nicht abstrakte Redensarten entwickelt wurden, sondern direkt aus dem Leben gegriffen wurde. Gutes Streben im Alltagsleben konnte so umso mehr angespornt und der Gesunde Menschenverstand angesprochen werden. Dies wirkt auch heute über all die gesellschaftlichen, sozio-ökonomischen und politischen bis militärischen Veränderungen hinweg, welche sich seit den Tagen der Entstehung der biblischen Schriften ergeben haben.
Natürlich verdient es dabei das ganze Lukasevangelium, in den Blick genommen und gelesen zu werden. Möge nicht zuletzt von daher immer wieder der Anstoß kommen, Gutes zu tun und Böses zu unterlassen. Dorthin werden wir ja auch nicht erst mit einer neutestamentlichen Schrift wie dem Lukasevangelium gewiesen. Das beginnt schon ganz vorne im Alten/Ersten Testament in den Fünf Büchern Mose. Diese kann man natürlich eben auch gerne den Pentateuch oder die Thora nennen. Aus ihrer Mitte stammen bekanntlich auch die Formulierungen, die dann in den synoptischen Evangelien nach Matthäus (22,34-40), Markus (12,28-34) und Lukas (10,25-28) zum doppelten Liebesgebot zusammengefasst wurden (siehe Gedanken zur Woche 66, 71, 77, 81, 84 und allgemein 62).
1. Lesung: Sir 27,4-7
2. Lesung: 1 Kor 15,54-58
Evangelium: Lk 6,39-45
Gedanken zur Woche 101-b, Dr. Matthias Martin
8. WOCHE IM JAHRESKREIS - ASCHERMITTWOCH - TAGE NACH ASCHERMITTWOCH (2022)
Der ASCHERMITTWOCH gehört zu den herausragenden Tagen im kirchlichen Jahreskreis. Dabei geht seine Bedeutung weit über den engeren kirchlichen Bereich hinaus. Er hat seine eigene Stellung in der Volkskultur. Er markiert ja den Beginn der FASTENZEIT. Die Gläubigen sind eingeladen, als Zeichen ihrer Umkehrbereitschaft das Aschenkreuz zu empfangen. Auch auf „weltlichen“ Kalendern, die man gerade von Firmen, mitunter auch von anderen Einrichtungen wie etwa politischen Parteien, gerne als Werbegeschenke erhält, ist er eigens eingetragen. Dann bedeutet der ASCHERMITTWOCH insbesondere im deutschen Sprach- und Kulturraum das Ende der Faschingszeit, des Karnevals, der Fastnacht. Unmittelbar vorher hat diese mit dem Rosenmontag und dem Faschingsdienstag ihren Höhepunkt erlebt. Natürlich ist in diesen Zeiten mit Corona/COVID 19 natürlich die Feierlaune gerade von staatlicher Seite gebremst. Viele Menschen wollen sich aber das Feiern nicht verbieten lassen. Für die Sicherheitsorgane stellten sich damit neue Herausforderungen, die nicht so leicht zu bewältigen waren und sind.
Überhaupt ist die Faschingskultur ein starker Teil von Volkskultur, ist an vielen Orten und bei vielen Menschen wirklich verwurzelt. Bis zum Ausbruch der Pandemie gaben sich auch gerne Politikerinnen und Politiker bei Faschingsveranstaltungen ein Stelldichein, zeigten gerne sichtbare Präsenz, vor allem, wenn Medienaufmerksamkeit zu erwarten war. Faschingslieder, -märsche, Kostüme wurden über Generationen Teil der Volkskultur, mit Fasching/Karneval verbanden sich allerlei Sitten und Gebräuche, man möchte sagen, ungeschriebene Gesetze. Das wurde deutlich nicht nur in Faschings-/Karnevalshochburgen wie Aachen, Düsseldorf, Köln und Mainz. Natürlich waren und sind auch hier die Übergänge zu so etwas wie Hochkultur fließend. Die jährliche Karnevals-/Faschings- oder Fastnachtssendung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ wurde ein offenkundiger Bestandteil eben der Volkskultur, man könnte auch sagen, der Zivilgesellschaft (https://www.swr.de/mainz-bleibt-mainz/-/id=14381080/7t0p4r/index.html). Schon vor Jahrzehnten war von positiven Rückmeldungen bis aus deutschen Sprachinseln in Australien in Hinblick auf diese fest etablierte Karnevalssendung zu vernehmen.
Nun ja, mitten in der betreffenden Woche geht auch die schönste Faschingszeit, oder wie immer man sie nennen will, zu Ende. Es beginnt mit dem ASCHERMITTWOCH und seinem liturgischen Violett die ernste Fastenzeit. Selbst in so „lustigen“ Fastnachts-/Karnevals-/Faschingsliedern wie „Am Aschermittwoch ist alles vorbei“ (https://www.youtube.com/watch?v=EE1orVATDOI und https://www.youtube.com/watch?v=y9Sbb7LffWA) und „Am Rosenmontag bin ich geboren“ (https://www.youtube.com/watch?v=jAnMbZcNE5s) wird der mit dem ASCHERMITTWOCH verbundene Einschnitt angesprochen.
Sehr sarkastisch gehen die beiden Wiener Liedermacher Christoph Drexler und Lorenz Pichler, kurz Christoph und Lollo (https://www.christophundlollo.com/kontakt.htm), in ihrer Produktion „Aschermittwoch“ mit dem Karnevalstrubel und seinen Akteuren ins Gericht und zeigen ihre Freude über den Aschermittwoch (https://www.youtube.com/watch?v=hXvCg_snZWg), so dass es gleich zweimal im Lied heißt (https://musikguru.de/christoph-lollo/songtext-aschermittwoch-411284.html):
„Wir sind dann froh wenn Aschermittwoch ist
Wir sind dann froh wenn Aschermittwoch ist
Wir hab’n den Ernst des Lebens vermisst
D’rum sind wir froh wenn Aschermittwoch ist“.
Eigentlich kann man darin eine Bestätigung für die traditionelle Ordnung im kirchlichen Jahreskreis sehen. Tatsächlich lädt die Kirche die Menschen in dieser Zeit der Vierzig Tage ein, zu sich zu kommen, von allerlei oberflächlichem Trubel Abstand zu gewinnen. Unterstrichen wird dies nicht nur durch die Liturgiefarbe Violett, sondern auch dadurch, dass der ASCHERMITTWOCH wie der KARFREITAG ein Fast- und Abstinenztag ist. Ansonsten sind die Fastenvorschriften in der katholischen Kirche auf der offiziellen Ebene ziemlich verschwunden. Damit hat sich nach dem II. Vatikanischen Konzil ein Trend in Hinblick auf Lockerung bis hin zur Abschaffung von Fast- und Abstinenzvorschriften oder zumindest deutlichen Empfehlungen fortgesetzt, der in etwa seit der Aufklärung erkennbar ist. Auch Papst Pius XII. mit seiner Amtszeit von 1939 bis 1958 folgte diesem Trend, gerade um Gläubigen unter den Gegebenheiten der modernen Industriegesellschaft den Besuch der Heiligen Messe und den Empfang der Heiligen Kommunion zu erleichtern bzw. wachsende Erschwerungen zu vermeiden. Nach dem II. Vatikanischem Konzil ging es dann stürmisch mit solchen Lockerungen und Abschaffungen in der offiziellen katholischen Kirche voran. Dies stieß des Öfteren auf Verwunderung bis Unwillen. So brauchte es auch Zeit, bis die De Facto-Abschaffung der Enthaltung von Fleisch am Freitag bei Teilen der kirchlichen Basis ankam. Dabei sind in der modernen westlichen Gesellschaft Fastenkuren, Entschlackungsprogamme und so weiter seit Jahren sehr populär. Die katholische kirchliche Hierarchie wurde nicht selten kritisiert, mit ihrer Aufweichung bis Aufgabe von Fastenregelungen genau in die verkehrte Richtung gegangen zu sein und die Möglichkeit, heutige Menschen mit Hilfe der Elemente katholischer Tradition anzusprechen, ausgeschlagen zu haben. Blickt man etwa auf das orthodoxe Christentum, so findet man dort ausgedehnte Fastenzeiten und tiefgreifende Formulierungen (http://www.orthodoxe-kirche.at/site/neuorthodoxseinundorthodo/fasten und http://www.orthodoxie-in-deutschland.de/05_kalender/05_fasten.html). Für das westliche Christentum mag eigens das Zeugnis der sog. Kleinen Kirche mit ihrem Schwerpunkt in etwa am Rande der Vendée von Interesse sein. Diese Gemeinschaft hatte sich aus Protest gegen das durch Papst Pius VII. mit dem brutalen Gewaltherrscher Napoleon geschlossene Konkordat von der Hauptkirche abgespalten. Im Laufe der Zeit kehrten große Teile der Dissidenten zur vollen Einheit mit dem Papst und den mit ihm hierarchisch verbundenen Bischöfen zurück. Sehr wichtig war hierfür der spätere Widerstandes Pius VII. gegen die französische Machtpolitik auf der einen Seite und die erneuten Brutalitäten Napoleons namentlich gegen Papst und Kirchenstaat auf der anderen Seite, wie die Konfrontation des heiligen Papstes Pius X. gegen die französische Politik und überhaupt das beharrliche päpstliche Werben um die Anhänger der Kleinen Kirche. Aber ein Teil dieser Gläubigen verblieb doch im Schisma. Bei diesen Menschen wird noch eine strenge Fastenordnung eingehalten, welche die offizielle katholische Kirche schon lange aufgegeben hat. Dies liegt auf einer Linie mit der auch sonst in der Kleinen Kirche praktizierten Theologie. So hat man dort die liturgische Entwicklung der Großkirche seit 1789 (Ausbruch der Französischen Revolution) bzw. 1801 (Abschluss des von den Dissidenten verurteilten Konkordats) nicht mehr mit vollzogen. Auch werden die seit 1801 amtierenden Päpste nicht anerkannt. Es wird hier also bis in das Fastenwesen hinein ein sehr konservativer Kurs energisch durchgehalten.
Dann ist natürlich das strenge Einhalten des Fastenmonats Ramadan eine der Fünf Säulen des Islams (https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/geschichte/artikel/die-fuenf-saeulen-des-islam).
Bei Buddhisten gibt es nach einzelnen Glaubensrichtungen und Ländern unterschiedliche Fastenvorschriften, jeweilige Traditionen (https://www.br.de/themen/religion/fasten-weltreligionen-buddhismus-100.html und https://www.religionen-entdecken.de/lexikon/f/fasten-im-buddhismus).
Gedanken zur Woche 100, Dr. Matthias Martin
7. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Das Erreichen der 100. Ausgabe unserer Reihe „Gedanken zur Woche“ ist Anlass, dankbar für das allen Widrigkeiten zum Trotze Erreichte zu sein und überhaupt etwas zurückzublicken.
Die Verhängung des Shutdowns bzw. ersten Lockdowns im März 2020 war für uns ein Tiefschlag. In den Monaten zuvor hatte es in der Pfarrgemeinde zum Heiligen Nikolaus in Stein an der Donau einen deutlichen Anstieg der Zahl an Gottesdienstbesucher/-innen gegeben. Menschen begannen sich wieder für das kirchliche Leben zu interessieren, die sich von der Kirche zum Teil schon Jahrzehnte vorher entfremdet hatten. Dies war mitunter bis zum offiziellen Kirchenaustritt gegangen. Nicht zuletzt durch Aufgeschlossenheit von Lokal- und Ladenbesitzern sowie des universitären Bereichs, die verschiedenen Mittteilungen der Pfarrgemeinde auszulegen, aufzuhängen bzw. durch den jeweiligen E-Mail-Verteiler verbreiten zu helfen, konnten zusehends Menschen für die Pfarrgemeinde im Besonderen und kirchliches Leben im Allgemeinen angesprochen werden.
Die Renovierung der Pfarrkirche war bereits Ende 2019 im Wesentlichen abgeschlossen worden, und wir hatten mit Diözesanbischof Dr. Alois Schwarz am 23. Februar 2020 den beindruckenden Dankgottesdienst samt Einweihung der Mareinkapelle und anschließendem erweiterten Pfarrcafé feiern können. Dank Unterstützung auch von den politischen Einrichtungen war die Finanzierung sowohl solch besonderer Projekte wie der Restaurierung der Pfarrkirche samt Gestaltung der Marienkapelle und die schon in den Blick genommene Restaurierung des Pfarrhofes als auch der laufende Pfarrbetrieb sichergestellt. Die Menschen wussten, dass sie sich auf das gottesdienstlich-sakramentale Angebot in der Pfarrgemeinde, auf die Jungschar- und Ministrantenarbeit wie die Pfarrverwaltung verlassen konnten.
Im Dezember 2019 war erstmals der neue monatliche Pfarrbrief herausgekommen.
Abgerundet wurde dies durch Zusammenarbeit mit der professionellen Gemeindeberatung auf diözesaner Ebene.
Kurz nach dem erfolgreichen Fastensuppenessen vom 09. März 2020 kam es dann eben zum Shutdown! In der Pfarrgemeinde bemühten wir uns, das pfarrliche Leben soweit als möglich aufrecht zu erhalten. Ich selber feierte täglich die Heilige Messe, wenn nun auch ohne Gläubige. Dabei sind alle stets eingeladen, ob einzeln oder in sichtbarer Gemeinschaft zu beten. Beispielsweise wird Jesus von Nazaret im Matthäusevangelium mit den Worten zitiert: „(6,6) Du aber, wenn du betest, geh in deine Kammer, schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist! Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.“ Dazu feiert man die Heilige Messe grundsätzlich für die Lebenden und die Verstorbenen, wie im Hochgebet deutlich wird. Dies ist unabhängig von der Zahl der sichtbaren Gottesdienstteilnehmerinnen und –teilnehmer. Ganz allgemein gehört das Beten für die Lebenden und die Verstorbenen zu den sieben geistigen Werken der Barmherzigkeit.
Dann wurde an mich die Idee herangetragen, diese Artikelreihe „Gedanken zur Woche“ zu beginnen, als ein Ersatz für die entfallende Sonntagspredigt. Wie zahlreiche Reaktionen auch von außerhalb des Pfarrgebiets zeigten, kam das Projekt gut an. So wurde dieses zunächst eher als kurzfristige Aktion angedachte Projekt auf zwei Artikel pro Woche ausgedehnt. Als es die bekannten Lockerungen des Shutdowns bzw. Lockdowns gab, wurden die „Gedanken zur Woche“ fortgesetzt. Ebenso wurde der Pfarrbrief fortgesetzt und wie die „Gedanken zur Woche“ gerade auch im Internet über die Start-/Heimseite der Pfarrgemeinde zur Verfügung gestellt. In der ersten Ausgabe des Pfarrbriefes hatte ich bereits auf das Dekret des II. Vatikanischen Konzils „Inter mirifica“ über die sozialen Kommunikationsmittel hingewiesen und auch den heiligen Papst Pius X. mit seiner aufmunternden Mahnung zitiert: „Ihr werdet umsonst Kirchen bauen, Schulen errichten und alle anderen guten Werke organisieren, wenn es Euch nicht gelingt, die Waffe der guten Presse gegen die schlechte Presse zur Geltung zu bringen.“
Einige Zeit lang bot die Pfarrgemeinde zwei Heilige Messen pro Sonn- und Feiertag an, damit sich die Gläubigen im Rahmen der jeweils geltenden Regelungen besser in der Pfarrkirche verteilen konnten.
Ein besonderer Tiefschlag war dann meine eigene COVID 19-Erkrankung. Am Karfreitag 2021 positiv getestet, stand ich zunächst unter Hausquarantäne, bevor es am Mittwoch der Osterwoche ins Klinikum Krems ging. Ich bin all den Menschen aufrichtig dankbar, die mich begleitet und auch die Pfarrgemeinde nicht aufgegeben haben. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle Diakon Michael Wegleitner und Pastoralassistentin Alexandra Lindner. Zeichen der Anteilnahme erreichten mich sogar aus Übersee.
Von dort, namentlich dem US-Bundesstaat Texas, erreichten mich im Laufe der Zeit auch positive Rückmeldungen zu unserer Artikelreihe „Gedanken zur Woche“ wie zum Pfarrbrief. Gerade gab es natürlich Rückmeldungen und Interessensbekundungen hierzu aus dem Pfarrgebiet und dessen engerer Umgebung. Von dort gab es auch Unterstützung für unser Kühlschrankprojekt. Geld- und Sachspenden gingen von verschiedenen Richtungen ein, einschließlich der in Stein beheimateten katholischen Mittelschulverbindung CHREMISA (https://www.chremisa.at/index.php/de/unsere-bude). Erfreulich und ermutigend war, wie sehr Menschen unterschiedlicher parteipolitischer Orientierung und konfessioneller Zugehörigkeit gerade in Zeiten der Krise zusammenwirkten, die Pfarrgemeinde unterstützten.
Lockerungen beim Shut-/Lockdown wurden dahingehend genutzt, das gottesdienstliche und anderweitige pfarrliche Angebot im Rahmen des jeweils möglichen zu gestalten und auch sonst wieder aktiv auf die Menschen nicht zuletzt aus dem Bereich von Universitäten und Studentenverbindungen zuzugehen. Vereinzelt nahmen auch schon wieder Urlaubsgäste aus den USA an der Heiligen Messe in der Steiner Pfarrkirche teil. Vor dem Shutdown hatte sich ja da eine eigene bemerkenswerte Entwicklung ergeben, samt Dollarnoten im Klingelbeutel, worauf sogar der ORF in seiner Reportage über unsere Kirchenrenovierung hinwies.
So wollen wir in christlicher Hoffnung wie Gottes- und Nächstenliebe auch in Zukunft voranschreiten, und versuchen, aus der jeweiligen Situation das Beste zu machen.
1. Lesung: 1 Sam 26,2.7-9.12-13.22-23
2. Lesung: 1 Kor 15,45-49
Evangelium: Lk 6,27-38
Gedanken zur Woche 100-b, Dr. Matthias Martin
7. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Meist wird an einem liturgischen Gedenktag bzw. liturgischen Fest eines Heiligen oder einer Heiligen bzw. Seligen gedacht. Es können auch zwei oder mehr auf einmal sein (siehe Gedanken zur Woche 99-b). Gemeinsam ist diesen liturgischen Anlässen, dass jeweils natürlicher/physischer Personen gedacht wird. Es gibt aber auch Tage im Kirchenjahr, an denen liturgisch etwas anderem als einer natürlichen Person oder mehrerer natürlicher Personen, also Menschen aus der Geschichte, gedacht wird. Ein gutes Beispiel dafür ist, wenn wir dem jetzt bei uns üblichen liturgischen Kalender folgen, die siebte Woche des Kirchenjahres im Kalenderjahr 2022 (zur Einteilung des Kirchenjahres für Gottesdienste im Tridentinischen Ritus siehe https://introibo.net/kalender.php und https://unavoce.ru/pdf/ordo_2022.pdf). Da wird des Bischofs und Kirchenlehrers Petrus Damini, des Märtyrerbischofs Poylkarp, des Apostels Matthias (zum Fest des heiligen Matthias siehe eigens Gedanken zur Woche 50-b und 60) und der Äbtissin Walburga gedacht. Es wird aber auch eigens die KATHEDRA PETRI mit einem eigenen Fest gefeiert. Nun ist die KATHEDRA PETRI offensichtlich keine natürliche Person, kein Mensch aus der Geschichte. Wir werden damit auf den Stuhl Petri, auch genannt der Apostolische Stuhl oder Heiliger Stuhl hingewiesen. Dieser ist ein Völkerrechtssubjekt eigener Art und nicht mit dem Staat der Vatikanstadt, kurz genannt Vatikanstaat oder auch Staat Vatikanstadt, zu verwechseln, auch wenn er mit ihm natürlich verbunden ist. Seitens des schweizerischen Außenministeriums, offiziell Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, heißt es über den Heiligen Stuhl (https://www.eda.admin.ch/dam/eda/de/documents/aussenpolitik/voelkerrecht/liste-etats_DE.pdf):
„Nichtstaatliche souveräne Macht, zu unterscheiden vom „Staat der Vatikanstadt“, dem der Souveränität des Papstes unterstellten Gebiet. Die „Apostolische Nuntiatur“ ist die diplomatische Mission des Heiligen Stuhles, nicht der Vatikanstadt.“
Allgemein hat sich für die Anerkennung von Staaten die Dreilementenlehre durchgesetzt, wonach ein Staat, um als Staat zu gelten, drei Elemente aufzuweisen hat: Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt. Im Sinne der Konvention von Montevideo über Pflichten und Rechte von Staaten vom 26. Dezember 1933 kam noch als viertes Kriterium die Fähigkeit hinzu, mit anderen Staaten Beziehungen zu unterhalten, mit anderen Größen in der Internationalen Gemeinschaft in Beziehung zu stehen (zum Text auf Deutsch siehe https://montevideo1933.wordpress.com/ und auf Englisch https://www.ilsa.org/Jessup/Jessup15/Montevideo%20Convention.pdf).
Mit der besonderen Stellung des Apostolischen/Heiligen Stuhls/Stuhles Petri hat sich Otto Kimminich in seinem Werk „Einführung in das Völkerrecht“ beschäftigt und (siehe 5. Auflage Tübingen – Basel 1990, Seite 202-203) festgehalten:
„Als Ausnahme von dem Grundsatz, daß nur souveräne Staaten Völkerrechtssubjekt sind, war bereits im klassischen Völkerrecht der Hl. Stuhl als Völkerrechtssubjekt anerkannt. Der Hl. Stuhl ist das Oberhaupt der katholischen Kirche, d. h. der Papst. Im Grunde genommen handelt es sich also um die Völkerrechtssubjektivität einer Einzelperson, aber diese Einzelperson wird nicht als solche gewertet, sondern nur in ihrer Stellung als Oberhaupt der katholischen Kirche. Von einer Völkerrechtssubjektivität des Papstes wird nicht gesprochen. . . .
Durch die am 11. Februar 1929 zwischen dem Hl. Stuhl und Italien abgeschlossenen Lateranverträge wurde der Staat der Vatikanstadt geschaffen. Dieser Staat weist alle Elemente des Staatsbegriffs (Volk, Gebiet und Staatsgewalt) auf und ist daher – auch wenn es sich um einen Zwergstaat handelt - ein normaler souveräner Staat und als solcher Völkerrechtssubjekt. Sein verfassungsgemäßes Oberhaupt ist der Papst. Trotz dieser personellen Verbindung ist die Völkerrechtssubjektivität des Hl. Stuhles streng von der Völkerrechtssubjektivität des Staates der Vatikanstadt zu unterscheiden. . . .
Er, ist aber keine internationale Organisation, sondern ein Völkerrechtssubjekt eigener Art. Im Rahmen seiner traditionellen, durch das Kirchenrecht umschriebenen Aufgabe nimmt er am völkerrechtlichen Verkehr teil und besitzt insoweit die Völkerrechtssubjektivität, die sich qualitativ nicht von der Rechtsfähigkeit anderer Völkerrechtssubjekte unterscheidet. Wie diese unterzeichnet und ratifiziert der Hl. Stuhl die völkerrechtlichen Verträge.“
Dies verdeutlicht auch die in der Rechtswissenschaft wie in der Praxis so wichtige Unterscheidung zwischen natürlichen/physischen und juristischen Personen. Wie in anderen Fällen kommt dem katholischen Kirchenrecht auch bei der Entwicklung bezüglich juristischer Personen Bedeutung zu. In einer ganzen Reihe von Canones und Artikeln von Canones des CODEX IURIS CANONICI/CODEX DES KANONISCHEN RECHTS von 1983 wird auf die natürliche wie die juristische Person und auch auf Person im allgemeinen Sinne eingegangen.
So lautet Canon 114 § 1:
„Juristische Personen entstehen entweder aufgrund einer Rechtsvorschrift selbst oder aufgrund einer durch Dekret gegebenen besonderen Verleihung seitens der zuständigen Autorität, und zwar als Gesamtheiten von Personen und Sachen, die auf ein Ziel hingeordnet sind, das mit der Sendung der Kirche übereinstimmt und die Zielsetzung Einzelner übersteigt.“
Die besondere Stellung der Gesamtkirche wie des Heiligen Stuhles sowie die voneinander zu unterscheidende Existenz von natürlichen/physischen und juristischen Personen werden bereits in Canon 113 angesprochen:
„§ 1. Die katholische Kirche und der Apostolische Stuhl haben aufgrund göttlicher Anordnung den Charakter einer moralischen Person.
§ 2. In der Kirche gibt es außer physischen Personen auch juristische Personen, das heißt Träger von ihrer Eigenart entsprechenden Pflichten und Rechten im kanonischen Recht.“
Mag es auch sich so gerne grobschlächtig äußernden Kirchenmitarbeitern, sei es ohne oder mit Weihe, missfallen, so wird im Kirchenrecht eigens weiter zwischen verschiedenen Arten von juristischen Personen differenziert. Dies fand bei aller herrschenden gegenwärtigen Verwirrung im kirchlichen Leben Eingang in die kirchenrechtliche Fachliteratur. Auch im weltlichen Recht gibt es allerlei Differenzierungen. Arthur Kaufmann etwa meint in der zweiten überarbeiteten und stark erweiterten Auflage seines Werkes „Rechtsphilosophie“ (München 1997, Seite 99): „Die Zahl der rechtlichen Grundbegriffe ist groß, wenngleich sie nicht unermeßlich ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten ihrer Systematisierung . . .“.
Gedanken zur Woche 99, Dr. Matthias Martin
6. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Im Evangelium nach Lukas wird uns so etwas wie die geraffte Wiedergabe der Bergpredigt geboten, deren bekanntere und umfangreichere Version sich im Matthäusevangelium findet. Beide dieser Evangelien sind umfangreicher als das Markusevangelium, weswegen sie die Großevangelien genannt werden. Zusammen mit dem kürzeren Markusevangelium gehören sie bekanntlich zur Gruppe der drei synoptischen Evangelien (siehe Gedanken zur Woche 50 und 78-b) und werden wegen ihrer üblichen Wiedergabe in Synopsen links und rechts des Markustextes auch die Seitenreferenten genannt (siehe ebd.).
Die lukanische Version der Bergpredigt mag man nun für ein Beispiel für die Richtigkeit der bei Theologinnen und Theologen zumindest sehr lange so beliebten Zweiquellentheorie/Zwei-Quellen-Theorie gesehen werden. Dieser zufolge fußen die beiden Großevangelien nach Matthäus und Lukas im Wesentlichen auf zwei Quellen: dem uns bekannten Markusevangelium und der lediglich in neuerer Zeit nach Möglichkeit rekonstruierten sog. Quelle Q, kurz genannt Q. Es bleibt dabei nicht zuletzt das Problem des Sonderguts, also Stellen, Formulierungen oder Worte, welche sich nur in einem der Evangelien finden und nicht etwa sowohl im Matthäus- und als auch im Lukasevangelium, also beiden Großevangelien bzw. Seitenreferenten, welche dieser Theorie zufolge ja einen Großteil ihres Inhalts wenn nicht aus Markus, dann aus der Quelle Q/Q bezogen. Sondergut bedeutet hier auch, dass es bezüglich diesem keine Gemeinsamkeit zwischen Markusevangelium und einem der beiden (synoptischen) Seitenreferenten oder gar beiden gibt. Woher kam dieses jeweilige Sondergut? Auf dieses Problem wies im bestimmten Tonfall mein sonst von der Zweiquellentheorie so angetaner Professor für Biblische Einleitungswissenschaft an der Theologischen Fakultät in Würzburg hin. Dann ist natürlich gerade für den historisch wie sprachwissenschaftlich interessierten Menschen der Umstand nicht von der Hand zu weisen, dass bis heute keine Quelle Q oder selbst nur ein Teil von ihr als Fund irgendwo gemacht wurde. Wurden doch bemerkenswerte Schriften oder Teile von solchen etwa im Rahmen der Schriftrollen vom Toten Meer, der Qumranfunde/Funde von Qumran entdeckt. Eine als Quelle Q zu bezeichnende Schrift oder ein wie auch immer in diesen Zusammenhang aussagekräftig einzuordnender Fund wurde aber nicht gemacht. Gleiches gilt in Hinblick auf die ebenfalls so spektakulären Funde von Nag Hammadi in Ägypten (zu einer allerersten Anregung für eine persönliche Beschäftigung sei hingewiesen auf http://www.thlz.com/artikel/1535/ und https://religion.fsu.edu/person/matthew-goff/conferences/nag-hammadi-codices-and-the-dead-sea-scrolls). Wurden allerlei Funde einschließlich gerade schriftlicher Quellen schon vor Jahrzehnten erschlossen, welche Informationen selbst über Einzelheiten etwa der Politik römischer Kaiser bieten, die Entwicklung des Münzwesen etc., so fand bisher niemand die Quelle Q oder auch nur einen Teil dieser angenommenen Grundlage bei der Bildung eben ganz zentraler Teile des Neuen Testaments. Offensichtlich gibt es auch keinen Hinweis bei Apostolischen bzw. Kirchenvätern und nicht bei außerchristlichen Quellen, dass einst eine solche Quelle existiert habe. Dabei haben wir ja schon seit sehr langer Zeit auch Quellenmaterial vorliegen etwa zu Ereignissen im Rahmen römischer Christenverfolgungen, innerchristlicher wie innerjüdischer Diskussionen und Auseinandersetzungen. So schloss sich manche/r (wieder) der schon alten Position an, das Matthäusevangelium und nicht das Markusevangelium sei das älteste Evangelium. Ja es gibt auch die Hypothese, sowohl das Matthäus- als auch das Lukasevangelium seien älter als Markusevangelium: Zwei-Evangelien-Theorie. Die Griesbachhypothese und dann Neo-Griesbachhypothese bietet eine besonders beachtete Version von der Zwei-Evangelien-Theorie. Hinzu kommen weitere Theorien allein schon zur Entstehung und angenommenen literarisch-inhaltlichen Abhängigkeit dieser drei synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) samt möglicher Quellen einschließlich Sonderquellen. Einen eigenen Versuch, diese Fragestellung zu klären, stellt die Theorie einer Marcion-Priorität, die Marcion-Hypothese dar. Danach wäre gar keines der drei synoptischen Evangelien und auch nicht das Johannesevangelium das älteste Evangelium und als solches eine sehr wichtige Grundlage für die Entwicklung anderer Evangelien. Dies wäre demnach vielmehr das Evangelium (https://www.amazon.de/Evangelium-Monographie-Geschichte-Grundlegung-katholischen/dp/3534132866 und https://www.erzdioezese-wien.at/site/glaubenfeiern/christ/unserglaube/glaubenswissen/article/75509.html) des mit der frühen Großkirche wegen seiner mit antijüdischer Verschwörungstheorie verbundenen radikalen Trennung zwischen dem Gott des Alten/Ersten Testaments und dem Gott Jesu Christi sich überwerfendenden Marcion/Markion gewesen (siehe Gedanken zur Woche 96). Dementsprechend wäre dann natürlich seine Art von Evangelium nicht vom Lukasevangelium abhängig, sondern dieses vielmehr irgendwie vom Evangelium des Marcion/Markion.
So mag das Stück des Lukasevangeliums mit der dortigen Version von Bergpredigt eine Anregung sein, sich insgesamt mit der Bibel und Erklärungsversuchen zu ihrer Entstehung zu beschäftigen. Ganz im Sinne bereits frühchristlicher Bildungsaktivitäten unter Einschluss von sprachlich-philologischen, geografischen und geschichtlichen Kenntnissen gehört dazu sicher die Pflege eben sprachwissenschaftlicher bis historischer einschließlich archäologischer Kenntnisse. Einfacher haben es da natürlich auf ihre Weise jene in der heutigen Großkirche, die meinen, die Beschäftigung mit der Bibel sei eh nicht so wichtig. Die Gläubigen sollten eh lieber beispielsweise auf dem Buchmarkt erschienene gesammelte Briefe eines früheren Vorsitzenden einer Bischofskonferenz oder ähnliches lesen.
Dabei bietet der angesprochene Text des Lukasevangeliums für sich schon starke Hinweise für ein gutes, moralisch richtiges Handeln. Die Seligpreisungen für die Hungernden, die Verfolgten und die Warnungen vor dem Lob in der Gesellschaft und dem Reichtum sind bemerkenswert. Zugleich verweisen sie uns zurück auf das Alte/Erste Testament, angefangen mit der Thora, auch genannt der Pentateuch, die Fünf Bücher Mose.
1. Lesung: Jer 17,5-8
2. Lesung: 1 Kor 15,12.16-20
Evangelium: Lk 6,17-18a.20-26
Gedanken zur Woche 99-b, Dr. Matthias Martin
6. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Gemeinhin sind es Menschen gewohnt, dass an einem bestimmten Tag einer bestimmten Heiligen, eines bestimmten Heiligen gedacht wird. Tatsächlich kann aber das Gedenken von zwei und mehr Heiligen, essentiell miteinander, verbunden am selben Tag begangen werden. Ein sehr gutes Beispiel ist der gemeinsame Gedenktag des heiligen Cyrill, auch genannt Konstantin, und seines Bruders, des heiligen Methodius. Beide stammten aus dem Mazedonien genannten Gebiet, auch Makedonien geschrieben, mit der wichtigen Hafenstadt Thessalonike und wurden zu Missionaren slawischer Bevölkerungsgruppen. Deswegen werden sie manchmal sogar Slawenapostel genannt. Papst Johannes Paul II. erhob sie beide zusammen zu Mitpatronen Europas. Ihnen wurde damit eine Ehre zuteil, die sie mit dem heiligen Benedikt von Nursia, der heiligen Katharina von Siena, der heiligen Birgitta von Schweden und der heiligen Theresia Benedicta vom Kreuz, bürgerlich Edith Stein, teilen. Macht all dies schon etwas deutlich, dass es im Christentum um Gemeinschaft anstatt um Vereinzelung geht, so wird es vielleicht besonders am 17. Februar deutlich. An diesem Tag gedenkt die katholische Kirche als Gruppe der sieben heiligen Gründer des Servitenordens. Hier geht es also um eine kleine Gemeinschaft von sieben christlichen Persönlichkeiten, durch deren Wirken eine größere Gemeinschaft, der Servitenorden, entstehen konnte.
Gemeinschaft, Miteinander, Verbundenheit mögen hier als Stichworte in den eigenen Gedanken aufscheinen und auch die altchristliche Redensart in den Sinn kommen „Ein Christ ist kein Christ!“
Natürlich bedarf es zum Zusammenleben von Menschen Regeln. Dass es ohne Regel n nicht geht, macht die Erzählung „Das Dorf ohne Regeln“ bildhaft deutlich (siehe zu einer Version dieser Erzählung https://www.vs-wals.salzburg.at/allgemeines/27-schulordnung.html).
Demensprechend gab es im Christentum schon seit frühester Zeit Regeln oder ähnliches. Zeugnis legt dafür gerade, aber natürlich nicht allein, die Gemeinderegel des Matthäusevangeliums ab (siehe Gedanken zur Woche 26 und 78-b). Alsbald bemühte man sich bei Streitigkeiten und inhaltlichen Unklarheiten um verbindliche Regelungen, was nicht zuletzt zum Apostelkonvent von Jerusalem führte, auch genannt das Apostelkonzil, über das in der neutestamentlichen Apostelgeschichte nachzulesen ist (Apg 15,2-30 und siehe auch Gal 2,1-10).
Fand im Jahre 325 in Nicäa das erste Allgemeine Konzil statt mit der Verabschiedung sowohl eines Glaubensbekenntnisses wie von 20 Canones zu eher einzelnen Fragen, so waren in der Zwischenzeit unterschiedliche Schriftstücke entstanden und auch verschiedene Synoden abgehalten worden. Wie jede menschliche Gemeinschaft verfügte die (ganz) frühe Kirche über Regeln, über eine gewisse Ordnung. So machte auf recht drastische Weise Kirchenvater Augustinus in seinem Werk „De civitate dei“, also vom Gottesstaat deutlich, dass selbst eine Räuberbande wie ein Großreich eine innere Ordnung braucht.
Dabei gab und gibt es auch in der Kirchengeschichte nicht zuletzt auch das, was gerne Gewohnheitsrecht genannt wird, eingespielte Übungen, Überlieferungen, die dann eigens verschriftlicht werden konnten und es auch oft wurden, wofür das erste Konzil von Nicäa auf seine Weise Zeugnis gibt. Dass größere rechtliche Werke nicht vom Himmel fallen, verdeutlichen schon ganz kurze Formulierungen wie „Recht wurde zuerst gefunden, dann gesetzt“; „Recht ist Ordnungsmittel und Lebensordnung. Es gestaltet „das Leben“, aber „das Leben“ gestaltet auch das Recht.“ und die Formulierung, wonach es grundsätzlich drei Stationen der Rechtsentwicklung gibt: „ungeschriebenes, aufgeschriebenes, positives Recht“. Verschiedenes wird schneller, anderes langsamer verschriftlicht oder kann auch wieder in Vergessenheit geraten, um vielleicht später aber wiederentdeckt zu werden. Dies gibt es beim weltlichen wie beim religiösen Recht, wobei in menschlichen Kulturen nicht immer eine klare Trennung zwischen zwei solchen Bereichen gegeben ist und manchmal sogar ausdrücklich abgelehnt wird.
Genauso wird innerhalb eines Rechtswesen das Recht, werden rechtliche Bestimmungen vielfältig ausdifferenziert. Mitunter wird von „juristischen Kategorien“ gesprochen bzw. geschrieben.
Man kann die Abgrenzung zwischen gesetzlich und privatrechtlich betonen, zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht. In letzterem spielt die Vertragsfreiheit eine besonders große Rolle, gibt es meist relatives und nicht absolutes Recht. Als unterschiedliches Grundverständnis stehen sich die Maximen gegenüber:
„Alles ist erlaubt, was nicht (ausdrücklich) verboten ist“
und
„Alles ist verboten, was nicht (ausdrücklich) erlaubt ist“.
Natürlich gibt es auch hier keine Schwarz-Weiß-Unterschiede in der Lebenswirklichkeit. Selbst in totalitären Systemen war bzw. ist dies wohl so, wobei natürlich auch die Frage, wann denn überhaupt ein totalitäres System vorliegt, immer wieder in der Geschichte umstritten war und in der Gegenwart umstritten ist. Ein innerkirchliches Problem von besonderer Schwere ist sicher die in den letzten Jahrzehnten überhandnehmende Täterfreundlichkeit auch bei so schweren Untaten wie sexuellem Missbrauch. Da hat sich sehr oft die Praxis eingeschlichen, dass auch hohe und höchste Kirchenvertreter für sich und ihre Klientel in Anspruch nahmen und wohl auch noch nehmen, auch noch so festgelegte rechtliche Normen verletzen zu dürfen. Bei anderen Menschen, gerade solchen, die einem selber eh aus irgendeinem Grunde missliebig sind, war und ist man aber dann umso unbarmherziger. Da mag auch die Überlegung eine sehr wichtige Rolle spielen, dass etwa Kritiker innerkirchlicher Missbrauchsstrukturen samt des Unterschlagens von finanziellen Mitteln möglichst gleich zum Schweigen gebracht, kirchlich bis gesellschaftlich ausgegrenzt werden sollten, um den betreffenden Tätern dann nicht mehr in die Quere kommen zu können. In solchem Zusammenhang hat sich wohl auch manche fromme Katholikin, manch frommer Katholik unbewusst zur „nützlichen Idiotin“, zum „nützlichen Idioten“ machen lassen. Denken wir doch nur an das Wirken der kleinen und großen Alfrinks, Woelkis, Meisners, McCarricks und Weaklands etc. (siehe Gedanken zur Woche 64-b, 67-b, 89 und 93). Das Argument, die Täter, die verschiedenen Mitwirkenden in den betreffenden Netzwerken hätten doch nicht nur schlimmes, sondern auch (irgendetwas) Gutes getan und sollten deswegen von Kritik und erst recht Strafverfolgung ausgespart sein, ist an Absurdität bis Heuchelei wohl nicht mehr zu überbieten. Schließlich gibt es keinen Menschen, der nur direkt als Böses zu bezeichnendes getan hätte. Schon der Satz „Wer schläft, sündigt nicht“ verdeutlicht dies. Dazu hat jeder Massenmörder sei es in den eigenen Kindertagen oder später irgendwem einmal etwas Nettes getan. Gerade die Handelnden in größeren verbrecherischen Strukturen, tun bestimmten Menschen etwas Gutes, allein schon um diese sich gewogen zu machen bzw. gewogen zu halten. Jedes noch so tyrannische Regime hat irgendetwas für sich gar nicht so Schlimmes geschaffen bzw. unterstützt, wie etwa beeindruckende Bauten, Kunstwerke, soziale Leistungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Dass das Vollbringen irgendwelcher vermeintlich oder tatsächlich guter Taten Täter vor Strafverfolgung und gar vor jeder Kritik zu schützen hätte, liefe bei konsequenter Anwendung auf die Menschheit auf eine völlige Auflösung jeder Strafverfolgung wie öffentlicher Kritik hinaus. Es sollte doch sowieso gelten, dass alle Menschen gleich sind. Offensichtlich gilt aber auch in offiziellen kirchlichen Strukturen oft, dass alle Menschen gleich, manche aber gleicher und manche am gleichesten sind.
Dazu fielen kirchliche Täter mit ihren Handlangern und Handlagerinnen fortwährend mit besonderer Hartherzigkeit, Erbarmungslosigkeit, Dialogverweigerung und dergleichen auf, wenn es um Menschen ging, die ihnen missliebig waren bzw. sind.
Auch ein kirchliches Machtsystem ist als solches stets vor (Macht-)Missbrauch zu schützen, ist auch hier die Sicherstellung von Gerechtigkeit eine Daueraufgabe.
Gedanken zur Woche 98, Dr. Matthias Martin
5. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Gleich die ersten vier Verse dieses Sonntagsevangeliums mit dem Beginn des fünften Kapitels des Lukasevangeliums sind ein drastischer Beleg, dass nicht alles, was Jesus sagte und tat, und die Apostel an Relevantem äußerten, Eingang in das fand, was wir heute die Bibel, genauer das Neue/Zweite Testament nennen. Dabei steht diese Stelle natürlich nicht allein, blicken wir nur an das Ende des eh so kurzen Zweiten und Dritten Johannesbriefes, den Schluss des Johannesevangeliums, wie in Richtung anderer Stellen (siehe Gedanken zur Woche 70-b und 75). Interessant ist da auch, was es zu Beginn des Lukasevangeliums heißt:
„(1,1) Schon viele haben es unternommen, eine Erzählung über die Ereignisse abzufassen, die sich unter uns erfüllt haben. (2) Dabei hielten sie sich an die Überlieferung derer, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren. (3) Nun habe auch ich mich entschlossen, nachdem ich allem von Beginn an sorgfältig nachgegangen bin, es für dich, hochverehrter Theophilus, der Reihe nach aufzuschreiben.“
Viele haben es also unternommen, eine Erzählung über diese Ereignisse abzufassen! Dabei haben nur vier Evangelien Eingang in die bei uns übliche Bibel gefunden. Auch ist schon die Frage, wer denn dieser erwähnte Theophilus sei, umstritten. Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet. Handelt es sich hierbei um eine konkrete Einzelperson oder liegt hier eine Art symbolhafter Ausdruck vor, der stellvertretend für alle steht, die zum Glauben an Jesus Christus kommen mögen. Dieser Name bedeutet doch so viel wie „Freund Gottes“, „Gottesfreund“ oder “der von Gott Geliebte“ (siehe https://www.vorname.com/name,Theophilus.html und vergleiche auch https://charlies-names.com/de/theophilus/). Ein Freund, eine Freundin Gottes, von Gott geliebt und ihn liebend mögen ja doch alle Menschen werden. Diese Einladung gilt für alle!
Andererseits lässt sich feststellen, dass die neutestamentliche Apostelgeschichte, welche gerne als der zweite Teil des/eines lukanischen Doppelwerks gesehen wird (siehe Gedanken zur Woche 82-b), keineswegs die Aussagen und Handlungen aller Apostel im betreffenden Zeitraum, gewissermaßen im „Berichtszeitraum“, darstellt.
Dementsprechend gab es und gibt es allerlei Versuche, so etwas wie Lücken in den biblischen Schriften aufzufüllen, den Fortgang der Erzählung in der einen oder anderen Weise abzurunden. Es stellt sich natürlich die Frage, ob, wieweit und wie dieses geschehen kann. So gibt es eine Vielzahl sogenannter Apokryphen, von Schriften, welche es zwar nicht in das uns üblicherweise bekannte Neue Testament geschafft haben, welche aber einen in diese Richtung gehenden Anspruch erhoben haben bzw. in diesem Sinne von irgendjemandem gerade in der frühen Zeit des Christentums vorgebracht wurden. Auf der anderen Seite sind im orthodoxen Christentum und erst recht in altorientalischen Kirchengemeinschaften Schriften als Teil der Bibel anerkannt, die diesen Status in der mehr oder minder westkirchlichen Tradition nicht besitzen. Verschiedene Schriften und Teile von Schriften, welche insbesondere von katholischer, orthodoxer und altorientalischer Seite als Teil des Alten Testaments anerkannt werden, wird dies von protestantischen konfessionellen Gemeinschaften meist verwehrt, wobei hier zwischen den einzelnen konfessionellen Gemeinschaften jeweils noch einmal zu unterscheiden ist (als kleine Einführung zur Frage, welche Schriften und Teile von Schriften gegebenenfalls als Teil der Bibel anerkannt sind, sei hingewiesen auf https://de.wikibrief.org/wiki/Development_of_the_Old_Testament_canon; https://de.wikibrief.org/wiki/Christian_biblical_canons und https://www.youtube.com/watch?v=HYlZk4Hv-E8). Diese Ausdifferenzierung gilt auch bezüglich den zunehmend vorhandenen anglikanischen Aufspaltungen, einzelnen Gemeinschaften und Strömungen innerhalb etwa der offiziell von der britischen Königin als Oberhaupt angeführten englischen Staatskirche.
Besonders ins Auge springend war die Auseinandersetzung über die Zusammensetzung der Bibel schon sehr früh mit dem antiken Markion/Marcion und seinen verschwörungstheoretischen Konstrukt einer angeblichen jüdischen Verfälschung des Christentums. Der Vorwurf, eine gegen die authentische Botschaft Jesu von Nazarets gerichtete Infiltration habe über das uns bekannte Neue Testament mit dem Alten Testament im Hintergrund stattgefunden, mit der katholischen Kirche als Durchführungsinstrument oder Bundesgenossin, kehrt im Laufe der Geschichte in verschiedenen Varianten immer wieder. Besonders bedenklich ist, wenn derartiges in der einen oder anderen Variante auch von Kirchenmitarbeitern, egal ob mit oder ohne Weihe verbreitet werden kann. Es ist nun mal dieser alte judenfeindliche Verschwörungsmythos, der ursprüngliche jesuanische Geist oder wie auch immer, sei früher oder später beiseitegeschoben worden, um sich mit dem überlieferten Judentum zu verständigen, bzw. es habe Jahrhunderte gebraucht, die angeblich wahre Botschaft Jesu von Nazaret von alttestamentlich-jüdischen Überlagerungen oder Verfremdungen zu befreien. Bestimmte Dinge sind wohl nicht mehr witzig und verdeutlichten jene Problematik, welche schon vor Jahrzehnten von Prof. Dr. Nikolaus Lobkowicz angesprochen wurde (siehe Gedanken zur Woche 44), aber natürlich nicht nur von ihm aufgezeigt wurde. Umso mehr sollte man ruhig fundierte Warnungen aus dem Judentum über (drohende) Fehlentwicklungen bei sich christlich nennenden Gemeinschaften ernst nehmen.
So können auch die von verschiedenen Menschen ernsthaft vorgetragenen Meinungen, Theorien und Hypothesen zu Fragen der Entstehung biblischer Bücher und des ganzen biblischen Kanons eine bemerkenswerte geistige Anregung sein. Wie bei juristischen Texten ist es eben auch bei der Bibel so, dass, wenn man sich überhaupt auf einen bestimmten Text geeinigt hat, die Auslegung, die praktische Anwendung eine sehr schwierige Angelegenheit sein kann. Das gilt für so unterschiedliche Texte wie eine biblische Einzelschrift, die Bibel in ihrem eh unterschiedlich gesehenen Umfang, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Amerikanische Verfassung. Als seinerzeit der Amerikanische Bürgerkrieg, auch genannt Krieg der Staaten, ausbrach, meinten auf beiden Seiten Menschen in Hinblick auf die US-Verfassung, im Recht zu sein. Die damaligen Diskussionen namentlich über die Rechte der Einzelstaaten in der amerikanischen Union finden ihren Nachhall etwas noch bis heute. Hatte US-Präsident Abraham Lincoln überhaupt das Recht, Truppen gegen die Südstaaten einschließlich deren Anhänger in den mittendrin gelegenen sog. Grenzstaaten marschieren zu lassen, oder hatte er nicht sogar gerade im Sinne der Verfassung die Pflicht? Wann war bzw. ist der Einsatz militärischer Gewalt erlaubt oder sogar geboten?
1. Lesung: Jes 6,1-2a.3-8
2. Lesung: 1 Kor 15,1-11 (oder 15,3-8,11)
Evangelium: Lk 5,1-11
Gedanken zur Woche 98-b, Dr. Matthias Martin
5. WOCHE IM JAHRESKREIS (2022)
Der Gedenktag der von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochenen afrikanischen Ordensfrau und Kämpferin gegen die Benachteiligung von Frauen und Verkörperung des Leides unzähliger Opfer der Sklaverei, Josefine Bakhita, verdient auch in diesem Jahr Beachtung. Ihr Gedenktag am 8. Februar ist gleichzeitig der „Weltgebets- und Aktionstag zur Verhinderung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (file:///C:/Users/Matthias/AppData/Local/Temp/f672a602c055c4c63c21bc531a44b806.pdf) und auch so etwas wie „Weltgebetstag gegen Menschenhandel“ (https://www.malteserorden.at/2021/02/06/weltgebetstag-gegen-menschenhandel/ und https://www.katholisch.at/aktuelles/132982/weltgebetstag-gegen-menschenhandel-am-8.-februar).
Der Kampf gegen die Sklaverei und für die Befreiung versklavter Menschen war das Markenzeichen für Generationen von Päpsten. Wenn auch leider heute offen vergessen, steht er für den Mut, auch vor brutalen Kolonial- und Versklavungsmächten wie Portugal, Spanien, Frankreich, die Niederlande und Dänemark und gerade Großbritannien nicht zurückzuschrecken (siehe Gedanken zur Woche 26-b und 48-b). Die Politik von Frankreich und Großbritannien führte nicht zuletzt zur Zerstörung des Heimatstaates der Josefine Bakhita, des Königreiches Darfur, mit den furchtbaren Folgen bis heute. Ein eigenes sehr dunkles Kapitel der Menschheitsgeschichte ist die belgische Herrschaft in dem riesigen Gebiet der heutigen Demokratischen Republik Kongo vom sog. Kongostaat als persönlichen Besitz des belgischen Königs Leopolds II. bis hin zur belgischen Direktherrschaft als Belgisch-Kongo. Als Folge der gezielt Menschenleben vernichtenden Ausbeutungspolitik verloren ungezählte Bewohner ihr Leben. Die Zahlen schwanken zwischen 15 Millionen allein für die Zeit der persönlichen Herrschaft König Leopolds II. bis 1908 und 10 Millionen Opfer insgesamt. Allein für sich genommen gilt König Leopold II. als einer der großen Massenmörder der Menschheitsgeschichte. Später nutzte der Staat Belgien dieses Gebiet noch unter flagranter Verletzung der Kongoakte von 1884/85, sich auch noch die Gebiete der heutigen Republiken Burundi und Ruanda anzueignen. Damals wurde belgischerseits, mit späterer Fortsetzung durch die französische Afrikapolitik, die Grundlage insbesondere für den blutigen Konflikt der bis dahin friedlich zusammenlebenden Völker der Hutus und der Tutsis gelegt, welcher schließlich 1994 im Völkermord in Ruanda einen grausigen Höhepunkt erreichte. Verdienen die sehr deutlichen Stellungnahmen einer Menschenrechtsorganisation wie Amnesty International auch und gerade heute hierzu Beachtung, so sollten päpstliche Verurteilungen von Sklaverei und Sklavenhandel ihrerseits dem Vergessen entrissen werden.
Wie die Bezeichnung „Weltgebets- und Aktionstag zur Verhinderung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ andeutet, erfordert dieses gewaltige Menschheitsthema sowohl spirituelle Kräfte wie aktives Handeln, Aktion und Kontemplation. Es mag hierzu auch der lateinische Satz in den Sinn kommen „Ora et labora“, zu Deutsch „Bete und arbeite“.
Gerade Katholikinnen und Katholiken sollen ja ganz allgemein sich nicht auf das Haben eines religiösen Glaubens, auf die Pflege religiöser Gefühle beschränken, sondern bewusst sich mit Taten für das Gute in der Welt einsetzen, allgemein gute Werke tun.
Dass auch einfache Bürgerinnen und Bürger aufgerufen sind, Verantwortung wahrzunehmen, spricht Johannes Messner in dem auf das Jahr 1961 zurückgehenden Buch „Das Gemeinwohl“ an (siehe hierzu Sammelband: Vom Sinn der menschlichen Gesellschaft – Zwei Spätwerke Messners (Johannes Messner Ausgewählte Werke Band 5). Wien 2003, die Seiten 1-188):
„Nach Thomas verpflichtet das Gemeinwohl hauptsächlich die Herrscher; dabei ist die Gerechtigkeit, deren allseitige Verwirklichung das Gemeinwohl bildet, Sache der Rechtsvernunft des Gesetzgebers. Auch heute ist die Anschauung weithin beherrschend, in der Literatur sowohl wie im Leben, daß dem „Staat“ und der Staatsführung alle Sorge um das Gemeinwohl obliegt. Selbstverständlich sind Gesetzgeber und Staatsführung auch immer unter den Erstverantwortlichen. Doch sie sind keineswegs die Alleinverantwortlichen. Denn der Gesetzgeber ist in der freiheitlichen Demokratie die Volksvertretung. Die politische Willensbildung, d. h. das Zustandekommen des Staatswillens, geht nach dem Begriff der Demokratie vom Volk aus. Der Gesetzgeber kann im Grunde nicht viel mehr tun, als wozu ihn das Volk ermächtigt. Daher ist der Einzelbürger in dieser Demokratie ebenso verpflichtet wie der Gesetzgeber, die Staatsführung und der Volksvertreter“ (Seite 103).
Etwas später zitiert Johannes Messner mahnende Worte des österreichischen Juristen Hans Richard Klecatsky:
„Das Recht zu verwirklichen ist nicht leicht. Das Recht wird nicht durch eine einmalige institutionelle Maßnahme, nicht durch Proklamationen und nicht durch Philosopheme gesichert. Recht wird nur dort, wo darum unermüdlich gerungen wird. Der Mensch, der sich dem Recht verschreibt – keineswegs nur als Richter, sondern als Verwaltungsbeamter, als Anwalt, als Prozeßpartei, als Politiker, als Konservativer, als Revolutionär, in welcher Eigenschaft immer -, muß unablässig dem Recht auf der Spur bleiben, muß stets bereit sein, dafür sich einsetzen. Zum Grundcharakter der Rechtsverwirklichung gehört Kampf, sein Träger ist der einzelne“ (Seite 108).
Umso verständlicher ist, dass es im Laufe des geschichtlichen Prozesses zu einer Ausdifferenzierung bezüglich der rechtlichen Normen wie des etwaigen Inhalts von Recht kam. So entwickelte sich das Bild vom Stufenbau der Rechtsordnung, gerne dargestellt in Gestalt einer Pyramide (siehe z. B. https://www.delst.de/de/lexikon/europarecht-und-nationales-recht/; https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Normenhierarchie.png sowie https://richtervereinigung.at/justiz/rechtssystem/stufenbau-der-rechtsordnung/). Kurz gesprochen stehen oben die jeweilige Verfassung bzw. das Grundgesetz und in unseren Breiten das Europarecht. Darunter kommt die Ebene der einfachen Gesetze und darunter normale Urteile, Bescheide, Verordnungen – individuelle Bestimmungen.
Gedanken zur Woche 97, Dr. Matthias Martin
4. SONNTAG IM JAHRESKREIS (2022)
Der Auftritt Jesu, der immer wieder mit dem Beinamen „von Nazaret“ bezeichnet und auch der Nazoräer oder Nazarener genannt wurde, in der Synagoge von Nazaret ist in mehr als einer Hinsicht bemerkenswert.
Da ist der Umstand, dass Jesus von Nazaret auch in Nazaret nicht bereit war, den Menschen nach dem Mund zu reden. So kam es dazu, dass er zunächst sehr freundlich behandelt wurde, nach kurzer Zeit aber fast Opfer von Lynchjustiz geworden wäre. Jesus hat auch hier konsequent inhaltlich Kurs gehalten und sich nicht nach Tagesmeinungen gerichtet, nicht an einer neuesten Marktbeurteilung orientiert. Er schwankte nicht wie ein Rohr im Wind wechselnder Meinungen, sondern zeigte ganz konsequent Rückgrat. Wie hieß es doch in einem Beitrag von Gerd Buurmann in der Jüdischen Rundschau (http://alt.juedischerundschau.de/wie-halten-sie-es-mit-dem-achten-gebot-herr-landesbischof-bedford-strohm-135910662/):
„Jesus stand zu seinen Überzeugungen und er leugnete seinen Glauben nie.“
Schon vorher hatte sich derselbe Autor sehr deutlich geäußert und Jesus von Nazaret u. a. mit den Worten gewürdigt (https://alt.juedischerundschau.de/bedford-strohm-zum-fremdschaemen-unterwuerfig-und-geschichtsvergessen-135910617/):
„Eins aber war Jesus recht konsequent. Er stand zu seinen Überzeugungen und leugnete seinen Glauben nie. Er ließ sich weder in der Wüste noch vom Hohen Rat von seinem Glauben abbringen.“
Ärger erregte Jesus bei seinem Auftritt in der Synagoge von Nazaret gerade dadurch, dass er im Alten/Ersten Testament erwähnte Persönlichkeiten würdigte, welche keine Israeliten waren, sondern anderen Völkern angehörten. So war die lobend hervorgehobene Witwe aus Sarepta bei Sidon eine Phönizierin. Sidon, wie Tyrus im heutigen Libanon gelegen, waren sehr wichtige Städte der Phönizier (siehe Gedanken zur Woche 23). Deren Alphabet gewann gewaltige Bedeutung für die Entwicklung der Schrift mit verschiedenen nach und nach entstehenden Alphabeten im Mittelmeerraum und wurde selber für Aufzeichnungen in verschiedenen Sprachen verwendet. Über griechisches Alphabet kam es mit dem phönizischen Alphabet als einem Aufgangspunkt zur Entwicklung des lateinischen, des kyrillischen, des armenischen und des georgischen Alphabets. Ebenso gab es offensichtlich über das aramäische Alphabet die Entwicklung in Richtung des arabischen und des hebräischen Alphabets. Von Phönizien ist sowohl im alttestamentlichen Zweiten Buch der Makkabäer wie in der neutestamentlichen Apostelgeschichte wiederholt die Rede.
Auch von Syrien ist sowohl im Alten/Ersten wie im Neuen/Zweiten Testament die Rede, und dies in mehr als einem der jeweiligen Bücher (Buch Judith und Erstes Buch der Makkabäer und dann sowohl im Matthäus- wie im Lukasevangelium, in der Apostelgeschichte wie im Galaterbrief). Die alttestamentliche Persönlichkeit des Naaman wird erst in Zusammenhang mit dem Auftritt Jesu in der Synagoge von Nazaret eben im Lukasevangelium als Syrer bezeichnet.
Dabei sind die Worte Syrien und Syrer nicht im heute meist üblichen Sinne misszuverstehen. So waren Teile bis das Ganze des heutigen Staates Syrien im Laufe der Zeit von verschiedenen Reichen kontrolliert. Von der Hauptstadt Assur des Assyrischen Großreiches Assur leitet sich wahrscheinlich der Name Syrien ab, hat also nichts mit der gegenwärtigen Arabischen Liga zu tun. So ist die syrische Sprache, auch Syriakisch genannt, eine vom Arabischen völlig unabhängige eigene Sprache, die dem Bereich der aramäischen Sprachen und Dialekte zuzuordnen ist. Es entwickelte sich ein eigens syrisches Alphabet und auch eine eigene umfassende Literatur in dieser Sprache. Dabei ist der starke Bezug zum Christentum unverkennbar. Verschiedene christliche Gemeinschaften verwenden entweder das Westsyrische oder das Ostsyrische als Liturgiesprache.
Die römische Provinz Syrien regierte bis zu seinem Tod im Kampf gegen die Parther der römische General und Politiker Crassus und damit ein Mitglied des Ersten Triumvirates, welches er mit Julius Caesar und Pompeius geschlossen hatte. Auch während der römischen Herrschaft kam es zu verschiedenen Grenzverschiebungen.
Nach dem I. Weltkrieg dachte das offiziell als Mandatsmacht das heutige Syrien und den heutigen Libanon kontrollierende Frankreich daran, anstelle einen Staat Syrien, lieber vier kleinere Staaten entstehen zu lassen: einen Staat der Alawiten, einen Staat der Drusen und je einen Staat mit Damaskus und mit Aleppo als Zentrum. Wurden die Kurden hierbei überhaupt nicht berücksichtigt, so scheiterte letztlich die französische Politik. Der jetzige Staat Syrien wurde 1946 unabhängig. Zuvor hatte es in Syrien und im Libanon Kämpfe zwischen Anhängern der Regierung in Vichy und Briten samt Anhängern von De Gaulle gegeben. Bis heute fordert der syrische Staat die Rückgabe bzw. Übergabe des am Mittelmeer gelegenen Gebietes von Alexandrette/Alexandretta/Iskenderun von der Türkei. Diese hatte es 1939 von den Westmächten erhalten, als ein weiteres Zugeständnis an die nach ihrer Niederlage im I. Weltkrieg unter Kemal Atatürk wieder erstarkte Türkei. Der Grenzkonflikt zwischen Syrien und der Türkei dauert bis heute an, verschärft durch die massive Einmischung der Türkei in den sogenannten Syrischen Bürgerkrieg, um das Mindeste zu sagen.
Grenzkonflikte gibt es natürlich auch in anderen Teilen der Welt samt Europa. Wie man sich international nicht einigen kann, wie viele Staaten es überhaupt gäbe, so gehen erst recht die Meinungen darüber auseinander, wie viele Völker es gäbe. Sind es 2000 oder 8000 oder vielleicht in ihrer Zahl etwas dazwischen?
Mit Unabhängigkeitsbewegungen hat sich namentlich die einstige Besatzungsmacht des Libanon und Syriens einschließlich des Gebietes von Alexandrette/Alexandretta/Iskenderun, Frankreich, herumzuschlagen. Denken wir an die Überseegebiete von Neukaledonien und Guadeloupe sowie Korsika. Auch auf dem sogenannten französischen Festland gibt es Abspaltungsbewegungen gegen Paris.
1. Lesung: Jer 1,4-5.17-19
2. Lesung: 1 Kor 12,31-13,13 (oder 13,4-13)
Evangelium: Lk 4,21-30
Gedanken zur Woche 97-b, Dr. Matthias Martin
4. WOCHE IM JAHRESKREIS einschließlich FEST DARSTELLUNG DES HERRN/LICHTMESS (2022)
Wie wenig Christinnen und Christen über Jahrhunderte im Römischen Reich weltlich-politisch betrachtet zu lachen hatten, verdeutlichen der heilige Blasius und die heilige Agatha. Beide starben als Märtyrer in den frühen Zeiten des Christentums eben während römischer Verfolgungen. Starb die heilige Agatha wohl in der systematischen reichsweiten Christenverfolgung unter dem so heimtückischen Decius, so machte der heilige Blasius mit seinem Martyrium um das Jahr 316 deutlich, dass man auch nach dem Mailänder Edikt mit seiner Zusage religiöser Freiheit für Christinnen und Christen römischer Kaisermacht nicht trauen konnte (siehe Gedanken zur Woche 42-b und 47-b).
Diese beiden Märtyrer gewannen in der Christenheit über konfessionelle Grenzen hinweg besondere Verehrung, gerade bei Katholiken und Orthodoxen wie in altorientalischen Kirchengemeinschaften. Man sieht dies schon daran, dass der Name der heiligen Agatha im Römischen Messkanon, dem I. Hochgebet nach der heiligen Wandlung genannt wird. Der Blasiussegen ist ein bemerkenswertes Element im religiösen Leben ungezählter Menschen geblieben, und dies trotz der schweren Krise, welche die katholische Kirche seit den sechziger Jahren offenkundig heimsucht.